Wir werden – vor allem in den ostdeutschen Bundesländern – nicht als Alternative zu den etablierten Parteien und zur herrschenden Politik wahrgenommen. Das liegt in erster Linie an Inhalten und an der Kommunikation, aber auch an unserem gelegentlich staatsmännischen Auftreten in den Räten, in den Parlamenten, in der Öffentlichkeit; das heißt, es liegt an zu wenig Nähe zu den Menschen und ihren Problemen, zu ihrer Sprache und zu ihren Träumen und Wünschen; an gelegentlich sichtbarer Selbstverliebtheit und Selbstgenügsamkeit, an hin und wieder sichtbarer Nähe zu und Übereinstimmung mit den Etablierten, mit den Mächtigen, mit den Einflussreichen und dem Wunsch, „dazuzugehören“. Aber wir dürfen uns und wir wollen uns diesem kapitalistischen System und seinem Überbau nicht anpassen, sondern wollen es überwinden.
Wie können wir glaubwürdig zur Veränderung und Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen?
Wir müssen mehr und stärker als bisher Mitglieder- und Mitmachpartei werden, um wirksam und öffentlichkeitswirksam in die politischen und sozialen Auseinandersetzungen eingreifen zu können. Dafür müssen wir unseren Gerechtigkeitsanspruch ausbuchstabieren. Was ist ungerecht in diesem Land, in der Kommune, im Erwerbsleben, in Bildung und Gesundheit – und wie genau und mit wem wollen wir das tatsächlich ändern? Bemerkenswert ist doch, dass die CDU mit dem Kuschelkurs von Merkel die Wahlverliererin ist: „Ein Land, in dem wir gut und gerne leben“ ist eben vorbei an der Realität vieler Menschen – in Ost wie in West, in Eisenhüttenstadt wie in Duisburg. Alles und alle werden in Konkurrenz zueinander gesetzt auf aufeinander gehetzt. Das ist die politische und soziale Atmosphäre, in der Rassismus gedeiht: „Die Migranten nehmen uns was weg, kommen nur wegen des Kindergeldes oder wegen HartzIV hierher“. Es ist die Atmosphäre, in der Deutsche gegen Ausländer, Erwerbstätige gegen Erwerbslose, Männer gegen Frauen und Alte gegen Junge aufgehetzt werden. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und muss sehen und kämpfen, wie er sich gegen die anderen durchsetzt – die Reichen schauen grinsend und Popcorn fressend zu. «Ein Banker, ein Hartz-IV-Empfänger und ein Asylbewerber sitzen an einem Tisch. Auf dem Tisch liegen zwölf Kekse. Der Banker nimmt sich elf Kekse und sagt zum Hartz-IV-Empfänger: ‹Pass auf, der Asylant will deinen Keks.›»
Grundsätzlich und besonders angesichts der Kräfteverhältnisse im Bundestag geht an einer Mobilisierung der Menschen, ihre Interessen selbst zu artikulieren und zu vertreten, kein Weg vorbei – eine Binsenweisheit, von uns aber etwas vernachlässigt.
Was also ist ungerecht in diesem Land und wie wollen wir das mit den Menschen zusammen ändern?
Eine realistische Wahrnehmung vieler Menschen besteht darin, dass für alles Mögliche Geld da ist: Die Parlamente werden immer größer, Diätenerhöhungen für Abgeordnete, Ehrensold für Ex-Bundespräsidenten, neben bodenlosen Fässern wie dem BER oder – etwas kleiner – der Schierke-Arena stehen Subventionen und Steuervergünstigungen von insgesamt 25 Milliarden Euro von der Bundesregierung – davon über die Hälfte für die gewerbliche Wirtschaft (Subventionsbericht der Bundesregierung); hinzu kommen viele Milliarden Euro aus der Europäischen Union für die deutsche Lebensmittel- und Agrarindustrie. Für alles Mögliche ist Geld da – und es geht dabei um viele Milliarden Euro trotz der gesamten Staatsverschuldung von 2.000 Milliarden Euro (Bund = 60 %, Länder = 30% und Kommunen).
Zur realistischen Wahrnehmung vieler Menschen gehört die wirklich bittere Erkenntnis, dass für die einfachsten und existenziellen Sachen nicht genügend Geld vorhanden ist: Die Infrastruktur rottet vor sich hin, in Schulen regnet es durch, es fehlen Lehrerinnen, Polizisten und Beamte in den öffentlichen Verwaltungen, es fehlt bezahlbarer Wohnraum, Kliniken werden geschlossen, Bahnstrecken werden stillgelegt, Alleinerziehend ist das größte Armutsrisiko und Rentnerinnen müssen die nicht existenzsichernde Rente nach einem arbeitsreichen Leben mit Flaschensammeln aufbessern. Dazu kommt die Ungerechtigkeit der ungleichen Löhne und ungleichen Renten zwischen Ost und West, zwischen Männern und Frauen, hinzu kommt die Erniedrigung von Menschen, die trotz Erwerbsarbeit arm sind, die Erniedrigung von Leiharbeiterinnen, die ihr Leben nur für ein paar Monate planen können.
Sehen die regierenden Politiker von CDU, SPD, Grünen und FDP diese Realitäten nicht, verstehen sie die Verbitterung der Menschen nicht? Doch, sie alle sehen diese Schieflage. Und sie wollen und werden diese Schieflage, sie wollen sie sogar noch verstärken mit der nächsten Agenda 2025, die demnächst als Regierungsprogramm präsentiert werden wird. Sehen die Mächtigen in den Konzernzentralen diese Realitäten nicht, verstehen sie die Verbitterung der Menschen nicht, wenn nach Auslaufen der Subventionen Betriebe geschlossen und verlagert werden in das nächste Subventionsgebiet, wenn Industriebrachen und massenhafte Erwerbslosigkeit übrig bleiben? Falsche Frage, denn: Unternehmen funktionieren nur betriebswirtschaftlich, es geht nur um Konzernbilanzen, Umsatz, Absatz und Rendite – der Systemfehler des Kapitalismus.
Wir wissen, dass genug Geld da ist und können aufzeigen, wo es zu holen ist:
- bei den Reichen und Superreichen – es gibt private Geldvermögen von 6.000 Milliarden Euro in diesem Land. Das macht im Schnitt fast 80.000 Euro pro Person in unserem Land – vom Kind bis zum Greis, Männer, Frauen, Deutsche, Ausländer, Alle. Aber dieses Geld ist konzentriert bei wenigen Menschen: 40 Prozent davon nur einem Prozent der Bevölkerung, insgesamt 70 Prozent davon bei 10 Prozent der Bevölkerung; die Albrechts mit 50 Milliarden Euro, die Quandt-Erbin und BMW-Eignerin Susanne Klatten mit 17 Milliarden Euro, die Schaefflers mit 16 Milliarden Euro, Lidl und Kaufland-Eigner Schwarz mit 14 Milliarden Euro und, um ein letztes Beispiel zu nennen, der Enercon-Eigner Aloys Wobben mit fünf Milliarden Euro – wie gesagt, es handelt sich dabei um Geldvermögen, nicht um Betriebsvermögen. Würden diese privaten Reichtümer, die ja durch die Arbeit der gesamten Gesellschaft nur angehäuft werden konnten, nur zur Hälfte besteuert, wären die Albrechts, Schäfflers und Quandts immer noch superreich, aber die gesamte Staatsverschuldung wäre getilgt und es stünden 1.000 Milliarden Euro für Investitionen in Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Infrastruktur zur Verfügung.
- Die staatlichen Einnahmen im Jahr 2016 betrugen über 1.400 Milliarden Euro (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung), allein der Bund hatte Einnahmen von über 300 Milliarden Euro. Entscheidend ist, wofür dieses Geld ausgegeben wird: Etwa 50 Milliarden Euro für Aufrüstung, Krieg und die Bundeswehr, 20 Milliarden Euro Zinszahlungen an die Banken, 10 Milliarden Euro für Autobahn- und Bundesstraßenbau, sechs Milliarden Euro für Wirtschaftsförderung, vier Milliarden Euro Agrarsubventionen sowie 1,5 Milliarden Euro für den Bundesnachrichtendienst und den sogenannten Verfassungsschutz. Um es deutlich zu machen: Die Autokonzerne VW, Mercedes und BMW überwiesen an ihre Großaktionäre etwa 30 Milliarden Euro Dividenden im Jahr 2016. Dennoch und gleichzeitig strichen sie Subventionen von 150 Millionen Euro ein, hinzu kommen staatliche Investitionen in die Ladeinfrastruktur für Elektro-Autos, Kaufprämien für Elektro-Autos in Höhe von 600 Millionen Euro, 8 Milliarden Euro für Steuervergünstigung von Dieseltreibstoff und drei Milliarden Euro durch die Steuervergünstigung bei Dienstwagen.
Für all das ist Geld da – aber nicht für die einfachsten Sachen, die zu einem guten Leben und einer guten gesellschaftlichen Entwicklung nötig sind.
- 600.000 Menschen bekommen so wenig Lohn von ihren Arbeitgebern, dass sie ergänzende Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit und Wohnungsgeld (Kosten der Unterkunft) in Anspruch nehmen müssen – eine direkte Subventionierung von Unternehmen, die ihren Beschäftigten unanständig geringe Löhne zahlen – und das ist nicht der Friseur um die Ecke, sondern Leiharbeitsfirmen und Werkvertragsunternehmen, die für große Konzerne tätig sind. Die Bundeagentur für Arbeit zahlt fast eine Milliarde Euro Lohnzuschüsse als „Eingliederungsbeihilfen“ und weitere hunderte Millionen Euro, die über den einen oder anderen Weg direkt an die Unternehmen fließen
- Es geht aber nicht nur um Geld, sondern um die Teilhabe von Menschen am gesellschaftlichen Leben am gesellschaftlichen Produktionsprozess. Bei begrenztem Wachstum, begrenzten Ressourcen und der Reduktion vom Emissionen kann dieses, die Integration von 10 Millionen unterbeschäftigten Personen nur funktionieren, wenn die vorhandene Arbeit fair geteilt wird: Die Erwerbsarbeit, die Hausarbeit, die Arbeit für die Gesellschaft und alle kreative Arbeit, fair aufgeteilt zwischen Frauen und Männern, zwischen Jung und Alt und innerhalb der internationalen Arbeitsteilung. Das erfordert eine radikale Verkürzung desjenigen, was als „Normalarbeitsverhältnis“ oder als Vollzeitjob bezeichnet wird und ermöglich denjenigen, die unfreiwillig kurz arbeiten ohne auskömmlichen Lohn, ohne Basis- oder Mindesthonorare, ihre Arbeitszeit zu verlängern. Kurze Vollzeit für alle, 30 Stunden Erwerbsarbeit bei vollem Lohnausgleich. Geld genug ist da – siehe oben.
Die LINKE sollte in diesem Sinne offen sein für neue Ideen, vor allem die jungen Mitglieder aktiv in die Arbeit einbeziehen, um stärker zu werden: Abwehrkämpfe führen und unterstützen wo nötig (gegen Entlassungen, HartzIV und Sanktionen, Privatisierungen, Schließung öffentlicher Einrichtungen, Fahrpreiserhöhungen, etc.pp.), initiieren und unterstützen von Arbeits- und Aneignungskämpfe wo immer möglich (Lohnerhöhungen, Rentenerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung, Mitbestimmung, Freiräume, soziale Garantien etc.pp). Das erfordert eine konsistente Politik von der Basisgruppe bis zum Parteivorstand, vom Stadtrat bis zum Bundestag. Privatisierung findet nicht nur beim Busverkehr in der Region statt, die Begrenzung des öffentlichen Raumes ist nicht nur die Schließung der Stadtbibliothek und Kriegsvorbereitung ist nicht nur der Rüstungsetat.
Neben der Einbeziehung der Mitglieder sind weitere Voraussetzungen für eine veränderte Arbeitsweise eine offensive Bündnispolitik mit allen systemkritischen Gruppen und Organisationen, die Stärkung und Unterstützung von Gewerkschaften, die Zusammenarbeit mit kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern sowie eine systematische kritische und emanzipatorische politische Bildungsarbeit.
Das alles ist dringend mit Blick auf die politischen Verhältnisse, auf das Erstarken der Rassisten in unserem Land: Solidarität und mehr Demokratie statt Sozialabbau und Rechtsruck!