„Sonderwirtschaftszonen“ oder demokratische Beteiligung?
Der Ausstieg aus der Kohleförderung und Kohleverstromung führt zu einem Strukturwandel im mitteldeutschen Revier, im Rheinischen Revier und in der Lausitz. Dabei geht es um gut 20.000 direkte Arbeitsplätze, vor allem um die soziale, gesellschaftliche und industrielle Entwicklung nach fast 200 Jahren, in denen die Kohle im Mittelpunkt stand.
Der Ausstieg aus der Kohle ist im Verhältnis zum Umbau der Auto- und Zulieferindustrie ein vergleichsweise kleiner Strukturwandel, geht es hier doch um ca. 800.000 direkte Arbeitsplätze mit Schwerpunkten (Clustern) in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen, Bayern und NRW.
Im Unterschied zur Kohle geht es nicht um einen Ausstieg, sondern um den Umstieg vom Auto in den öffentlichen Verkehr. Halbierung des Autoverkehrs, vor allem in den urbanen Zentren und bei Langstrecken, sowie eine Verdopplung des öffentlichen Verkehrs mit Zug, Tram und Bus sind erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen und die Städte menschlich umzubauen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es interessant zu beobachten, wie der „Strukturwandel“ in den Revieren tatsächlich funktioniert. Die Bundesregierung spricht von 40 Milliarden Euro, die bis 2038 dafür ausgegeben werden sollen – eine riesige Summe Geld für drei vergleichsweise kleine Regionen und geringe Anzahl von Beschäftigten. Aber der Wandel ist natürlich konkret: Ein Betrieb wird geschlossen, hunderte Arbeitsplätze fallen weg – und was passiert nun in den Dörfern und mit den Menschen? Das beobachten zu Recht viele Beschäftigte der Autoindustrie, die bald selbst von massiven Veränderungen im Zuge der Verkehrswende betroffen sein werden.
In einem Report des MDR (29.8.2021) äußert ein Arbeiter des Kraftwerkes in Deuben im Burgenlandkreis mit berechtigter Empörung, wie es sein könne, dass von den Geldern, die der Bund zur Bewältigung des Strukturwandels bereitstellt, der Naumburger Dom saniert wird, aber in Deuben bislang nichts ankommt? Rund 200 Beschäftigte, die Hälfte davon über 50 Jahre alt, waren bis Dezember 2021 im Deubener Kraftwerk sowie der angeschlossenen Staub- und Brikettfabrik beschäftigt. Diejenigen von ihnen, die bei der Stilllegung zwischen 58 und 63 Jahre alt sind, werden mit sogenanntem Anpassungsgeld abgefunden und können in den Ruhestand wechseln. Dieses Anpassungsgeld, eine staatliche Leistung, bekommen zwar unmittelbar die entlassenen Beschäftigten. Dennoch nutzt diese Regelung vor allem den Braunkohleunternehmen, weil ihre bewährten und tarifierten Vorruhestandsregelungen nicht in Anspruch genommen werden müssen, während für den Staat Kosten von 2,8 Milliarden Euro entstehen. Bis zum letztmöglichen Datum für den Kohleausstieg 2038 werden rund 70% der derzeit Beschäftigten 58 Jahre oder älter sein.1
Mehr als 10.000 Menschen arbeiteten zu DDR-Zeiten in Deuben im „VEB-Braunkohlekraftwerk Erich Weinert“ sowie den angeschlossenen Industriewerken und Tagebauen. Braunkohle war der Treibstoff der DDR-Wirtschaft, die Anlagen und Kraftwerke liefen unter Volllast, auf die Natur wurde keine Rücksicht genommen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Zwischen 2016 und 2019 stieß das Kraftwerk laut der Deutschen Emissionshandelsstelle noch immer mehr als 700.000 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr aus.2 Obschon zum Werk mit Kraft-Wärme-Kopplung umgebaut, ist das Kraftwerk immer eine Dreckschleuder geblieben. Im Jahr 2015 protestierten rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten von Greenpeace gegen Kohleverstromung und das Kraftwerk Deuben, das die Umweltschutzorganisation als das „schlechteste Kraftwerk Deutschlands“ bezeichnet. Als sie mit einem Ballon als symbolischem Korken den Schornstein blockieren wollten, wurde das Kraftwerk teilweise evakuiert.
Die MIBRAG als Betreibergesellschaft ist im Eigentum eines tschechischen Energieunternehmens. In den zurückliegenden Jahren wurden zunächst die Rückstellungen erheblich reduziert und darüber hinaus zweistellige Millionengewinne jährlich an die Eigentümer abgeführt.
Nun entsteht der Eindruck, es geht um schlichten Abbau von Industrie und Arbeitsplätzen im mitteldeutschen Revier. Zwar lobt sich die Bundesregierung selbst im Bericht zur Umsetzung des Investitionsgesetzes Kohleregionen schon im November 2021. Darin wird festgestellt, dass „die Unterstützung durch den Bund erfolgreich gestartet ist“. Im Rahmen der Finanzhilfen wurden zum 31. August 2021 insgesamt 175 Projekte mit einem verplanten Volumen von 3,01 Milliarden Euro bestätigt. Zudem hat das Bund-Länder-Koordinierungsgremium 77 Maßnahmen mit einem geplanten Gesamtvolumen von 16,30 Milliarden Euro beschlossen.
„Sonderwirtschaftszonen“ oder demokratische Beteiligung?
Etwas anders der Landrat des Burgenlandkreises Götz Ulrich (CDU) in der Kreistagssitzung am 13.12.2021, in der er zur Schließung des Kraftwerks Deuben ausführt:
„Am 7. Dezember 2021 wurde das älteste Braunkohlekraftwerk Deutschlands in Deuben vom Netz genommen. Bereits am 6. Dezember fuhr der letzte Braunkohlewagon ins Deubener Kraftwerk.
Mit der Stilllegung des Kraftwerks in Deuben sind die ersten direkten Auswirkungen des Strukturwandels im Burgenlandkreis spürbar. Bis jetzt fällt kein Kumpel ins Bergfreie. Dennoch gehen zahlreiche gut bezahlte Jobs verloren. Für einen erfolgreichen Strukturwandel ist dieses Modell daher keine Option. Wir müssen neue Arbeitsplätze und Perspektiven für die Kumpel im Revier anbieten können.“
Aber es geht, wie wir gesehen haben, gar nicht in erster Linie um „die Kumpel im Revier“, sondern um Perspektiven für die gesamte Region, für die Jugend und für die Zukunft, um soziale Garantien für die Menschen. Und genau da versagen die bisherigen Konzepte des Strukturwandels, versickern Initiativen im bürokratischen Dschungel, werden Initiativen von Gewerkschaften nicht aufgegriffen. Der Kohleausstieg ist richtig und notwendig. Die Menschen im Revier, die von jahrzehnten Kohleabbau gezeichneten Orte brauchen aber soziale Sicherheit und Perspektiven. Darauf haben sie nach jahrzehntelanger gesundheitsschädigender Arbeit und Leben mit der Kohle ein selbstverständliches und unumstößliches Recht. Vor allem müssten die Eigentümer, die in den vergangenen Jahren Millionen daran verdient haben, zur Kasse gebeten werden.
Weiter führt der Landrat aus:
„Es bedarf einer Gewichtung der sehr stark vertretenen Straßenbauvorhaben gegenüber anderen Projekten (Klimaschutz, Bildung, Industriekultur, Ansiedlung von Bundesbehörden) und neuen Straßenbauprojekten. Umsetzungsreife Vorhaben der Prioritätenliste, die eine große Wirkung im Revier entfalten können, sollten selbstverständlich zügig „festgezurrt“ werden. Das bezieht sich vor allem auf das Forschungsvorhaben in Hohenmölsen, das „Fraunhofer-Agrartechnologiezentrum Mitteldeutsches Revier“ als Außenstelle des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF.
Götz betont die Bedeutung einer ausreichenden Finanzausstattung für „große industrienahe Vorhaben im Burgenlandkreis“, wenngleich solche Vorhaben bis heute nicht sichtbar sind. Er erwähnt die Erschließung des interkommunalen Gewerbegebietes bei Weißenfels, die Erweiterung des Chemie- und Industrieparks Zeitz wie die Schaffung einer Wasserstoffinfrastruktur für die Unternehmen im Burgenlandkreis. Von Energiewende redet er allerdings nicht – die Kompetenzen der Menschen in der Energieerzeugung, bisher eben im Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, bleiben so unerwähnt, ebenso die Möglichkeiten von Erdwärme, Wind- und Sonnenenergie, deren Speicherung und Verteilung.
Der CDU-Ministerpräsident fordert ein „wirtschaftsfreundliches Umfeld“ und meint, wie der gesamte Kreistag des Burgenlandkreises, eine Sonderwirtschaftszone. Dazu hat der Kreistag einstimmig auf Antrag der CDU beschlossen:
„… Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone im Burgenlandkreis mit Schwerpunkt auf den kohlebetroffenen Kommunen (Zeitz, Elsteraue, Theißen, Hohenmölsen und Lützen) in dieser sind Erleichterungen im Vergabe-, Bau-, EU-Beihilfe- und Steuerrecht zur Anwendung zu bringen.“
Sonderwirtschaftszonen bedeuten niedrige Löhne und verringerte Rechte für Beschäftigte, während die Arbeitgeber von gesenkten Steuern und Abgaben profitieren. Die Forderung nach Sonderwirtschaftszonen ist eine Parteinahme für die Reichen und gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Sonderwirtschaftszonen öffnen Tür und Tor für eine Deregulierungsspirale im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Planungsrecht. Die Menschen brauchen im großen Wandel aber Konzepte, die sie stärken, statt schwächen. Die Politik steht in der Verantwortung, ihnen endlich Mut machende Perspektiven für eine sozial-ökologische Wende und für eine Demokratisierung der Wirtschaft zu bieten.
Die zuständige Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie IG BCE schreibt mit deutlicher Kritik zu Sonderwirtschaftszonen u.a.: Der Begriff der „Sonderwirtschaftszone“ ist wenig präzise; darunter werden unterschiedlichste Sachverhalte gefasst. Gemeinsam ist dem Konzept lediglich, dass es sich um räumlich, zuweilen auch zeitlich und sektoral abgegrenzte Segmente für wirtschaftliche Aktivitäten handelt. In diesen werden staatlicherseits Sonderkonditionen für die unternehmerische Betätigung eingeführt, die von den in den übrigen Teilen der Volkswirtschaft geltenden Bestimmungen abweichen3.
Wenn der Strukturwandel in der Braunkohle Vorbild sein soll für die sozial-ökologische Transformation der Autoindustrie und die Verkehrswende, ist eine „Sonderwirtschaftszone“ mit der Deregulierung von Vergabe, Bau- und Steuerrecht, sind die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und Tarifautonomie das Letzte, was gebraucht wird. Es braucht mehr Demokratie, nicht weniger. Es braucht eine kollektive Arbeitszeitverkürzung, kurze Vollzeit für alle und eine faire Teilung aller Arbeit. Sinnvoll wäre es deshalb, Transformationsräte für die betroffenen Regionen zu berufen und einzurichten. In diese Transformationsräte wären die Kommunen, die ortsansässigen Unternehmen, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Umweltverbände sowie technische und ökonomische Wissenschaften sowie Sozialwissenschaften, Raum- und Städteplaner:innen einzubeziehen. Sie hätten ein Vorschlagsrecht für die Verwendung der Mittel aus den Strukturfonds.
Allgemein zu lesen: https://www.rosalux.de/publikation/id/43985/strukturwandel-im-mitteldeutschen-braunkohlerevier
Fußnoten:
1https://www.mcc-berlin.net/fileadmin/data/B2.3_Publications/Working%20Paper/2019_MCC_Working_Paper_1_Kohleausstieg.pdf
2https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/burgenland/kraftwerk-deuben-braunkohle-abschaltung-100.html
3https://www.arbeit-umwelt.de/wp-content/uploads/181207_ig_publikationen_sonderwirtschaftszone_web.pdf