Am 17. November 2017 erklärte VW-Personalvorstand Karl-Heinz Blessing für die Aktionäre folgendes: „Ein Kernelement des Zukunftspakts ist die personelle Transformation. Hier sind wir sehr gut unterwegs. Wir erreichen das Altersteilzeit-Ziel für 2020 von insgesamt 9.200 unterschriebenen Verträgen bereits Ende 2017, wir setzen die Stellenreduktion in nicht zukunftsfesten Aufgaben fort und wir fahren die Leiharbeit zurück.“
Im November letzten Jahres hat der Aufsichtsrat von VW Investitionen beschlossen, mit denen der Konzern und die Produktion an den deutschen Standorten neu ausgerichtet wird. Erpresserische Vorausetzung dafür war die Unterschrift des Betriebsrats unter einen «Zukunftspakt», mit dem bereits 2017 fast 2 Milliarden Euro eingespart wurden, ab 2020 sollen es jährlich 3,7 Milliarden Euro Einsparungen sein.
Der «Zukunftspakt» ist also eigentlich ein weiteres Sparpaket, nachdem schon 2006 die Arbeitszeit ohne Vergütung von 30 auf 34 Stunden in der Woche erhöht worden war.¹ Bis 2020 will VW die Kosten um 3,7 Milliarden Euro pro Jahr senken, dazu sollen, neben der Reduzierung der Ausbildungsplätze, u.a. 32000 Stellen in der Stammbelegschaft gestrichen werden – genau die Zahl, die ein nach dem Abgasbetrug bei VW eingestiegener Hedgefonds im Frühjahr 2016 genannt hatte.
Unmittelbar betroffen sind die Leiharbeiter (6000 in Deutschland, 57000 weltweit), Tausende von ihnen werden schon nicht weiter beschäftigt. Darüber hinaus trifft es die Beschäftigten in Zulieferbetrieben, die von Volkswagen keine Aufträge mehr bekommen. Für die Stammbelegschaft wurde die Verlängerung des Ausschlusses betriebsbedingter Kündigungen bis 2025 vereinbart.
Der Hauptaktionär Porsche SE geht aufgrund der Erwartungen des Volkswagen-Konzerns für das Geschäftsjahr 2016 von einer Dividendenausschüttung bis zu 2,4 Milliarden Euro aus.
Im Herbst 2015 prangte am Kraftwerk in Wolfsburg ein 50 Meter großes, weithin sichtbares Transparent mit der ehrlichen Botschaft an die Beschäftigten: «Vor allem brauchen wir: Euch.» Belegschaft, Betriebsrat (BR) und IG Metall hatten verstanden und verteilten in alter Betriebsgemeinschaftstradition 10000 T-Shirts mit dem Symbol von IG Metall und VW und dem Aufdruck «Ein Team – eine Familie».²
Von Beginn der Krise an haben die Eigentümer, der Porsche-Piëch-Clan und der Terrorstaat Qatar, sowie das Management diese genutzt, um lang gehegte Träume von Personalabbau, Kostensenkung, Produktivitätssteigerung, Arbeitsverdichtung und Profitmaximierung durchzusetzen: Volkswagen brauche Veränderungen bei den Strukturen, bei den Entscheidungsprozessen und in der Zusammenarbeit.
Im April 2016 formulierten die Betriebsratsvorsitzenden der VW-Standorte in einem Brief an die Beschäftigten ihren Eindruck, «dass der Diesel-Skandal dazu genutzt werden soll, personelle Einschnitte vorzunehmen, die bis vor wenigen Monaten kein Thema waren». Sie sahen ein «Vertrauensproblem zwischen dem Vorstand und dem Betriebsrat» und forderten für alle deutschen Volkswagenwerke «feste Produkt-, Stückzahl- und Investitionszusagen für die nächsten Jahre».
Nun also «Together 2025» mit dem Ziel, die Gewinne u.a. durch einen 25%igen Stellenabbau im Inland zu verdoppeln – weitestgehend durch den Nichtersatz von Fluktuation im Zusammenhang mit Vorruhestandsregelungen bei gleichzeitiger Orientierung auf unsichere Zukunftspläne: Elektromobilität vielleicht in fünf Jahren, Verkauf größerer Autos mit Verbrennungsmotor (SUVs), autonomes Fahren und neue Mobilitätsdienstleistungen. Als wären diese Pläne Ideen und Erfindungen von Volkswagen, als hätte der Betriebsrat nicht schon vor Jahren den Bau einer Batteriefabrik gefordert, als wäre nicht allgemein bekannt, dass der Bau von Elektroautos bei gleicher Fertigungstiefe nur etwas mehr als die Hälfte an Personal erfordert, als wäre es nicht mehr als fraglich, dass der Absatz an Autos weltweit so fröhlich weiterwächst wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten.
MOIA – der neue Kern von VW
Die Kritik an den Elektroautos ist bekannt: hoher Ressourcenverbrauch, keine Veränderung gegenüber dem bisherigen Mobilitätsparadigma, Vernachlässigung infrastrukturarmer ländlicher Regionen und der ärmeren Bevölkerung, von Kindern und älteren Menschen. Wenn an die Größe und Reichweite von batteriegetriebenen Autos die gleichen Anforderungen wie an herkömmliche Autos gestellt werden, dann führt das in eine Sackgasse. Die Herausforderungen der Zukunft sind kleine Fahrzeuge mit begrenzter Geschwindigkeit und Reichweite für die Stadt, in Kombination mit einem Angebot für ein anderes Fahrzeug für seltene Überlandfahrten und einem massiven Ausbau der Schienen- und Bus-Infrastruktur in Stadt und Land. Volkswagen und anderen Automobilherstellern passt das jedoch nicht in ihre Profitpläne.
Kritisch zu betrachten sind die Projekte «autonomes Fahren» und «neue Mobilitätsdienstleistungen», weil sie in der geplanten Form teils unnütze, teils unglaublich teure Eingriffe in die Struktur unserer Städte bedeuten. Für solche Mobilitätsdienstleistungen hat VW jetzt «Partnerschaften» mit Hamburg, Dresden und Wolfsburg vereinbart und MOIA als neues Unternehmen unter dem Dach des Konzerns gegründet. Weder die Hamburger Bürgerschaft noch die gewählten kommunalen Vertretungen in Dresden und Wolfsburg sind an diesen «Partnerschaften» beteiligt, das macht sie von Anfang an zu undemokratischen, nur an Konzernprofiten orientierten Projekten der kapitalistischen Landnahme: Die Stadt als Beute auch der Autokonzerne.
MOIA bildet zusammen mit der 270-Millionen-Beteiligung am israelischen Uber-Konkurrenten GETT ein konzernübergreifendes, unabhängiges Unternehmen mit bis zu 200 Beschäftigten und Sitz in Berlin. Die wichtigsten Köpfe dieses Projekts wurden von Daimler abgeworben und zählen schon zu den Neueinstellungen, die Volkswagen angekündigt hat. Das Ziel ist, «Mobilität neu (zu) definieren, eine mutige Vision und ein klarer Plan zur Gestaltung der Mobilität von morgen in urbanen Räumen», so MOIA-Chef Ole Harms. Damit soll das neue Unternehmen einen großen Teil von Umsatz und Profit für Volkswagen schaffen und «die Mobilität in der Stadt (!) umweltschonender, sicherer und effizienter gestalten».
Im Wolfsburger «Memorandum of Understanding» wird die Kooperation u.a. so beschrieben: «Verwaltungsprozesse sollen digitalisiert und vereinfacht werden. Durch neue digitale Serviceangebote wie Apps und digitale Kommunikationskanäle wird die Zugänglichkeit der Verwaltung für die Bürger erhöht. Hierzu plant die Stadt Wolfsburg die Besetzung eines Chief Digital Officer (CDO). Synergien mit dem Digitalisierungsbereich der Volkswagen AG sollen gehoben werden … Die Parteien werben aktiv um Fördermittel der EU, des Bundes und des Landes Niedersachsen.»
Mit Hilfe von Pooling und Shuttleservice soll die bestehende Straßeninfrastruktur genutzt, diese Dienstleistungen integraler Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs werden. Die öffentliche Infrastruktur wird also für privatwirtschaftliche Zwecke ausgebeutet, damit lassen sich Milliarden verdienen. Hinterlistig erklärt Harms, der öffentliche Nahverkehr sei schlichtweg ineffizient und zu teuer für den Endverbraucher.
Besoffen von ihren Ideen und überzeugt von ihrer Genialität, wollen diese Herren die Welt im Sinne der Eigentümer verändern. Der MOIA-Chef droht: «Wenn Sie zehn kluge Köpfe haben, sind Ihnen keine Grenzen gesetzt.» Arroganz gehört der Vergangenheit an?
VW geht für die nächsten Jahre von einer Verdoppelung des Mobilitätsbedarfs aus. Unangetastet bleiben bisher die Rüstungsproduktion der MAN-Tochter RENK und die Luxusschmieden Lamborghini (weniger als 3000 verkaufte Fahrzeuge) und Bugatti (weniger als 50 Fahrzeuge, dafür aber mit 1500 PS).
Ja zur Wettbewerbsfähigkeit
Was sagt die IG Metall zum Zukunftspakt? Der Wolfsburger Bevollmächtigte fordert das Unternehmen auf, «die Belegschaft mitzunehmen», Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute informieren über die Einzelheiten des Vertrags und werben um Zustimmung. Aus der Frankfurter IGM-Zentrale gibt es Vorschläge an die Autoindustrie, wie die «Abgaskrise» überwunden werden kann: Sie soll mit ihren «über 12 Millionen Beschäftigten in Europa» einen «grünen» Weg einschlagen, einer langsamen Senkung der CO2-Grenzwerte zustimmen und mit der Einführung neuer Abgastests und einem Mix aus Verbrennungsmotoren und Elektromotoren aus der Krise kommen.
In der Belegschaftsinformation schreibt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Bernd Osterloh (Mitglied der IG Metall und der SPD), der Zukunftspakt sei «ein wichtiges Signal für den Standort Deutschland und für die Zukunft unserer Werke», der Vorsitzende des Braunschweiger Betriebsrats (Mitglied der IG Metall und der DKP) erklärt: «Die Arbeitnehmerseite ist sich bewusst, dass dafür Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich sind.» Die IG-Metall-Sekretärin Jutta Krellmann (MdB DIE LINKE) sagt: «Der Zukunftspakt zeigt also auch, dass Mitbestimmung als Abdichtung nach unten ganz gut funktioniert. Bei VW wird darauf zu achten sein, dass die Beschäftigten in acht Jahren nicht erneut die Zeche für die Profitgier ihrer Vorstände zahlen müssen.»
Da scheint es, als habe die gewerkschaftliche Bildungsarbeit versagt, als gäbe es keine politische Ökonomie der Arbeiterklasse, keine antagonistischen Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit.
Die Kosten des Abgasbetrugs einschließlich der Strafzahlungen in die USA und andere Länder, der Rücknahme und Umrüstung von Fahrzeugen und des Verkaufsstopps in etlichen Ländern belaufen sich jetzt schon auf über 20 Milliarden Euro. Die EU-Kommission hat gegen Deutschland eine Klage auf den Weg gebracht, weil in symbiotischer Verbindung von Staat, Kapital und Verbrechen weder europäische Normen noch deutsche Gesetze eingehalten bzw. durchgesetzt werden. Die betrügerisch erreichte Betriebserlaubnis für Fahrzeuge mit weit überhöhtem CO2– und NOx-Ausstoß müsste eigentlich entzogen werden, die Städte müssten Fahrverbote in den Umweltzonen durchsetzen. Es ist nicht absehbar, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss bis zum Ende der Legislatur wirklich aufklären kann – auch hier gibt es viel Vergesslichkeit und wenig Zuständigkeit bei den Zeugen aus den Ministerien und den untergeordneten Behörden.
Für den Konzernumbau werden weitere Milliarden benötigt, dazu werden Investitionen umgeschichtet, insgesamt jedoch um über 10% gesenkt. Ausgangspunkt aller Planungen ist die Steigerung des Absatzes, der Marktanteile und die Erschließung neuer Märkte. Deshalb plant VW neue Produktionsstandorte in Nigeria und Algerien, während die Fabriken in Argentinien und Russland wegen der dortigen Krisen fast «überflüssig» werden. Ansonsten hängt das Unternehmen auf Gedeih und Verderb am chinesischen Markt, der fast die Hälfte aller Fahrzeuge des Konzerns aufnimmt und entsprechende Anteile an Umsatz und Gewinn aufweist.
Was wären die Alternativen?
Wenn nicht umgesteuert wird, ist die Existenz des Unternehmens stark gefährdet, droht ein Exodus mit verheerenden Folgen für Hunderttausende Beschäftigte und ganze Regionen. Ein Umsteuern, das nicht auf Kosten der Beschäftigten geht, erfordert folgende Maßnahmen:
– Der Porsche-Piëch-Clan muss für die Folgen des Betrugs zur Kasse gebeten werden. Dafür muss die Porsche Automobil Holding SE als Hauptgesellschafter von Volkswagen für die entstehenden Schäden in Haftung genommen, der Umbau des Konzerns aus deren Mitteln finanziert werden; bis zur Klärung des Betrugs und dem Ausgleich des Schadens sind Dividendenzahlungen zurückzuhalten.
– Auf der Produktionsseite muss entschieden umgesteuert werden. Da die Unternehmensleitung keinen Plan B hat, muss ein solcher Plan gesellschaftlich entwickelt werden: Der Staat, die Beschäftigten, die Gewerkschaft, Umweltverbände und Wissenschaft verständigen sich in einem Branchenrat auf die Richtung einer anderen Produktion und einer anderen Mobilität. Die im VW-Gesetz vorgesehene besondere Mitbestimmung und das Land Niedersachsen mit seiner Sperrminorität ermöglichen eine sozialökologische Wende mit starken wirtschaftsdemokratischen Elementen.
– Schließlich erlauben und erfordern Produktivitätssteigerungen, begrenzte Ressourcen und der Klimawandel eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit. Kurze Vollzeit, durchschnittlich 30 Stunden pro Woche, als neue Normalarbeitszeit nutzt denen, die lieber kürzer arbeiten würden, denen, die unfreiwillig sehr kurz arbeiten, und den Erwerbslosen, die dann eine Chance auf einen Job haben. Bei VW würden dann keine 30000 Arbeitsplätze wegfallen.
– Dafür muss es einen Personalausgleich geben in den Branchen, die bei geringer Produktivitätsentwicklung wachsen sollen, und einen allgemeinen Entgeltausgleich für die unteren und mittleren Einkommen. Solche Maßnahmen tragen nicht nur zur Rückumverteilung in unserem Land bei, sondern auch zur besseren Balance von Export und Import innerhalb der europäischen Volkswirtschaften.
* Stephan Krull war bis 2006 Mitglied des Betriebsrats bei VW in Wolfsburg sowie Mitglied der Tarifkommission der IG Metall, er ist Herausgeber des kritischen Geschichtsbuchs zu VW, Volksburg – Wolfswagen, und Koordinator des Gesprächskreises der RLS Niedersachsen zur Zukunft der Automobilindustrie am Beispiel Volkswagen.
¹ Etwa 200 Stunden unbezahlte Arbeitsleistung je Beschäftigen und Jahr, rund 20 Millionen unbezahlte Stunden in den Werken der VW AG – das entspricht etwas mehr als 10% vorenthaltenem Entgelt.
² Siehe den Artikel von Stephan Krull in SoZ 11/2015 (www.sozonline.de/2015/11/dieselgate).