Die sozial-ökologische Transformation und gewerkschaftliche Perspektiven – Anforderungen und Erwartungen an demokratische und kritische Wissenschaft

  1. Gewerkschaftliche Perspektiven in der sozial-ökologischen Transformation Die Gewerkschaften, die Arbeitgeber und der Staat
  2. Bitten an demokratische und kritische Wissenschaftler*innen

Seit Beginn der UN-Klimakonferenzen im Jahr 1992 sind die jährlichen CO2-Emissionen nicht zurückgegangen. Vielmehr haben sie um über 60 % zugenommen. Warum ist das so – trotz aller Klimakonferenzen und weltweiter Proteste? Und vor allem: Wie können wir den Klimawandel aufhalten?

In der Klimabewegung gewinnt die Erkenntnis Raum, dass es so nicht weitergehen kann, dass wir einen Systemwechsel brauchen. Wenn Kohle und Öl wegen ausgetrockneter Flüsse nicht mehr transportiert werden können, wenn die Strompreise explodieren, weil die Kühlung der AKWs in Frankreich wegen zu wenig Wasser in den Flüssen unmöglich wird, ist das ein unübersehbares Zeichen der ökologisch-sozialen Super-Krise des Kapitalismus – mit drastischen ökonomischen Konsequenzen wie der derzeit historisch hohen Inflation. Die radikale Realität der Klimakatastrophe zeigt uns Grenzen dieser Art zu Wirtschaften bedrohlich auf. Gleichzeitig sehen wir am Beispiel der Renaissance von Atomstrom, der unterbliebenen Energie- und Verkehrswende, an der Abwälzung der Inflationslasten auf die unteren Schichten und Klassen, dass der Widerstand gegen diesen dringend notwendigen Systemwechsel schon auf Hochtouren läuft.

In dieser Situation wächst das Bewusstsein für die drastischen Konsequenzen des Klimawandels. Ursachen und antisoziale Regulationsversuche werden aber weitgehend noch nicht an das kapitalistische System adressiert, sondern sehr diffus an „die da oben“ inklusive fremdenfeindlicher Vorurteile und antisemitischer Begründungsansätze von „Weltverschwörung“ und dem „raffenden Kapital“. Nun kommt es darauf an, die Aufmerksamkeit auf die wesentliche Frage zu lenken: woher kommt die politische Macht, die Dinge tatsächlich zu ändern? Dazu müssen wir auch in die Zukunft schauen und versuchen zu beschreiben, wie jene tiefgreifende gesellschaftliche sozial-ökologische Transformation, die wir brauchen, aussehen könnte.

I. Gewerkschaftliche Perspektiven in der sozial-ökologischen Transformation

Gewerkschaften, Arbeitgeber und Staat

1.

DIE Gewerkschaften gibt es nicht – unterschiedliche Interessen und Haltungen gibt es in dieser Frage scheinbar auf der Hand liegend zwischen exportorientierten Industriegewerkschaften und binnenmarktorientierten Dienstleistungsgewerkschaften. Weiter gibt es die unterschiedlichen Strömungen der Arbeiter*innenbewegung natürlich innerhalb jeder Gewerkschaft. Und drittens gibt es, politisch gewollt von den Regierungen und in Gesetze gegossen eine zunehmende Dominanz von Betriebsräten in den Gewerkschaften, zum Beispiel durch das Betriebsverfassungsgesetz, durch die Verbetrieblichung von Tarifpolitik und deren dadurch bedingte Differenzierung der Arbeits- und Entgeltbedingen zwischen den Branchen und innerhalb der Branchen zwischen einzelnen Unternehmen und Betrieben.

Die gegenwärtige Aufgabe der Gewerkschaften besteht darin, den Übergang vom kapitalistischen Wachstumszwang in ein sozial und ökologisch nachhaltiges Entwicklungsmodell zu ermöglichen und zu forcieren. Die Abkehr vom Wachstumszwang kollidiert aber mit den Profitinteressen der Eigentümer*innen, mit der Macht des Kapitals und oft eben auch mit den kurzfristigen Interessen der abhängig Beschäftigten, der Mitglieder der Gewerkschaft – das ist die von Klaus Dörre beschriebene ökologisch-ökonomische Zangenkrise.

Ist da eine Intervention von solcherart geschwächten und zwischen den Fronten zerriebenen Gewerkschaften zu erwarten?

Hans-Jürgen Urban aus der linken Gewerkschaftsströmung und Mitglied im Führungsorgan der IG Metall, dem geschäftsführenden Vorstand, sagt dazu u.a.: „Deswegen sollten sich die Gewerkschaften über die Wahrung von Beschäftigungs-, Einkommens- und Sozialinteressen ihrer Mitglieder hinaus an der Konzipierung, Legitimierung und Realisierung des neuen Entwicklungsmodells beteiligen. Das erfordert eine entsprechende Strategiebildung auf der Grundlage eines erweiterten politischen Mandats.“ (https://hans-juergen-urban.de/)

Es geht also um die Auflösung des Widerspruches zwischen kurzfristigen Gegenwartsinteressen und langfristigen Zukunftsinteressen, der „Gattungsfrage“, dem Überleben der Menschheit auf diesem Planeten. Dieser Widerspruch spiegelt sich deutlich sichtbar in der Automobil- und Zulieferindustrie wie auch in der Energiewirtschaft, in den Kernbereichen der gewerkschaftlichen Organisationsmacht. An der Beteiligung der IG Metall an der Regierungskommission „Zukunft der Mobilität“ und der IGBCE an Kohle- und Gaskommission wird dieser antagonistische Widerspruch sichtbar, die Integration in das kapitalistische System: einerseits Beiträge für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens – andererseits der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze in der existierenden und sich kapitalistisch wandelnden Industrie.

Andererseits bereiten relevante Teile der Gewerkschaften in Deutschland Proteste gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf den ärmeren Teil der Bevölkerung vor. Wenn es einen heißen Herbst geben soll, wenn es ihn geben wird, dann nur mit und durch Gewerkschaften und Sozialverbände.

Die Zusammenführung von Umwelt-, Klima- und Sozialbewegung ist dann eine Hürde, die noch nicht genommen ist. Zwar gibt es eine formales Bündnis von Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden sowie der Beteiligung der evangelische Kirche zur sozial-ökologischen Verkehrswende – aber wirklich praktisch geworden ist dieses Bündnis bisher noch nicht (https://www.sovd.de/aktuelles/meldung/breites-buendnis-fordert-sozial-und-klimavertraegliche-mobilitaetswende).

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Die Debatte in der IG Metall war vor gut 30 Jahren weiter, als das heute der Fall ist. In einer Schriftenreihe der IG Metall erschien die Broschüre „Auto, Umwelt und Verkehr – Umsteuern, bevor es zu spät ist“. Im Magazin der Gewerkschaft für die Angestellten wird ausführlich über einen gemeinsamen Kongress mit dem Naturschutzring und das genannte Programm berichtet (Angestellten-Magazin 12/1990). Darin wird der damalige Gewerkschaftsvorsitzende Franz Steinkühler zitiert: „Die IG Metall hat nicht die 35-Stunden-Woche vereinbart, damit die Mitglieder 64 Stunden jährlich im Stau stehen. Die Schäden und Belastungen des Autoverkehrs für Mensch und Natur sind erheblich zu hoch.“ In dem Programm sind Vorschläge enthalten, die fast nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben, von Tempolimit über Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis zu Demokratie in der Wirtschaft:

  • Autoproduktion ohne Gift und Schadstoffe
  • Systemisches Recycling der Altautos
  • Verringerung von Emissionen und Energieverbrauch
  • Sicherheit für alle, weniger Raserei
  • Kooperationsmodell aller Verkehrsträger
  • Ausbau des öffentlichen Verkehrs
  • Vernetzung der Verkehrsträger
  • Neue Fahrzeugkonzepte und Unternehmensstrategien
  • Vernünftiges Verbraucher- und Verkehrsverhalten
  • Politische Initiativen und Rahmensetzungen

Mit dem Ende der Systemkonkurrenz und der Eröffnung riesiger neuer Märkte in Osteuropa, Indien und China, mit der Durchsetzung aller Gesellschaften und aller gesellschaftlichen Bereiche mit dem Neoliberalismus, mit der absoluten Marktorientierung und Durchsetzung des Shareholder Value geriet dieses Programm erst ins Hintertreffen und dann in Vergessenheit.

Zum Widerspruch von einerseits der Dominanz von Betriebsräten und andererseits deren begrenztem betrieblichen Mandat ist die Initiative des DGB zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes von Interesse und Bedeutung. Der DGB fordert mit seinem Vorschlag u.a., dem Betriebsrat bei „Maßnahmen, die geeignet sind, dem Umwelt- und Klimaschutz zu dienen“, ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen (https://www.dgb.de/themen/++co++21a2fa9a-b4bd-11ec-9da2-001a4a160123).

Solcherart müssen wir in die Zukunft schauen und möglichst genau, realistisch und gut nachvollziehbar beschreiben, wie und in welchen Schritten die sozial-ökologische Transformation umgesetzt werden kann und wie gutes Leben und gute Arbeit dann aussehen und sich ja ohnehin bedingen. Eines geht nicht ohne das andere.

Im Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Zukunft von Auto, Umwelt und Mobilität wurde die Idee entwickelt, die Transformation und das Bündnis durch regionale Transformationsräte unter Einbeziehung von kritischen Wissenschaftler*innen, Beschäftigten aus der Industrie, Umwelt-, Sozial- und Verkehrsverbänden mit Leben zu erfüllen – auch als notwendige Ergänzung zu den tripartistischen regionalen Transformationsnetzwerken aus dem Zukunftsfond der Bundesregierung, in denen die Industrie, die kommunalen Vertretungen und die Gewerkschaften ihrerseits die Transformation vorbereiten. (https://www.allianz-fuer-die-region.de/mobilitaet/regionales-transformationsnetzwerk-suedostniedersachsen-retrason und https://ecomento.de/2021/08/19/zukunftsfonds-eine-milliarde-fuer-die-autoindustrie/)

2.

Die Autoindustrie nehme ich als Beispiel, weil ich mich dort einigermaßen auskenne und weil sie die exportstarke Schlüsselindustrie unseres Landes ist – zur Zeit mit ca. 800.000 Beschäftigten inklusive der Zulieferindustrie (Conti, ZF, Bosch etc.), mit einem Umsatz von 500 Milliarden Euro und einem Gewinn von 30 Milliarden Euro pro Jahr bei den „big three“ (VW, Mercedes, BMW). Gegenwärtig sind mehr als 48 Millionen PKW in Deutschland zugelassen, allerdings ist die Geschwindigkeit und Menge der Neuzulassungen rückläufig. Diese Dominanz der Autoindustrie ist historisch gewachsen, vorangetrieben vor allem durch die Nazis als Teil der Volksgemeinschaftsideologie (Autobahnbau, „Volkswagen“) und als gegenüber den USA nachholende Modernisierungsstrategie. Was so historisch gewachsen ist, ist selbstverständlich wieder veränderbar – und diese Industrie verändert sich gerade sehr schnell. Es geht allerdings um die Richtung dieser Veränderung: Weiterhin profitgetrieben oder doch bedarfsorientiert. Wir finden eine Mischung von harter Konkurrenz und vielfacher Konzentration, immer situationsabhängig, in der deutschen Auto- und Zulieferindustrie vor. Mit dem Verkauf von Opel an PSA in Frankreich und Kooperationen von z.B. Volkswagen und Ford sind weitere Schritte in Richtung Oligopole gegangen.

Aktuell sind sich ergänzende Haupttendenzen in der Autoindustrie festzustellen: Mit dem Hype um diverse Elektroantriebe wird eine Art „Greenwashing“ betrieben, mit der Produktion und dem Vertrieb von immer größeren, schwereren und leistungsstärkeren Oberklasse- bis Luxusautos werden die Treibhausgasemissionen weiter erhöht statt gesenkt. Beide Tendenzen dienen dazu, am bisherigen Wachstums- und Profitmodell unter veränderten Bedingungen festzuhalten – nicht jedoch, die veränderten Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen.

3.

„Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“ – so beschreibt Karl Marx im Kommunistischen Manifest den Staat als „ideellen Gesamtkapitalisten“. Auf die Bundesrepublik Deutschland trifft das sicher zu. Unentschieden ist aber, was das in der existenziellen Krise, in der Klimakatastrophe und bei sinkenden Absätzen bedeutet. Das Wachstumsmodell der vergangenen 200 Jahre ist jetzt offensichtlich auch an seine natürlichen Grenzen gestoßen.

Die Entwicklung der Autoindustrie wird massiv politisch und finanziell vom Staat unterstützt und vorangetrieben. Man kann von einem Autostaat sprechen, wenn die direkten und indirekten Subventionen (bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr) und die Regierungskommissionen (NPE https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/elektromobilitaet/nationale-plattform-elektromobilitaet/nationale-plattform-elektromobilitaet.html und NPM) betrachtet werden – keineswegs nur zum Erhalt des „Industriestandortes“ oder der Arbeitsplätze. Sichtbar wird dieser Autostaat auch an diversen personellen Wechseln von der Autoindustrie in die Politik und umgekehrt (Drehtüreffekt) und – ganz aktuell – an dem „PorscheGate“ genannten Verhalten von Christian Lindner, der während der Koalitionsverhandlungen in ständigem Austausch mit dem VW-Boss Oliver Blume war.

Der Autostaat kümmert sich auch um die globale Sicherung immer knapper werdender Ressourcen – das betrifft seltene Metall, Energie oder Halbleiter und deren sichere Logistik (https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DERA/DE/Home/dra_node.html). Schon die aktuellen Verteilungskämpfe um diese knappen Ressourcen werden heute mit viel Geld und – sollte das nicht genügen – mit Gewalt ausgetragen. Im Zuge der weiteren Verknappung, die auch den Binnenmarkt betreffen wird (z.B. Energiemangel), ist die Verteilung zu entscheiden: Wer bekommt was und wer entscheidet darüber auf welcher Grundlage! Bei knappen Gütern bedarf es einer demokratischen Planung und Entscheidung über deren Verteilung.

Andererseits haben wir ein Grundgesetz und darin den Artikel 14 (2) GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Im Artikel 15 stehht dann sinngemäß, dass Unternehmen, die dem Wohle der Allgemeinheit nicht dienen, diesem vielleicht sogar schaden, enteignet werden (können) zum Zwecke der Überführung in Gemeineigentum.

Ich gehe davon aus, dass Mobilität ein Grundrecht ist und eine gesamtstaatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge – ebenso wie Klimaschutz Verfassungsrang hat. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom April 2021 (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html) hat das sehr deutlich gemacht. Das korrespondiert übrigens nicht zufällig mit der Satzung der IG Metall, in deren § 2 es heißt: „Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten; Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“.

Nehmen wir die Defizite in dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, das Stadt-/Landgefälle, Kinder und ältere Personen ohne eigenes Auto, die Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket, dann ist der Bedarf an öffentlichem Verkehr deutlich sichtbar. Nur am Rande sei bemerkt: Männer fahren doppelt soviel Auto wie Frauen. Neben der Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse sind die Mobilitätszwänge zu reduzieren: überlange Arbeitswege, Einkaufsmöglichkeiten, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung stark zentralisiert und ohne Auto oft nicht erreichbar. Durch Arbeitszeitverkürzung, eine am Bedarf und menschlichen maß orientierte Stadt- und Raumplanung sind Begleiter der Trias der Verkehrswende: Verkehr vermeiden, verlagern und verbessern. Tatsächlich haben wir eine drastische Zunahme des motorisierten Individualverkehrs mit verheerenden Folgen für Menschen, Städte und die Natur.

Gelegentlich ist als schlechte Ausrede zu hören, der Ausbau des ÖPNV dauere zu lange und komme ohnehin zu spät. Tatsächlich ist es ein Dilemma, das der MIV nicht reduziert werden kann, wenn der ÖV nicht massiv ausgebaut wird. Aber es muss endlich begonnen werden umzusteuern: ein Spurwechsel ist dringend, der Prozess wird ohnehin mehr als 10 Jahre benötigen!

Zusammenfassend will ich sagen, dass Gewerkschaften die Chance haben, die Verkehrswende mitzugestalten und zu gewinnen – oder sich an die Autoindustrie zu ketten und zu verlieren. Die Bedarfe im öffentlichen Verkehr sind riesig. Es werden Straßenbahnen, Busse und Züge für unterschiedliche Nachfragen benötigt – weit mehr, als Kapazitäten bisher vorhanden sind. In dem Maße, in dem Arbeitsplätze in der Autoindustrie abgebaut werden, können neue und gute Arbeitsplätze in der Schienenfahrzeugindustrie und in der Busproduktion aufgebaut werden (siehe Studien von Fraunhofer1 / Mfive sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Band „Spurwechsel“https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/spurwechsel/). Gewerkschaften können ihre Mitgliederzahlen stabilisieren und ihre Organisationsmacht ausbauen, wenn sie sich jetzt an der Verkehrswende und der damit veränderten Produktionsstruktur in unserem Lande beteiligen. Anders als bei dem Ausstieg aus der Kohleförderung und Kohleverstromung geht es bei der Verkehrswende „nur“ um einen Umbau. Das ist nicht weniger anspruchsvoll, besonders in den Autoclustern, muss bei guter gesellschaftlicher Planung aber nicht so angstbesessen sein wie in den Kohleregionen.

Erste Thesen:

  • Die Autokonzerne (VW, Daimler, BMW) erfüllen die Norm des Art. 14 GG nicht, staatliche Politik kann und muss intervenieren.
  • Ohne sozial-ökologische Transformation gibt es keine Arbeitsplatzsicherung und die Gewerkschaften – und damit die gesamte linke Bewegung – werden verlieren.
  • Es bedarf umfangreicher politischer Bildung und gewerkschaftlicher Bildung, um diese Prozesse zu verstehen und aktiv zu begleiten.

II.

Bitten an demokratische und kritische Wissenschaftler*innen, konkrete Fragen der Transformation, Bearbeitung der Widersprüche und Konflikte

Die Gewerkschaften, soziale Bewegungen, die Linke im weitesten Sinne brauchen solidarische Kritik und Anregungen von außen: Die sozial-ökologische Transformation, die Verkehrswende ist ein hochkomplexes Projekt. Autoindustrie, Bahn- und Busindustrie, Infrastrukturbau (Straßenbau, Trassenbau) unterschiedliche Zulieferer, unterschiedliche Eigentümer und Eigentumsformen (privat, staatlich, Kommunen, Länder, Verkehrsverbünde) sind involviert bzw. betroffen.

Wir, der Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung, aber auch Gewerkschaften inklusive ihrer Stiftungen, sind nicht in der Lage, diese Komplexität alleine zu bearbeiten. Es handelt sich, wie oben benannt, um ein großes gesellschaftliches Projekt – größer als der Ausstieg aus der Kohle. Wir benötigen wissenschaftlich diverse zentrale und regionale Kompetenzgruppen für regionale Struktur- und Industriepolitik, für die Transformationsräte.

Technisch geht es um die Frage, Aufrüsten oder Umrüsten. Weg von 2 Tonnen Stahl und monströser Technik auf vier Gummirädern zwecks Transport von einer Person von A nach B – hin zu bedarfsorientiertem öffentlichem Personen- und Güterverkehr auf Schienen, Wasserwegen und – soweit unvermeidbar – auf Straßen, sicherlich nicht in kleinen privaten Autos, die zu 90% Stehzeuge und nicht Fahrzeuge sind. Kleine smarte Busse für ländliche Regionen und die „letzte Meile“, Bahnen (Cargo-Bahn in Dresden), Antriebe dafür und für Schiffe und die Vernetzung all dessen – statt Formel 1 und Flying Tiger (Drohnen zur Personenbeförderung).

Sozial geht es um Gute Arbeit versus Profitmaximierung – Schlagzeile neulich: „VW-Werker und Roboter arbeiten jetzt Hand in Hand“. So wird es einsam um die Kolleginnen und Kollegen in den Werkshallen und der Robby macht keine Pause, trinkt keinen Kaffee, spielt keine Karten und erzählt nix von zu Hause. Der Tarifvertrag und die Gewerkschaft sind dem auch schnuppe!

Schon ist nur noch von „Reformen“ und „Effizienz“ die Rede. Opel ist fast ganz weg, Insolvenzen in der Zulieferindustrie häufen sich, Conti, Bosch und Mahle schließen oder verlagern Standorte.

Ökologisch geht es um sehr Vieles: Um Klimabelastungen bzw. deren Vermeidung, um Gesundheit, um Flächenverbrauch und Flächenversiegelung, um Ressourcenschutz und in dem Zusammenhang auch um Krieg und Frieden, um die Möglichkeit oder die Blockierung alternativen Verkehrs.

Es geht um Sein oder Nichtsein, wir erleben die Katastrophe schon nicht mehr nur in Zeitlupe.

Ökonomisch geht es um Profit und darum, dass der Staat bzw. die Staaten die Autoindustrie mit Milliarden subventionieren (Abwrackprämie, E-Mobilität) wie auch indirekt durch Steuererleichterungen, Steuerverzicht, Infrastrukturleistungen, Rabatte auf Energie, Wasser, Abwasser etc.pp – zwischen 20 und 50 Mrd. Euro pro Jahr

Ethisch geht es um die Frage, ob wir so leben wollen, ob wir so arbeiten, produzieren und konsumieren wollen. Diese Produktionsweise ist mit unendlich vielen Ungerechtigkeiten behaftet, sie ist zerstörerisch und tödlich für viele Menschen – ähnlich stringent wie die Rüstungsproduktion. Jede Waffe findet ihren Krieg und allein in Deutschland starben im vergangenen Jahr 2.500 Menschen bei Verkehrsunfällen, weltweit sind es 1,3 Millionen p.a., mehr als 300 Tote pro Tag! Was ist gutes Leben? Was ist Zeitwohlstand? Wenige profitieren – viele verlieren – global.

Juristisch geht es nicht in erster Linie um Abgasbetruges oder Kartellvergehen, nicht um die Frage, ob auch die Finanzbehörden betrogen werden und wer für die Schäden aufkommt.

Vor allem geht es um die Eigentums- bzw. die Verfügungsfrage. Die Eigentümer, der Porsche-Piëch-Clan und der Terrorstaat Katar, die Quandts und Klatten, die autoritären Ölscheich von Kuweit, profitieren von den Betrügereien und der Ausbeutung, haben diese Profite quasi als Hehler längst privatisiert durch Dividendeneinnahmen der zurückliegenden Jahre. Wie verhält es sich denn da mit dem Eigentum, das dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll und widrigenfalls enteignet werden kann (und das trifft dann auf VW, Daimler und BMW gleichermaßen zu). Jeder Dieb und Hehler muss das Diebesgut abgeben – warum nicht die Großaktionäre der Autoindustrie?

Politisch geht es um die Rolle des Staates, wenn er denn schon Anteilseigner solcher Unternehmen ist (wie bei Volkswagen und zeitweise bei Opel). Alle neoliberalen Politiker verweigern sich wirklichen Transformation, einer aktiven Wirtschaftspolitik (analog den Kohlervieren). Beispiel VW: Das Land als Großaktionär und die IG Metall bzw. der Betriebsrat verfügen über 12 von 21 Stimmen im Aufsichtsrat. Chancen sind offensichtlich vorhanden und sind zu nutzen!

1https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/aktuell/angst-vor-sozialem-kahlschlag-ist-unbegruendet/

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