Einheitsgewerkschaft oder Gewerkschaftspluralismus?

Eine permanente Aufgabe!

Vor ein paar Tagen habe ich eine nicht repräsentative Umfrage gemacht auf Basis einer „rhetorischen Fragestellung“: „Es gehört sich einfach, in der Gewerkschaft zu sein! Oder wie?“

Mehrere Gründ für diese Aktion und unterschiedliche Antworten:

  • Es mehren sich Stimmen, die gegenüber den DGB-Gewerkschaften von „Monopolgewerkschaften“ sprechen; von den Arbeitgebern und deren verschiedenen politischehn Lautsprechern ist man das gewohnt, von sich links nennenden Menschen eher nicht.
  • Es mehren sich Stimmen für einen „Gewerkschaftspluralismus“ nach dem Motto „Konkurrenz belebt das Geschäft“. Das negiert elementar die bitteren Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung zu Beginn der 1930er Jahre, als es aufgrund der parteipolitischen Zersplitterung der Gewerkschaften nicht gelang, den Faschismus aufzuhalten.
  • In den ostdeutschen Bundesländern ist der gewerkschaftliche Organsiationsgrad relativ geringer als im Westen. Es wird der Zusammenhang von gewerkschaftlicher Organisation und Tarifvertrag nicht gesehen.

Auf die rhetorische Frage gab es sehr unterschiedliche Antworten:

  • Nur einfach in der Gewerkschaft zu sein, ist zu wenig! Wenn man sich dann auch aktiv für unsere Rechte und Anliegen einsetzt, wird ein Schuh draus!“
  • „Was für eine rethorische Frage!“
  • „Viele im Betrieb nennen es Schutzgeld zahlen… So viel dazu“
  • Ich war 40 Jahre in der Gewerkschaft, habe weder Informationen meiner Gewerkschaft, noch sonstiges Interesse bekommen. Habe daher meine Mitgliedschaft beendet, denn ich kann auch die Interessen der Beschäftigten unterstützen, ohne Mitglied zu sein.“
  • „Bei mir waren es nur 20 Jahre, aber gleiche Erfahrung.“
  • „Es ist leider nicht mehr selbstverständlich, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, leider. Ich halte es für wichtig, dass in den Gewerkschaften darüber diskutiert wird, was zu tun und was zu ändern ist, damit es wieder zu einer Selbstverständlichkeit wird.“
  • „Und vor allem auch Nichtmitglieder in Notsituationen beizustehen. Mobbing, Leih- und Zeitarbeit so ausmerzen.“
  • „Gewerkschaften betreiben leih und zeitarbeitsfirmen“
  • Habe zum 01.04. meine Mitgliedschaft gekündigt – es reicht.
  • „Als sich meine Tochter auf Grund von Mobbing Hilfe suchend an die Gewerkschaft gewendet hat, wurde sie als Nichtgewerkschafterin abgewiesen. Wenn man so vorgeht, braucht man sich nicht über fehlende Mitglieder beschweren.“
  • „Die Satzung einer Gewerkschaft bezieht sich immer auf die Mitglieder, ebenso die von einer Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifverträge.“

Meine kurze Antwort darauf: An Gewerkschaften ist viel zu kritisieren und viel zu verbessern – ohne Frage. Aber erstens muss die Debatte ehrlich und mit Fakten geführt werden und zweitens sollte klar sein, das Gewerkschaften für einen gesellschaftlichen Wandel unverzichtbar sind.

Die Behauptung, Gewerkschaften würden selber Leih- und Zeitarbeitsfirmen betreiben, wurde übrigens nicht belegt. Eine längere Antwort auf diese (rhetorsiche) Frage gaben schon viele Menschen, die sich mit „Solidarität“ im weiteren Sinne beschäftigt haben. Während Hans Böckler und Willi Bleicher uns aufriefen, die Gewerkschaftseinheit zu hüten wie unseren Aufapfel, so nannte Franz Steinkühler die Gewerkschaften als „das Stärkste, was die Schwachen haben“. Die Arbeitgeber leisten sich diesebezüglich übrigen keinen „Pluralismus“, es gibt immer nur einen Bundesverband der Industrie (BDI), einen Bundesverband der Arbeitgeberverbäne (BDA) nebst den Branchenverbänden. Und wir, bzw. einige von uns predigen den „Gewerkschaftspluralismus“?!

In der „junge welt“ im Mai 2015 habe ich dazu einen Artikel veröffentlicht:

„Wozu noch Gewerkschaften?“, fragte Oskar Negt vor 10 Jahren in einem kleinen Büchlein, dass in den letzten Monaten an Aktualität gewonnen hat. Der Streit zwischen der Gewerkschaft der Lokführer (GDL im Beamtenbund) und der Eisenbahnverkehrsgwerkschaft (EVG im DGB) verweist auf die Aktualität, der Streit zwischen Gewerkschaften um Zustimmung oder Ablehnung des „Tarifeinheitsgesetzes“ wie der Streit bzw. das „Kooperationsabkommen“ zwischen IG Metall, Eisenbahnverkehrsgewerkschaft, IGBCE und IG Bau einerseits und verdi, NGG und GEW andererseits. Zwar haben ver.di und GEW gemeinsam für die Angestellten der Länder verhandelt, der Abschluss erfolgte jedoch ohne Einbeziehung der angestellten Lehrrinnen und Lehrer und gegen das Votum der GEW. So sieht es gerade aus: Mehr Streit zwischen den Gewerkschaften in Deutschland als zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern.

Andererseits so viele Streiks in Deutschland wie selten zuvor: Lokführer, Kindererzieherinnen, Postangestellte, Piloten, Fahrerinnen von Bus und Bahn, Streiks bei Amazon und in vielen anderen Betrieben. Mit über 350.000 Streiktagen sind bis Mai 2015 bereits doppelt so viele Tage gestreikt worden wie im gesamten Vorjahr. Insbesondere der Streik der GDL und deren Beharren auf das Grundrecht, den Abschluss von Tarifverträgen zu erkämpfen, führt zu lauten Rufen nach gesetzlichen Einschränkungen des Streikrechtes und nach Zwangsschlichtung. Jetzt wird im ganzen Land und eben auch im Bundestag über das sogenannte „Tarifeinheitsgesetz“ diskutiert: Die große Koalition von CDUSPDCSU will es durchsetzen, der DGB, die IG Metall und die IGBCE sprechen sich dafür aus, die Opposition aus Linken und Grünen, verdi und die Sparten- bzw. Berufsgewerkschaften sind entschieden dagegen. Dieses geplante Gesetz spaltet die Gewerkschaften in der zentralen Frage des Streikrechtes. Sehr schnell wird es dann vor dem Bundesverfassungsgericht landen und dort wahrscheinlich für verfassungswidrig erklärt werden: Das Streikrecht ist ein Kernelement demokratischer Gesellschaften!

Hütet die Einheitsgewerkschaft wie euren Augapfel!

Von der Gründer-Generation der Gewerkschaften in den Westzonen nach 1945, von Hans Böckler, Otto Brenner, Willi Bleicher, Loni Mahlein und einigen anderen wissen wir um ihr Bemühen um die Einheitsgewerkschaft als Konsequenz aus der Nazi-Diktatur, als Konsequenz aus der Unfähigkeit der in Richtungs- und Berufsgewerkschaften gespaltenen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, den Faschismus aufzuhalten: die Einheit, der gemeinsame Kampf von sozialdemokratischen, kommunistischen und christlichen Arbeiterinnen und Arbeitern in einer gemeinsamen und parteiunabhängigen Gewerkschaft für ihre sozialen, kulturellen und politischen Rechte! Das Ziel „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ wurde zur Maxime gewerkschaftlicher Organisationspolitik. Dabei war tarifpolitisch vorausgesetzt, dass in diesem Betrieb ein Tarifvertrag für alle Beschäftigten gilt.

Die Bestrebungen für einen tatsächlich einheitlichen Gewerkschaftsbund wurden in den Westzonen mit der Auflage der Alliierten unterbunden, Branchengewerkschaften zu bilden. Aus diesen westdeutschen Branchengewerkschaft, die, sozialdemokratisch dominiert, statuarisch jedoch Einheitsgewerkschaften, wurde im Oktober 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund als von vornherein schwache „Vereinigung von Gewerkschaften“, also ohne individuelle Mitgliedschaften gegründet. Relativ starken Einzelgewerkschaften wie der IG Metall mit 2,4 Millionen Mitgliedern, ver.di mit gut 2 Millionen Mitgliedern, der IGBCE mit fast 700.000 Mitgliedern steht der Deutsche Gewerkschaftsbund mit acht Mitgliedsgewerkschaften gegenüber. Der DGB hat kein Mandat für die Betriebs- und Tarifpolitik, ebenso wenig für die Branchenpolitik. Die entscheidenden tariflichen und politischen Vereinbarungen werden von den Einzelgewerkschaften getroffen, nicht einmal die allgemeine Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bleibt ein exklusives Feld des DGB.

Der FDGB der DDR war ein Verband mit über 9 Millionen Mitgliedern und sechzehn Branchenverbänden. Im offiziell vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit befreiten Sozialismus konnte der FDGB keine wirkliche Gewerkschaft sein, mit dem „Volkseigentum“ an den Produktionsmitteln und einer zentralen Planung und Leitung der Betriebe fand der FDGB keine Interessen der Beschäftigten, die gegen nicht vorhandene private Unternehmer durchzusetzen wären. Dem FDGB war der Klassengegner abhanden gekommen und alle damit einhergehenden Erfahrungen. Der Niedergang gewerkschaftlichen Bewusstseins nach dem Anschluss der DDR ist bis heute im geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und in der geringen Aktionsfähigkeit der Gewerkschaften in den ostdeutschen Bundesländern traurige Realität.

In der alten BRD hingegen waren die „wilden Streiks“ in den Jahren 1969/70 eine deutliche Kritik an der sozialpartnerschaftlichen Politik der Gewerkschaften, die sich oft nur noch als „Ordnungsmacht“ in den sozialen Auseinandersetzungen verstanden haben. Betriebliche Abwesenheitszeiten (Absentismus) von bis zu dreißig Prozent unter den Bedingungen von annähernder Vollbeschäftigung waren Ausdruck des Anspruches der Arbeiterinnen und Arbeiter auf betriebliche Mitverstimmung und gesellschaftliche Beteiligung.

Gewerkschaften, hier vor allem die IG Metall, reagierten durch Gegenmacht-Projekte wie die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche oder das Praxis-Programm „Humanisierung der Arbeit“: der gesamt-gesellschaftliche Anspruch wurde neu entwickelt. Internationale Tagungen wurden durchgeführt (Aufgabe Zukunft, 11.-14.4.1972 in Oberhausen) und gesellschaftspolitische Programme im Bündnis mit z.B. Umweltverbänden erarbeitet (Auto, Umwelt und Verkehr, Köln 1992).

Die neoliberale Wende

Im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts setzte – in Deutschland markiert u.a. durch die Übernahme der Regierung durch Helmut Kohl und die CDU – die globale neoliberale Offensive ein. Die Auflösung der Sowjetunion und die Liquidierung der DDR waren scharfe historische Zäsuren. Andere tiefgreifende Veränderungen gingen eher schleichend von statten.

Die Schwächung der Gewerkschaften, „des Stärksten, was die Schwachen haben“ (Steinkühler), war und ist ein vorrangiges Ziel neoliberaler Politik. In Großbritannien wurde dieses Ziel mit Polizeigewalt und Deindustrialisierung von Margret Thatcher und den Konservativen mit verheerenden Folgen für die arbeitende Bevölkerung, für die Sozialstruktur und die Infrastruktur durchgepeitscht.

Auf dem europäischen Kontinent mit anderen sozialstaatlichen und kulturellen Traditionen war das in gleicher Art und Weise nicht möglich. Erste Versuche wie z.B. die Einführung von „Karenztagen“ bei Krankschreibungen, das Aussetzen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die ersten 3 Tage einer Krankschreibung, scheiterten noch am kollektiven Widerstand. Die nächsten Ansätze wie z.B. die Verhinderung wirksamer Schwerpunktstreiks durch die Änderung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz (heute § 160 SGB III), der Nichtzahlung von Arbeitslosengeld für von „kalter Aussperrung“ Betroffener, war dann schon erfolgreich. Trotz gegenteiliger Zusagen wurde diese einschneidende Änderung des Arbeitsrechtes durch nachfolgende SPD-Regierungen nicht wieder rückgängig gemacht.

Ein wesentlicher Teil der neoliberalen Wende waren jedoch die Veränderungen im Produktionssystem, begünstigt durch das angedeutete Roll-back in der Sozialpolitik, durch Deregulierung, so genannte Liberalisierung und umfangreiche Privatisierungen staatlicher, teils hoheitlicher Aufgaben, von öffentlichen Unternehmen und der Daseinsvorsorge (Bahn, Post, Telekommunikation, Bildung, Gesundheit etc.pp.) sowie fast aller volkseigenen, staatlichen und genossenschaftlichen Unternehmen in der ehemaligen DDR. Die meisten dieser Entwicklungen konnten und können durch betriebliche Gegenwehr allein nicht verhindert werden – es hätte gewerkschaftlicher Strategien über Betriebs- und Branchengrenzen hinweg bedurft. Diese blieben jedoch aus – bereits ein Ergebnis gewerkschaftlicher Schwäche und Konzeptionslosigkeit.

Wichtige Elemente des neuen Produktionssystems und permanenter betrieblicher Rekonstruktionen sind:

  • Größere Unternehmen und Konzerne werden in viele kleinere Betriebe als selbständige Einheiten aufgespalten – die Belegschaften verkleinert und die Stärke der Gewerkschaften minimiert. Eines der fürchterlichsten Beispiele in diesem Zusammenhang sind die Stahlwerke Salzgitter AG, die unter den Mitbestimmungsmöglichkeiten der Montanindustrie in 100 einzelne Unternehmen mit jeweils eigenen Betriebsräten und Aufsichtsräten filetiert wurde. Genau damit sind die „Arbeitnehmervertreter“ geködert worden, dieser Zerschlagung einer gewerkschaftlichen Hochburg zuzustimmen.
  • Bisherige Kernaufgaben von Produktion werden ausgelagert in fremde oder eigene Betriebe der Zulieferindustrie und es wird eine strikte Trennung von „Wertschöpfung“ und von „Dienstleistung“ für diese „Wertschöpfung“ vorgenommen. Ziel ist es dabei wiederum, die Beschäftigten in verschiedene Funktionsgruppen zu spalten, jeden einzelnen Arbeitsschritt der Konkurrenz auszusetzen und die Beschäftigten mit eben dieser Konkurrenz und dem „freien Markt“ zu bedrohen. Beispielhaft seien hier Vormontagen und Materialbereitstellung im Produktionsprozess benannt.
  • Schließlich ist hier die „Selbststeuerung“ kleiner Beschäftigtengruppen zu nennen – beschönigend als „Wiederentdeckung des freien Willens“ beschrieben. Tatsächlich geht es um subtile Methoden, um durch „eigene“ Gedanken, Gefühle und Handlungen der Beschäftigten die Marktmechanismen von Konkurrenz und Optimierung in der kleinsten Einheit im Betrieb wirksam werden zu lassen. Arbeiten für den Maximalprofit bis zur Erschöpfung ist das Ergebnis dieser Unternehmensstrategie – entsprechend wenig ist von „menschengerechter Arbeit“ zu spüren, entsprechend hoch sind die krankheitsbedingten Ausfälle, heute überwiegend psychische Erkrankungen.

Im Ergebnis dieser neoliberalen Wende wurden die Löhne und Einkommen aus unselbständiger Arbeit drastisch reduziert – von 75% am Volkseinkommen auf 65 %. Die Arbeitsbedingungen haben sich rapide verschlechtert, die Arbeitszeit wurde intensiv und extensiv erweitert, prekäre Arbeit ohne auskömmliches Einkommen hat die bisherige Normalarbeit (Vollzeit mit gutem, auskömmlichem Lohn) fast schon verdrängt. Und – das wichtigste in unserem Zusammenhang: Die Gewerkschaften wurden tarifpolitisch und organisatorisch entscheidend geschwächt; ganz schuldlos sind sie an dieser Entwicklung jedoch nicht. Die Orientierung auf betriebliche Tarifpolitik statt zumindest branchenbezogener Tarifpolitik und Zugeständnisse an die „Wettbewerbsfähigkeit“, die Anerkennung des Unternehmenszieles nach maximalem Profit haben zu dieser Schwächung der Gewerkschaften beigetragen. In ihrer Funktion als Gegenmacht sind sie fast vollständig neutralisiert. Gelegentlich ist von interessierter Seite vom Bedeutungsverlust der Gewerkschaften die Rede, wo doch eigentlich das Gegenteil der Fall ist: Nie waren starke, einheitlich handelnde Gewerkschaften so wichtig wie heute. Dazu gehört jedoch, den Zusammenhang von Gesellschaftspolitik und von Betriebspolitik zu verstehen und anzuwenden. Dazu gehört, die Wechselbeziehung besonderer Interessen und allgemeiner Interessen in gewerkschaftliche Betriebspolitik umzusetzen. Dazu gehört, Differenzen in den Belegschaften anzuerkennen und daraus eine alle einschließende inklusive Solidarität zu entwickeln, bei aller Differenziertheit die gemeinsamen Interessen zu erkennen und als solche zu vermitteln. Auch der obszöne Reichtum in diesem Land mit seinem Gegenpol, der zunehmenden Armut, ist viel zu selten Gegenstand gewerkschaftlicher Kritik und Ausgangspunkt gewerkschaftlicher Forderungen. Schreiende Armut in unserem Land wird hingenommen und zum privaten Problem der ärmeren Menschen, überwiegend Frauen, Kinder und Ältere, erklärt. Große Aufgaben also für gewerkschaftliche und linke politische Bildungsarbeit, um die Bedeutung und die Erfahrungen der Einheitsgewerkschaft immer wieder zu erarbeiten.

Welche Schlüsse ziehen Gewerkschaften und die Regierenden aus diesen Entwicklungen?

Kooperation statt Konkurrenz?
Die Regierenden von CDU und SPD erhöhen den Druck auf die Gewerkschaften. Das abstoßendste Beispiel dafür ist die Hetze gegen die GDL und ihren Vorsitzenden, gegen den Streik der Lokführer. Ohne wirkliche Not und sehr kurzsichtig beteiligen sich daran auch Gewerkschafter aus den Reihen des DGB, der IG Metall, der EVG und von ver.di. Mit der Erklärung, die Sparten- oder Berufsgewerkschaften störten den (Betriebs)Frieden im Land, sie wollten egoistische Ziele durchsetzen, soll heute im Bundestag per Gesetz (Gesetz zur Tarifeinheit) das Streikrecht ausgehebelt werden. Zurückzuführen ist dieses Gesetz auf den dringenden Wunsch der Arbeitgeberverbände. Es gibt das böse Gerücht, dass der „Deal“ darin bestand, dass die Arbeitgeber dem Mindestlohn zustimmen, wenn die Gewerkschaften dem Tarifeinheitsgesetz zustimmen.

Die Gewerkschaften bemühen sich um eine Stärkung ihrer Organisationsmacht und Konsolidierung der betrieblichen Arbeit auch in neuen Branchen. Auch für diesen Zweck haben sich die ehemals achtzehn Mitgliedsgewerkschaften des DGB in einem längeren Prozess zu acht Gewerkschaften zusammengeschlossen: Zur IG Metall kamen die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) sowie die IG Textil; zur IG BCE schlossen sich die IG Chemie, die IG Bergbau und die Gewerkschaft Leder zusammen; Ver.di entstand aus dem Zusammenschluss der Gewerkschaft Handel-Banken-Versicherungen (ÖTV), der Gewerkschaft Handel-Banken-Versicherungen (HBV), der Deutschen Postgewerkschaft, der IG Druck und Papier bzw. IG Medien und der bis dahin nicht dem DGB zugehörigen Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG); in der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sind die IG Bau-Steine-Erden (IG BSE) und die Gewerkschaft Gartenbau, Land -und Forstwirtschaft (GGLF) vereint; übrig geblieben sind die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG, vormals GdED bzw. Transnet) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Zu diesen DGB-Gewerkschaften kommen eine Reihe älterer oder jüngerer Sparten- bzw. Berufsgewerkschaften wie die GDL, die Pilotengewerkschaft Cockpit, UFO und der Marburger Bund. Die Suche nach wirksamen, effektiven und stärkenden Formen von Gewerkschaftsorganisation und gewerkschaftlicher Praxis ist nicht beendet, sondern bekommt gerade eine neue Drehung. Auf europäischer und globaler Ebene haben sich eine Reihe von unterschiedlichen Gewerkschaften bereits vor drei Jahren zu IndustrieAll Europe bzw. Global Union zusammengeschlossen. In Deutschland haben im April diesen Jahres die IG Metall, die IG BCE, die IG BAU sowie die EVG eine Kooperation verkündet. Die globale Konkurrenz, so die Ankündigung, erfordere „andere Arbeitsweisen und Kooperationen der Gewerkschaften in Deutschland, Europa und weltweit.“ „Durch eine Abstimmung zwischen den vier Gewerkschaften wollen wir mögliche Konkurrenz und Divergenz zwischen uns bereits im Vorfeld verhindern“, erklärte dazu IG Metall Vorsitzender Wetzel, grundsätzlich gelte aber das Prinzip „ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag“. Ein weiterer Begründungszusammenhang sind die beschriebenen Veränderungen im Produktionssystem und die damit einhergehenden strukturellen Veränderungen in der „Wertschöpfungskette“, in den Lieferbeziehungen und in der sozialen Zusammensetzung der Belegschaften. So begrüßenswert und notwendig solidarische gewerkschaftliche Strategiebildung ist, aus dieser wie aus der europäischen und globalen Kooperation ergeben sich jedoch eine Reihe von Fragen, von denen einige hier benannt werden:

  • Ist das der Beginn einer organisatorischen Verschmelzung der Gewerkschaften?
  • Warum sind industrienahe Dienstleistungen und die Logistik in diese Kooperation einbezogen, nicht aber Ver.di als großer gewerkschaftlicher Akteur in diesen Bereichen.
  • Was wird aus dem DGB, dem EGB und dem IBG, wenn wenige Multi-Branchengewerkschaften über ein vielfaches an Ressourcen verfügen als die „Vereinigung von Gewerkschaften“ auf nationaler und internationaler Ebene?
  • Wo beginnen und wo enden die Wertschöpfungsketten? In der global vernetzten Ökonomie, in der globalen Arbeitsteilung sind Rohstoffgewinnung und Billiglohnproduktion nicht von der Produktion und Konsumtion hochwertiger Güter zu trennen.
  • Ist also auch eine eine gemeinsame Tarifpolitik entlang dieser Wertschöpfungsketten gedacht mit dem Ziel „Eine Wertschöpfungskette – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“? Die Gewerkschaften müssten dann schon mal beginnen mit dem Kampf um einheitliche Entlohnung von allen, die gleichwertige Tätigkeit machen als Stammbeschäftigte, als Leihbeschäftigte oder als Werkvertragsbeschäftigte.
  • Die IG Metall hat gerade ein „Bündnis für Industrie“ aufgelegt, ist an der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ beteiligt, hebt ein „Netzwerk zur Förderung der Automobilbranche“ aus der Taufe. Das lässt befürchten, dass es mehr um konzern- und branchenbezogene Wertschöpfungsketten als um gesamtgesellschaftliche Strategien geht.

Das das Kapital und die Regierenden darum bemüht sind, Solidarität zu verhindern und zerstören, ist nicht überraschend. Gewerkschaftseinheit und Tarifeinheit sind in der ganzen Geschichte der Arbeiterinnenbewegung keine Selbstverständlichkeit, sie wurden sehr schwer und unter großen Opfern erkämpft und bleiben eine ständige Aufgabe. Die Einheit des Handelns der abhängig Beschäftigten und ihrer gewerkschaftlichen Organstationen, das gemeinsame Handeln der von den großen Konzernen abhängigen Menschen für ihre gemeinsamen Interessen muss immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden wie jeder andere soziale oder politische Fortschritt. Mit der Globalisierung der Ökonomie, mit der internationalen Arbeitsteilung ist diese Aufgabe größer geworden als je zuvor. In gleichem Maße wachsen aber auch die Möglichkeiten, denn die Verbindung der arbeitenden Menschen durch die von den Unternehmen geschaffenen Wertschöpfungsketten wachsen gleichermaßen.

https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/was-haben-die-gewerkschaften-je-fuer-uns-getan/

https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/261391.ein-betrieb-eine-gewerkschaft.html?sstr=krull%7Ceinheitsgewerkschaft

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert