Volkswagen – der entfesselte Riese?

Vorbemerkung:

Ein Artikel von mir aus „SOZIALISMUS 6/2004, der wenig an Aktualität verloren hat – einige Personen haben gewechselt, ansonsten wird der Plan für die Hartz-Gesetze im VW-Labor ausprobiert.

Das Foto oben (der gefesselte Riese) ist aus dem Vortrag von Personalvorstand Peter Hartz bei einer Betriebsräteversammlung am 29. April 2004.

 

Die Demagogie wird zur materiellen Gewalt, wenn die Standortfalle zuklappt!

„Ein Quäntchen Angst am Arbeitsplatz könne die Leistungskraft entscheidend steigern, meinen zwei Kölner Betriebswirtschaftler. Ihr Rat an die Manager: Mehr Mut zur Macht!“

Diese krude Idee von zwei wohl Aufträge suchenden „Wissenschaftlern“  könnte man getrost in den Papierkorb werfen, lägen sie damit nicht genau im Zeitgeist. Eine ganze Seite war dieser menschenfeindliche Gedanken-Abfluss dem „manager magazin“ wert. Möglicher weise handelt es sich dabei aber auch nur um eine Blaupause der tarifpolitischen Strategie von Volkswagen für das Jahr 2004, die von der Manager-Idee beseelt scheint, „die Mitarbeiter aus der Komfortzone“ zu holen.[2] Der Begriff „Zone“ ist hier kaum zufällig gewählt, wurde doch über die ehemalige „Ostzone“ gerade als künftige „Sonderwirtschaftszone“ orakelt. Merkmale dieser „Sonderwirtschaftszonen“ sind, neben Steuerfreiheit, die „Befreiung“ von arbeitsrechtlichen Normen, von Tarifverträgen, Koalitionsfreiheit und von Gewerkschaften.

Tarifpolitische Strategie von Volkswagen

Pünktlich zum 1. Mai hat der Personalvorstand von Volkswagen, Prof.h.c. Dr.h.c. Peter Hartz dem Spiegel ein Interview gewährt. Dieses Interview hat innerhalb und außerhalb des Betriebes hohe Wellen geschlagen und unter anderem für diese Schlagzeilen gesorgt: “VW will Arbeitskosten um ein Drittel senken“, „VW verlangt billigere Arbeit“ und „VW will 39-Stunden-Woche“[3]. Ein Kommentar liest sich so: „Was der (Hartz) mit Blick auf den neuen Haustarif von der IG Metall fordert“ – tatsächlich fordert er ja von den Beschäftigten, für weniger Geld mehr zu arbeiten; von der IG Metall fordert er nur die Zustimmung dazu – „klingt nach Zumutungen. Aber die jüngsten Ertragseinbrüche stärken ihm den Rücken. Denn keiner wird widersprechen können, dass Arbeitsplatzabbau eine größere Zumutung wäre als Einbußen beim Einkommen.“[4] Das könnte aus der Feder von Hartz selbst bzw. seinem Stab stammen: Sozial sei, was Arbeit schafft. In der Konsequenz dieses Gedankens liegt die Aufkündigung der Konvention gegen Kinderarbeit – was aus der Sicht arbeitender Kinder gar nicht schlecht wäre – aber letztlich noch mehr und viel Schlimmeres.

Eine Untersuchung wäre es wert zu ergründen, was alles zufällig (?) am 1. Mai geschah. Mindestens die EU-Erweiterung an diesem Tage führt dazu, dass in den folgenden Jahren das Thema EU den 1. Mai überlagern wird. Ein geschichtlicher Treppenwitz oder eine gewitzte Terminplanung? Sicher lag ein Interesse dieser Terminplanung zugrunde, das vordergründig nichts mit dem 1. Mai als geschichtsträchtigem und aktuellem Kampftag der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen und der sozial Degradierten zu tun hat.

In dem Artikel[5]  wird das Projekt „5000 x 5000“ zum Vorbild für den gesamten VW-Konzern erklärt. Wegen „rekordverdächtiger Personalkosten“ „müssen die Arbeitskosten bis zum Jahre 2011 um rund 30 Prozent runter“. Sind damit die „Arbeitskosten“ im VW-Konzern weltweit gemeint? Oder die Personalkosten in Deutschland? Oder „nur“ die Löhne in den sechs Werken der VW AG? Und ist nicht eher die schon vollzogene Reduzierung der Personalkosten rekordverdächtig?

 

Ein Blick in die Bilanz des VW-Konzerns der letzten Jahre gibt Antwort zumindest auf die letzte Frage:

 

Jahr 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Umsatz 43,7 39,2 40,9 45,0 51,2 57,9 68,6 75,2 83,1 88,5 86,9 87,2
Belegschaft *1 273 253 238 257 261 275 294 306 322 324 325 337
Davon Inland 164 150 141 143 139 144 153 159 167 168 168 174
Netto-Gewinn*2 0,075 -1 0,077 0,172 0,347 0,7 1,1 0,8 2,6 2,9 2,6 1,1
Personalkosten 9,66 9,39 9,72 10,59 10,58 11,48 11,79 13,40 12,69 13,21 13,31 13,89
PK % 24,3 24,6 22,9 21,6 20,7 18,3 16,7 15,9 15,3 14,9 15,3 15,9

Quelle; Bilanz von Volkswagen und eigene Berechnungen. Umsatz, Gewinn und PK in Mrd. €, Belegschaft x 1000; *1 Im Jahresdurchschnitt, *2 Netto-Gewinn = Gewinn nach Steuern

Die Reduzierung der Personalkosten um 30% wird dann mit zwei „Versprechen“ verbunden, die eine nähere Betrachtung verdienen:

Versprecher Nr. 1: In Deutschland bleiben 176.544 Arbeitsplätze erhalten.

Die Konzernbelegschaft in Deutschland ist auf viele Betriebe, Branchen und Tarifgebiete unterteilt. VW AG mit einem Haustarifvertrag, AUDI mit dem bayrischen Metalltarifvertrag, Zwickau und Chemnitz mit dem sächsischen Metalltarifvertrag, dann in Wolfsburg mit jeweils eigenem Tarifvertrag die Wolfsburg-AG, die AutoVision GmbH, die Sitech GmbH und Auto 5000 GmbH, VW-FinancialServices AG und VW Bordnetze GmbH, Automobilmanufaktur Dresden, Gedas AG usw.

 

Der größere Belegschaftsaufbau hat dennoch nicht im Inland stattgefunden; und sofern er im Inland stattfand, erfolgte er außerhalb des Tarifvertrages der VW AG, nämlich zu neuen, teils weit geringeren tariflichen Standards bei Auto 5000, Wolfsburg-AG, AutoVision und Sitech.

Das „Versprechen“, 176.544 Arbeitsplätze „in Deutschland“ zu halten, muss – so gesehen – als Drohung verstanden werden, die tariflichen Standards der Beschäftigten der VW AG auf das Niveau unterhalb des gegenwärtigen Flächentarifvertrages zu drücken. Denn nur die tariflichen und personalpolitischen Strukturen in diesen neuen VW-Firmen (Auto 5000, AutoVision etc.) seien international wettbewerbsfähig.

Versprecher Nr. 2: Die Reduzierung der Personalkosten bedeutet keine Lohnkürzung.

Hartz auf die Spiegelfrage, ob die Löhne gekürzt werden sollen: „Davon kann keine Rede sein. Die Bruttolöhne sollen auf dem heutigen Niveau bleiben. Um die Kosten zu reduzieren, müssen wir noch flexibler und besser werden – bei der Arbeitszeit, bei der Entlohnung und in der Weiterbildung.

Abgesehen davon, dass Hartz nicht zufällig von „Bruttolöhnen“ spricht, macht er sehr deutlich, dass sie bis zum Jahre 2011 „auf dem heutigen Niveau“ verbleiben sollen. Wenn das keine Lohnkürzungen wären!

Es kristallisieren sich folgende Bausteine für das „schlüssige Konzept“, das Hartz vorgibt:

  • Extreme Ausweitung des Flexibiltätsrahmens

Zwar wird konstatiert, dass die VW AG auch bezogen auf die Arbeitszeit bereits ein sehr flexibles Unternehmen sei – dies kann sich nur auf die Flexibilität der Beschäftigten beziehen – , dennoch wird ein Flexibilitätsrahmen von 400 Stunden angepeilt. Konkret will sich das Unternehmen damit die Möglichkeit verschaffen, Arbeitszeitkonten von bis zu 400 Stunden anzulegen. Dieses kann bedeuten, dass Beschäftigte mehr als 20% der Jahresarbeitszeit zunächst ohne Vergütung leisten sollen. Dadurch könnten, so Hartz, „neben Konjunkturschwankungen auch lebenszyklusbedingte Beschäftigungsschwankungen ausgeglichen werden“: Mutterschutzzeiten, Erziehungszeiten, längere Krankheiten, Erwerbsminderungen etc. werden damit ja wohl gemeint sein. Dieses bedeutet wiederum, künftig generell mit einer Personalunterdeckung zu produzieren.

  • Verlängerung der Arbeitszeit

Die „demografische Herausforderung“, die natürlich nicht weiter zu begründen ist, schließlich lesen wir jeden Tag davon in der Zeitung, und die „Sicherung der Sozialsysteme“ müssen herhalten, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nun auch tariflich umzusetzen. Klar ist in diesem Zusammenhang das Ziel, auch die wöchentliche Arbeitszeit durchschnittlich zu erhöhen. Bei einer älter werdenden Belegschaft will Hartz, dass Beschäftigte „in Abhängigkeit von ihrer medizinischen Leistungsfähigkeit“ als Ältere weniger und als Jüngere (noch) mehr arbeiten.

Abgesehen von der absoluten Arbeitszeitverlängerung, die sich dahinter verbirgt, lohnt auch die Betrachtung des Menschenbildes: Schuften bis der Arzt kommt!

  • Umdefinition des Begriffes „Arbeitszeit“

In einer tollkühnen Rechnung erklärt Hartz der staunenden Welt, dass wir alle nur 10% unseres Lebens arbeiten. In dieser „Ein-Zehntel-Gesellschaft“ sei es ja wohl zumutbar, „nicht-wertschöpfende Zeiten“ anders zu bewerten. Konkret verbirgt sich dahinter, Pausen, so genannte Kommunikationszeit, Qualifizierung oder den Weg zum Sani nach einer Verletzung nicht mehr zu vergüten. Vergütet werden soll nur noch hundertprozentige „wertschöpfende Arbeitszeit“. Das dieses zu einer massiven Lohnsenkung bei gleichzeitiger Verlängerung der Arbeitszeit führen würde, ist unübersehbar.

  • Co-Investment Arbeitsplatz – die Beschäftigten bringen Geld mit

Eine weitere, geradezu abenteuerlichen Rechnung wird den Beschäftigten von Hartz präsentiert: Ein Arbeitsplatz sei über eine „volle Betriebszugehörigkeit ca. 2,8 Mio. € wert.“ Gemeint kann nichts anderes sein als Personalkosten über ein Arbeitsleben. Hinzu kämen Investitionen, die mehrmals getätigt werden müssen und nicht genau beziffert werden. Getrost können hier im Schnitt 1 Mio. € unterstellt werden. Konkret kann also von rund 4 Mio. € ausgegangen werden, die Hartz jedem einzelnen Beschäftigten als „Kosten“ des Unternehmens vorrechnet. Das (noch) unausgesprochene Ziel dabei: Die Beschäftigten bringen Geld mit bzw. „verzichten“ auf  Entgelt oder Freizeit. Das unter anderem soll dazu dienen, „Investitionsvorhaben an deutsche Standorte“ zu holen.

  • Reduzierung von Ausbildung und Ausbildungskosten

Ein gutes Beispiel für das geplante „Co-Investment“ glaubt Hartz bereits im „Ausbildungszeitwertpapier“ gefunden zu haben. Zwar ist dieses Projekt im Rahmen der so genannten „Hartz-Reformen“ glücklicher und richtiger Weise gescheitert; auf betrieblicher und regionaler Ebene ist jedoch ein Projekt gestartet worden, das nun tarifvertraglich von der IG Metall abgesegnet und bei VW etabliert werden soll. Grundidee ist dabei: „Wir brauchen keine Ausbildungsabgabe, wir brauchen neue Formen der Finanzierung von Ausbildung“. Einer Begründung bedarf diese Tautologie auch nicht (eine Ausbildungsabgabe wäre ja auch eine neue Form der Finanzierung), weil Konsens darüber zu herrschen hat, dass die Unternehmen nicht zahlen können und werden. Also: Die Auszubildenden bringen Geld mit, Arbeitsverwaltung und Kommunen zahlen, Ausbildungsvergütungen und Ausbildungsplätze werden gekürzt.

  • „Job-Familien“ für örtliche und berufliche Flexibilität

Dem ERA-Projekt der IG Metall setzt Hartz die „Job-Family“ entgegen. Die Idee dahinter: Berufsgruppen bzw. Prozesse werden zusammengefasst und gemeinsam beschrieben. Daran wird die „Entgeltfindung“ gekoppelt und stark „vereinfacht“ in drei „Job“-Kategorien: Pooljobs, Kernjobs und Topjobs jeweils mit Fachstufe, Expertenstufe und Profistufe. Das darauf ausgerichtet Entgelt wird gegliedert in ein (fixes) Grundgehalt (weit unterhalb des bisherigen Tarifniveaus), in (variable) Leistungsstufen und diverse (variable) Boni. Hartz lockt damit, das hiermit ein erster europäischer Tarifvertrag entstehen kann. Das wäre dann auch der Türöffner für kontinentale Flexibilität – und der Arbeitseinsatz von VW-Beschäftigten aus Chemnitz in Salzgitter oder aus Bratislava in Wolfsburg wäre innerhalb eines Tarifgebietes durchaus möglich. Schlüssig wird so ein Konstrukt, wenn diese „europäische“ Tarifpolitik als „Standortvorteil für Deutschland“ gepriesen wird.

Als abschließende Beruhigungspille für diesen „starken Tobak“ bietet VW den derzeit Beschäftigten einen Bestandsschutz bis zum Jahr 2011 – auf dem Niveau des Jahres 2004! Für neue Beschäftigte jedoch sollen ab sofort „neue Zumutbarkeitsgrenzen“ gelten. Und die derzeit Beschäftigten können dann schon mal ansehen, was ihnen ab 2011 blühen soll!

Erste Reaktionen von Beschäftigten und von IG Metall und Betriebsrat

Die Wolfsburger Zeitungen veröffentlichten einige Stimmen von Beschäftigten:

„Das klingt zwar logisch, ist aber ungerecht. Wir können schließlich nichts dafür, wenn VW zurzeit nicht mehr Gewinn macht.“ So die veröffentlichte Meinung von Beschäftigten aus der Produktion. Der neu gewählte stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh sieht „noch eine Menge ungelegter Eier“ und der Betriebsratsvorsitzende Klaus Volkert wird mit der Aussage zitiert: „Die Sicherung der Jobs ist ein richtiger Ansatz“, die Tarifgespräche würden jedoch schwierig, denn  „Tarifpolitik ist in der heutigen Zeit nicht mit Prozentpunkten allein zu gestalten.“ [6]

In einer ersten Stellungnahme[7] erklärt die Bezirksleitung der IG Metall:

„Die IG Metall begrüßt die Absicht von Volkswagen, alle zur Zeit bestehenden Arbeitsplätze des Unternehmens im Inland zu sichern. … Die IG Metall sagt JA zu sicheren Arbeitsplätzen und modernen Tarifverträgen. Wir sagen NEIN zu Einschnitten bei den Beschäftigten, auch wenn sie geschickt verpackt sind.“ Mit dem Thema demografische Arbeitszeit nehme Hartz zwar eine wichtige Frage auf, greife jedoch zu kurz. Es gehe nicht um eine altersgerechte Arbeitszeit, sondern um die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, so dass Arbeitnehmer auch gesund in Rente gehen könnten, erklärte der Bezirksleiter Hartmut Meine. Der Schwerpunkt der nach der Sommerpause beginnenden Tarifgespräche, kündigte Meine an, werde „voraussichtlich“ auf Einkommenserhöhungen liegen. In der Tarifkommission wird erstmals am 19. August beraten werden. In einem anderen Interview [8] macht Hartmut Meine deutlich, dass die IG Metall Einschnitte bei den Beschäftigten nicht akzeptieren wird und dass die Entgeltstruktur mit den 22 Entgeltstufen beibehalten werden soll.

Der Gesamtbetriebsrat hat das „Projekt 176.544 begrüßt“, „weil es die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland zum Ziel hat“, verweist aber ansonsten auf den Verhandlungsauftrag der IG Metall.[9]

Der Betriebsratsvorsitzende von VW in Hannover, Günter Lenz, ist scheinbar kritisch, wenn er sich mit dem Projekttitel „176.544“ schwer tut: „Peter Hartz hat dabei die 1500 Stellen vergessen, die er uns für die Produktion des Microbus versprochen hat.“[10] Lenz macht damit auf den Umstand aufmerksam, dass „5000 x 5000“ bis heute erst zur Einstellung von 3.300 Beschäftigten in Wolfsburg geführt hat.

Die besorgten Stimmen aus der Belegschaft und aus der IG Metall machen deutlich, dass diese Tarifrunde tatsächlich kein Spaziergang werden wird. Und alle Beteiligten sind sich sicher auch darüber im Klaren, dass vom Ergebnis dieser Tarifrunde Impulse für die gesamte Tariflandschaft ausgehen – so wie umgekehrt z.B. eine Verlängerung der Arbeitszeit in Industrie und Dienstleistungen sich negativ auf die Arbeitszeitpolitik der IG Metall bei VW auswirken wird.

Drei Punkte sind meines Erachtens besonders kritisch:

  • Wenn wir uns auf das „Standort“-Argument einlassen, ist der Sog nach unten kaum zu bremsen. Der VW-Vorstand will Kosten senken bei der VW-AG, in den deutschen Werken, um „Produktion nach Deutschland zurück zu holen“. Selbstverständlich wird an allen anderen Standorten sofort eine Kostensenkungslawine losgetreten, um keine Produktion „nach Deutschland“ abzugeben. Es wäre wie beim Wettlauf von Hase und Igel – wir würden immer zu spät kommen, am Ende ginge uns (allen) aber die Luft aus. Nur in einer europäisch koordinierten Tarifpolitik liegt der Ausweg aus dieser Falle. Wo sollte das besser möglich sein als in solch einem Unternehmen wie VW? Gemeinsam für kürzere Arbeitszeit und für Lohnerhöhungen, die mindestens an Inflation und Produktivitätssteigerungen orientiert sind – dieses Projekt sollte uns, der IG Metall, viel wert sein!
  • Die „demografische Arbeitszeit“  kommt so harmlos daher und die Reaktion von Betriebsrat und IG Metall scheinen ebenfalls harmlos: „Generell“, so Hartmut Meine, „ ist der Vorstoß zu begrüßen. Es geht nicht nur um eine altersgerechte Arbeitszeit, sondern auch um die Gestaltung der Arbeit, damit die Arbeitnehmer gesund in die Rente kommen.“ Aber: Lebensarbeitzeitverlängerung ist so unsozial und so unsolidarisch wie jede andere Arbeitszeitverlängerung. Und wenn es – wovon auszugehen ist – gelingt, die Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu verhindern, dann hätte Hartz mit der „Gestaltung“ der Arbeit zwecks gesunder Arbeit bis 65 Jahre doch die Verlängerung der Arbeitszeit durch die Hintertür erreicht. Arbeitsbedingungen sind immer zu verbessern. Aber wenn dieses heute mit dem vereinbarten Ziel getan wird, Arbeit bis zum 65. Lebensjahr zu ermöglichen, können wir morgen nicht wirksam und glaubwürdig gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters kämpfen! Arbeitszeitverkürzung muss auf der Tagesordnung bleiben Angesichts von Millionen Arbeitslosen. Alternativen der IG Metall müssen deshalb in einer gerechteren  Verteilung der  Arbeitszeit zwischen den Geschlechtern und Generationen liegen. Dies auch, um die Erwerbslosen in diese Auseinandersetzung einbeziehen zu können.
  • Der Angriff auf die Auszubildenden ist abzuwehren. Es muss sichergestellt werden, dass auch Volkswagen seiner Ausbildungsverpflichtung nachkommt – und zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Der Angriff auf Ausbildungsplätze und Ausbildungsvergütung ist auch als Entlastungsversuch durch Hartz zu werten: Würde die Berufsbildungsabgabe Gesetz und angewandt, müsste VW 12 Mio. € zahlen. Genau dieser Skandal soll kaschiert werden, wenn jetzt wieder die Schwächsten, die Jüngsten im Betrieb als Sündenbock herhalten müssen. Wenn wir mit unserer Jugend, mit unseren Kindern nicht solidarisch sind, werden wir auch keine Solidarität mehr erwarten dürfen.

Es geht Hartz nicht um ein wenig Einkommensreduzierung, sondern um massive Produktivitätssteigerungen und Kostensenkungen sowie Profitsteigerungen zu Lasten der Beschäftigten. Im Ergebnis würde es aber auch das Herausbrechen eines (weiteren) Grundsteines aus dem Gebäude Sozialstaat bedeuten.

Schließlich geht es um die Frage, ob sich die IG Metall nach dem Desaster in der ostdeutschen Metallindustrie als gesellschaftsgestaltende Kraft in diesem Lande zurückmelden kann.

Insoweit geht es um Autonomie und letztlich um die Existenz der IG Metall.

 

Veröffentlicht in SOZIALISMUS 6/2004 http://www.sozialismus.de/vorherige_hefte_archiv/sozialismus/2004/heft_nr_6_juni_2004/

[1] Stephan Krull ist Mitglied im Ortsvorstand der IG Metall Wolfsburg und Betriebsratsmitglied im Wolfsburger Volkswagenwerk

[2] manager magazin vom 1.5.2004

[3] Wolfsburg Allgemeine Zeitung, Der Tagesspiuegel und Neue Presse vom 3.5.04

[4] Hessiche Niedersächsische Allgemeine, 3.5.04

[5] Spiegel, 3.5.2004

[6] Wolfsburger Allgemeine, 4. Mai 2004

[7] Pressinfo IG Metall Bezirksleitung vom 2.5.04

[8] Wolfsburger Allgemeine Zeitung vom 5. Mai 2004

[9] Presseinfo des Gesamtbetriebsrates der VW AG vom 3.5.2004

[10] Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 3.5.04

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