Autokorrektur – eine Branche hat sich verfahren!

Autoindustrie – too big to fail? Und was macht die Gewerkschaft?

Zu Recht steht die Autoindustrie in der öffentlichen Kritik. Ihr hoher Exportanteil führt zur Verschuldung anderer Länder. Rohstoffe werden unter teils menschenverachtenden und die Natur zerstörenden Bedingungen produziert. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe trägt zur Aufheizung des Klimas bei. Die steuerliche und landschaftsplanerische Privilegierung der Autoindustrie geht einher mit einer Missachtung öffentlicher Mobilitätsangebote. Die hohen Profite aus der Autoindustrie werden privatisiert und bei wenigen Reichen konzentriert. Gleichzeitig sei die Autoindustrie von Niedersachsen bis Niederbayern der wichtigste Arbeitgeber und Steuerzahler. Wie kann unter diesen Bedingungen ein Ausgleich von ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit im Umbau der Mobilität in Deutschland gelingen?

Ein Überblick über die Autoindustrie in Deutschland ergibt, dass die drei großen „deutschen“ PKW- und Nutzfahrzeughersteller zusammen mit Opel und Ford ungefähr 480.000 Personen beschäftigen. In der Fertigung von Anhängern und Aufbauten arbeiten etwa 35.000 Personen. Zur Autoindustrie werden außerdem die Zulieferbetriebe gerechnet, darunter Giganten wie Bosch, Conti und ZF Friedrichshafen, aber auch viele kleine und mittlere Unternehmen mit insgesamt gut 300.000 Beschäftigten. Alles zusammen also knapp 800.000 Personen, die in diesem Sektor erwerbstätig sind. Die Autolobby zählt zwei Millionen Arbeitsplätze dazu, die oft prekär und bei weitem nicht gut bezahlt sind: „Webdesigner, Industriefotografen und Agile Coaches wissen, dass am Ende sehr oft die Autoindustrie und ihre Zulieferer ihre Auftraggeber sind“, schreibt das Handelsblatt am 5. Mai, am Tag des 3. Autogipfels im Corona-Jahr 2020. In Hochphasen der Produktion gehörten hunderttausende LeiharbeiterInnen dazu, die Autolobby rechnet weiter dazu Beschäftigte von Tankstellen, Abschleppdiensten, Schrottverwertern und Straßenbaufirmen.

Die Autoindustrie in der Krise – nicht erst seit Corona

Besonders betroffen von der aktuellen Krise in der Autoindustrie sind Regionen wie Stuttgart, München, Wolfsburg, Leipzig und Zwickau, weil es hier eine hohe Konzentration von Autoproduktion gibt. Aufgrund der Wertschöpfung, der hohen Profite sowie des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades werden die Beschäftigten im Kernbereich der Autoindustrie recht gut bezahlt; teils gab es mehrere tausend Euro Sonderzahlungen im Jahr als Ersatz für Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und „13. Monatsgehalt“. Diese Beschäftigten tragen also durch Einkommens- und Konsumsteuern erheblich zum Steueraufkommen des Staates bei. Neben der Beschäftigung ist der Umsatz ein Indikator für die Relevanz eines Bereiches: In der Auto- und Zulieferindustrie wurden 2019 ca. 430 Milliarden Euro umgesetzt – das sind etwas mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ein großer Teil, etwa drei Viertel der Produktion, wird exportiert. 22 Milliarden Euro werden jährlich für Forschung und Entwicklung im Inland ausgegeben.

Pandemiebedingt ist der Absatz zunächst in China, dann aber auch in allen anderen Teil der Welt fast zusammengebrochen. Im April sank der Absatz in Deutschland um 60 Prozent nach minus 40 Prozent im März. Jedoch ist die Pandemie nur ein Beschleuniger der Krise: Seit zwei Jahren ist die Produktion in Deutschlands rückläufig. 2017 wurden noch 5,6 Millionen Fahrzeuge hergestellt, 2019 nur noch 4,7 Millionen. Auch weltweit ging die Herstellung von Autos zurück, von 84,7 (2017) auf 80,1 Million (2019) Auf diese Entwicklung des Weltmarktes sowie die Anforderungen der Emissionssenkung der Flotten durch Elektroautos haben die Unternehmen reagiert und umfangreiche Programme zum Abbau von Beschäftigung angekündigt und mit Einstellungsstopps, der Entlassung der LeiharbeiterInnen, Frühverrentung, Abbau von Stammpersonal und Insolvenzen begonnen. Das wirkt sich auf kleinere Zuliefer-Unternehmen und die AutohändlerInnen massiv negativ aus, während die drei großen Konzerne mit Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro die Krise gut überstehen können. Die Bedeutung der Autoindustrie als Arbeitgeber nimmt ab und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten sind nicht ohne Weiteres in Sicht.

Zukunftsangst

Das führt zu Zukunftsangst in den Belegschaften, zu Unsicherheiten in den genannten Regionen und zu einem irrationalen Subventionsbündnis von Unternehmen und Gewerkschaft. Obwohl sich 63 Prozent der Bevölkerung gegen Kaufprämien für Autos ausgesprochen haben (ARD-Umfrage vom 9. Mai 2020), spricht sich die IG Metall in einer Erklärung vom 6. Mai für solche Prämien als Beitrag zum Klimaschutz aus: „Das heißt aber nicht, dass ausschließlich der Kauf von Elektroautos gefördert werden soll.“ Argumentiert wird, dass der „Effekt zu gering wäre“, weil Elektroautos „für breite Bevölkerungsschichten kaum erschwinglich“ seien.[1]

Das steht im seltsamen Widerspruch zu einer Erklärung, die IG Metall und BUND am 9. April diesen Jahres abgegeben haben und in der sie sich „für einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft als nachhaltigen Weg aus der Krise“ aussprechen.[2] Mit einem Fokus nur auf die Autoindustrie scheint es einen unauflöslichen Widerspruch zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit zu geben: Produktion und Nutzung von Autos sichert Arbeitsplätze und Steueraufkommen, trägt aber wesentlich zu Treibhausgasen, Klimaveränderungen und zur Gefährdung menschlichen Lebens auf diesem Planeten bei.

Die Lösung wäre eine Erweiterung des Blickfeldes: Es geht nicht um Autoindustrie und den motorisierten Individualverkehr, sondern um Mobilität, die – weil sie Teil der Daseinsvorsorge ist – öffentlich organisiert wird. Elektromobilität wird in Straßen- oder U-Bahnen eben auch „für breite Bevölkerungsschichten“ erschwinglich. Und sie kann in jeder Hinsicht viel komfortabler ausgestattet werden als bisher, wenn Milliarden Subventionen nicht in die Autoindustrie, sondern in den öffentlichen Verkehr fließen. Die Gewerkschaft stünde dann auch nicht vor dem Dilemma, einer Industrie und der eigenen Stärke der Vergangenheit anzuhängen, sondern wäre wirklich zukunftsträchtig, sozial und ökologisch nachhaltig.

Arbeit im öffentlichen Mobilitätssektor

In der Bahnindustrie, bei den Bahnbetrieben für Personenbeförderung, bei den öffentlichen und privaten Nahverkehrsbetrieben, bei Bahnbetrieben für den Güterverkehr sind summa summarum etwa 550.000 Menschen beschäftigt; durchaus „systemrelevant“, wie uns in der Pandemie deutlich wird, da diese Betriebe die Mobilität von Menschen und Gütern sicherstellen. Hinzu kommt: Wenn der öffentliche Verkehr ausgebaut wird, was sowohl in urbanen Zentren als auch in ländlichen Räumen erforderlich ist, müssen Produktionskapazitäten für U-Bahnen, S-Bahnen, Straßenbahnen, Regionalzüge, Lokomotiven, agile Shuttle-Fahrzeuge, für Wartung, Service und Signaltechnik aufgebaut werden. Das schafft plus der zusätzlichen Beschäftigten in den öffentlichen Verkehrsbetrieben ausreichend Arbeitsplätze, um die Verluste in der Autoindustrie mehr als auszugleichen. In einem systematischen Prozess von ca. 10 Jahren könnte diese Transformation ohne soziale Brüche gelingen. Das müsste jedoch demokratischer gestaltet werden, als der Kohleausstieg. Mobilitätsräte unter Einbeziehung der Gewerkschaften, der Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherverbände könnten die Transformation in den Regionen planen und umsetzen.

Und die Gewerkschaft?

Ob es zu einer solchen Entwicklung kommt, hängt auch von der Haltung der Gewerkschaften ab. Die Position des IG Metall-Vorstandes ist widersprüchlich. Einerseits die gemeinsame Erklärung mit dem BUND, andererseits die Forderung nach Kaufprämien für Autos. Einerseits Hans-Jürgen Urban als Vorstandsmitglied mit der Erkenntnis, dass der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit resistent gegen Corona scheint. Er fordert von der Autoindustrie, dass es als Bedingung für die Gewährung öffentlicher Mittel einen ökologischen Zusatznutzen geben muss. „Kapitalistische Märkte versagen angesichts der Umweltkrise, hier braucht es politische Intervention“ (in Neues Deutschland, 30. April 2020). Andererseits verkündet der Leiter des großen IG Metall-Bezirkes Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger: „Wir brauchen einen kräftigen Nachfrageimpuls, um die Kapazitäten wieder auszulasten, Wirtschaftsstrukturen zu stabilisieren sowie Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln“ (in der Freitag, 28. April 2020). Die Stabilisierung der hergebrachten Wirtschaftsstrukturen, die private Verfügung, die Konkurrenz und Orientierung auf maximalen Profit sind jedoch unvereinbar mit der sozial-ökologischen Transformation. Davon ist auch keine Rede mehr, wenn Zitzelsberger festhält, dass „die Gewinne von heute die Industrialisierung der Fahrzeuge von morgen für den Massenmarkt“ seien.

Der konstruierte Widerspruch zwischen sozialer Sicherheit und ökologischer Nachhaltigkeit hindert die Gewerkschaft und viele ihrer potentiellen BündnispartnerInnen, eindeutig und entschieden für soziale und ökologische Nachhaltigkeit als Weg zur Beschäftigungssicherung einzutreten. Das Dilemma wird noch größer, wenn die Unternehmen die Pandemie nutzen, um lange geplanten Personalabbau jetzt durchzuziehen. Um dem mobilisierend und machtpolitisch etwas entgegenzusetzen, wäre die Forderung nach und der Kampf für eine radikale kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich für die unteren und mittleren Einkommensgruppen nötig. So ließe sich aus Sicht der Beschäftigten der scheinbare Widerspruch zwischen dem ökologisch nachhaltigen Umbau der Autoindustrie und einer sozial nachhaltigen Entwicklung lösen. Es würde eine umfangreich erweiterte Mobilitätsindustrie geschaffen mit guter Arbeit für ein gutes Leben für alle in unserem Land.

Veröffentlicht im Rundbrief 2/2020, Forum Entwicklung & Umwelt: Autolorrektur – eine Branche hat sich verfahren https://www.forumue.de/

Stephan Krull

Der Autor war Mitglied des Betriebsrates bei Volkswagen in Wolfsburg, er koordiniert den Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung ‚Zukunft Auto Umwelt Mobilität‘. http://stephankrull.info/

[1]     https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/umwelt-und-energie/ig-metall-fordert-konjunkturprogramm.

[2] https://www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/ig-metall-und-bund-gegen-soziale-schieflage.

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