Die Umsätze sinken und die Gewinne der deutschen Autoindustrie sind im ersten Halbjahr 2025 schmaler geworden. Die Großaktionäre, die eigentlichen Bestimmer in den Konzernen, zweifeln am Geschäftsmodell.
Bei den chinesischen Autoherstellern sieht es ganz anders aus: Die Umsätze steigen zweistellig. Auf dem großen chinesischen Automarkt ist „made in Germany“ nicht mehr gefragt, der trumpsche Protektionismus stoppt die Verkäufe in die USA, in Europa und anderen Teilen der Welt fehlt die Kaufkraft. Die vielen Jahre mit riesigen Exportüberschüssen und Extraprofiten für die deutsche Industrie sind vorbei. Wohin jetzt mit dem angehäuften Geld?
Das größte Problem der globalen Autoindustrie sind die selbst geschaffenen Überkapazitäten: Totes Kapital. Die zusätzlichen Probleme der deutschen Hersteller sind der technologische Rückstand, die verfehlte Modellpolitik und die fehlende staatliche Industriepolitik. „In den Chefetagen herrscht Alarmstimmung und die Bereitschaft, auch unpopuläre und sehr einschneidende Maßnahmen zu ergreifen. Das Ziel ist Gesundschrumpfen,“ schreibt eine große Unternehmensberatung (EY) und empfiehlt Allianzen, eine Deutsche Auto AG. Andererseits Gewinnrücklagen von über 300 Milliarden Euro bei Volkswagen (147 Mrd.), BMW (92 Mrd.) und Daimler (75 Mrd.), die wiederum gewinnbringend angelegt sein wollen. Beim Gesundschrumpfen sind die Auto- und Zulieferindustrie schon stark. Minus 80.000 Arbeitsplätze in den zurückliegenden sieben Jahren. Die Ankündigung von weiterem großem Personalabbau nun bei Endherstellern sowie Werksschließungen bei Ford, Opel und Volkswagen, bei Bosch, Conti und ZF. Solcherart gesundschrumpfen, durch Rückstellungen abgesichert, soll die Profite langfristig sichern. Auf die Forderung der IG Metall, die Aktionäre sollten sich an der „Sanierung“ des Unternehmens beteiligen, antwortet der Vorstandsvorsitzende Blume oberlehrerhaft und per Braunschweiger Zeitung (22.1.2025): „Als Investor überlege ich mir, wo mein Geld am besten angelegt ist. Wenn ich den Investoren jetzt erzähle, dass wir ihnen die Renditen kürzen, dann droht ein Vertrauensverlust, Investoren könnten sich zurückziehen. Das muss jeder wissen, der scharfe Einschnitte bei den Dividenden fordert. Wir brauchen gerade jetzt in dieser Phase eine Verbindlichkeit für Investoren, damit sie weiterhin zu uns stehen.“ Zehn Prozent Umsatzrendite sollen es in den nächsten Jahren werden – so haben die Großaktionäre und das Management entschieden.
Einige Produktions- und Entwicklungskapazitäten werden tatsächlich stillgelegt, stark eingeschränkt oder verlagert – die Ford-Fabriken in Saarlouis und Köln, die VW-Fabriken in Dresden, Osnabrück und Zwickau, die technischen Entwicklungen von Opel, Ford und Volkswagen, die Produktion des Bulli in die Türkei und des Golf nach Mexiko. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter ist solch kapitalistisches, nur am Profit orientiertes Gesundschrumpfen ein Desaster, ein harter, demütigenden Bruch: Absturz, Erwerbslosigkeit, Entwertung aller Erfahrungen. Für die betroffenen Kommunen bedeutet es Verödung, massive Steuerausfälle, geringere Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger, Schließung von Bädern, Bibliotheken und Kitas.
Aber wohin mit all dem Geld, all den Rücklagen der Autokonzerne?
Industriepolitik und Lastenausgleich
In unserem Land fehlt Industriepolitik – von dieser Regierung ist so etwas außer in Sachen Hochrüstung nicht zu erwarten. Aber die Probleme in der Industrie und für die Arbeiterinnen und Arbeiter werden dadurch nicht gelöst. Vor allem die zerstörerische Konkurrenz zwischen Individuen, Unternehmen und schließlich zwischen den Ländern bleibt bestehen. Eine strategische, sozial-ökologische und demokratische Industriepolitik ist gefragt. Was brauchen wir für ein gutes Leben für alle? Wie stellen wir die Produktion dieser Güter sicher, wenn das Kapital wegen zu geringer Profite in diese Bereiche nicht investiert? Und es gehört viel Geld dazu, dass in unserem Land aber ausreichend zur Verfügung steht. Über 7.000 Milliarden Euro privates Geldvermögen konzentriert sich in wenigen Händen. Hinzu kommen die aus Übergewinnen gebildeten Rücklagen der Konzerne. Also brauchen wir ein Vermögensregister, einen Lastenausgleich, eine Abschöpfung dieser Übergewinne, eine Vermögensabgabe und Vermögenssteuern. Dass es dabei nicht um das ersparte und mit Schweiß aufgebaute Haus der einfachen Menschen geht, ist völlig klar. Große Vermögen über eine Million Euro, Einkommensmillionäre, Kapitalanleger und Eigentümer vieler Immobilien können und müssen zum Lastenausgleich etwas beitragen. Daraus entsteht ein Sondervermögen für den öffentlichen Verkehr, dass nicht neue Schulden sind, sondern seinen Namen wirklich verdient. Natürlich gehört zu dieser Industriepolitik eine kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, die Vier-Tage-Woche für alle.
Friedensstadt Osnabrück
Nehmen wir als Beispiel die geplante Beendigung der Produktion im Osnabrücker Werk von Volkswagen. In Osnabrück läuft die Produktion vom T-Roc Cabrio und vom Porsche 718 – allerdings nur bis September 2027. Die Zukunft danach ist höchst unsicher.
In diesem Werk wurden auf Basis des VW-Crafter kleine, smarte Elektro-Busse entwickelt und exklusiv für Ride-Pooling-Dienste einige hundert Stück gebaut. Das Fahrzeug fährt bis zu 90 km/h, hat eine Reichweite von 300 Kilometern, kann in 30 Minuten auf 80 Prozent Ladekapazität geladen werden und bietet neben dem Fahrer Platz für Fahrgäste. „Dass wir in nur zehn Monaten ein neues, konsequent auf den Zweck Ride-Pooling konzipiertes Fahrzeug bauen konnten, macht uns stolz“ sagt Eckhard Scholz, Vorstand von Volkswagen Nutzfahrzeuge. Die Routen für den Fahrservice von Personen mit unterschiedlichen Ein- und Ausstiegspunkten werden KI-gesteuert optimal berechnet und angefahren.
Der öffentliche Nahverkehr in ländlichen Regionen muss weiterentwickelt werden. Bundesweit sind in diesen Regionen etwa 30 Millionen Menschen zu Hause. Große Busse mit festem Fahrplan und festen Haltestellen taugen noch für den Schülerverkehr, sind ansonsten aber nicht mehr zeitgemäß. Bedarfsverkehre (Ridepooling) anzubieten und die Zeiten und Routen optimal zu steuern, ist für diese Zwecke sehr geeignet und sichert Mobilität für ältere Personen, für Kinder, Jugendliche und andere, die nicht über ein Auto verfügen. In vielen Regionen werden, weil es keine besseren Lösungen gibt, Dorfbusse, Bürgerbusse oder Rufbusse als private oder nachbarschaftliche Hilfe eingesetzt. Wenn die Kommunen bzw. die Verkehrsverbünde durch eine auskömmliche Finanzierung in die Lage versetzt werden, solche Dienste anzubieten – in einigen Jahren vielleicht sogar als autonom fahrende Shuttles – dann gibt es dort einen Bedarf von vielen zehntausenden Fahrzeugen.
Knut Ringat, Vorsitzender der Geschäftsführung Rhein-Main-Verkehrsverbund, sieht Vorteile der Shuttles vor allem in ländlichen Regionen. „Wenn fahrerlose, flexibel buchbare Kleinbusse 24/7 da unterwegs sind, wo heute Linienbusse nur eine Handvoll Mal am Tag fahren, dann wird ÖPNV für alle verfügbar und deutlich attraktiver. Mit dem Leuchtturmprojekt KIRA gehen wir voran und setzen erstmals in Deutschland im normalen Straßenverkehr autonome Fahrzeuge mit Fahrgästen im Test ein. Damit machen wir uns auf den Weg, in den 2030er Jahre mit autonomen On-Demand-Shuttles das öffentliche Verkehrsangebot zu ergänzen und vor allem im ländlichen Raum auszubauen.“ Ein großer Teil des öffentlichen Personenverkehrs in Afrika, Asien und Lateinamerika basiert auf hunderttausenden solcher kleinen Busse wie z.B. dem Dolmuş in der Türkei. Von so etwas können viele ländlichen Gegenden in Deutschland nur träumen. Diese Busse kommen weit überwiegend von Herstellern aus Japan oder aus China. Weltweit gesehen gibt es also einen großen und steigenden Bedarf an solchen Fahrzeugen.
Das VW-Werk in Osnabrück kann solche Fahrzeuge entwickeln und produzieren. Das Land Niedersachsen und die Friedensstadt Osnabrück haben ein großes Interesse daran, zivile Produktion und möglichst viele industrielle Arbeitsplätze in Stadt und Land zu erhalten. Die zuverlässige Verbindung von städtischen Zentren und Umlandgemeinden mit öffentlichen Nah- und Regionalverkehr ist ein zentraler Punkt strategischer Industriepolitik und einer sozialen und ökologischen Mobilitätswende. Das Beispiel der Konversion hin zu Rüstungsgütern zeigt, wenn die Nachfrage abgesichert wird, kann die Produktion eine andere Richtung einschlagen – in Fall Osnabrück für die Rüstung oder für den öffentlichen Verkehr und ökologische Nachhaltigkeit.
Foto: © Stephan Krull; Volkswagenwerk in Zwickau