Kritische Solidarität!
Im Januar hat die IG Metall die Verhandlungen für sechs Prozent mehr Lohn und für Möglichkeiten der individuellen und befristeten Arbeitszeitverkürzung aufgenommen. Die Arbeitgeber blocken in der Arbeitszeitfrage nicht nur, sondern fordern eine Ausweitung der Arbeitszeit und lehnen jeglichen materiellen Ausgleich für individuelle Arbeitszeitverkürzung ab. Begründung: Die Arbeitgeber seien nicht dafür zuständig, die Pflege von Angehörigen zu finanzieren. Jetzt streiken die Metaller – bei Redaktionsschluss mit offenem Ausgang.
Allein die Forderung der IG Metall zur Arbeitszeit hat nicht nur die Arbeitgeber erregt, sondern auch Wissenschaftler und die Attac AG ArbeitFairTeilen: Attac unterstützt die Forderung nach der 28-Stunden-Woche, das sei ein wichtiger erster Schritt in Richtung „Gutes Leben für alle“. Erleichtert darüber, dass das wichtige Thema nach 30 Jahren Stillstand endlich wieder auf die Tagesordnung kommt, begrüßen auch Wissenschaftler in einer Solidaritätserklärung die Forderung der IG Metall: Die Forderung sei nicht nur aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vernünftig, sie könne auch zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitragen. Sie stellen die Zahl der Erwerbslosen den bezahlten und unbezahlten Überstunden gegenüber, erwähnen diejenigen, die unfreiwillig in Minijobs und Teilzeit verharren ebenso wie diejenigen, die durch forcierte Digitalisierung und Produktivitätssprünge demnächst erwerbslos werden.
Die Initiatoren, Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaftler, ein Theologe, unterstützen die Forderungen der IG Metall „als ersten Schritt“, der um weitere Elemente ergänzt werden muss: Zum einen müsse jede Arbeitszeitverkürzung an einen entsprechenden Personalausgleich gekoppelt werden. Sonst liefe man Gefahr, dass die Arbeitsintensität mit negativen Folgen für die Beschäftigten stiege. Zum anderen müsse jede Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich verbunden werden, nicht nur mit teilweisem Ausgleich, wie ihn die IG Metall jetzt fordert. Den Unternehmen mangele es nicht an Geld.
Der Aufruf setzt sich auch mit den vorgebrachten „Gegenargumenten“ der Arbeitgeber auseinander und kommt zum Schluss, dass sie einer kritischen Prüfung nicht standhalten, denn: Eine bessere Verteilung der Arbeitszeit würde fachliche Potentiale vor allem von Frauen, von Leiharbeitsbeschäftigten freisetzen, die heute unfreiwillig in der Teilzeitfalle sitzen.
Die Unternehmen in Deutschland könnten Lohnforderung und Arbeitszeitverkürzung locker aus ihren Gewinnen finanzieren. Es wird kritisiert, dass ein großer Teil der immensen Gewinne für Finanzspekulationen missbraucht wird.
Ob die Forderung an die Bundesregierung und an „die Parteien“ gehört wird, die Gewerkschaftsinitiative zu unterstützen, ist eher zweifelhaft, aber sicher gut gemeint. Es ist gut, dass Intellektuelle sich an die Seite der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Gewerkschaft stellen – ganz unabhängig vom Ausgang des aktuellen Kampfes.
Das sehen auch die Aktiven von Attac so. Margareta Steinrücke von ArbeitFairTeilen sagt: „Produktivitätsfortschritte dürfen Menschen nicht ins Elend stürzen, sondern müssen so umgesetzt werden, dass ihre Vorteile allen zugutekommen. Das Ziel ist ein besseres Leben für alle. Dafür müssen dem ersten, nicht sehr großen, aber wichtigen Schritt der IG Metall viele weitere Schritte in diese Richtung folgen.“ Der Widerstand der Unternehmer gegen die Forderung der IG Metall nach einer zeitweisen 28-Stunden-Woche sei denn auch deshalb so groß, weil sie darin eine erste Abkehr von der reinen Wachstumsideologie erkennen. Margareta Steinrücke: „Gutes Leben heißt eben nicht, immer mehr zu konsumieren, sondern gutes Leben heißt auch, mehr Zeit für sich selbst, für Familie und das soziale Umfeld zu haben.“
Wenn Produktivitätsfortschritte stattdessen dazu führen, dass die ausbeutbaren Arbeitskräfte bis zum 70. Lebensjahr arbeiten und die im Produktionsprozess überflüssigen Menschen mit einem armseligen Einkommen auf Hartz-IV-Niveau ausgehalten werden sollen, ist der Widersinn aus Sicht von Attac offensichtlich. Ein „Weiter so“ der Ausbeutung von Natur und Arbeitskraft sei für die Erde und die Menschen nicht mehr zu ertragen.
Wer die Initiative der Wissenschaftler nachlesen und unterstützen möchte, kann sich an Prof. Dr. Mohssen Massarrat wenden: Mohssen.Massarrat@uos.de
Geschrieben am 4.2.2017, für Ossietzky, veröffentlicht in Ossietzky in Nr. 3/2018