Tempo bei Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung zu langsam
In Europa rollen rund 500.000 Güterwaggons auf der Schiene. Bisher werden diese bei Tag und Nacht, bei jedem Wetter, per Hand gekuppelt. Hunderttausendfach müssen nicht wirklich üppig bezahlte Rangierbegleiter die 20 Kilo schweren Kupplungsbügel auf Schulterhöhe wuchten, um Wagen zu kuppeln: harte und gefährliche Handarbeit. Insbesondere Einzelwagenverkehre sind dadurch ineffizient. Tatsächlich ist es in Europa als einzigem Kontinent nicht gelungen, im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Automatische Kupplung einzuführen.
Das Kuppeln eines Zuges mit 25 Wagen nimmt in der Regel ca. 60 Minuten nur für Wegezeiten in Anspruch. Der Lokrangierführer muss den Zug bis zu drei Mal ablaufen. Mit Rangieren, Bremsprobe und Wagenuntersuchung kann die Zugvorbereitung insgesamt zwei bis drei Stunden dauern. Noch länger dauert es, wenn ein Wagen ausgereiht werden muss. An den manuellen Abläufen zur Zugvorbereitung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht viel verändert. Automatische Kupplungen sind weltweit seit vielen Jahrzehnten im Schienengüterverkehr im Einsatz – unter anderem in den USA, Russland und China wird längst automatisch gekuppelt. Nun soll Europa der erste Kontinent mit einem Digitalen Automatischen Kupplungssystem werden, die jetzt (endlich) erst einmal getestet werden. Technisch seien die notwendigen Innovationen bereits lange erprobt, „deshalb kann die Digitale Automatische Kupplung jetzt schnell eingeführt werden“, forderte der Stellvertretende Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, Martin Burkert, schon vor fast zwei Jahren.1 Die DAK ermöglicht es, Güterwagen automatisch, ohne Handarbeit zu kuppeln. Die Wagenverbindungen für die Bremsen, Strom- und Datenleitungen werden automatisch hergestellt. Strom und Datenleitungen treiben ermöglichen die Einführung von Sensoren am Wagen, beispielsweise für die permanente Wagen- und Frachtüberwachung. Sie ermöglicht die dringend erforderliche Einbindung des Schienengüterverkehrs in digitale Logistikketten.
Insgesamt wertet der Gewerkschafter diese automatische Kupplung als einen „Quantensprung für den Gütertransport auf der Schiene.“ Sie sei die Voraussetzung dafür, „dass der Einzelwagenverkehr in Europa eine Zukunft hat.“ Die DAK könne die Produktivität des Schienengüterverkehrs deutlich steigern und somit seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Verkehrsträger Straße verbessern. „Die Schiene kann so für viele Verlader zu einer echten Alternative zum Transport auf der Straße werden. Das ist allein aus Klimaschutzgründen dringend geboten.“ Güter gehören auf die Schiene. Güterzüge sparen gegenüber dem Straßentransport 80 bis 100 Prozent CO2. Mehr Güter müssen auf die Schiene verlagert werden, das ist unbestritten. Dafür ist die DAK ein notwendiger, aber kein ausreichender Schritt. Vor allem muss das Schienennetz erweitert werden, auch um viele Anschlüsse an kleinere und größere Unternehmen. Die ausgelagerten (externalisierten) Kosten des Straßengütertransportes müssen in die Preise einbezogen werden, LKW‘s und die Straße dürfen nicht mehr als Lagerplatz für die just-in-time Lieferung von Unternehmen missbraucht werden.
Einhergehend mit dieser technologischen Veränderung muss es einen deutlichen Beschäftigungsaufbau in der Bahnindustrie geben. In den Betrieben der Auto- und Zulieferindustrie, in denen Kupplungen für Autos mit Verbrennungsmotor nicht mehr gebaut werden, könnten ohne große Veränderungen automatische Kupplungen für die Bahn produziert werden bzw. Beschäftigte können in die bisher eher kleinen Betriebe wie z.B. Voith in Salzgitter wechseln. Die notwendigen Personal-, Produktions- und Wartungskapazitäten müssen aufgebaut statt, wie gegenwärtig, abgebaut werden. Der Bereich Turbo (Division Mobility) von Voith bedient den Markt für intelligente Antriebstechnik, Systeme und Serviceleistungen unter anderem für den Schienensektor. Im Geschäftsbericht von Voith heißt es dazu: „Der langfristige, durch den Klimaschutz getriebene Wachstumstrend im Schienenmarkt ist ungebrochen. Zusätzliche Chancen bieten die Digitalisierung des Bahnverkehrs und die Vereinheitlichung des europäischen Schienenverkehrs. Voith Turbo nutzte die Chancen der Markterholung und übertraf mit spürbaren Zuwächsen bei Auftragseingang und Umsatz unsere Erwartungen.“2
Zusammen mit anderen Verbänden aus dem Bahnsektor engagiert sich die Allianz pro Schiene seit vielen Jahren für die Einführung der DAK. Mit der DAK-Charta3 will die Allianz die Digitale Automatische Kupplung bis zum Jahr 2030 in ganz Europa auf die Schiene bringen. Im Zentrum der Charta stehen drei Schritte, die Politik und Bahnindustrie angehen müssen:
- die Entwicklungsphase beschleunigen,
- die Finanzierung einer europaweiten Einführung sicherstellen
- einen europäischen Fahrplan für die Migration der DAK aufstellen
Die Bundesregierung spricht bei einer ein Jahr dauernden Versuchsfahrt von einer „Revolution“ und gibt dafür 13 Millionen Euro aus.4
1https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/digitale-automatische-kupplung-evg-fordert-mehr-tempo-7994/
2https://voith.com/corp-de/VZ_annual-report_21_vvk_de.pdf
3https://www.allianz-pro-schiene.de/wp-content/uploads/2020/03/dak-charta_2020_broschuere_de.pdf
4https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2022/005-digitale-revolution-im-gueterverkehr.html