Bremsspuren der Autokonjunktur zu Lasten der Beschäftigten

Arbeiter im Osten degradiert? VW ordnet für Werk in Zwickau 15 Wochen Kurzarbeit an. Stammwerk in Wolfsburg wird verschont.

Auf das Jahr 2019 werfen viele Beschäftigte der Autoindustrie begründet einen sorgenvollen Blick. Die Verkäufe an private Käufer sind rückläufig. Zwei Drittel aller verkauften Pkw in Deutschland sind inzwischen Dienst- und Geschäftsfahrzeuge – überwiegend größere, schnellere und schwere Spritschlucker. Ein nicht geringer Teil der Zulassungen erfolgen für die Hersteller selbst: leicht geschönte Statistiken.

Aber die Ökonomie lässt sich nicht überlisten. Das Jahr begann mit Schließtagen oder Kurzarbeit bei Ford, Audi, Opel und Volkswagen – starke Zeichen für nicht ausgelastete Kapazitäten. Richtig dramatisch ist es schon in Brasilien und Russland. Dort will Ford jeweils eine Fabrik schließen, Honda hat die Schließung eines Werkes in England angekündigt. Bei Audi wird eine regelmäßige Nachtschicht gestrichen und VW hat am Montag gleich 15 Wochen Kurzarbeit in Zwickau angekündigt. Die Werksführung habe die Beschäftigten Mitte vergangener Woche darüber informiert. Wie viele Mitarbeiter betroffen sind und um welche Teile es geht, wollte der Konzern nicht sagen. Eine zweite Fertigungslinie für das Modell Golf sowie das Presswerk und die Karosseriefertigung für Bentley und Lamborghini laufen laut Unternehmen ohne Unterbrechung weiter. »Auch die Vorbereitung auf den Bau der neuen Elektrofahrzeuge bleibt davon unberührt und wird wie geplant fortgeführt«, teilte VW mit.

Begründet wurde der Schritt mit Lieferengpässen. Doch dies kann bezweifelt werden, zumal die Aussage bisher nicht spezifiziert und belegt wurde. Aber ohne diese Begründung gäbe es kein Kurzarbeitergeld von der Arbeitslosenversicherung.

Vielmehr dürfte es sich wohl um ein Geflecht von Ursachen dieser für einen beträchtlichen Zeitraum angekündigte Kurzarbeit handeln: Zum einen stagniert der Weltmarkt für Autos. Die Verkäufe in der mittleren Fahrzeugklasse (Golfklasse) sinken deutlich. Luxuswagen und große SUV verkaufen sich dagegen noch bestens. Nach dem schwachen Jahr 2018 begann das neue Jahr für Volkswagen mit einem Minus von 3,4 Prozent beim Absatz. Die Stagnation auf dem Weltmarkt trifft zudem auf wachsende Kapazitäten: In China und in den USA werden neue Fabriken gebaut, die hypermodern sind und ausgelastet werden sollen.

Auch politische Erwägungen kommen hinzu. In Zwickau wird, wie im VW-Stammwerk in Wolfsburg, das Modell Golf gebaut. Um die Fabrik in Niedersachsen auszulasten, wurden Fahrzeugkontingente von Zwickau nach Wolfsburg verlagert. Und, so sieht es wohl aus, für das gleiche Fahrzeug gibt es in Wolfsburg keine Lieferengpässe. Kurzarbeit in Wolfsburg, der Hauptstadt von Volkswagen, wäre doch ein ganz anderes dramatisches Sig­nal als Kurzarbeit in der ostdeutschen Provinz.

Für Zwickau, für die Menschen in der Region und die fast 8.000 Beschäftigten und ihre Familien steht viel auf dem Spiel. Sollte der Umbau zu einer Fabrik für Elektroautos nicht funktionieren, dann wäre diese Kurzarbeit nur das Vorspiel einer kommenden Katastrophe. Für die Aktionäre dagegen sieht das Jahr 2019 rosig aus. Die Dividende soll um 20 Prozent steigen, das Unternehmen will 2,5 Milliarden Euro Gewinn an die Anteilseigner ausschütten – die größten Summen an den Porsche-Piëch-Clan und die Scheichs in Katar.

junge welt, 26.2.2019

https://www.jungewelt.de/artikel/349922.autoindustrie-arbeiter-im-osten-degradiert.html

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