Arbeitsplätze in der Autoindustrie werden vernichtet, ohne etwas Neues aufzubauen, das Kapital hat die „Sozialpartnerschaft“ längst verlassen.
Nur Vergesellschaftung, neue Unternehmen, öffentlich finanziert und an das Gemeinwohl gebunden, können soziale Rechte sichern und die Verkehrswende voranbringen. Nicht die Umweltaktivistinnen, sondern das Kapital ist Schuld an den Entlassungen in der Automobilbranche.
Das Handelsblatt meldet am 9.2., dass Betriebsräte von Bosch und ZF Unternehmenspläne fürchten, nach denen Produktionsstätten nach Osteuropa verlagert werden. Mehrere deutsche Werke mit tausenden Beschäftigten seien von der Schließung bedroht. Das ist kein Einzelfall, sondern gängige Praxis seit Jahren. Allein in den zurückliegenden Jahren 2018 bis 2021 wurden in der Auto- und Zulieferindustrie mehr als 50.000 Arbeitsplätze abgebaut oder verlagert (VDA). Das sind mehr als doppelt so viel, wie in der Braunkohle in zwanzig Jahren abgebaut werden sollen.
In vielen Unternehmen wurden im letzten Jahrzehnt sogenannte „Zukunftspakte“ zwischen den Tarifvertragsparteien oder zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung vereinbart. Diese Vereinbarungen sahen meist einen „sozialverträglichen“ Personalabbau sowie Verzicht auf Entgeltbestandteile oder Entgelterhöhungen vor – von den Lohnabschlüssen ganz zu schweigen, die zu einem drastischen Reallohnabbau geführt haben. Im Gegenzug verpflichteten die Unternehmen sich zu Investitionen in zukunftsträchtige Produkte und Verfahren. Der „sozialverträgliche“ Abbau von Personal geht so, dass Aufhebungsverträge oder Altersregelungen eingeführt werden und Menschen so aus dem Betrieb „rausgekauft“ werden. Da das „freiwillig“ passiert, Betriebsrat und Unternehmensleitung an einem Strang ziehen, fühlen sich viele genötigt, aufzuhören. Manche werden in Personalgesprächen ziemlich bedrängt, um einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, andere sind erfreut, ein paar Jahre früher in Rente zu gehen – selbst wenn diese drastisch gekürzt ist. Wirklich sozialverträglich ist das nicht, denn das Unternehmen spart zwar die Lohnkosten ein, dafür verzichten die Ausscheidenden aber auf eben diesen Lohn oder auf höhere Rentenbeiträge. Sozialverträglich ist das auch nicht, weil die nachfolgende Generation keine Chance auf einen Job in dem Betrieb mehr hat. Es werden entweder gar keine Einstellungen mehr vorgenommen oder die gleichen Tätigkeiten werden für Leiharbeit ausgeschrieben.
Das perfide an diesen „Zukunftspakten“ ist, dass sich die Unternehmen weder vorher noch hinterher in die Bücher schauen lassen, dass sie tatsächlich weder Beschäftigungsgarantien geben noch den Erhalt der Standorte garantieren. Sie investieren eben nicht in die Zukunft und in die Weiterbildung der Belegschaften. An vielen Beispielen ist nachzuweisen, dass Zugeständnisse von Gewerkschaft und Betriebsräten ausschließlich dazu genutzt werden, die Profite zu erhöhen. Oft muss man diese Vereinbarungen als grobe Täuschungsmanöver bezeichnen. Deutlich wird das an den exorbitanten Gewinnen, die die Unternehmen machen, die Autohersteller VW, BMW und Mercedes sowieso. Als Beispiel sei Bosch hier genannt: Bosch hat in den zurückliegenden Jahren Betriebsschließungen oder umfangreichen Personalabbau in seinen Werken in München, Homburg und Bietigheim angekündigt. In Hildesheim ist so ein Bosch-Projekt, durchaus zu Lasten der Beschäftigen, schief gegangen. Der Autozulieferer SEG hat die Produktion im niedersächsischen Werk Hildesheim mit etwa 500 Mitarbeitern Ende 2021 geschlossen. Hinter der SEG verbirgt sich die frühere Anlasser-Sparte von Bosch. Trotz dieses Kahlschlags macht Bosch Profite, im Jahr 2022 in Höhe von 3,7 Milliarden Euro und stürzt tausende Beschäftigte in soziale Nöte und die betroffenen Kommunen ebenfalls. Nur ein weiteres Beispiel: Conti schließt Standorte in Aachen, Karben und Regensburg mit entsprechenden Konsequenzen für die Beschäftigten und die Kommunen – und macht gleichzeitig einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro (2021).
Mindestens folgende Unternehmen haben Entlassungen, Standortschließungen oder Produktionsverlagerungen angekündigt oder schon vollzogen:
Opel in Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern, Ford in Saarlouis und Köln, Daimler (Evo) Bus in Mannheim, Beru in Ludwigsburg, GKN in Karlsruhe und Zwickau, MAN in Augsburg, Dura in Plettenberg, Conti in Aachen, Karben und Regensburg, Bosch in Arnstadt, Homburg, München und Bietigheim, Mahle in Gaildorf und Freiberg, Magna in Dürbheim, BCS in Radolfzell, Brose in Coburg, Hallstadt, Bamberg, Würzburg und Berlin, ZF in Saarbrücken, DGH Druckguss in Dohna, Fysam in Göppingen, Vitesco in Mühlhausen, Scheffler in Hamburg, Luckenwalde und Wuppertal, Norma in Gerbershausen. Mehr als 50.000 Arbeitsplätze gefährdet, verlagert oder vernichtet.
Das wird so weitergehen, wenn die Verkehrswende und die Energiewende nicht entschlossen angepackt werden. Das ist gemeint, wenn ich davon spreche, dass nichts Neues aufgebaut wird. Das betrifft auch die berufliche Aus- und Weiterbildung. Nicht nur, dass es insgesamt zu wenige Ausbildungsplätze gibt – es gibt vor allem zu wenige Angebote für Zukunftsberufe. 2,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren sind ohne Ausbildung. Deshalb müssen Unternehmen und Regierung mehr Geld ausgeben, um Umschulungen zu ermöglichen: etwa „vom Mechaniker zum Heizungsinstallateur. Oder vom Motorenentwickler zum Softwareentwickler“, so die IG Metall.
Für die Verkehrs- und Energiewende braucht es unheimlich viel Arbeit. Hunderttausende Ingenieurinnen und Facharbeiter für den Schienenfahrzeugbau, den Busbau, für neue, innovative Verkehrskonzepte, für die Infrastruktur, für den Betrieb der Bahn und der kommunalen Verkehrsunternehmen. Für die Energiewende braucht es viel mehr Windräder, Photovoltaikanlagen und deren Infrastruktur und Installation auf hunderttausenden Dächern. Niemand müsste erwerbslos werden, niemand müsste Zukunftsängste haben. Das Kapital ist offensichtlich nicht in der Lage dazu – wohl wegen Borniertheit und geringerer Profitaussichten.
Warum finden wir in Deutschland kaum Produktion von Solarmodulen, Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen? Ohne aktive Industriepolitik wird das nicht funktionieren – aber die ist in Deutschland auf die Autoindustrie fokussiert. 30 Milliarden Euro gehen pro Jahr direkt oder indirekt als staatliche Subventionen aus Steuergeldern in die Autoindustrie. Für 30 Milliarden Euro will der Bundesverkehrsminister in den nächsten Jahren Autobahnen bauen lassen. Die für eine Energie- und Verkehrswende relevanten Industrien werden jedoch sträflich vernachlässigt.
Die Kämpfe für eine Energie- und Verkehrswende sind also auch soziale Kämpfe, sind Kämpfe um den Erhalt der Kraft von Gewerkschaften. In den alten Industrien verlieren Gewerkschaften Mitglieder, nur dort, wo neue Beschäftigung entsteht, können Gewerkschaften Mitglieder gewinnen und ihre Organisationsmacht ausbauen. So, wie die Kolleginnen und Kollegen von GKN in Florenz es ihren Brüdern und Schwestern bei GKN in Mosel ins Stammbuch geschrieben haben: „Ihr seid Teil unserer Familie. Wir sind da, um euch zu unterstützen, wo es nur geht. Kämpft für alle, nicht nur für euch. Geht das Problem kollektiv an, nicht individuell. In den letzten Tagen staunten wir bei den Bildern aus der Braunkohlegrube in Lützerath. Versucht einen gemeinsamen Kampfweg zu finden: Nicht die Umweltaktivistinnen, sondern das Kapital ist Schuld an den Entlassungen in der Automobilbranche.“
Mehr Beteiligung, mehr Mitbestimmung und mehr Tarifbindung sind nötig, werden aber nicht ausreichen, um den Schalter umzulegen. In vielen Betrieben und Regionen entwickelt sich Widerstand gegen diesen planlosen Kahlschlag. Die IG Metall diskutiert in Vorbereitung des Gewerkschaftstages im Oktober diesen Jahre ihr bisher weitgehend unkritisches Herangehen an die Transformation bzw. die Konversion der Autoindustrie. Zu reden ist über eine Vergesellschaftung der Unternehmen, die die Energie- und Verkehrswende blockieren und sogar konterkarieren. Sie handeln verfassungswidrig, gegen Völker- und Menschenrechte. Ergänzend zur Vergesellschaftung können und müssen dann öffentliche, gemeinwirtschaftliche Unternehmen gegründet werden, die die Lücken füllen: Schienenfahrzeugbau, Busbau, Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen. Es gibt nicht soviel Profit, der privat angeeignet werden kann, aber es gibt einen außerordentlich hohen Gewinn für die Gesellschaft und für künftige Generationen. So werden die Klimakatastrophe und die soziale Katastrophe gleichermaßen angepackt.