Klimagerechtigkeit und Verkehr – Mit den Beschäftigten für die Erreichung der Klimaziele!

Wie kann Mobilität zukunftsfähig und solidarisch gestaltet werden? Mit den Beschäftigten – für die Erreichung der Klimaziele!

An einer drastischen Reduzierung des Autoverkehrs und der Automobilproduktion geht kein Weg vorbei, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Gleichzeitig muss der öffentliche Verkehr mehr als verdoppelt werden: der Nahverkehr in Stadt und vor allem auf dem Land, der Regionalverkehr, der Fernverkehr und der Güterverkehr auf der Schiene. Ohne demokratische Beteiligung der Menschen, der Bevölkerung, der Beschäftigten in der Automobilproduktion, der Bahnindustrie und den ÖPNV- und Bahnbetrieben ist das nicht zu machen. Ohne die Umwelt- und Verkehrsinitaitiven ist das ebenfalls nicht zu machen. Sind Transformationsräte ein Weg für diese dringend notwendige Veränderung?

Vortrag bei der Regionalkonferenz der örtlichen Verkehrswende-Initiative am 5. Juni 2021 in Einbeck / Niedersachsen.

1. Die Klimaziele

Die Klimaziele sind im Pariser Abkommen von 2015 völkerrechtlich verbindlich geregelt – und die Bundesrepublik Deutschland ist als Vertragspartnerin verpflichtet, diese Ziele einzuhalten. Hinzu kommen Urteile des Bundesverfassungsgerichtes und europäischer Gerichte, die unser Land auffordern und mahnen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Die Einhaltung der Klimaziele ist existenziell für die Menschheit – der Kipppunkt zur irreversiblen Klimakatastrophe ist nur noch durch einschneidende Maßnahmen abwendbar.

Der Motorisierte Individualverkehr (MIV) ist der gesellschaftliche und ökonomische Bereich unseres Landes (und ebenso anderer Länder), der keinen positiven Beitrag zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen geleistet hat – seit über 30 Jahren. Wenn auch der spezifische Verbrauch von einzelnen Fahrzeugen sinkt, so steigt doch der Flottenverbrauch, weil die Fahrzeuge immer größer, schwerer und mit stärkeren Motoren ausgestattet werden. Die großen SUV‘s machen inzwischen fast die Hälfte aller Neuzulassungen an Kraftfahrzeugen aus. Der Grund dafür ist einfach: Mit solchen Autos wird mehr Profit realisiert, als mit kleinen und sparsamen Fahrzeugen. So wurde die Produktion des 3-Liter-Lupo bei Volkswagen nach vier Jahren eingestellt, weil erst keine Werbung gemacht wurde und dann der Absatz zurückging.

2. Das Elektro-Auto

Das Elektroauto ist eine Auto. Nichts, außer dem Antrieb ist anders, als bei Autos mit Verbrenner-Motor. Also wird keines der Probleme, die es mit Produktion, Nutzung und Verwertung von Autos gibt, durch das Elektro-Auto gelöst. Nicht einmal das Emissions-Problem wird gelöst, wenn der Strom nicht aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Ein vollständiger Wechsel von Verbrenner-Antrieb zu Elektro-Antrieb ist unmöglich, da die dafür benötigte Energiemenge nicht zur Verfügung steht bzw. – auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten – für andere Zwecke und für anere Weltregionen genutzt werden muss.

Der Trick der Regierung und der Autoindustrie besteht darin, per Definition die Elektro-Autos zu „Zero-Emission-Fahrzeugen“ zu erklären – entgegen den Tatsachen und wider besseres Wissen. Dieser Ausweis als „Null-Emissions-Fahrzeug“ ermöglicht es der Autoindustrie, weil die Grenzwerte sich auf die Fahrzeugflotten beziehen, mehr große SUV‘s zu verkaufen, ohne Strafzahlungen dafür leisten zu müssen.

Die Bedingungen, unter denen seltene Rohstoff wie Lithium und Kobalt gefördert und hergestellt werden, sind zumeist naturunverträglich und oft mit Überausbeutung und Kinderarbeit verbunden. Es werden riesige Mengen Wasser und Energie dafür verbraucht.

3. Das Autokapital

Die „Big three“ der deutschen Autoindustrie sind Volkswagen mit Audi, Skoda, Seat, Porsche und MAN, Daimler mit Smart und der LKW-Sparte sowie BMW mit Mini und Rolls Royce. Andere ehemalige (deutsche) Hersteller wurden liquidiert oder wie Opel verkauft. An solchen Indikatoren wie Umsatz, Absatz, Profit, Export, Beschäftigte, Lohnsumme, Subventionen und schließlich auch Autoideologie gemessen, ist das die mächtigste Kapitalfraktion in unserem Land. Nichtsdestotrotz sind die Beschäftigten in der Autoindustrie keine Aliens sondern Menschen wie Du und ich. Sie haben Familien und sorgen sich um ihre Kinder und deren Zukunft. Sie haben Hobbys, gehen wandern, angeln, gärtnern – und sorgen sich um die Natur. Sie erleben die Klimaveränderungen in gleicher Weise wie alle anderen Menschen – und sind doch abhängig davon, in der Autofabrik zu arbeiten und den Lebensunterhalt zu verdienen. Weil die Wertschöpfung und der Profit besonders hoch sind, weil der gewerkschaftliche Organisationsgrad besonders hoch ist, ist auch die Entlohnung besonders hoch. Das macht einen Ausstieg oder Umstieg aus dem Job besonders schwer.

Die Macht dieser Kapitalfraktion wird durch ein paar gerundete Zahlen deutlich (Jahresbasis, eigene Berechnungen):

 

4. Ansichten der Belegschaften

Die Mobilitätswende kann nur gelingen, wenn wir die Beschäftigten dafür gewinnen. Die Möglichkeiten dafür sind vorhanden, weil die vielfache Krise handgreiflich ist (Absatzkrise, Antriebswechsel, Digitalisierung, Standortverlagerung). Alles zusammen unter dem unbestimmten Begriff der Transformation. Der Gewerkschaft (IG Metall) kommt dabei eine sehr hohe Bedeutung – dieser wird sie nur zum Teil gerecht; inhaltlich und regional differenziert.

Vom Gesprächskreis Zukunft Auto Umwelt Mobilität der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben wir eine Studie / Befragung bei Beschäftigten der Auto- Zuliefer- und Bahnindustrie durchgeführt. Es ging darum, dass die Ansichten der Belegschaften in der öffentlichen Debatte über die Folgen des Klimawandels und zu notwendigen Veränderungen nicht vorkommt. Es wird wohl in und über Wissenschaft, Politik Autoindustrie und ein wenig auch Umwelt- und Verkehrsverbände in diesem Zusammenhang gesprochen und geschrieben – nicht aber über die unmittelbar produktionsseitig betroffenen Beschäftigten. Wie blicken die Beschäftigten – hier vor allem mittlere Funktionäre, gewerkschaftliche Vertrauensleute, zwischen der Basis und der Führung – auf Themen wie Klima, Transformation und Mobilität? Ergeben sich daraus Anknüpfungspunkte für einen sozial-ökologischen New Deal? Diese Befragung erhebt keinen Anspruch, repräsentativ zu sein. Aber sie gewährt interessante Einblicke in die Meinungsbildungsprozesse.

Eine wesentliche Erkenntnis will ich verraten, bevor die Studie in ein paar Tagen veröffentlicht wird: Es gibt eine Skepsis bei den Beschäftigten, ob eine Konversion der Autoindustrie, ein guter Beitrag zu einer echten Mobilitätswende, gelingen kann. Es gibt durchaus eine Bereitschaft für Veränderung, wenn die soziale Frage gelöst wird: Gute Arbeit, gutes Einkommen, gutes Leben! Aber sind die Autokonzerne und die Manager dazu willens und fähig? Und sind die Bahn, der gesamte öffentliche Verkehr in der Lage, die Mobilitätsaufgaben zu übernehmen und zu erfüllen? Steht dafür genügend Geld und Personal zur Verfügung?

Die Größe der Aufgabe wird im Vergleich mit dem Ausstieg aus der Kohle deutlich: Dort geht es um 20.000 Beschäftigte in drei Kohlerevieren, um einen Zeitraum von 20 Jahren bis 2038 und um Subventionen in Höhe von 40 Milliarden Euro. Auf die 800.000 Beschäftigten der Autoindustrie ist das nicht umrechenbar, zumal keine 20 Jahre Zeit zur Verfügung stehen. Aber es geht bei der Mobilitätswende ja auch nicht um einen Ausstieg, sondern um einen Umstieg vom MIV zum ÖPNV – wobei der ÖPNV minimal verdoppelt wird und der MIV drastisch reduziert wird. Eine Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Umstieg innerhalb von 15 Jahren Beschäftigungsneutral zu schaffen ist – allerdings mit besonderen Herausforderungen für die Zentren der Autoindustrie im Raum Stuttgart, in Sachsen und Niedersachsen. Es bedarf eines Umstiegplanes, in dem der Ausbau von Bahnindustrie und Bahninfrastruktur korrespondiert mit der Stilllegung von Kapazitäten in der Autoindustrie sowie einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung. Es gibt zurecht Zweifel daran, dass das mit privatwirtschaftlichen Instrumenten möglich ist. Es bedarf offensichtlich einer erweiterten Mitbestimmung, mehr Demokratie (Wirtschaftsdemokratie), um so auch für die Betriebe der Auto- und Bahnindustrie Planungsssicherheit zu gewährleisten.

5. Transformationsräte

Die Klima- und Verkehrswendebewegung ist seit längerer Zeit aktiv bei der Verhinderung von weiterem Straßenbau, bei der Blockade von Autofabriken und Autobahnen, bei Waldbesetzungen und Critical-Mass-Touren. Gewerkschaften und Beschäftigte standen diesen Aktionen immer reserviert gegenüber – nicht ganz so drastisch wie die IGBCE bei der Besetzung von Tagebauen, aber eben auch nicht an der Seite derjenigen, die für eine nachhaltige Mobilität eintreten. Aber hier deutet sich jetzt eine Veränderung an.

Ein breites Bündnis fordert und engagiert sich für eine sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende. Zum Bündnis gehören Gewerkschaften wie DGB, Verdi und IG Metall, Umweltverbände wie NABU und BUND, Sozialverbände wie AWO, VdK und SOVD, die evangelische Kirche und der Verkehrsclub VCD. Das Bündnis hat sich gegründet, um den gesellschaftlichen Dialog über die Verkehrspolitik zu begleiten, voranzubringen und einer weiteren Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. „Die Vorschläge des Bündnisses sollen dazu dienen, gemeinsame Vorstellungen der künftigen Mobilität zu entwickeln und daraus Handlungsschritte abzuleiten.“ Ziel ist es, so steht es in Veröffentlichungen des Bündnisses, „die Ideen in den kommenden Monaten im öffentlichen Austausch mit den Menschen und Bündnispartnern vor Ort weiter auszugestalten.“

Es ist zweifelsohne ein guter Schritt, Klimabewegung und Gewerkschaften, Umwelt, Arbeit; Beschäftigung und Soziales zusammenzubringen. Aber realisieren muss sich das tatsächlich in den Regionen, vor Ort. Da reichen Regierungskommissionen, an denen Umwelt- und Verkehrsinitativen nicht beteiligt, Gewerkschaften und Frauen unterrepräsentiert sind, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen, bei weitem nicht aus. So ein Gemauschel ist eher kontraproduktiv.

Aus diesem Bündnis können und sollten jetzt regionale Transformationsräte entstehen, um es vom Kopf auf die Füße zu stellen, um dem Bündnis Beine zu machen. Ohne Druck aus der Gesellschaft werden die Konzerne weiter nach Maximalprofit auf Kosten von Mensch und Natur konkurrieren. Ohne Druck aus der Gesellschaft, von Klima-, Umwelt und Verkehrsinitiativen werden die Regierungen die notwendigen Veränderungen nicht gegen die Konzerne durchsetzen. Ohne Druck aus den Betrieben in Richtung Konversion, ohne die Kenntnisse und das Erfahrungswissen von Techniker*innen, Ingenieur*innen, Naturwissenschaftler*innen und ohne das Produktionswissen der Beschäftigten in den Fabrikhallen wäre es kein wirklich demokratischer Prozess.

Der Linken in unserem Land, den progressiven Kräften im weitesten Sinne kommt in diesem Prozess eine herausragende Bedeutung zu: eine bildende Rolle im Sinne von Aufklärung über die die Lebensgrundlagen zerstörerische Produktions- und Lebensweise. Dazu geht es um öffentliche Veranstaltungen, um Gewerkschafts- und Betriebsversammlungen, um Betriebszeitungen, Seminare und vieles mehr. Und der Linken kommt eine organisierende Rolle zu: Das Bündnis muss getragen und zusammengebracht werden, Solidarität muss organisiert werden, um das Soziale tatsächlich mit dem Ökologischen zu verbinden.

Der Aufbau solcher Transformationsräte ist kein leichtes Projekt – aber einen einfachen Weg gibt es nicht.

https://einbeck.endlich-verkehrswende.de/

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