Perspektiven der Mobilität: Der Beginn einer Debatte

Gewerkschafter aus der Autoindustrie, Bahnbeschäftigte, Umweltschützer und Globalisierungskritiker diskutieren über Perspektiven der Mobilität. hier der Start aus dem Jahr 2010 – Aktuell wie heut: ausser, dass die unternehmen in den letzten jahren riesige profite eingefahren haben und dass die krise sich jetzt zuspitzt, ist die situaiton heute sehr ähnlich. dehalb lohnt ein blick zurück.

Ein Gespräch mit Stephan Krull
Interview: Daniel Behruzi
Stephan Krull ist Mitglied des Vorstands der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nieder­sachsen und Mitorganisator der Konferenz »Auto und Mobilität in der Krise«

Die Konferenz der niedersächsischen Rosa-Luxemburg-Stiftung »Auto und Mobilität in der Krise« sollte unter anderem der Vorbereitung einer größeren internationalen Konferenz zum gleichen Thema Ende Oktober in Stuttgart dienen. Welche Bilanz ziehen Sie zu dem Treffen?

Das Wichtigste ist, daß eine gemeinsame Debatte verschiedener Akteure begonnen hat, die an dem Thema Mobilität arbeiten und die Konferenz gemeinsam vorbereitet haben und tragen. Diese Gruppen und Personen haben bisher wenig oder gar nicht miteinander diskutiert. Die Konferenz ist der Beginn eines Versuchs, dies zu ändern. Der soll in Stuttgart und danach fortgesetzt werden.Tatsächlich waren in Hannover Menschen aus unterschiedlichen Bereichen vertreten: Gewerkschafter und Betriebsräte aus Autokonzernen, Bahnbeschäftigte, Aktivisten aus globalisierungskritischen und ökologischen Bewegungen. Gab es trotz dieser Heterogenität produktive Debatten?

Meinem Empfinden nach war die Atmosphäre von gegenseitiger Neugier geprägt. Es gab das Bedürfnis zu hören, was anderswo diskutiert wird. Dabei gab es natürlich auch Kontroversen. Zum Beispiel beim Thema Arbeitszeitverkürzung: Sollten wir diese Forderung mit der nach vollem oder teilweisem Lohnausgleich verbinden? Fordern wir vollen Personalausgleich oder nicht? In dieser und vielen anderen Fragen, die wir angesprochen haben, geht es um große gesellschaftliche Veränderungen mit weitreichenden Auswirkungen. Es ist daher klar, dass das nur der Beginn weiterer Debatten sein kann.Kann aus diesen Diskussionen auch eine gemeinsame Praxis entstehen?

Ziel ist schon, daß verschiedene Gruppen an gemeinsamen Projekten arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Bremer Arbeitszeitinitiative, in der Gewerkschafter, halbstaatliche Einrichtungen wie die Arbeitnehmerkammer, kirchliche Kreise und andere seit langem zusammen agieren. So etwas zu verstetigen und zu verallgemeinern, wäre lohnend.

Im Titel sowohl der Hannoveraner als auch der Stuttgarter Konferenz taucht der Begriff »Krise« auf. Ist das angesichts einer aktuell schon wieder boomenden Autoindustrie noch aktuell?

Die Situation in der deutschen Autobranche ist im Moment scheinbar undramatisch, weil die Exportoffensive noch einmal forciert worden ist – mit Folgen für andere Länder. Das Problem der weltweiten Überkapazitäten ist aber weiter ungelöst. Für die Beschäftigten ist die Krise keineswegs ausgestanden. Zum einen, weil in Konzernen wie bei Opel Tausende Arbeitsplätze und ganze Werke – Antwerpen sicher, womöglich auch Bochum – zur Disposition stehen. Zum anderen, weil der Leistungsdruck in den Betrieben ungeheuer zugenommen hat, ebenso der Druck auf Löhne und Sozialleistungen. Hinzu kommt die grundlegende Frage der Zukunftsfähigkeit der Automobilindustrie.

Die automobile Gesellschaft ist in vielerlei Hinsicht in der Krise. Debatte über Ursachen und Gegenstrategien
Von Daniel Behruzi, Hannover; August 2010
Auf dem Müllhaufen der Geschichte

Auf dem Müllhaufen der Geschichte

Vordergründig haben wir gerade das Gegenteil von Krise«, begann IG-Metall-Sekretär Frederic Speidel seinen Beitrag auf der Konferenz »Auto und Mobilität in der Krise«, die auf Einladung der niedersächsischen Rosa-Luxemburg-Stiftung am Freitag und Samstag in Hannover stattfand. »Die Exporte explodieren, die Auslastung der Fabriken ist hoch, bei VW und anderswo wird eine Sonderschicht nach der anderen gefahren«, berichtete der Gewerkschafter. Ist die Krise also vorbei, der vor einigen Monaten gewählte Konferenztitel längst von der Realität überholt?

Mitnichten, meinten die rund 100 in Niedersachsens Landeshauptstadt angereisten Betriebsräte, Wissenschaftler, Umweltschützer und Globalisierungskritiker. In der Automobilindustrie bestünden weiterhin »notorische Überkapazitäten, die Branche ist in einer strukturellen Krise, in einem dauerhaften Umbruch«, betonte Speidel.

Auch nach Ansicht des Ökonomen und Verkehrsexperten Winfried Wolf kann der tiefste wirtschaftliche Einbruch seit Jahrzehnten, der die Autohersteller besonders getroffen hat, noch nicht zu den Akten gelegt werden. »Alle Grundlagen des aktuellen Aufschwungs sind fragil und brüchig«, stellte er fest.

»Infolge der Krise herrscht ein erbitterter Kampf der Autokonzerne um die weltweiten Märkte«, stellte der Bremer Daimler-Betriebsrat Gerd Kupfer fest. Für die Beschäftigten wirke sich das in Form »schärfster Rationalisierung« aus. »Wir haben bei den Arbeitsbedingungen, verstärkt durch die Krise, eine riesige Rolle rückwärts gemacht. Bei Daimler arbeiten die Kollegen am Band zum Teil wieder in 70-Sekunden-Takten, bei denen ihnen jeder Handgriff detailliert vorgeschrieben ist.« Die verschärfte Konkurrenz setze Löhne und Arbeitszeiten unter Druck, erklärte Kupfer. »Da wird Betrieb gegen Betrieb, Belegschaft gegen Belegschaft gehetzt, immer mit der Drohung des Arbeitsplatzverlustes.« Dennoch sei es auch in dieser Situation für die Beschäftigten möglich, sich zur Wehr zu setzen. So hätten die Bremer Daimler-Arbeiter im Januar zweimal mit Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen gegen die Umstrukturierung des Konzerns protestiert. »Das hat uns gezeigt: Auch in der Krise ist Kämpfen möglich«, betonte Kupfer.

Allerdings wird dieser Widerstand von den Gewerkschaften nur selten konsequent mobilisiert. Während in der IG Metall in den 1980er Jahren noch Diskussionen über eine Humanisierung der Arbeit und sogar über alternative Verkehrskonzepte geführt worden seien, habe sich die Gewerkschaftsspitze nun weitgehend auf »Lobbyismus für die Abwrackprämie und gegen CO2-Auflagen« verlegt, kritisierte Achim Bigus, IG-Metall-Vertrauenskörperleiter im insolventen Karmann-Werk in Osnabrück. Es sei wichtig, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder aufzugreifen. »Das kann eine Antwort auf Beschäftigungsverluste durch Rationalisierung und Umbau der Branche sein«, meinte er.

Die vielschichtige Debatte blieb nicht bei der Frage von Arbeitsbedingungen und -zeiten stehen. »Die Autogesellschaft ist ein Auslaufmodell«, so Wolfs grundsätzliche Kritik. Angesichts von Verkehrstoten, Stadtzerstörung, der Endlichkeit des Öls und der maßgeblich durch den Autoverkehr verursachten globalen Erwärmung sei eine Transformation weg von Automobil und Individualverkehr dringend geboten. Allerdings stehe dem eine mächtige Allianz von Konzernen entgegen, die an Autos, Flugzeugen, Öl und Ölverarbeitung verdienten. Von den 500 größten Unternehmen der Welt stellten diese rund 25 Prozent, rechnete Wolf vor. »Das ist eine enorme materielle Gewalt, die am jetzigen Verkehrsmodell festhalten will.«

»Es gilt, in den Gewerkschaften die Debatte über alternative Geschäftsfelder zum Automobil hochzuziehen«, sagte Speidel. Positives Beispiel in dieser Hinsicht sei das Motorenwerk von VW in Salzgitter, wo ab 2011 Blockheizkraftwerke für Wohnungen in Serienfertigung hergestellt werden sollen. Immerhin rund 200 Arbeitsplätze würden so geschaffen, berichtete Speidel. Der Wolfsburger Gewerkschaftssekretär schränkte allerdings ein: »Das Auto von jetzt auf gleich auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, wird nicht funktionieren.«

Wolf argumentierte hingegen, daß der Autobranche auch ohne den notwendigen Umbau eine radikale Arbeitsplatzvernichtung bevorstehe. Er verwies auf das Beispiel Detroit, ehemals Hochburg der weltweiten Autoproduktion. Dort habe sich im Zuge des Niedergangs der US-Kraftfahrzeugindustrie die Bevölkerung halbiert, die Arbeitslosenrate liege bei 40 Prozent. »Das wird allen Zentren der Autoindustrie blühen, wenn es kein Umsteuern gibt«, prognostizierte Wolf.

Wie das geändert werden kann und welche alternativen Mobilitätskonzepte möglich sind, wird auf der internationalen Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ende Oktober in Stuttgart Thema sein.

https://www.jungewelt.de/artikel/150048.das-ist-der-beginn-einer-debatte.html?sstr=krull

https://www.jungewelt.de/artikel/150046.auto-und-alternativen.html

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