Kritisch berichtet die Presse in Wolfsburg über die Krise bei VW. Muss nur der Malocher für die Krise zahlen? Und die IG Metall fragt nach dem Anteil des Vorstands und der Aktionäre. Immerhin hat VW rund 22 Milliarden Euro seit 2022 ausgeschüttet.
30.000 Arbeiterinnen und Arbeiter zu viel an Bord? genau wie vor 30 Jahren?
Das VW-Beben steht für die Kündigung der Beschäftigungssicherung, für die Drohung, Werke zu schließen und Mitarbeiter betriebsbedingt zu entlassen. Das VW-Beben markiert eine Zeitenwende. Aus Sicht des VW-Betriebsrats und der IG Metall ist der Fall klar: Die Beschäftigten des Autobauers sollen die Zeche zahlen für Fehlentwicklung, Fehlentscheidungen, Konjunkturschwäche, wirtschaftlichen Abschwung. In ihrem jüngsten Flugblatt stellt die Gewerkschaft daher die aus ihrer Sicht folgerichtige Frage: „Welchen Beitrag leistet eigentlich das Top-Management und welchen die Aktionäre?“
Der Marke fehlen 4,5 Milliarden?
Ob die VW-Führungsriege in diesen angespannten Zeiten auf einen Teil ihrer Millionenbezüge verzichtet, ist derzeit noch nicht zu erkennen. Angesichts des Lochs von etwa 4,5 Milliarden Euro bei der Marke VW wären die Vorstandsbeiträge zur Sanierung zwar allenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie hätten allerdings Vorbildcharakter und damit eine hohe symbolische Bedeutung. Unabhängig davon gilt: Über das Vergütungssystem schlägt sich ein verschlechterndes Unternehmensergebnis in der Entlohnung der Vorstände nieder.
Unklar ist derzeit auch noch, ob VW seinen Aktionären im nächsten Jahr eine Dividendenkürzung oder gar -Nullrunde zumutet. Bislang wurde die angestrebte Ausschüttungsquote von 30 Prozent nicht infrage gestellt – aber die nächste Dividendenzahlung ist ja noch weit entfernt. Seit Jahren hat der Autobauer das Ziel ausgegeben, 30 Prozent des operativen Ergebnisses an seine Aktionäre auszuschütten. Die Marke wurde in den vergangenen Jahren stets, zuletzt knapp verfehlt.
Dennoch: Seit 2022 hat VW rund 22 Milliarden Euro Dividende an seine Aktionäre ausgeschüttet, darunter eine Sonderdividende aus dem Porsche-Börsengang. Allein in diesem Jahr waren es 4,5 Milliarden Euro. Dieses Geld hätte also locker gereicht, um das Finanzloch bei der Konzern-Kernmarke zu stopfen – oder um etwa Hybrid-Modelle zu entwickeln, die derzeit fehlen. Allerdings bemisst sich die Dividende am Konzernergebnis, nicht am Ergebnis der Marke VW.
Dennoch sagte Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover, unserer Zeitung: „Wenn schon alle Steine umgedreht werden, dann kann man auch die Dividendenpolitik hinterfragen. Der vorsichtige Kaufmann spart in guten Zeiten, dann hat er Rücklagen in der Not.“
Stattdessen ist das Geld in die Taschen der Aktionäre geflossen, obwohl sich die Krisenanzeichen schon über einen längeren Zeitraum verdichteten und nicht über Nacht vom Himmel fielen. Unter den Dividendenempfängern sind in erster Linie die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte Porsche-Holding SE, das Land Niedersachsen und Katar als VW-Großeigner. Werden also die Gewinne privatisiert, während die negativen Folgen der Entwicklung einmal mehr sozialisiert werden? Diese Frage kann derzeit noch nicht final beantwortet werden, weil die Entscheidung zur Dividende und zu den Vorstandsbezügen aussteht. Noch also ist alles möglich.
Unter den Dax-Konzernen war Volkswagen zuletzt ein spendabler Dividendenzahler. Je Vorzugsaktie schüttete der Autobauer für das vergangene Jahr 9,06 Euro aus. Großzügiger waren nur die Versicherer Allianz und Münchner Rück mit einer Dividende von 13,80 Euro beziehungsweise 15 Euro. Zum Vergleich: Die Autobauer BMW, Mercedes-Benz und Porsche zahlten 6 Euro beziehungsweise 5,30 Euro und 2,30 Euro Dividende.
Dass VW eine Ausschüttungsquote von 30 Prozent anstrebt, ist kein Zufallswert. Nach Angaben des Unternehmens entspricht er internationalem Standard. Das Unternehmen habe zwei Möglichkeiten, seine Aktionäre am Gewinn zu beteiligen und den Aktienkurs zu stützen. Entweder über Dividenden oder über Aktienrückkäufe. In Europa werde von Anlegern das Modell der Dividende bevorzugt. Eine möglichst hohe Ausschüttung soll demnach aber nicht nur die Aktionäre beglücken. Sie gelte gleichermaßen als eine Art vertrauensbildende Maßnahme gegenüber Banken. Die Logik: Je höher die Rendite, desto günstiger der Kredit.
Oder anders formuliert: Eine kleine Rendite wird von den Banken als Zeichen wirtschaftlicher Schwäche gewertet. Diese Schwäche erhöhe aus ihrer Sicht das Kredit-Ausfallrisiko. Und dieses Risiko muss vom Kreditnehmer zusätzlich bezahlt werden. Daher hat sich VW aus nachvollziehbaren strategischen Erwägungen auf die 30-Prozent-Ausschüttungsquote festgelegt.
Aktien auf Sinkflug
Dividende hin, Dividende her: Seit geraumer Zeit werden viele VW-Aktionäre mit nur wenig Freude auf den Kursverlauf blicken. Vorzugs- und Stammaktie befinden sich seit dem Frühjahr 2021 auf einem beständigen Sinkflug, der durch die jüngsten Ankündigungen nochmals beschleunigt wurde. Beide Aktien kratzen in diesen Tagen an einem 10-Jahres-Tief. Das aktuelle Kurs-Niveau entspricht in etwa dem nach Bekanntwerden des Abgas-Betrugs 2015 und der Corona-Schockphase im Frühjahr 2020.
Auch die Ankündigung eines strengen Sparkurses vor drei Wochen ließ Anleger nicht zu VW-Aktien greifen. Zu groß sind ihre Vorbehalte. Eine nachhaltige Verbesserung der Aktienkurse kann daher wohl erst erwartet werden, wenn sich das Unternehmen und die IG Metall in den anstehenden Tarifverhandlungen auf einen wirkungsvollen Sanierungskurs verständigt haben – der die Aktionäre überzeugt.
VW-Lehrmeister Piëch: Wie man Krisen erfolgreich meistert
Mit gemeinsamer Kraftanstrengung und intelligenter Lösungen wurden 30.000 Jobs gerettet.(T. Kruse)
Wolfsburg Keine Krise ist wie die andere – das weiß man bei VW in Wolfsburg nur zu gut. Nur eines scheint eine konstante Größe seit nunmehr 30 Jahren zu sein – die Zahl von 30.000 Arbeitsplätzen, die angeblich zwingend abgebaut werden müssen. Was hat es mit diesem „Personalüberhang“ auf sich, dem der Autobauer ab 1994 mit einer innovativen Strategie erfolgreich begegnete?
Mögen die Ursachen auch stets unterschiedlich gewesen sein – wenn es bei der Volkswagen AG um Jobabbau geht, dann brennt der Baum und es ist guter Rat teuer. Erfahrungen im Krisenmanagement hat man am Mittellandkanal bereits vor 50 Jahren im Gefolge der Ölkrise reichlich sammeln können. Damals wurden Jobs über Abfindungen abgebaut – und beim Anziehen der Konjunktur und im Gefolge der erfolgreichen Golf-Einführung auch ebenso schnell wieder aufgebaut.
Wesentlich umfassender und auch personaltechnisch intelligenter reagierte Volkswagen 20 Jahre später auf die Probleme nach dem Verpuffen des Wiedervereinigungs-Booms. Damals wurde erstmals auch jene Beschäftigungsgarantie ausverhandelt, deren Aufkündigung jetzt für Angst und Schrecken bei den Belegschaften sorgt. Die Gleichrangigkeit von Beschäftigungssicherung und Wirtschaftlichkeit sollte die Basis für das sogenannte Co-Management werden, das Unternehmensführung und Arbeitnehmervertretung lange eine solide Arbeits- und Verhandlungsbasis bot – bis jetzt.
Ohne Verklärung kann man im Rückblick sagen: Was die Politik heute vor etwaigen Hilfen für Volkswagen verlangt, hat man damals in Wolfsburg gemacht. VW machte nämlich die Hausaufgaben wie ein Musterschüler und drehte an allen Stellschrauben, die zur Verfügung standen. Festgelegt wurde das Ergebnis unter anderem in der Tarifvereinbarung zur Sicherung der Standorte und der Beschäftigung vom 15. Dezember 1993. Im Paragrafen 5 (Beschäftigungssicherung) heißt es: „Für die Laufzeit der Vereinbarung sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.“ Auch die Idee der Altersteilzeit wurde damals geboren – als sogenannte „Stafette für Ältere“. Sie trat Anfang 1996 in Kraft und besagte: „Zum 1. Januar 1996 tritt eine tarifliche Regelung in Kraft, die eine Stafetten-Regelung für Ältere in Form eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (Altersteilzeit) vorsah.“
Einführung der Vier-Tage-Woche
Revolutionär und der Schlüssel zum Erhalt der Jobs war damals die Einführung der Vier-Tage-Woche durch Volkswagens Arbeitsdirektor Peter Hartz. Ohnehin war es wohl ein großes Glück für die Beschäftigten, dass damals ein „Kartell der Willigen“ in Unternehmen, Politik und Gewerkschaft am Werke war, um den großen Personal-Kahlschlag zu verhindern und zugleich auch eine „neue Zumutbarkeit“ für die Arbeitnehmerschaft zu formulieren. Der damals neue Konzernchef Ferdinand Piëch wollte keinesfalls mit Massenentlassungen in Wolfsburg starten.
Es bildete sich schnell eine mächtige Phalanx mit Piëch, dem autoaffinen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD), dem Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert und eben Hartz. Letzterer hatte viel Erfahrung in der Stahlbranche gesammelt. Was noch wichtiger war: Sanierer Hartz war SPD-Mitglied und IG Metaller. Seine Vision lautete „Das atmende Unternehmen – Jeder Arbeitsplatz hat einen Kunden“. Von denen gibt es derzeit allerdings entschieden zu wenige.
Bei Vergleichen zur momentanen Situation darf man auch nicht vergessen, dass es damals wie heute nicht nur um Personalabbau ging. Der erfolgreiche Angriff der japanischen Hersteller deckte alle Schwächen im Wolfsburger System schonungslos auf. Das reichte von den Produktionsprozessen über den Einkauf bis zur Modellpolitik. Wolfgang Fürweger schreibt in seiner Piëch-Biographie: „Die Ausgangslage war klar: Bei VW arbeiteten zu viele Menschen zu wenig.“ Piëch machte Druck und – was noch wichtiger war – er brachte die richtigen Leute zusammen. Und das auch gegen starke Widerstände, wie die skandalumwitterte Verpflichtung des Einkaufsexperten José Ignacio López de Arriortúa vom Konkurrenten GM bewies. Im Produktionsbereich erwies sich die Plattformstrategie als Volltreffer.
In der Volkswagen-Chronik heißt es dazu: „Zur Bewältigung der Unternehmenskrise begann der Volkswagen-Konzern mit der Reorganisation des Produktionssystems nach dem Vorbild der schlanken Fertigung, die sich durch flache Hierarchien, eine teamförmige Arbeitsorganisation, eine geringe Fertigungstiefe und die logistische Vernetzung mit den Zulieferern auszeichnete. Für das Gelingen dieses mittelfristig angelegten Projekts war die konzeptionelle Mitarbeit der Betriebsräte unentbehrlich. Gleiches galt für die sozial verantwortliche und marktorientierte Beschäftigungspolitik, die nicht mehr nur auf gleichmäßige Kapazitätsauslastung, sondern auf die schnelle Anpassung an Kundenwünsche und Nachfrageschwankungen ausgerichtet war. Diese schwierige Synthese gelang zeitweise mit der zum 1. Januar 1994 eingeführten Viertagewoche.“ Statt 36 Stunden arbeiteten die VW-Mitarbeiter 28,8 Stunden. Sie mussten Einkommensverzichte von 14 bis 16 Prozent akzeptieren.
Die Erfolge stellten sich relativ schnell ein. Selbst bei den Krankenständen – auch heute wieder ein großes Thema – ergaben sich quasi umgehend Verbesserungen. Fürweger schreibt: „1993 waren im Schnitt noch knapp 9 Prozent der Mitarbeiter ständig im Krankenstand. Anfang 1993 waren es nur mehr 3 Prozent.“
Doch was taugt das Beispiel 1994? Wohl eher wenig. Denn heute steht das ganze Geschäftsmodell zur Disposition. Und Volkswagen ist im Bereich der Elektromobilität und der vernetzten Mobilität keinesfalls mehr Marktführer. Außerdem hat jetzt ein Management das Sagen, das strikt renditeorientiert denkt und handelt. Eine emotionale Bindung und Verantwortung wie noch bei Piëch ist nicht mehr der entscheidende Handlungsimpuls.
Text aus „Wolfsburger Nachrichten / Braunschweiger Zeitung“, 23.9.2024
4,5 Mrd. Euro fehlen, das ist etwa die Summe, die das Land Niedersachsen der 20%-Anteile bekommen hat. Warum fordern die Autobauern vom Steuierzahler 8,4 Mrd. Kaufprämie, wenn VW 22 Mrd. Gewinn ausschüttet? Wo bleibt den hier der Staatsanwalt und der Verfassungsschutz, die die Ungleichbehandlung nach Artikel 3 Grundgesetz zulassen ? Was wollen denn die Lobbyisten ständig im Bundestag ? Die Kaufprämie muss vom Umsatz und vom BIP abgezogen werden.