Wolfsburg? Lieber nicht! Kunst und Kommerz wie Feuer und Wasser!

Die Ausbürgerung des Museumsdirektors aus der Volkswagen-Welt.

Die Stadt Wolfsburg müht sich, eine lebendige und interessante Großstadt zu sein. Das Phaeno als Science-Center mit spektakulärer Architektur von Zaha Hadid, die „Autostadt“ als Erlebnis mit After-work-Party, Zeithaus und Auslieferungszentrum, eine Volkswagen-Fußball-GmbH mit Erst-Liga-Lizenz, ein Designer-Outlet-Center und ein Kunstmuseum mit spektakulären Ausstellungen sollen die Kleinstadt in der Provinz anziehungskräftig machen! Die alles dominierende Autofabrik braucht Manager, Ingenieure, Facharbeiter – Männer und Frauen, die aus Berlin, München und Hamburg weggelockt werden müssen. Eine Verlagerung von Konzernsitz und Forschungsabteilung nach Frankfurt und Berlin ist am Widerstand des Betriebsrates seit längerer Zeit gescheitert. Überdurchschnittlich bezahlt werden nur die Manager, in den Hallen und Büros haben längst Leih- und Zeitarbeit sowie Werkverträge Einzug gehalten, das Entgelt bei den Stammbeschäftigten wurde mit dem Projekt Auto5000, Haustarif II und unbezahlter Arbeitszeitverlängerung systematisch gekürzt.

Wolfsburg tut sich schwer, eine lebendige und interessante Großstadt zu sein. Dank Eingemeindung einst größerer Nachbarstädte wie Vorsfelde oder der Hoffmannstadt Fallersleben gelang der Sprung über die 100.000 Einwohner hin zur „Großstadt“. Von den Nazis als autogerechte NS-Musterstadt geplant, vom Architekten Peter Koller vor und nach 1945 als solche gebaut, gibt es eine fußläufige Stadtmitte und einige, mit breiten Autostraßen verbundene 60er-Jahre Beton-Satelliten.

Die Stadt Wolfsburg hat viele Probleme – und die begannen zu einer Zeit, als die Ansammlung von Baustellen und Baracken noch den Namen „Stadt des KdF-Wagen“ trug. Hitler selbst hatte am 26. Mai 1938 den Grundstein für die Autofabrik gelegt und sich vorbehalten, der Stadt später, wenn der Bau des NS-Musterbetriebes fertig gewesen wäre, einen Namen zu geben. Offen ist, ob der Name „Wolfsburg“ auf den Obernazi mit dem Decknamen „Wolf“ zurückgeht, ob auf die Wolfsschanze, ob es ein versteckter Bezug zum Werwolf ist oder ein nahes Schloss der Namenspate – jedenfalls wurde dieser Name in der ersten Stadtratssitzung nach der Befreiung vom Faschismus und nach dem Verbot der NS-Ferien- und Autobauorganisation KdF als verbrecherische Organisation am 25. Mai 1945 auf Drängen der Befreiungstruppen beschlossen.

Ein Problem für die Stadt ist es, dass es 1945 keinen wirklichen Bruch gab, weder eine Stunde null noch einen Neustart – 1951 wurde die zentrale Achse der Stadt nach dem SS-Oberführer und Kriegsverbrecher Ferdinand Porsche benannt, wenige Stunden, nachdem er gestorben war. Der VW-„Generaldirektor“ Heinrich Nordhoff, vormals Wehrwirtschaftsführer bei Opel in Brandenburg, sprach bei Betriebsversammlungen oft von seinen „lieben Arbeitskameraden“, gelegentlich wurde über den Werksfunk das Horst-Wessel-Lied abgespielt. SPD-Mitglied Hugo Bork, der seine NSDAP-Mitgliedschaft verschleiert und verschwiegen hat, wird erst Betriebsratsvorsitzender und später Oberbürgermeister der jüngsten Stadt in der BRD.

Das größte Problem ist die Dominanz der riesigen Autofabrik, dem auch die Kommunalpolitik im Guten wie im Bösen beherrschenden Volkswagenwerk. Im Guten, weil vom Tische Volkswagen viele Brosamen abfallen: Gewerbesteuer und Kaufkraft der Beschäftigten vor allem. Im Bösen, weil es eine vollständige Abhängigkeit der Stadt von diesen Krümeln gibt und die Unternehmensleitung diese Abhängigkeit schamlos ausnutzt; zunehmend giftigere Geschenke sind Ausdruck dieser Beherrschung der Stadt durch den VW-Konzern. Offensichtlich giftig war das „Geschenk“ zum 60. Gründungstag im Jahr 1998, nämlich die Überwindung der Arbeitslosigkeit durch das, was später als „Hartz-Reformen“ die schrödersche Agenda 2010 wurde, durch die Erfindung der „atmenden Fabrik“ und des „Arbeitskraftunternehmers“. Neoliberales Geschwätz, das seither viele Köpfe vernebelt. Als weniger giftig erschien die Förderung des 1994 erbauten Kunstmuseums durch die Kunststiftung Volkswagen.

Das Museum soll den Konzern unterstützen, aber nicht kritisieren!

Das Kuratorium der Kunststiftung Volkswagen ähnelt eher eine Geheimloge als einer Institution öffentlicher Kunst – wie man in Wolfsburg hinter vorgehaltener Hand raunt.

Auf der Grundlage eines Beschlusses dieses Kuratoriums ohne demokratische Legitimation wurde die Bestellung von Dr. Ralf Beil zum Vorstand und Sprecher des Vorstands aufgehoben. Der Vertrag mit Dr. Ralf Beil wurde zum Ablauf des 30.06.2019 ordentlich unter Fortzahlung der Vergütung gekündigt. Mit Wirkung zum 14.12.2018 wurde Herr Dr. Beil von seinen Dienstpflichten freigestellt. Der Vorgang kommt einer Ausbürgerung aus der „Volkswagen-Welt“ gleich – ein Vorgang, der an die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR erinnert. Die Konsequenzen sind bekannt und werden auch im Fall Volkswagen versus Museumsdirektor Dr. Ralf Beil analog sein – auch wenn es digital daherkommt.

Das Kunstmuseum Wolfsburg ist eine private und gemeinnützige Stiftung und die Kunststiftung Volkswagen ist die Geschäftsführerin genau dieses Museums, dafür ist sie da. Die Anschubfinanzierung für das Kunstmuseum und für die Stiftung kam von VW, von der Stadt Wolfsburg und von privaten Spendern. Der Bau und der Betrieb des Museums wird von der Holler-Stiftung getragen mit Sitz in München und entspringt dem Eigentum der VW Versicherung – also, es gibt Verknüpfungen, die unmittelbar finanzielle Abhängigkeiten stiften, und insofern kann davon ausgegangen werden, dass bei der Entscheidung der Kunststiftung Volkswagen natürlich der Konzern indirekt mitgewirkt hat.

Die Ausstellung „Wolfsburg unlimited“ aus dem Sommer 2016: ein Grund, weshalb Ralf Beil als Direktor des Wolfsburger Kunstmuseums von Volkswagen gefeuert wurde? Bei dieser Ausstellung hat er durch die Zusammenstellung der Exponate ein Bild der Stadt Wolfsburg in ihrer Abhängigkeit vom VW-Konzern und damit ein Porträt der Macht des Volkswagen-Konzerns für das Wohl und Wehe der Stadt gezeichnet. Mit unverkennbar ironischen Anspielungen einschließlich alter Seilschaften zwischen NS-Staat und Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Zeit, oder dem Direktorenkult, der sich rund um die frühe Führungsebene des VW-Konzerns entspann – so Carsten Probst in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk am 14. Dezember dieses Jahres. In der Ausstellung unter anderem eine wunderschöne Fotoserie von Eva Leitolf und ein Bild mit einem Bezug zum von mir herausgegeben Buch „Volksburg – Wolfswagen, 75 Jahre Stadt-des-Kdf-Wagen/Wolfsburg“ und der schnellen Namensgebung der Porschestraße nach dem Tod dieses Kriegsverbrechers, der in Wolfsburg bis heute vielfältige Verehrung erfährt. Ein Freund kommentiert trocken: „Bei Porsche hört für VW der Spaß auf.“ Wolfsburg Unlimited? Die Grenzen wurden dem Museumsdirektor mit etwas Verzögerung deutlich aufgezeigt.

(Fotos © Stephan Krull) Durch diesen weiteren undemokratischen und eigentlich unerträglichen Eingriff in die Freiheit der Kunst wurden die tatsächlichen Machtverhältnisse sichtbar . Ob es zu dem Projekt über die „Schönheit und den Schrecken des Erdöl-Zeitalters“ im Wolfsburger Kunstmuseum noch kommt, ist eher zu bezweifeln.

 Die Entscheidung zum Rauswurf von Ralf Beil, so teilt die Kunststiftung Volkswagen mit, sei nach langen Verhandlungen mit Dr. Beil über die vorzeitige Auflösung seines bis zum 31.1.2020 laufenden Dienstverhältnisses getroffen, da er der einvernehmlichen Aufhebungsvereinbarung nicht zugestimmt hat. Vorläufig übernimmt der Geschäftsführer des Museums Otmar Böhmer die Leitung; die Kontinuität der Arbeit des Kunstmuseums sei gewährleistet. Der vor die Tür gesetzte renommierte Direktor teilt indes zu seinem Rauswurf mit: Die künstlerische Freiheit für diese Großprojekte sei am Kunstmuseum Wolfsburg offenbar nicht mehr gegeben. Und weiter: Die Akzente seit seinem Amtsantritt hätten sich verschoben, damals seien ihm kuratorische Freiheit und Unabhängigkeit fest zugesichert worden. „Unlängst verlautete von Dritten, dass das Museum den Konzern unterstützen sollte‘“, so wird Ralf Beil im Tagesspiegel zitiert (14.12.2018).

Eine Blamage für die, die ihre eigene Blamage nicht aufgearbeitet haben!

Bei all dem handelt es sich wohl eher um die Panikreaktion eines Unternehmens, das mit dem Rücken zur Wand steht nach dem Abgasbetrug, der Herausforderung der Transformation zu völlig neuer Mobilität, teils drastischen Absatzeinbrüchen und entsprechenden Zielen beim Personalabbau. Die Entwicklung von Detroit hin zu einer Geisterstadt fest im Blick, kann dieser zwanghafte Reflex doch nicht dazu beitragen, die Stadt lebendiger und das Werk als Arbeitgeber interessanter zu machen. Welcher renommierte Kurator wir nach diesem Affront nun noch dieses Museum leiten wollen – und als Verwalter der Konzerninteressen bedarf es wirklich keines ambitionierten Kunstverstandes. Ein solcher Eingriff in die Freiheit der Kunst ist gleichzeitig Zensur und Unmündigkeitserklärung gegenüber den Einwohnerinnen und Einwohnern einer aufstrebenden Stadt. Welcher Ingenieur, welche Forscherin wird sich denn von Hamburg, München, Berlin aus auf den Weg nach Wolfsburg machen, wenn dort nicht einmal die Freiheit der Kunst etwas gilt?

Die Wolfsburger Allgemeine Zeitung berichtet am 14. Dezember über Reaktionen aus der Kulturszene: „Diese Nachricht hat mich schockiert“, sagt Documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann zu der Entscheidung und betont, sie habe die Arbeit Beils in Wolfsburg sehr geschätzt. Kathleen Rahn, die Direktorin des Kunstvereins Hannover erklärt, sie habe Beil als sehr engagiertes und sehr an niedersächsischer Kunst interessiertes Jurymitglied erlebt. Und Sprengelmuseumschef Reinhard Spieler betont, der Kollege habe sich weder in der Finanzierung seiner Ausstellungen noch bei den Besucherzahlen in Wolfsburg etwas vorzuwerfen. „In Wolfsburg hat er ein sehr niveauvolles Programm auf der Höhe der Zeit gestaltet und dabei auch Akzente durch das kritische Aufgreifen von Themen gesetzt, die spezifisch für die Stadt sind.“ Zu kritisch? Spielers Vorgänger Ulrich Krempel sieht in der Personalie ein Beispiel für einen auch anderswo beobachtbaren Trend, solche Kulturschaffenden derart unwürdig zu behandeln, weil sie Programme auf die Beine stellen, durch die auch kritische Fragen an die eigene Kommune oder das dominierende Unternehmen gestellt werden. „Das ist eine großartige Blamage für Leute, die noch nicht einmal ihre eigene Blamage aufgearbeitet haben“, sagt Krempel. „Das wird Wolfsburg auf die Füße fallen.“

Volkswagen ist nicht so rigoros im Umgang mit Aktionen und Personen, die dem Ruf des Unternehmens wirklich schaden – sei es in den 1990er Jahren Ignazio Lopez, der „Würger von Wolfsburg“ gewesen, seien es ihre Spenden von 2,7 Mio $ für den irren Präsidenten aus den USA (Horst Schäfer, Ossietzky 24/2018), sei es die neuerliche Kooperation mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall, seien es die Verantwortlichen für den gigantischen Abgasbetrug oder sei es ihr Spitzenmanager aus Brasilien, der sich unwidersprochen zum neoliberalen Putsch äußert: „Das letzte Mal, dass der Staat in Brasilien kompetent die Infrastruktur geplant und ausgebaut habe, sei unter den Militärs vor 50 Jahren geschehen, sagt Roberto Cortes, CEO von VW Truck & Bus in Brasilien.“ (NZZ, 14.11.2018) In der von Beil geplanten Ausstellung über „Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“ werden dieses Attacken von Volkswagen auf Demokratie und Frieden wohl keinen Eingang finden, ebenso wenig die aufrüttelnde Rede der 15jährigen Greta Thunberg beim ansonsten folgenlosen Klimagipfel in Katowicze.

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