Mächenstunden auf der Hannover-Messe

Get new technology first – Wetten auf die Zukunft.

Einen Tag habe ich mich auf der Industrie-Messe in Hannover kundig gemacht. An Superlativen mangelt es nicht: Industrial Transformation, Get new technology first, Future of Work in Industrie, Industrial Intelligence und die Vernetzung von Mensch und Maschine im KI-Zeitalter. Zur Eröffnung von „Women power – woman career day“ sprach … Überraschung … ein Mann.

Wenn man nach Ausstellern sucht, findet man gut 1.000 aus China, knapp 400 aus Deutschland, 120 aus den USA, 70 aus Indien, 50 aus Japan, weniger als 20 aus Russland und etwa 10 aus Afrikadie globale Wirtschaft bzw. Industrie wird so nur zu einem Teil widergespiegelt, die Bevölkerung eigentlich gar nicht.

Meine erste und bleibende Erkenntnis: Eine strahlende und glitzernde Show mit ganz wenig Substanz. Natürlich liegt es an den Ausstellern, denn die stellen halt aus, was sie so Neues haben – und das ist extrem dürftig. Überwiegend werden altbekannte Materialien und Verfahren vorgestellt und als Neuheiten verkauft. Schraubroboter. Wow! Handhabungsroboter. Oijejei. Hebelhilfen. Ja,echt! Da, wo es wirklich „neu“ ist, bei der Vernetzung von Prozessen und sogenannter „künstlichen Intelligenz“, ist es extrem teuer und aufwändig. Kaum jemand, so wird es bei vielen Veranstaltungen deutlich, hat die „digitale Kompetenz“, die zur Beherrschung solcher denkbaren Prozesse erforderlich ist. Und niemand weiß, wer solche Kompetenzen vermitteln und bezahlen kann bzw. soll.

Das Internet der Dinge, die Vernetzung von allem mit allem, wird auf sich warten lassen.

Die in kleinen Ansätzen vorgestellte „Künstliche Intelligenz“ ist eine kalte, unpersönliche Strategie von Unternehmen, die angeblich den Menschen unterstützt, „Partner der Menschen“ sein soll. Und die Menschen, die Beschäftigten in den Betrieben werden sicher glücklich sein, wenn ihnen ein Algorithmus den benatragten Urlaub ablehnt statt eines betrieblichen Vorgesetzten oder eines Personalmitarbeiters. Wird eine etwas komplexere Aufgabe gestellt, versagt die sogenannte künstliche Intelligenz: „Räum mal den Tisch ab“ – wird nicht klappen. Und das ist auch gut so – wenngleich Angela Merkel sich bei ihrem Rundgang genau dafür richtig begeistern konnte.

Es läge an den altmodischen Managementmethoden, wenn die Segnungen der Digitalisierung und Robotisierung nicht im gewünschten Ausmaß eintreten: Manager müssen loslassen, Teams müssen sich selbst organisieren; führen heißt dann, die Beschäftigten nach Kräften zu unterstützen: Waldorf-Pädagogik statt Profitziele? Märchenstunden auf der Hannover-Messe.

„Die smarte Fabrik fühlt, hört, spricht und sieht.“ – so einer der PR-Gags der Wissenschaftler und ihrer Sponsoren. Die „Technologie-Initiative Smart Factory KL e.V.“ stellt sich selbst dann die Frage: „Welche Vorteile bietet KI in der Produktion?“ … und liefert eine grandiose Antwort: KI übernimmt die Auswertung gesammelter Daten. Wow! „Maschinendaten wie Druck, Temperatur und Durchfluss geben Aufschluss über den Zustand einer Anlage und ermöglichen dessen Überwachung (Condition Monitoring).“ Wirklich aufregend neu! Weil alles mit allem vernetzt sein sollte sind die Datenmengen zu groß, als das „wir Menschen“ sie schnell auswerten und interpretieren könnten. Erst mit „Data Analytics“ sind wir in der Lage, einen Nutzen zu ziehen: „Anomaly Detection“. Der drohende Maschinenausfall kann durch eine „vorausschauende Wartung / predictive maintenance“ schon im Vorfeld behoben werden – welche umwerfend revolutionäre Erkenntnis. Schließlich kommt noch eine „erweiterte Realität / augmented Reality“ hinzu – „eine vielversprechende Technologie, um Mitarbeiter am Ort des Geschehens durch Wartungsprozesse zu führen.“ Als Beispiel werden Datenbrillen genannt, die „dem Werker“ Arbeitsanweisungen in die Brille projezieren; das wiederum, so die PR-Leute, ermögliche eine „intuitive Fehlerbehebung“. Scheinbar werden dann doch noch Menschen gebraucht – aber man will und kann ihnen nicht trauen. Was für eine schöne neue Welt – frei nach Aldous Huxley.

Frauenhofer IDMT stellt eine automatische Spracherkennung vor für die „Mensch-Maschine-Interaktion“ oder auch „Mensch-Roboter-Kolloaboration“. Frauenhofer FIT hat für den Fall der Mensch-Maschine-Kollision dann die „situative Erkennung von Menschen in der Arbeitsumgebung durch KI-basierte Bildanalyse“ im Angebot: „Frauenhofer FIT unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung von Konzepten zur nahtlosen Integration innovativer KI-System in bereits bestehende Produktionsprozesse. Dazu wurde ein System zum intelligenten Videoschutz von Personal in sensiblen Arbeitsumgebungen entwickelt. Das System ist in der Lage, das anatomische Grundgerüst von Menschen, also Körper, Arme und Beine, in einem Live-Video zu detektieren („Realtime Pose Estimation“). Auf Grundlage der erkannten Grundgerüste und deren Ausrichtung wird mit Hilfe von weiteren neuronalen Netzen die Haltung des Menschen erkannt. So kann unterschieden werden, ob ein Mensch in einem überwachten Areal steht, sitzt oder liegt.“ Offensichtlich handelt es sich bei diesen Träumen um „Zielpersonen“, die allein und sozial isoliert in einer feindlichen Umgebung zu arbeiten haben. Ich erspare den Leserinnen und Lesern weitere Erläuterungen der Wissenschaftler, die von ihrer eigenen Genialität überwältigt scheinen. Eines der Highlights ist dann auch der „autonome Reinigungsroboter“ – so etwas wie ein Mäh-Roboter, nur etwas größer – demnächst nicht bei REAL zu bewundern, die werden ja gerade aus dem Markt geworfen, aber vielleicht im Baumarkt.

Ist 3-D-Druck, der vorgestellt wurde, ein Produktivitätssprung? Der 3-D-Druck ist keine Variante für komplex Produkte unterschiedlicher Materialeigenschaften. Außerdem handelt es sich prozessbedingt um eine sehr langsame Herstellung einfacher Gegenstände. Während mit Blick auf KI und 3-D oft und schwärmerisch von „Losgröße 1“ und differenziertesten erfüllbaren Kundenwünschen die Rede ist, reduzieren z.B. die Autohersteller ihre Variantenvielfalt aus logistischen, schließlich aus ökonomischen Gründen. Die Massenproduktion wird wieder immer weiter standardisiert.

Mir als staunendem Messebesucher stellen sich viele weitere Fragen: Wer kann bzw. soll diese Vernetzung von allem mit allem eigentlich kontrollieren? Wie viel Personal würde benötigt, um all das zu kontrollieren? Wer holt den umgefallenen Elektriker aus der Anlage, wenn die Realtime Pose Estimation Alarm schlägt? Wer steuert all die Roboter und Maschinen mit unterschiedlicher Soft- und Hardware? Wie viel Aufwand ist erforderlich, die Träume der Wissenschaftler und Ingenieure in ihrer schönen neuen Welt produktiv werden zu lassen? Stehen Aufwand und Ergebnis, eventuell auch zusätzliche Massenerwerbslosigkeit, in einem auch nur annähend vertretbaren Verhältnis miteinander? Ist eine gesamtgesellschaftliche Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit mitgedacht? In einer solchen notwendigerweise gläsernen Fabrik gibt es auch nur gläserne Mitarbeiter. Wollen wir das? Eine solche gläserne und global vernetzt Fabrik ist ein riesiges Datensicherheitsproblem. Also kommen neue und teure Entwicklungen zur Datensicherheit auf den Markt und müssen implementiert werden. Wollen wir das? Wollen wir so leben?

Die stellvertretend Vorsitzende der IG Metall, Kollegin Christiane Benner, hat bei einer Veranstaltung für den Erhalt der Industriellen Kerne geworben und für gute und sichere Arbeit in der Digitalisierung: „Der entscheidende Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung der Industrie ist Mitbestimmung und die Beteiligung der Betroffenen.“ Genau da jedoch hören für die Arbeitgeber der Spaß und die Waldorf-Pädagogik auf, weil die Grenze des profitorientierten kapitalistischen System überschritten würde.

Was bleibt? Gesundbeten!

Die Unternehmen, Kapitalisten, Investoren suchen verzweifelt nach neuen Anlagemöglichkeiten und nach neuen, ertragreichen Produkten. Hochsubventionierte wissenschaftliche Einrichtungen sind ihnen dabei exklusiv behilflich. Bei all dem handelt es sich um Suchbewegungen, die erfolgreich sein können oder eben auch nicht erfolgreich sein werden. Ginge es „nur“ um die Befriedigung von Bedürfnissen, um gesellschaftliche Entwicklung, wären diese Suchbewegungen sinnvoll und berechtigt. Bei meinem Besuch habe ich aber den Eindruck bestätigt bekommen, dass es ausschließlich um neue Profitquellen geht, weil die alten Profitquellen nicht mehr genug abwerfen, nicht mehr ertragreich genug sind, weil die Profitraten gesunken sind und weiter sinken. Wenn die ins Auge gefassten neuen Produkte und neuen Produktionsmethoden auf keine (ausreichende, kaufkräftige) Nachfrage treffen, weil durch die Produkte und die Methoden selbst immer mehr Menschen ausgegrenzt und sozial abgehängt werden, werden auch die Profite nicht realisiert, wird das „return of Investment“ nicht gelingen. Das ist dann die Krise, die kumulieren wird, wenn es auf mehrere Branchen gleichzeitig zutrifft oder Schlüsselindustrien betroffen sind. Dann wird aus der Märchenstunde die Stunde der Wahrheit.

Wirkliche Innovationen waren – für europäische Verhältnisse – selten:

 

Es bleibt: Gesundbeterei:

 

 

 

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