VW-Werk Osnabrück vor der Entscheidung: Panzer oder Kleinbus?

Im Volkswagen-Werk in Osnabrück entscheidet sich die industrielle Zukunft Deutschlands. Weist sie in Richtung Rüstungsproduktion oder sozial-ökologische Mobilität? Eine Auseinandersetzung mit Signalwirkung – für Klima, Frieden und Klassenpolitik.

Stephan Krull und Mario Candeias

Stephan Soldanski, der Chef der IG Metall in Osnabrück, ist in Sorge: „Es wäre kurzsichtig, sich einseitig auf die Rüstungsindustrie zu konzentrieren“, sagte jüngst der Gewerkschafter.

Worum es geht: Der VW-Konzern will ab 2027 in der niedersächsischen Stadt keine Autos mehr bauen. Armin Papperger, der Vorstandschef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, hatte das Werk zugleich als gut geeignet für die Herstellung militärischer Fahrzeuge bezeichnet. VW kann sich eine Kooperation vorstellen. Gewerkschafter Soldanksi sieht das kritisch. Er betont: Die Belegschaft sei in der Lage, auch für andere Branchen zu produzieren. Tatsächlich werden in Osnabrück bereits jetzt Kleinbusse für den öffentlichen Personennahverkehr in Hamburg und Hannover gebaut. Daran könnte man anschließen, wenn man wollte. Doch wer will das – und wer nicht?

Im Osnabrücker VW-Werk mit seinem wellenförmigen Eingang, dem weithin sichtbaren Turm und rund 2300 Beschäftigten, zeigt sich aktuell wie im Brennglas der Kampf um die Art der Industriekonversion in Deutschland: hin zu Militär und Gewalt – oder hin zu einer sozial-ökologischen Zukunft.

Die Zukunft ist ungewiss – VW zieht sich zurück

Wie ist es zu dieser verfahrenen Situation gekommen? Im Herbst 2024 kündigte der Vorstand von Volkswagen mehrere Tarifverträge, unter anderem den zur Beschäftigungssicherung. Das erklärte Ziel: Personalabbau durch betriebsbedingte Entlassungen. Von 30.000 überflüssigen Arbeitsplätzen war die Rede, außerdem von mehreren Standorten, die geschlossen werden sollen.

Ein Tabubruch – denn der Verzicht auf Entlassungen war stets durch Lohnverzicht der Belegschaft erkauft worden. Brisant war es auch deshalb, weil in der VW-Satzung und sinngemäß im VW-Gesetz festgelegt ist, dass der Aufsichtsrat bei solchen Entscheidungen zustimmen muss. Belegschaftsvertreter und das Land Niedersachsen verfügen über eine Mehrheit im Aufsichtsrat.

Es gab neue Verhandlungen. Im Ergebnis wurden, neben Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerung, der Ausschluss betriebsbedingter Entlassungen bis 2030 zugesagt – für alle Werke, außer in Dresden und Osnabrück.

Im niedersächsischen Werk läuft die Produktion vom T-Roc Cabrio und vom Porsche 718 nur noch bis September 2027. Die Zukunft danach ist höchst unsicher. Aus der Landesregierung und aus Kreisen des Betriebsrates kommt die rhetorische Frage, was man denn machen könne, wenn es doch keine Aufträge gäbe. Rheinmetall hat in dieser Situation Interesse angekündigt, die Fabrik zur Produktion von Militärfahrzeugen zu übernehmen.

Flexible Busfahrten: VW hat Erfahrung mit Ride-Pooling-Diensten

VW hat dabei längst gezeigt, dass es auch anders geht: 2019 startete der Ride-Pooling-Dienst des Konzerns in Hamburg. Die Idee ist ein bedarfsorientiertes öffentliches System, das Passagiere auf Anfrage flexibel zwischen Haltepunkten hin und her befördert. Der damalige Chef des verantwortlichen VW-Subunternehmens MOIA erklärte, dass Ziel sei, „bis 2025 die Städte Europas und der USA um eine Million Fahrzeuge zu entlasten“.

Eingesetzt werden bei diesem Verkehrssystem E-Fahrzeuge auf der Basis des VW-Crafter, die in Osnabrück entwickelt und gebaut wurden. Vom kleinen, smarten Elektro-Bus Pluto fertigte die Belegschaft einige hundert Stück – exklusiv für Ride-Pooling-Dienste.

Der Bus hat eine maximale Geschwindigkeit von 90 km/h und kann in 30 Minuten auf 80 Prozent Kapazität geladen werden. Neben dem Fahrer bietet er Platz für sechs Fahrgäste. Die Routen werden durch eine KI optimal berechnet und angefahren. „Dass wir in nur zehn Monaten ein neues, konsequent auf diesen Zweck konzipiertes Fahrzeug bauen konnten, macht uns stolz“, sagte Eckhard Scholz, Vorstand von Volkswagen Nutzfahrzeuge.

Ist mittlerweile die Euphorie verflogen? Das Fahrzeug wurde letztlich nur in kleiner Stückzahl und mit opulenter Innenausstattung gebaut – dadurch war es sehr teuer. Der Fahrservice von VW hat bisher mehrere hundert Millionen Euro gekostet und – trotz steigender Preise – keinen Gewinn eingebracht.

Bedarfsorientiert und flexibel: Eine Perspektive für die Zukunft

Das müsste nicht so sein: Bundesweit leben in ländlichen Regionen etwa 30 Millionen Menschen. Große Busse mit festem Fahrplan und festen Haltestellen taugen noch für den Schülerverkehr, sind ansonsten aber nicht mehr zeitgemäß. In vielen Orten werden dagegen schon heute kleinere Dorfbusse, Bürgerbusse oder Rufbusse als private oder nachbarschaftliche Hilfe eingesetzt – meist, weil es keine besseren Lösungen gibt. Das Konzept von MOIA, Bedarfsverkehrsfahrzeuge anzubieten und die Zeiten und Routen optimal zu steuern, wäre für diese Menschen gut geeignet.

Knut Ringat, der Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds, sieht die Vorteile solcher Shuttles. „Wenn fahrerlose, flexibel buchbare Kleinbusse 24/7 da unterwegs sind, wo heute Linienbusse nur eine Handvoll Mal am Tag fahren, dann wird ÖPNV für alle verfügbar und deutlich attraktiver“, sagte er. Aktuell plant das Unternehmen, in den 2030er Jahre mit autonomen On-Demand-Shuttles das öffentliche Verkehrsangebot zu ergänzen und vor allem im ländlichen Raum auszubauen.

Wenn nun die Kommunen und Verkehrsverbünde ausreichend finanziert wären, um solche Dienste flächendeckend anzubieten – in einigen Jahren vielleicht sogar als autonom fahrende Shuttles – dann entstünde ein Bedarf von mehreren zehntausend Fahrzeugen – allein in Deutschland. Im Ausland wächst ebenfalls der Bedarf. In afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern prägen bereits heute Kleinbusse den öffentlichen Personennahverkehr.

Die Fähigkeiten liegen in Osnabrück vor – Wie könnte es klappen?

Die Belegschaft in Osnabrück kann solche Shuttles technisch entwickeln und produzieren. Der Umbau des VW-Werks dafür wäre sogar preisgünstiger und weniger aufwändig als der Umbau für Militärfahrzeuge. Wenn 60 Fahrzeuge pro Tag produziert werden, wäre das Werk ausgelastet, eine Jahresproduktion von 15.000 Fahrzeugen müsste zu einem Preis von etwa 60.000 Euro global absetzbar sein.

Natürlich wäre zunächst der VW-Konzern in der Verantwortung, solch ein Projekt umzusetzen. Auch das Land Niedersachsen und die „Friedensstadt“ Osnabrück stehen aber in der Pflicht: Sie müssen zivile Produktion sichern und industrielle Arbeitsplätze erhalten. Sollte Volkswagen seiner Verantwortung nicht gerecht werden, könnte von Betriebsrat, Gewerkschaft und Politik die Gründung einer gemeinnützigen GmbH oder einer Genossenschaft geprüft werden. Dafür könnte man sich vom Genossenschaftsverband und Genossenschaftsbanken beraten lassen.

Um eine Nachfrage für den Start zu sichern, wäre ein Kommunalverbund niedersächsischer Gemeinden, einschließlich Hannover, und der beiden Hansestädte Bremen und Hamburg – im letzteren werden MOIA-Fahrzeuge bereits eingesetzt – anzustreben.

Solch eine Transformation könnte durch Mittel der Landesregierungen als auch aus Mitteln des Infrastrukturfonds der Bundesregierung unterstützt werden. Das Beispiel der Konversion hin zu Rüstungsgütern zeigt: Wenn die Nachfrage staatlicherseits abgesichert wird, kann die Produktion eine andere Richtung einschlagen. Die Entscheidung über das Osnabrücker Werk steht sinnbildlich für eine Kreuzung: Links Richtung Zukunft, rechts Richtung Panzer.

Was droht dem VW-Werk in Osnabrück mit Rheinmetall?

Sollten solche Überlegungen zu einer sozialökologischen Wende nicht weiterverfolgt werden, droht der Umbau zur Rüstungsschmiede. Die Folgen: Rheinmetall hat in den vergangenen Jahren immer wieder Waffen an autoritäre Regime und in Krisenregionen geliefert. Etwa Bomben, Munition und Radarsysteme an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die im Jemen-Krieg für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden. Weitere Empfänger sind Venezuela, Kuwait, Katar, Jordanien, Indonesien und Pakistan.

Rheinmetall verfolgt zugleich eine aggressive Internationalisierungsstrategie. Besonders problematisch ist die Expansion nach Südafrika, wo der Konzern über ein Joint Venture komplette Munitionsfabriken an autoritäre Regime liefert. Anstatt Verantwortung für die Folgen seiner Produkte zu übernehmen, verlagert Rheinmetall damit die Risiken bewusst ins Ausland. Nicht zuletzt beteiligt sich Rheinmetall an der Fertigung des Rumpfmittelteils für die Tarnkappenbomber, die künftig als Trägersysteme für die modernisierten US-Atombomben am Standort Büchel dienen sollen.

Der Rüstungskonzern nutzt zugleich seine wachsende Macht, um auch politisch Einfluss zu nehmen. Im Bundestagswahlkampf hat die Rheinmetall-Tochter Blackned Spenden an Bundestagsabgeordnete des Haushalts- und Verteidigungsausschusses geleistet – jene Gremien also, die über die Vergabe von Milliarden aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr entscheiden.

Weichen werden gestellt: Die Chance für eine ökologische Klassenpolitik

Sind die politischen Entscheidungsträger trotzdem in der Lage, sich für eine sozialökologische Wende einzusetzen? Der Bedarf für die Mobilitätswende ist da. Für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht es die Produktion von Schienenfahrzeugen, E-Bussen, Straßenbahnen, E-Bikes und mehr. Das Beispiel Osnabrück zeigt: Die dafür notwendige Konversion kann funktionieren, wenn der Staat eine stabile Nachfrage erzeugt, die Planungssicherheit verschafft. Stephan Soldanski, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in der Stadt, plädiert so auch dafür, „alternative Wirtschaftszweige und zukunftsweisende Konzepte aktiv voranzutreiben“.

In Osnabrück entscheidet sich so nicht weniger als die Zukunft: Wird das Ende der sozial-ökologischen Transformation beschlossen, bevor sie begonnen hat – oder geht es doch anders?

Klar ist: Der Kampf um das Werk in Osnabrück ist eine gute Möglichkeit für konkrete ökologische Klassenpolitik. Eine breite Allianz wäre möglich: Beschäftigte, Gewerkschaften, Umwelt- und Mobilitätsinitiativen, Antimilitaristen, Kirchen und Linke – sie alle könnten gemeinsam für eine zivile und ökologische Zukunft streiten.

Es wäre ein positives Beispiel, das auch andernorts Kämpfe inspiriert – und das dringend wird, bevor die Weichen endgültig Richtung Aufrüstung gestellt werden.

Foto: Robin Wood; Veröffentlicht: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/volkswagen-in-osnabrueck-vor-grundsatzentscheidung-panzer-oder-kleinbus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert