Ohne Plan? Ohne uns! Gewerkschaften, Klimawandel und Mobilitätswende

50.000 Mitglieder der IG Metall demonstrierten am 29. Juni in Berlin, um einen fairen, sozialen, ökologischen und demokratischen Umbau von Industrie und Gesellschaft zu fordern. Der industrielle Umbau ist im Gange, Klimawandel und technologische Sprünge betreffen fast alle Menschen. Sind 50.000 Protestierende viel oder wenig, gemessen an zwei Millionen Mitgliedern und den Bewegungen der letzten Monate?

Jedenfalls nicht genug gegen einen am Profit orientierten rein technologischen Wandel, der weitere Prekarisierung und Sozialabbau zum Ziel hat, aber den Klimawandel nicht aufhält.

Warum waren die anderen Gewerkschaften nicht beteiligt, warum waren Umweltbewegung und Sozialverbände nicht beteiligt, warum wurden die hunderttausenden SchülerInnen von Fridays for Future nicht eingeladen?

Die Digitalisierung und der Klimawandel seien große Herausforderungen für die Firmen und die Zukunft der Arbeitsplätze, sagt der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. Das stimmt und ist doch viel zu wenig. Dünn sind die Positionen des Gewerkschaft-Vorstandes – gäbe es nicht Eigensinn und Kreativität der aktiven GewerkschafterInnen und die Dynamik der Mobilisierung, wäre die Aktion wenig mehr als eine PR-Maßnahme gewesen. Jörg Hofmann weiter: »Ganz dringend ist eine flächendeckende und verlässliche Infrastruktur von Schnellladestationen. Daneben sind massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und die Schiene notwendig.«

Kein Abschied vom Wachstumszwang?

Der Klimawandel ist unübersehbar und die Folgen werden alle Menschen weltweit betreffen. Die Regierenden geben vor, das Problem erkannt zu haben und das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Die Bundesregierung sagt, dass die Einhaltung der Klimaziele nicht ›unseren Wohlstand‹ und nicht ›unsere Arbeitsplätze‹ belasten darf, meint damit Exportkraft und Profite – und bleibt weitgehend tatenlos.

Die Industriegewerkschaften sehen den Klimawandel als Bedrohung der Menschheit und betonen die Notwendigkeit, im Kampf um die Einhaltung des 2-Grad-Zieles die soziale Dimension nicht auszublenden. Damit ist die Frage der Demokratie aufgeworfen.

Eine sozial-ökologische Transformation der Wirtschafts- und Lebensweise geht nicht ohne Zustimmung der Bevölkerung, auch und gerade der Arbeiterklasse, jedenfalls nicht ohne soziale Sicherheit: Fairwandel! Durch die Gewerkschaften werden solche Ansprüche in den richtigen Zusammenhang gestellt. Dennoch sind die gewerkschaftlichen Positionen widersprüchlich und halbherzig. Nachhaltig ist es nicht, ›neben‹ Milliarden für Lade-Infrastruktur und Transformationskurzarbeitergeld weitere Investitionen in die Schiene zu fordern und die riesigen Profite der Aktionäre dabei nicht in den Blick zu nehmen.

Gewerkschaften müssen sich vom unhaltbaren industriellen Wachstumszwang verabschieden. Die IG Metall fragt »Wie schaffen wir die klimafreundliche Verkehrswende?« und verweist auf die Regierungskommission »Nationale Plattform Zukunft der Mobilität« (NPM): Frank Iwer, Automobilexperte des IG Metall-Vorstandes, begrüßt, »dass jetzt endlich die Voraussetzungen für den Hochlauf der Elektromobilität auf die Tagesordnung gebracht werden und die Umsetzung mit konkreten Maßnahmen hinterlegt wird.« »Mit der Empfehlung, die Umsetzungsschritte schrittweise zu überprüfen und nötigenfalls auch nachzusteuern, befindet sich die NPM auf dem richtigen Weg«, sagt Iwer. Das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Elektroauto-Flotte von einer Million Fahrzeugen vorweisen zu können, ist gescheitert; nicht einmal zehn Prozent sind realisiert. Die Autokonzerne warten auf Subventionen und wollen Elektroautos bauen wie Autos mit Verbrennungsmotor: genau so groß, genauso schnell und mit ebensolcher Reichweite – obwohl das nicht der üblichen Nutzung entspricht; aber mit großen Autos wird mehr Profit realisiert. Die Unternehmensplanungen sind das Gegenteil einer Mobilitätswende und müssten von der Gewerkschaft massiv kritisiert werden. Tapfer beteiligt sich die IG Metall jedoch an der Regierungskommission, deren Zusammensetzung Bände spricht: etwa 100 Personen, davon vier Vertreter von IG Metall, IG BCE und EVG – alle anderen sind UnternehmensvertreterInnen oder Ministerialbeamte. Kann die IG Metall wirklich hoffen, mit dieser Regierungskommission einen gerechten Wandel durchzusetzen? Selbst der Verband der Bahnindustrie kritisiert die bisherigen Ergebnisse: »Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Verdoppelung des Schienenpersonenverkehrs bis 2030 als Ziel definiert. Aber statt Maßnahmen zu entwickeln, um dieses ehrgeizige Ziel zu realisieren, wird das Ziel kurzerhand entsorgt. Das Papier hat Schlagseite und taugt nicht als Konzept für klimaschonende Mobilität.«

Zukunftsträchtig und nachhaltig wären Positionen, die die Beschäftigungschancen einer grundlegenden Mobilitätswende erkennen, formulieren und einfordern sowie einen Zeitplan dafür vorschlagen würden. Zur Suchbewegung der Industrie nach neuen Profitquellen und zur Balance zwischen Klimazielen und Beschäftigung sagt der IG Metall-Vorsitzende: »Heute deutet alles darauf hin, dass der Übergang zu rein elektrischen Fahrzeugen schneller kommt als erwartet. Wir rechnen durch dieses erhöhte Tempo damit, dass allein im Bereich der Aggregate ein Viertel aller Jobs wegfallen könnte. (…) Gleichzeitig müssen wir die Marktdurchdringung mit elektrischen Fahrzeugen vorantreiben. Jeder Prozentpunkt mehr verkaufte Fahrzeuge bedeutet eine weitere CO2Minderung (…) auch wenn es ein anspruchsvolles Ziel ist, da es an Infrastruktur fehlt.« Unkritisch wird die ordnungsrechtliche Festlegung übernommen, Elektro-Autos seien »ZeroEmission-Fahrzeuge« – obwohl sie in Produktion, Betrieb und Verwertung eher mehr CO2 emittieren.

Die gewerkschaftliche Misere

Mangels Mut und ausreichender Mitbestimmung ordnet sich die Gewerkschaft dem Kurs von Autoindustrie und Regierung unter, statt an Alternativen zu arbeiten. Laut Betriebsverfassungsgesetz können Betriebsräte den Arbeitgebern Vorschläge zur Sicherung und Förderung von Beschäftigung machen. Dies können Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit sowie zum Produktions- und Investitionsprogramm sein. Verbunden mit betrieblicher und gewerkschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit können solche Vorschläge durchaus wirkmächtig werden. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat nicht nur der Debatte um Vergesellschaftung öffentlichen Raum verschafft, sondern der IG Metall den Spiegel vorgehalten, der sich auf vielen T-Shirts bei der Demo am 29. Juni in Berlin wiederfand. In der Satzung im Paragraf 2 heißt es: »Die IG Metall (…) setzt sich für die Sicherung und den Ausbau des sozialen Rechtsstaates und die weitere Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung und den Schutz der natürlichen Umwelt zur Sicherung der Existenz der Menschheit ein. Aufgaben und Ziele der IG Metall sind insbesondere (…) Demokratisierung der Wirtschaft unter Fernhaltung von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen; die Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamt-wirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten; Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum.« Die Reaktion der Betriebsratsvorsitzenden von BMW und Daimler, die SPD sei nach der Aussage von Kühnert »für Arbeitnehmer nicht mehr wählbar«, ist eine geschichtsvergessene Entgleisung und Ausdruck der konträren Positionen in der Gewerkschaft: betriebliches Co-Management und einzelbetriebliche Profitorientierung einerseits – Sozialstaat, Schutz der natürlichen Umwelt und Demokratisierung der Wirtschaft andererseits. In einer Erklärung der IG Metall zu einem »Dieselgipfel« (2017) heißt es unter anderem: »Die Komplexität und die Tragweite von Klimawandel und technologischen Veränderungen verlangt ein koordiniertes und abgestimmtes Handeln der beteiligten Akteure – Unternehmen, Politik, Gewerkschaften, Verbände« – in etwa das, was die Gewerkschaft mit Wirtschafts- und Sozialräten fordert. Diese Erkenntnis könnte Ausgangspunkt eines Mobilitätsrats sein, ein Ort für demokratische Beratung und Entscheidung zur sozial-ökologischen Transformation, wenn Verbraucher-, Verkehrs- und Umweltverbände einbezogen würden. Aber in diese Richtung hat sich seither nichts bewegt – die Gewerkschaft gibt sich mit ihrem Platz am Katzentisch der Regierungskommission zufrieden.

Ist die Autoindustrie unverzichtbar?

Die IG Metall hat ca. 2,3 Millionen Mitglieder, etwa eine Million davon im Maschinenbau, etwa 600.000 in der Auto- und Zulieferindustrie und ca. 200.000 in der Bahnindustrie. Es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass eine Mobilitätswende mit einer Stärkung von Bahnindustrie und Schienenverkehr das notwendige Schrumpfen der Autoindustrie nicht auffangen könnte – verbunden mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung gibt es kein Beschäftigungsproblem bei der Mobilitätswende und dem dazu gehörenden Umbauplan. Die Widersprüche gewerkschaftlicher Politik werden sichtbar, weil die IG Metall auch die Organisation derjenigen ist, die in der Bahnindustrie beschäftigt sind. Im November 2017 führte die IG Metall einen Bahnaktionstag durch und die Betriebsräte der Bahnindustrie verabschiedeten eine Erklärung, in der es u.a. heißt: »Wir wissen, dass die integrierte Mobilität der Zukunft eine starke Schiene braucht. Eine starke Schiene gewährleistet Mobilität und schützt Klima sowie Gesundheit. Wir setzen auf eine Offensive zur Sicherung und Stärkung unserer Arbeitsplätze, Standorte und Wertschöpfungsketten. Wir erwarten die Einführung eines Branchendialogs für Eisenbahn und Bahnindustrie mit Politik, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Forschung, um Transparenz zu schaffen und Branchenstrategien zu klären.« Wieder findet sich hier die Forderung nach einem Branchendialog, ohne dass die IG Metall eine andere betroffene Gewerkschaft einbezogen und diesen Dialog durch politische und öffentlichkeitswirksame Initiativen vorangetrieben hätte.

Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie

»Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum« – so die aus historischen Erfahrungen gefasste Position der IG Metall, die in den Grundgesetzartikeln 14 und 15 ihre Entsprechung findet. Zweifellos ist die Produktion von Autos eine Schlüsselindustrie unseres Landes. Mit jährlichen Subventionen in Milliardenhöhe und keynesianischen Programmen in jeder Krise (z.B. die sogenannte ›Abwrackprämie‹) bis hin zur staatlichen Beteiligung (Opel) wird die Autoindustrie von den Regierungen unterstützt. Andererseits machen die Großaktionäre, die Familien Porsche, Piëch, Quandt und Klatten sowie die Staatsfonds reaktionärer Staaten wie Quatar und Kuwait, eine ›Weltmacht‹ wie Blackrock mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Milliarden-Gewinne: Die BMW-Eigner werden täglich um 5,5 Millionen Euro reicher, der Porsche-Piëch-Clan bekommt dieses Jahr zwei Milliarden Euro Dividende überwiesen und Volkswagen hat dann immer noch eine ›Gewinnrücklage‹ von über 70 Milliarden Euro.

Zur Veranschaulichung nochmals das Beispiel Volkswagen, eine Firma, die nach 1945 ›herrenlos‹ war, weil die vormalige Eigentümerin, die DAF (Deutsche Arbeitsfront), als verbrecherische Nazi-Organisation aufgelöst war. Fünfzehn Jahre später wurde aus dem öffentlichen Eigentum eine Aktiengesellschaft mit ›Volksaktien‹, zwanzig Jahre später verscherbelte die Bundesregierung ihre letzten Anteile am Unternehmen, und wieder drei Jahrzehnte später sind auf wundersame Weise die Erben des von den Nazis beauftragten Ferdinand Porsche die Mehrheitseigentümer des weltgrößten Automobilkonzerns. Man kann das auch als eine Geschichte der Enteignung schreiben.

So gesehen geht es um eine Re-Vergesellschaftung, um, wie Marx es ausdrückte, die Expropriation der Expropriateure. Der fortschreitende Konzentrationsprozess in der Weltautomobilindustrie, die wachsende Arbeitsteilung, die sozial-ökologische Transformation erfordern gesellschaftliche Planung. Die Orientierung auf Konkurrenz und Maximalprofite, die kriminellen Machenschaften der oberen Managerkaste, der Missbrauch ökonomischer Macht erfordern eine Überführung der Autoindustrie in gemeinwirtschaftliche Formen.

Mit Krisenkorporatismus ist den absehbaren sozialen, ökologischen und ökonomischen Problemen nicht beizukommen, sind die Widersprüche zwischen Verwertungs- und Profitinteressen einerseits und den Bedürfnissen der Menschen nach gutem Leben in einer intakten Umwelt andererseits nicht auflösbar. Zulieferbetriebe melden schon Insolvenz an, Automobilhersteller kündigen Sparprogramme mit Personalabbau und Werksschließungen an.

Eine Voraussetzung, um gesamtgesellschaftlichen Alternativen zum Durchbruch zu verhelfen: die Konkurrenz zwischen den Branchengewerkschaften muss durch eine Stärkung des DGB aufgehoben werden. Die Debatte um die Mobilitätswende und die sozialen, ökologischen, technischen, ökonomischen und juristischen Implikationen ist nach langem Stillstand wieder aufgegriffen und wird in der IG Metall, im Gesprächskreis Zukunft Auto Umwelt Mobilität« der Rosa-Luxemburg-Stiftung ebenso wie bei Attac, bei den Klimastreikaktionen, in den Umwelt- und Verkehrsverbänden geführt. Die Aktionen und Proteste bei den Aktionärsversammlungen von Volkswagen und Daimler, die Proteste bei der IAA zeigen: Es geht nicht nur um Theorie, sondern um praktische politische Bewegung, um die Konfrontation der Gesellschaft mit den sozial-ökologischen Alternativen zur profit- und konkurrenzgetriebenen Zerstörung unserer natürlichen und gesellschaftlichen Existenzgrundlagen.

Veröffentlicht in: express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 7/2019

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