Krise als Chance – Die Autoindustrie steckt in einem Dilemma!

Die Automobilindustrie befindet sich auf ihrem Höhepunkt und zugleich in der größten Krise ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte. Die Gesetze des Kapitalismus verlangen kategorisch nach weiterem Wachstum. Doch die begrenzten Ressourcen, die Megastaus in den urbanen Zentren und der wesentlich durch Emissionen des Verkehrs verursachte Klimawandel fordern eine Mobilität ohne private Autos mit Verbrennungsmotoren. Elektrofahrzeuge sind, entgegen weitverbreiteter Meinungen, kein Ausweg aus dem Dilemma, da der Ressourcenverbrauch und die Emissionen im Lebenszyklus, abhängig vom Strommix, nicht besser sind als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.

Zur «Lösung» des Energieproblems hat der Chef von Volkswagen, Herbert Diess, jetzt eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ins Gespräch gebracht.

Allerdings sind in der Auto- und Zulieferindustrie Hunderttausende Menschen beschäftigt. Die Branche trägt wesentlich zur Wertschöpfung bei. Die Autoindustrie ist eine Schlüsselindustrie für Deutschland, Frankreich, Tschechien, die Slowakei, inzwischen auch für Ungarn und Polen, zum Teil für Italien, Spanien und Portugal. Gleiches gilt für die USA, Mexiko und Brasilien, für Japan und Korea.

Die Gewerkschaften sehen bislang ihre Rolle vorrangig darin, die Arbeitsplätze im Dialog mit der EU-Kommission und den nationalen Regierungen zu erhalten. Die «systematisch notwendige Nutzung des Autos» wird nicht infrage gestellt. In einer Stellungnahme der IG Metall vom Oktober 2014 heißt es: «Die IG Metall hält es für den richtigen Weg, es den Unternehmen zu überlassen, welche Antriebs- und Effizienztechnologien sie zur Erreichung der Klima- und Emissionsziele einsetzen » (IG-Metall-Vorstand 2014).

Die ökologische Krise ist existenzbedrohend für die Menschheit und letztlich nur global lösbar. Das betrifft die Klimaveränderungen, die vergiftete Atemluft in vielen Städten, die Betonierung immer größerer Flächen für Straßen und Parkplätze sowie den Raubbau an fossilen Rohstoffen. Doch es geht auch um das dafür verausgabte Geld, die Investitionen der Unternehmen, die Subventionen des Staates. Um die Automobilindustrie im Konkurrenzkampf am Leben zu erhalten, sind enorme Ausgaben erforderlich. Das Wettrennen um Elektroautos, autonomes Fahren und neue Geschäftsmodelle verschlingt Milliarden Euro, Dollar, Yuan und Yen – die für andere dringende Menschheitsaufgaben nicht zur Verfügung stehen.

Wegen der globalen Herausforderung und der riesigen Kapitalmacht der Konzerne: Begonnen und fortgeführt werden muss die Krisenlösung an jedem Ort ganz konkret. Die weltweite Dimension kann nicht als Ausrede für lokale Untätigkeit herhalten. Der Umbruch in der Automobilindustrie – Digitalisierung, neue Antriebstechnologien, abnehmende Attraktivität des Autos in urbanen Zentren – wird zu einem erheblichen Personalabbau quer durch alle Bereiche führen, von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Produktion von Teilen und Fahrzeugen. Wenn sich die Investitionen nicht rechnen und Fabriken oder Konzerne der Konkurrenz zum Opfer fallen, geht es tatsächlich um Hunderttausende Arbeitsplätze, die unter kapitalistischen Bedingungen gefährdet sind.

Notwendig ist eine andere Produktionsweise mit radikaler Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit.

Ein «Weiter-so» ist nicht möglich, weil es die Umwelt vollends zerstört. Sowohl die Arbeits- als auch die Lebensverhältnisse der Menschen und damit ganze Gesellschaften stehen auf dem Spiel. Aber alle wirklichen Auswege berühren sofort die Grundfesten dieses kapitalistischen Systems: das private Eigentum und die Verfügungsgewalt der Eigentümer. Hinzu kommt eine allgemeine Angst vor Veränderungen. Das alles macht ein Umsteuern schwierig. Aber es führt kein Weg daran vorbei.

Notwendig ist das Angebot einer anderen Arbeitsorganisation, von wirklicher Partizipation und Beteiligung am Planungsprozess und eines guten Lebens bei radikaler Arbeitszeitverkürzung.

Das ist der Schlüssel, um die Akzeptanz der Beschäftigten zu gewinnen. Begünstigt wird die bevorstehende Auseinandersetzung dadurch, dass die Autoindustrie ein gewerkschaftlich gut erschlossener Sektor mit hohem Organisationsgrad ist, mit funktionierenden gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörpern, mit positiven Erfahrungen von Arbeitszeitverkürzung und mit einem Problembewusstsein.

Spätestens seit dem Abgasbetrug ist vielen Beschäftigten klar, dass Wege aus der Krise gesucht und gefunden werden müssen. Der Wegfall von Arbeitsplätzen kann sozialverträglich, das heißt gesellschaftsverträglich, nur durch eine Umverteilung von Arbeit und eine radikale kollektive Arbeitszeitverkürzung aufgefangen werden. Wenn die Gewinne aus Wertschöpfung und Spekulation dafür verwendet würden, bei Arbeitszeitverkürzung zumindest für die unteren und mittleren Entgeltgruppen einen Lohnausgleich zu finanzieren, wäre ein großer Teil des Problems schon gelöst. Allein die drei großen deutschen Hersteller – VW, Daimler und BMW – haben 2017 etwa 30 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet, und Rücklagen in vielfacher Größe davon. Auch wenn der Gewinn geringer ausfällt, weil Produktion und Absatz reduziert werden, wäre noch genug Geld vorhanden.

Zur Arbeitsumverteilung gehören zwei weitere wichtige Aspekte: Die Umverteilung zwischen den Geschlechtern und die Umverteilung zwischen den volkswirtschaftlichen Sektoren. Ersteres ist schnell umsetzbar. Viele Frauen wünschen sich, der Teilzeitfalle zu entkommen und einen Rechtsanspruch auf Rückkehr zu einem Vollzeitarbeitsplatz bei womöglich einer kürzeren Normalarbeitszeit (kurze Vollzeit). Viele Männer würden gern weniger arbeiten und Erwerbslose wollen eine Chance auf faire Beteiligung an Erwerbsarbeit. Die Umverteilung zwischen den volkswirtschaftlichen Sektoren – weg von der Autoindustrie, hin zum Bildungs- und Gesundheitswesen – würde einige Jahre in Anspruch nehmen, weil berufliche Umorientierung und Qualifizierung erforderlich sind. Umso wichtiger ist es, sofort mit dem Umbau zu beginnen – je länger gewartet wird, desto schwieriger wird es. Finanzierbar ist das alles, nicht nur weil Deutschland zu den reichsten Ländern gehört, sondern weil die vielen Milliarden an Subventionen, die bisher direkt der Automobilindustrie zukamen bzw. in die Autoinfrastruktur gesteckt wurden, für den notwendigen Umbau verwendet werden könnten.

Keine Arbeitszeitverkürzung in den vergangenen 200 Jahren bis hin zur 35-Stunden-Woche hat die Betriebe in den Ruin getrieben. Der Wirtschaft ging es immer besser. Wenn der zu erwartende Produktivitätsschub durch die «vierte industrielle Revolution» und die Transformation der Autoindustrie für eine radikale Arbeitszeitverkürzung genutzt werden, werden wir Zeitwohlstand gewinnen. Denn unsere Zeit ist unser Leben, mit unseren Liebsten, mit Partner*innen, Kindern, Eltern und Freund*innen.

Literatur

IG-Metall-Vorstand (2014): Anforderungen der IG Metall an eine europäische Regulierung der CO2-Grenzwerte im Pkw-Bereich für die Zeit nach 2020, Frankfurt a. M.

Veröffentlicht in der Online-Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Materialien/Materialien28_Individuelle_Beduerfnisse.pdf

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