Vollbremsung: Zur politischen Ökonomie des Autos

Während die Autoindustrie auf Elektro-Modus umschalten will, kommt Ungemach mehr als üblich ins Haus: Der gigantische Abgasbetrug, der Klimawandel, die Aktionen der Jugend für einen lebenswerten Planeten, die Blockade von Autofabriken und der mondän-perversen IAA bringen das Auto vollends in Verruf.

Die E-Autos werden noch als „Transformation“ verkauft, da kommen die mörderischen Schürf-Bedingungen für die Gewinnung Seltener Erden ans Licht der Öffentlichkeit und treiben den eitlen Nutzern die geheuchelte Schamesröte ins Gesicht.

Im jüngst veröffentlichten Buch schreibt Klaus Gietinger in diesem Zusammenhang über Glencore, den bereits aus den Paradise-Papers bekannten Konzern, einen der weltgrößten Rohstoffproduzenten (Seite 121):

„Sie (die Schweizer Firma Glancore) kam höchstwahrscheinlich durch Korruption und mithilfe des >dubiosen dealbrokers Dan Gertler<, einem Freund von Staatspräsident Joseph Kabila, an die Schürfrechte und luchste sie der Regierung praktisch für ein Butterbrot ab.“ Glencore hat auch in Deutschland einige Produktionsstätten, in denen Beschäftigte für die Durchsetzung ihrer Rechte kämpfen müssen.

Und die Autoindustrie nutzt diese mafiösen Verbindungen, um sich auf andere Weise reinzuwaschen: Statt die Arbeits- und Entgeltbedingungen der Kinder, die den Kobald schürfen zu verbessern, wollen die Autobauer kongolesisches Kobalt für ihre E-Autos nur noch aus industriellen Großminen, das heißt von Glencore, beziehen. Besser geht es den Anwohnern der Minen dadurch nicht, wie Berichte der Deutschen Welle und vom Deutschlandfunk zeigen1.

In dieser Situation kommt Gietinger mit dem im Westend Verlag herausgegebenen Buch VOLLBREMSUNG und einer gnadenlosen Abrechnung der „Massenvernichtungswaffe Auto“. Unfalltote, Flächenverbrauch, Umweltzerstörung und Klimakatastrophe werden detailliert dokumentiert. Aber schon das zweite Kapitel mit der Überschrift „Das Kapital ist maßlos, das Auto auch“ kann als als Lehrstück für linke politische Ökonomie gelesen werden: „Doch warum will der Kapitalist Profit machen? Warum erfasst uns der Tempovirus? Und warum muss um alles in der Welt immer mehr gefahren werden, bis der Himmel einstürzt? Vor dem Aufkommen des Kapitals wurden Waren (W) mit Geld (G) getauscht: W-G-W. Doch das drehte sich schnell um, denn Kaufleute wollten aus der Ware Geld machen, und zwar mehr Geld, als sie dafür ausgegeben hatten: G-W-G`“. Das Geheimnis dahinter ist natürlich die Zeit, genauer: die Arbeitszeit, die für die Herstellung einer Ware benötigt wird und der Lohn für die Arbeiterin bzw. den Arbeiter. Dieser Lohn ist geringer als der Wert, der der Ware durch die menschliche Arbeit zugefügt wird (Mehrwert). Je weniger Zeit benötigt wird zur Produktion, desto schneller ist das Geld verdient. Und aus Geld wird Kapital, „und schon hört diese Bewegung nie auf oder sie ist, wie Marx sagte, maßlos“. Das folgt auch der Logik, dass der Autoverkehr in dem Maße zunimmt, wie Straßen neu gebaut werden: Das Auto ist maßlos wie das Kapital.

Das es beim Auto nicht um Mobilität sondern nur um Profit geht, wird daran deutlich, dass die Anzahl der Wege (drei bis vier pro Tag) und die dafür verbrauchte Zeit sich seit hundert Jahren kaum geändert haben – nur die Entfernungen haben sich vervielfacht und wir müssen viel schneller sein. Wie vor 50 Jahren kaufen wir Lebensmittel – nur nicht mehr im Laden um die Ecke, sondern im Supermarkt vor der Stadt oder im übernächsten Dorf. Wie vor 50 Jahren bewegen wir uns zur Arbeit – aber unerreichbar mit dem Fahrrad, sondern 50 km weit gependelt in die nächste größere Stadt. Das ist der „faule Zauber“, der Fetisch Mobilität, den uns Gietinger vor Augen führt. Wir kennen die Auswüchse dieses Theaters, die verstopften Straßen vor Kindergärten und Schulen – als hätten Kinder keine Beine zum laufen und kein Recht darauf, sich ihre Umwelt zu erobern.

Zur politisch-ökonomischer Erkenntnis gehört die Vorstellung von Gietinger (Seite 50), dass die Produktion sich selbst ihre Konsumenten schafft als Ausdruck ihrer ökonomischen Macht und der damit verbundenen strukturellen Gewalt: „Die Macht bestimmt die Bedürfnisse und konditioniert die Konsumenten“ – sichtbar an der gegenwärtigen Offensive von SUV`s – promotet vom ADAC, vom VDA und „Pro Mobilität“ (S. 78) oder – auf europäischer Ebene – die „High Level Group Cars 21“ (S. 79).

Nun erleben wir wieder eine große Krise der Autoindustrie und es steht die Frage, ob das Autokapital daraus gestärkt hervorgehen wird – so, wie das bei vorherigen Krisen auch der Fall war: Die Krise als Chance, als „reinigendes Gewitter“? Die Autoindustrie wird sich nicht selber abschaffen. Im Zuge der Krise wird sich die Konkurrenz verschärfen und einige Unternehmen werden auf der Strecke bleiben; bestenfalls „fusioniert“ wie Chrysler bei Fiat, wie Opel bei PSA. Die einst großen und stolzen Konzerne sind dann nur noch Filialen der noch größeren Konzerne und ein Schatten ihrer selbst. In der Krise werden Überkapazitäten abgebaut und Beschäftigte entlassen – die prekär Beschäftigten an erster Stelle. Es wird eine weitere Konzentration von Kapital geben und damit auch eine weitere Konzentration von Macht bis hin zur Monopolbildung. Gietinger meint, die Krise sei auch unsere Chance. Aber das Kapital handelt nach der Devise: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert. Deshalb der Versuch, sich einen grünen Anstrich zu verleihen, mit E-Autos, autonomen Fahrzeugen und neuen Geschäftsmodellen das Feld neu aufzurollen, dem ÖPNV die Fahrgäste und die Umsätze abzustibitzen.

Aber, wo die Nacht am tiefsten ist auch der Morgen am nächsten. Rettung naht: Der zentralisierten Macht der Konzerne wird dezentraler Widerstand entgegengesetzt. Damit können die sich allmächtig glaubenden Manager und Großaktionäre der dominanten Industrie nicht gut umgehen. Friday for future Demos, parents for future, workers for future, alle zusammen für Klimagerechtigkeit. Schluss mit Braunkohle, Schluss mit verstopften und vergifteten Städten, mehr Platz für einen guten und gesellschaftlich finanzierten ÖPNV, mehr Fuß- und Radwege statt Straßen für Autos, Geschwindigkeitsreduzierungen auf allen Straßen, Rückeroberung der Städte und Kommunen für gesellschaftliches Leben, Durchsetzung nationalen und europäischen Rechtes in den Ländern und Kommunen.

Das alles wird aber nicht reichen, wie die hektischen Reaktionen auf die Enteignungsdebatte gezeigt haben. Es geht ums Ganze, wie Gietinger es fragend formuliert: „Wie wird wohl die nächste Krise ausfallen? Noch gigantischer, oder kracht es dann so gehörig, dass das ganze System kollabiert? Bevor das passiert, müssen wir eingreifen – auf Teufel komm raus! Aber nicht, um dieses System zu reformieren, sondern um es grundlegend zu ändern, ja, um es zu stürzen.“ Dafür hat der Autor die nächsten 20 Jahre in zwei Phasen der Überwindung der „Auto-Kratie“ gegliedert. Seid gespannt und schaut es Euch an, was Klaus Gietinger vorzuschlagen hat.

Klaus Gietinger; Vollbremsung – Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen; Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2019.

https://www.westendverlag.de/buch/vollbremsung/

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