Volkswagen: Transformation zur Profitsteigerung?

Bei Volkswagen soll die Produktivität im Stammwerk Wolfsburg im Zeitraum von 2016 bis 2020 um jährlich fünf Prozent erhöht werden. Durch vielfältige Maßnahmen sollen so 186 Millionen Euro eingespart werden, wie ein Unternehmenssprecher am 14. Februar mitteilte. Das müsste jetzt im Endspurt umgesetzt werden, denn die zurückliegenden drei Jahre haben wegen Abgasbetrug und Lieferunfähigkeit eher das Gegenteil bewirkt.

Effizienz oder Produktivität bedeuten, mit gleicher Beschäftigtenzahl mehr zu produzieren oder, anders herum, die gleiche Produktion mit weniger Beschäftigten zu erzielen. Die Rate von fünf Prozent Produktivitätssteigerung pro Jahr soll für alle Werke der Marke Volkswagen bis 2025 fortgesetzt werden – was dann in der Dekade von 2016 bis 2025 eine Produktivitätssteigerung von 50 Prozent bedeuten würde. Entweder, der Absatz kann entsprechend ausgeweitet werden oder Personal wird in entsprechendem Umfang abgebaut: hunderttausende Autos mehr bauen oder zehntausende Beschäftigte weniger in den Fabriken. Wenn es nicht ganz böse für die Beschäftigten kommt, wird es etwas von beidem sein wird: Absatzerhöhung in den Segmenten SUV und Elektroautos, Personalabbau in den ausländischen und all jenen Fabriken, in denen das mittlere Segment produziert wird. Diese Vision führt im Betrieb – trotz des mit der Gewerkschaft vereinbarten Ausschlusses von betriebsbedingten Kündigungen bis teilweise 2028 – zu Unsicherheit und Angst. Was ist, wenn es schlimmer kommt? Aus verschiedenen Abteilungen wird berichtet, dass die Kolleginnen und Kollegen zu Gesprächen geladen werden, in denen sie für zukünftige Entscheidungen bereits jetzt um Verständnis gebeten werden „und dann nicht gleich zum Betriebsrat oder zur Gewerkschaft rennen sollen.“

Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen am Automarkt und ein Blick in die Autofabrik selbst hilft bei der Einordnung der Vorgänge:

Automarkt:

Nach Jahren der Stagnation bzw. des nur leichten Wachstums gibt es jetzt einen spürbaren Einbruch bei den Verkaufszahlen. Das führt zu einem teuren Krieg um Marktanteile. Im Zusammenhang mit einigen Dieselfahrverboten hat eine Zeitschrift jüngst diese Kriegsrhetorik aufgemacht: „Die erste Stadt fällt!“ (Focus, 13.2.2019). Das Kraftfahrtbundesamt meldet für 2018 einen Rückgang der Neuzulassungen um 0,2 Prozent und teilt mit: „Im Jahr 2018 wurden 63,6 Prozent der Neuwagen gewerblich und 36,4 Prozent privat zugelassen.“  Zuwächse auf dem deutschen Markt gibt es nur bei Smart (+11,9%) und Mini (+8,1%), starke Rückgänge bei Audi (-9,9%) und Opel (-6,5%). Diese Entwicklung setzt sich in den ersten Wochen des Jahres 2019 mit minus 1,4 Prozent für den Gesamtmarkt fort, bei VW weltweit – 3,4%, in Westeuropa – 4,8%, in den USA – 8,6% und im deutschen „Heimatmarkt“ gar um – 9,2%. Wie anfällig das Unternehmen ist wird daran deutlich, dass inzwischen über 40 Prozent des Absatzes in China erfolgen.

Beschäftigung:

Das neue Jahr 2019 begann mit Kurzarbeit und Produktionseinschränkungen für die Beschäftigten bei VW, bei Ford und bei Opel; die ersten zwei Wochen liefen fast nirgendwo die Fließbänder, die Freizeitkonten sind leergefegt, bevor das Jahr begonnen hat. Fast 1.000 Leiharbeiter wurden bei VW entlassen, über 500 Leiharbeitern wurde angeboten, in weit entfernten Standorten zu arbeiten. Auch bei Daimler wurde 800 Leiharbeitern gekündigt bzw. diese werden nicht weiter beschäftigt. Ein wesentlicher Beitrag zum „sozialverträglichen“ Personalabbau ist der Nichtersatz der natürlichen Fluktuation – allein in den sechs VW-Werken in Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Hannover und Emden sind das fast 1.000 Beschäftigte pro Jahr.

Erreicht werden sollen Effizienzsteigerung und Kostensenkung unter anderem durch schlankere und automatisierte Prozesse und weniger Arbeitsschritte. Die Automatisierung und so auch die Produktivität in den direkten Bereichen Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei und Montagen sind schon sehr weitgehend, die Belastung der Beschäftigten ist außerordentlich hoch. Hier sind kaum weitere Produktivitätsreserven zu erschließen – und wenn, dann nur massiv zu Lasten der Gesundheit der Beschäftigten. Wo sollen dann die Produktivitätssprünge herkommen? Im nächsten Schritt wird absehbar die Beschäftigung in den indirekten Bereichen reduziert werden,  vom Meister in der Fertigung über die Arbeitsvorbereitung und die Servicebereiche bis hin zur Personalabteilung: Arbeitsverdichtung und Outsourcing machen vor den Beschäftigten im Büro nicht halt. Der geplante Abbau der Belegschaften in den Werken Emden und Hannover im Zuge der Umstellung auf Elektrofahrzeuge ist in diese Personalentwicklung schon mit eingerechnet. Den Herausforderungen von Personalüberhängen durch Produktivitätssteigerungen einerseits und sinkende Absatzzahlen andererseits kann die Gewerkschaft nicht ausweichen. Es bedarf einer gesamtgesellschaftlichen Strategie für die Branche, bei deren Ausarbeitung neben den Gewerkschaften die Regierungen beteiligt werden müssen ebenso wie Umwelt- und Verkehrsverbände.

Auszugsweise auch hier: https://www.jungewelt.de/artikel/349325.autoindustrie-peitsche-knallt-in-wolfsburg.html

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