Über Nacht veranlasste die VW-Tochter Sitech in Hannover die Aussperrung sämtlicher 470 Beschäftigten. Grund war einmal nicht die Ausbreitung des Coronavirus. Vielmehr soll die Fabrik in Hannover dichtgemacht und die Produktion in ein Billiglohnland verlagert werden. Zuvor hatten die Beschäftigten gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzungen protestiert. Nach dem Widerspruch der Belegschaft kappte das Unternehmen den Auftrag für den konventionellen VW-Bus »T6« und entzog dem Werk somit alle Aufträge. Die Schließung sollte nach Verhandlungen zum Interessenausgleich und zum Sozialplan zum 30. April dieses Jahres erfolgen.
Am Freitag mussten alle ihre Werksausweise abgeben. Seit Montag sind sie von der Arbeit »freigestellt«. Das Unternehmen begründet diese Aussperrung der gesamten Belegschaft damit, dass die Qualität nicht mehr sichergestellt werden könne – tatsächlich geht es wohl darum, Solidarität zu erschweren und die Verhandlungen für einen Sozialplan ungestört durchziehen zu können.
Sitech baut als ausgelagerte Werkbank die Sitze für Volkswagen (VW), die bis in die 1990er Jahre noch innerhalb des Werkes und unter den Bedingungen des relativ guten Haustarifvertrages hergestellt wurden. Bei der mit dem Betriebsrat vereinbarten Auslagerung war der Erhalt aller Arbeitsplätze versprochen und zu diesem Zweck die Sitech als Tochter von VW gegründet worden.
Bereits im Dezember hatte die IG Metall in Hannover vor großangelegter Stellenvernichtung gewarnt. Allerdings war zunächst nur von der Hälfte der Arbeitsplätze die Rede. Der Hintergrund ist, dass VW einerseits das Management von Sitech stellt, alle Investitionen sowie die Tarifverträge für Sitech verhandelt und billigt, andererseits die Kosten als viel zu hoch und nicht wettbewerbsfähig ablehnt. Deshalb wurde der neue Auftrag ausgeschrieben und die Belegschaft unter Druck gesetzt.
Wenige Tage vor Weihnachten gab es die erste Protestkundgebung vor den Toren des Werkes, auf der unter anderem ein Betriebsratsmitglied von Volkswagen seine Solidarität zum Ausdruck brachte. Die Sitech-Geschäftsführung kündigte gleichzeitig die vollständige Schließung des Werkes nach Auslaufen des aktuellen Auftrages an, da ohne den neuen das Werk nicht mehr ausgelastet und deshalb viel zu teuer sei. Trotz der Solidaritätsbekundung des Betriebsrates aus dem hannoverschen VW-Werk ist festzuhalten, dass gegen die Vertreter von Betriebsrat, IG Metall und der Landesregierung im Aufsichtsrat von Volkswagen kein Standort eröffnet oder geschlossen werden kann. Von seiten der Politik aber ist nichts zu diesem Vorgang zu hören. Weder Landeswirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) noch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) haben die Belegschaftsvertreter angehört.
Der Sitech-Betriebsratsvorsitzende Rafael Fernandez Solana erklärte, die Belegschaft sei verhandlungs- und kompromissbereit, es gebe aber eine rote Linie. »Wir lehnen die Einführung einer 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich ab. Wir würden auf die Ergebnisbeteiligung verzichten, wenn die Hälfte der dadurch eingesparten Mittel als Investition in das Werk fließt«, sagte der Beschäftigtenvertreter laut Göttinger Tageblatt (Onlineausgabe) vom 21. Dezember. Für den vom Management beklagten Krankenstand macht die Belegschaftsvertretung vor allem veraltete Produktionsmittel verantwortlich.
Die Manager hatten die Kosten vorgegeben und dann mit sich selbst die Preise für die Sitze verhandelt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie den Laden besser schließen. »Dem Vernehmen nach hat Sitech nicht den Zuschlag bekommen, Sitze für den Elektro-Bulli ID Buzz zu fertigen«, berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) am 12. Dezember vergangenen Jahres. Statt dessen sollen die Elemente – falls das Modell je in Produktion geht – quer durch Europa transportiert werden. Zügig wurden eine Ersatzproduktion bei Faurecia in Stadthagen aufgebaut sowie 200 Leiharbeiter eingestellt.
Veröffentlicht in junge welt, 17.3.2020