Was geschieht mit der VW-Fabrik in Osnabrück?
Absatzkrise bei Volkswagen verbunden mit der Androhung von Massenentlassungen und drei Werksschließungen. Ein Tabubruch, weil in der VW-Satzung und im VW-Gesetz festgelegt ist, dass der Aufsichtsrat der „Errichtung und Aufhebung von Zweigniederlassungen“ zustimmen muss. Im Ergebnis von Protesten und Verhandlungen mit der IG Metall wurde im Dezember 2024 für alle Standorte außer Dresden und Osnabrück der Ausschluss betriebsbedingter Entlassungen bis 2030 zugesagt. Für das Werk in Osnabrück gibt es Produktionszusagen nur bis September 2027. Rheinmetall hat ein Auge auf die Fabrik geworfen und der Porsche-Piëch-Clan will mit Rüstungsproduktion höhere Profite realisieren als in der schwächelnden Autoindustrie.
Aber es genügt nicht, laut und deutlich NEIN zu sagen – wenngleich das natürlich der Beginn sein muss. Es müssen auch Alternativen für die Produktion von Porsche und Panzer her. Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben ein Recht auf soziale Sicherheit. Volkswagen hat nicht das Recht, das Werk und die Arbeiterinnen und Arbeiter einfach zu verstoßen. Und Volkswagen hat bei seiner mörderischen Geschichte schon gar kein Recht, wieder Fahrzeuge für den Krieg zu bauen und am Krieg Geld zu verdienen. Schon gar nicht in der Friedensstadt Osnabrück.
Es braucht eine Perspektive für die Arbeiterinnen und Arbeiter – jenseits von Porsche und Panzer. Dazu haben sich schon viele Leute Gedanken gemacht. Hier ein Vorschlag zur Güte.
Im Herbst 2024 kündigt der VW-Vorstand den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen an. Es werden Entlassungen und Schließung mehrerer Standorte angekündigt. Ein Tabubruch, da der Ausschluss betriebsbedingter Entlassungen von den Arbeiterinnen und Arbeitern seit 1994 durch Zugeständnisse beim Lohn selbst bezahlt war. Ein Tabubruch, weil in der VW-Satzung und im VW-Gesetz festgelegt ist, dass der Aufsichtsrat der „Errichtung und Aufhebung von Zweigniederlassungen“ zustimmen muss. Belegschaftsvertreter und Land Niedersachsen verfügen über eine Mehrheit von 12:20 Stimmen im Aufsichtsrat. Im Ergebnis von Protesten und Verhandlungen mit der IG Metall wurde für alle Standorte außer Dresden und Osnabrück der Ausschluss betriebsbedingter Entlassungen bis 2030 zugesagt1. In Osnabrück wird das T-Roc-Cabrio und der Porsche 718 noch bis September 2027 produziert. Die Zukunft danach ist höchst unsicher. Aus der Landesregierung und dem Betriebsrates kommt die rhetorische Frage, was man denn machen solle, wenn es doch keine Aufträge gäbe.
Nun hat Rheinmetall in Aussicht gestellt, in der Fabrik Militärfahrzeuge herzustellen. Rheinmetall und der VW-Konzern kooperieren schon seit 15 Jahren im Gemeinschaftsunternehmen „Rheinmetall MAN Military Vehicle“ und bauen bei RMMV viel Kriegsgeräte und mit dem Survivor einen Polizeipanzer „für die Straßenschlacht.2“ Angesichts der Rolle von VW und Rheinmetall bei der verbrecherischen Kriegsvorbereitung und Kriegsführung der deutschen Wehrmacht und der Zwangsarbeit im NS-System sollte man annehmen, dass beide einer neuen Kriegsvorbereitung fernbleiben. Die Besondere Geschichte von Volkswagen schließt den Verkauf an Rheinmetall aus. Doch der CDU-Wahlkreisabgeordnete aus Wolfsburg erklärt in orwellscher Art die wachsende Rüstungsindustrie: „Wir haben ja gute Voraussetzungen: Autobahn, Mittellandkanal, Kraftwerke und Personal. Es geht ja nicht um Krieg. Kriegsfähigkeit erhält den Frieden.3“ Die Osnabrücker Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) betont, „dass wir ganz eindeutig eine Zukunft als Standort für zivile Automobilproduktion bevorzugen. Zur Verantwortung gegenüber den Beschäftigten und der Stadt insgesamt gehört aber auch, offen für Alternativen zu sein.“4 Eine Rüstungsproduktion, so schreibt die NOZ weiter, würde in Osnabrück zu Diskussionen führen. Denn die Identität als Friedensstadt sei ein elementarer Teil der Osnabrücker DNA, „die uns verpflichtet, besonders sorgsam und verantwortungsvoll mit solchen Themen umzugehen“. Sollte sich das Interesse von Rheinmetall am Standort Osnabrück konkretisieren, werde diese Diskussion in der Stadtgesellschaft respektvoll geführt.
Eine Perspektive für die Arbeiterinnen und Arbeiter – jenseits von Rheinmetall
Der öffentliche Nahverkehr muss im ganzen Land ausgebaut werden werden. Bundesweit leben in ländlichen Regionen etwa 30 Millionen Menschen. Große Busse mit festem Fahrplan und Haltestellen taugen noch für den Schülerverkehr, sind ansonsten aber nicht mehr zeitgemäß. Viele Verkehrsverbünde und einige Autokonzerne bieten neue Fahrservices an. Im April 2019 startete großspurig der Ridepooling-Dienst5 von Volkswagen in Hamburg: „Mit unserem Ride-Pooling-Konzept sind wir bereit, bis 2025 die Städte Europas und der USA um eine Million Fahrzeuge zu entlasten.“6 Eingesetzt werden kleine smarte Elektro-Busse, die in Osnabrück entwickelt und gebaut wurden. „Dass wir in zehn Monaten ein neues, konsequent auf den Zweck Ride-Pooling konzipiertes Fahrzeug bauen konnten, macht uns stolz,“ sagt Eckhard Scholz, Vorstand von VW-Nutzfahrzeuge7. Das Konzept, Bedarfsverkehre anzubieten und die Zeiten und Routen optimal zu steuern, ist für ländliche Regionen bestens geeignet. Es sichert Mobilität für ältere Personen, für Kinder, Jugendliche und andere, die nicht über ein Auto verfügen. Oft werden, weil es keine anderen Lösungen gibt, Dorfbusse, Bürgerbusse oder Rufbusse als private oder nachbarschaftliche Hilfe eingesetzt. Wenn die Kommunen bzw. die Verkehrsverbünde durch eine auskömmliche Finanzierung in die Lage versetzt werden, solche Dienste anzubieten – in einigen Jahren vielleicht als autonom fahrende Shuttles – dann gibt es dort einen Bedarf von vielen zehntausenden Fahrzeugen. Professor Knut Ringat, Vorsitzender der Geschäftsführung Rhein-Main-Verkehrsverbund, sieht die Vorteile: „Wenn fahrerlose, flexibel buchbare Kleinbusse 24/7 da unterwegs sind, wo heute Linienbusse nur eine Handvoll Mal am Tag fahren, dann wird ÖPNV für alle verfügbar und deutlich attraktiver. Mit dem Leuchtturmprojekt KIRA gehen wir voran und setzen im normalen Straßenverkehr autonome Fahrzeuge mit Fahrgästen im Test ein. Damit machen wir uns auf den Weg, in den 2030er Jahre mit autonomen On-Demand-Shuttles das öffentliche Verkehrsangebot zu ergänzen und vor allem im ländlichen Raum auszubauen.8“
Weltweit gibt es steigenden Bedarf an solchen Fahrzeugen. Ein großer Teil des ÖPNV zum Beispiel mit Dolmuş in der Türkei, in Afrika, Asien und Lateinamerika basiert auf hunderttausenden solcher kleinen Busse. Das Werk in Osnabrück kann solche Fahrzeuge entwickeln und produzieren. Der Umbau ist preisgünstiger und weniger aufwändig als der Umbau für Militärfahrzeuge. Eine Jahresproduktion von 25.000 Fahrzeugen wäre möglich und zu einem vernünftigen Preis absetzbar.
Zunächst ist Volkswagen in der Verantwortung zur Umsetzung. Die Gelder aus den Innovationsfonds, mit dem Betriebsrat vereinbart, sollten sofort dafür zur Verfügung gestellt werden. Gleichermaßen haben das Land Niedersachsen und die Friedensstadt Osnabrück Interesse an ziviler Produktion und guten industriellen Arbeitsplätzen. Das Land muss aktiv werden und seinen Einfluss für zivile Produkte geltend machen, der Stadtrat der Friedensstadt Osnabrück muss sich deutlich gegen Rheinmetall aussprechen. Sollte Volkswagen seiner Verantwortung nicht gerecht werden, könnte eine gemeinnützige GmbH (gGmbH) oder eine Genossenschaft übernehmen. Dazu müsste eine Beratung stattfinden durch arbeitnehmerorientierte Beratungskollektive wie NELA (Next Economie Lab), Kollektivberatung oder den Genossenschaftsverband. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind systematisch und strukturiert an den Diskussionen zu beteiligen: Was wollen wir künftig in Osnabrück produzieren?
Um eine Nachfrage für den Start zu sichern, ist ein Kommunalverbund niedersächsischer Gemeinden und der beiden Hansestädte Bremen und Hamburg anzustreben. Die zuverlässige Verbindung von städtischen Zentren und Umlandgemeinden mit öffentlichen Nah- und Regionalverkehr ist ein zentraler Punkt einer sozialen und ökologischen Mobilitätswende. Dies kann durch Mittel der Landesregierungen wie auch aus Mitteln des Infrastrukturfonds der Bundesregierung unterstützt werden, bevor das fällige Sondervermögen für den ÖPNV etabliert ist.
Rheinmetall – Bitte nicht
Rheinmetall hat in den vergangenen Jahren Bomben, Munition, Radarsysteme und Schiffskanonen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert – Länder, die im Jemen für schwerste Kriegsverbrechen verantwortlich sind. Weitere Empfänger sind Venezuela, Kuwait, Katar, Jordanien, Indonesien und Pakistan. Diese Exportpolitik birgt ethische, politische und rechtliche Risiken im Zusammenhang mit Artikel 26 des Grundgesetzes: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Besonders problematisch ist die Expansion von Rheinmetall nach Südafrika, wo über ein Joint Venture ganze Munitionsfabriken an autoritäre Regime wie Saudi-Arabien, die VAE oder Ägypten geliefert werden. Rheinmetall gibt damit die Kontrolle über den Verbleib seiner Produkte auf und trägt dazu bei, dass Autokratien ihre eigenen Rüstungsindustrien aufbauen. Anstatt Verantwortung für die Folgen der Produkte zu übernehmen, verlagert Rheinmetall die Risiken ins Ausland. Rheinmetall ist beteiligt an der Fertigung des F-35A-Tarnkappenbombers, der als Träger für die US-Atombomben dienen sollen. Im Bundestagswahlkampf hat die Rheinmetall-Tochter Blackned Spenden an Abgeordnete des Haushalts- und Verteidigungsausschusses geleistet – jene Gremien, die über die Vergabe von Milliarden für die Bundeswehr entscheiden. Eine solche Einflussnahme auf demokratische Entscheidungsprozesse widerspricht den Prinzipien politischer Integrität und beschädigt das parlamentarische Verfahren.
Das Beispiel der Konversion hin zu Rüstungsgütern zeigt: wenn die Nachfrage staatlicherseits abgesichert wird, kann die Produktion eine andere Richtung einschlagen – im Fall Osnabrück geht es um Produktion für die Rüstung oder für den öffentlichen Verkehr und ökologische Nachhaltigkeit. Das ist auch ein Anliegen der Gewerkschaft, die sich als Teil der Friedensbewegung sieht. Dennoch ist die Haltung der IG Metall zum Rüstungsprogramm widersprüchlich – auch deshalb, weil sie die etwa 100.000 Arbeiterinnen und Arbeiter in der Rüstungsindustrie organisiert und vertritt. Jürgen Kerner, stellvertretender Vorsitzender, sagt: „Wir fordern einen industriepolitischen Plan für die wehrtechnische Industrie. Ich gehe davon aus, dass wir im Rüstungsbereich einen Aufbau an Beschäftigung kriegen werden, was aber die möglichen Verluste von Auto und Maschinenbau bei weitem nicht ausgleichen kann.9“ Hans-Jürgen Urban, Kerners Kollege im Vorstand der IG Metall, setzt andere Akzente: „Soll die Waffenproduktion explodieren, und Abrüstung und zivile Konfliktlösungen bleiben Restgrößen? Was wir brauchen, ist ein zeitgemäßes europäisches Sicherheitskonzept, mit Rüstungskontrolle und zivilen Konfliktregeln. Wer nur auf Waffen setzt, landet in der Sackgasse eines neuen Rüstungswettlaufs. Und früher oder später frisst der Rüstungsstaat, was der Sozial- und Umweltstaat braucht. Freie Fahrt für Aufrüstung – nicht mit uns.10“
Wir wollen eine friedensfähige Gesellschaft sein, die Konflikte nicht mit Waffen löst, sondern mit Gerechtigkeit. Wenn Geldverschwendung durch Hochrüstung verhindert werden soll, genügt es nicht, zu Rheinmetall NEIN zu sagen. Neben einer breiten Bewegung im ganzen Land und überall dort, wo die „Konversion falsch herum“ geplant wird, müssen für die Arbeiterinnen und Arbeiter und für die Kommune realistischen Alternativen her. Nur dann sind sie für eine zivile Konversion zu gewinnen. So wären industrielle Arbeitsplätze in Osnabrück zu erhalten und es könnte der unerfüllte Anspruch umgesetzt werden, die Städte um Millionen Fahrzeuge zu entlasten.
Veröffentlicht in der Zeitschrift SOZIALISMUS 9/2025: https://www.sozialismus.de/
1Unter die Vereinbarung fallen die Standorte Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Hannover, Emden, Zwickau und Chemnitz.
2https://www.n-tv.de/auto/Survivor-R-Martialisches-fuer-die-Strassenschlacht-article23082462.html
3https://www.waz-online.de/lokales/wolfsburg/vw-krise-alexander-jordan-will-ueber-ruestungsindustrie-nachdenken-R5QU3Z72WJDU7MG3MRRPM4RBCM.html
4https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/militaerautos-bei-vw-osnabrueck-das-sagt-die-oberbuergermeisterin-48536196
5https://door2door.io/de/ridepooling-begriffe-erklaert/
6https://www.volkswagen-group.com/de/pressemitteilungen/weltpremiere-auf-der-techcrunch-2017-in-berlin-moia-praesentiert-ride-pooling-konzept-mit-weltweit-erstem-elektrischen-ridesharing-fahrzeug-16236
7file:///C:/Users/User/Downloads/04_12_17_Pressemitteilung_MOIA_TechCrunch.pdf
8https://ioki.com/autonomes-fahren-fuer-den-oepnv-projekt-kira-startet-fahrten-mit-testnutzerinnen-und-nutzern/
9https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ig-metall-vize-juergen-kerner-ein-panzer-ersetzt-keinen-porsche.0701d509-f590-4fc5-b869-750b6ed4466f.html
10https://hans-juergen-urban.de/wp-content/uploads/2025/03/2025_03_15_Aktionstag_Rede_Urban_final.pdf
