Die Angstmacher von Wolfsburg
Im März 2019 sahen wir die Ouvertüre zu den andauernden Provokationen des Managements von Volkswagen gegenüber der Gewerkschaft, der Belegschaft und dem Betriebsrat. Wolfgang Porsche meldete sich als Sprecher des Porsche-Piëch-Familienclans vom mondänen Genfer Autosalon mit einer Kriegserklärung an die Belegschaft und ihre Interessenvertretung: Behäbig seien die Wolfsburger Autobauer. »Ich habe ja nichts gegen Mitbestimmung, aber …«, so der Enkel von Ferdinand Porsche und mit zwölf Milliarden Euro Vermögen einer der reichsten Männer Deutschlands. Volkswagen bilde jedes Jahr 1.500 Lehrlinge aus, ohne zu wissen, wo sie eingesetzt würden. »Wir sind nicht das Paradies, sondern ein Unternehmen. Alle Investitionen müssen sich rechnen«, ließ er die Presse wissen – und meinte doch nur den Profit: Die damalige Ausschüttung von mehr als zwei Milliarden Euro war ihm offensichtlich zu wenig. Es folgte eine Breitseite gegen Beschäftigungssicherung und das VW-Gesetz: »Als Anteilseigner kann ich nur mit Nachdruck darauf verweisen, dass wir flexibler und effizienter werden müssen. Wir geben eine Arbeitsplatzgarantie bis 2025 oder sogar bis 2028 und wissen nicht, was in zwei Jahren aus China kommt. Das ist für mich problematisch.«i
Gut zwei Jahre sind vergangen und eine massive globale Krise ist dazugekommen. Die Botschaft heute aus einem anderen berufenen Mund: »Ich kenne keine größere Firma, die diese Krise nicht nutzt, um ein sogenanntes Righsizing vorzunehmen. […] Auch die Unternehmen, die bisher sehr vorsichtig und sozial verträglich versucht haben, die Kostenstruktur zu verbessern, machen das krisenbedingt jetzt mit einem harten Schnitt.«ii
Management by Provocation
Seit drei Jahren sind die Absatzzahlen von VW rückläufig, der Profit jedoch sprudelt munter weiter.iii Und der VW-Vorstandschef Herbert Diess lässt kaum eine Gelegenheit aus, mit hergeholten Produktivitäts- und Kostenbenchmarks Belegschaft und Interessenvertretung zu provozieren. Dafür ist er ist bekannt. Einige Beispiele:
- Viel mehr elektrische Energie wird benötigt für E-SUVs, die der Konzern vertreiben möchte. Diess: »Ich hadere mit der Entscheidung, bestehende Atomkraftwerke nicht länger laufen zu lassen.« Neue Atomkraftwerke seien mittlerweile sehr sicher.iv
- »Ebit macht frei«. Diess benutzte diese Phrase, mit der er an den deutschen Faschismus und damit die Anfänge von Volkswagen anknüpfte, bei einer Managertagung.v »Arbeit macht frei« stand über den Eingangstoren verschiedener NS-Konzentrationslager, unter anderem in Auschwitz. Ferdinand Porsche ließ aus diesem Konzentrationslager Zwangsarbeiter*innen für die Arbeit im KdF-Werk rekrutieren, die meisten davon kamen in Wolfsburg ums Leben.
- Mit großem Getöse wurde nach dem Abgasbetrug die ehemaligen Richterin am Bundesverfassungsgericht, Christine Hohmann-Dennhardt, als Ausputzerin in den Vorstand geholt. Im neu geschaffenen Ressort »Integrität und Recht« sollte der Skandal durch sie abgearbeitet werden. Nach nur einem Jahr schied sie genervt wieder aus. Hohmann-Dennhardt sagte etwas später bei der Staatsanwaltschaft als Zeugin aus, sie sei nicht mit der Aufarbeitung des Abgasskandals und den Kontakten zu den US-Behörden betraut gewesen, obwohl sie deswegen zum Vorstand für das Rechtswesen bestellt worden war. Nun scheidet ihre Nachfolgerin Hiltrud Werner aus gleichen Gründen aus dem Vorstand aus und Manfred Döss, der Vertraute des Porsche-Piëch-Familienclans, Leiter der Rechtsabteilung und Vorstandsmitglied der Porsche SE, wurde in den Vorstand berufen.
- Direkt nach seiner Vertragsverlängerung bis 2025 ließ Herbert Diess im September 2021 an Betriebsrat und Aufsichtsrat vorbei einen Personalabbau von 35.000 Beschäftigten in der Wolfsburger Autofabrik durchrechnen. Die Folge eines solchen Kahlschlags wäre die Verarmung einer ganzen Region, der Absturz von zehntausenden Familien in die Rohrstockpädagogik von Hartz IV. »Die Angst ist die größte Macht in dieser Schreckenskammer der Gesellschaft. Die Angst vor Sanktionen ist prägend für das Leben von Betroffenen. Das Jobcenter war der einzige Ort auf dieser Welt, wo ich mich nach den ersten Erfahrungen nicht alleine hin getraut habe – und ich war schon an sehr vielen Orten dieser Welt.«vi
- Parallel dazu versuchte Diess unter Ausschaltung des Betriebsrats direkt mit der Belegschaft zu kommunizieren. Das ist nicht grundsätzlich neu, war in dem sozialpartnerschaftlichen Vorzeigebetrieb in dieser Form bis dahin aber noch nicht vorgekommen. Die Einladung zur Betriebsversammlung lehnte er zunächst ab, um ein paar Tage vorher zu einer eigenen Belegschaftsinformation einzuladen. Schließlich wurden die Verhältnisse wieder gerade gerückt, Diess erschien zur Betriebsversammlung am 4. November, bekam aber nachvollziehbar keine Zustimmung zu seinen Personalabbau-Plänen.
Tesla als Benchmark?
Die Provokationen kann man als Angstmacherei bezeichnen, die Hoffnung vom Management ist wohl, dass Unruhe und Angst die Belegschaft gefügig machen. Die Ankündigung des Personalabbaus war auch deshalb so stark in der Kritik, weil es eine Vereinbarung mit Gewerkschaft und Betriebsrat gibt, in der ein moderaterer Personalabbau festgelegt wurde. Die Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats Daniela Cavallo forderte also nicht mehr und nicht weniger als Verlässlichkeit und Vertragstreue ein. Bezogen auf die andauernde Kurzarbeit übte Cavallo scharfe Kritik an den regelmäßigen Produktionsausfällen in Wolfsburg wegen fehlender Halbleiter. »Das, was wir bei den Halbleitern sehen, ist ein Armutszeugnis. Es ist ein Armutszeugnis für einen Weltkonzern! Und es ist die Verantwortung des Konzernvorstandes, zumal es andere Automobilhersteller gibt, die besser durch die Krise kommen. Für 2021 erreichen wir, wenn es gut läuft, gerade mal 400.000 Fahrzeuge in Wolfsburg!« Das wären noch einmal deutlich weniger als im Corona-Jahr 2020, als die Produktion im Stammwerk erstmals seit 1958 unter 500.000 gefallen war. »Die Wahrheit ist doch, dass unser Konzernvorstand, für den Sie die Verantwortung tragen, Herr Dr. Diess, es nicht schafft, für die Auslastung unseres Werkes zu sorgen!«
Vor allem wies Cavallo den Vergleich mit Tesla zurück. Diess hatte behauptet, bei VW würden 30 Stunden für ein Auto aufgewandt, bei Tesla nur 10 Stunden. Die Betriebsratsvorsitzende dazu: Vergleiche mit dem neuen Tesla-Werk in Grünheide, wo 10.000 Mitarbeiter pro Jahr 500.000 Autos bauen sollen, seien völlig unangebracht. Denn in Wolfsburg entfällt nur ein kleiner Teil der 60.000 Beschäftigten auf die eigentliche Fahrzeugproduktion. Nur 13.000 sind direkt mit dem Autobau befasst. Eigentlich gibt es in der Wolfsburger Fabrik eine Kapazität von rund 900.000 Fahrzeugen pro Jahr. Würden die oder, besser noch, Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr gebaut, stünde das Werk im theoretischen Vergleich zu Tesla prima da. In Grünheide rollen entgegen den Ankündigungen noch keine Autos vom Band und für die geplanten 50.000 im ersten Halbjahr 2022 werden jeweils über 50 Stunden Bauzeit angesetzt.
E-Strategie
Ein weiterer Dissens bei der Betriebsversammlung war, ob und wann in Wolfsburg E-Autos gebaut werden. Während Diess behauptete, der Betriebsrat hätte die Produktion von E-Autos nicht gewollt, verwies Cavallo auf den Zukunftstarifvertrag von November 2016: »Neben dem Tiguan wird in Wolfsburg ein SUV für Seat hergestellt. Zudem soll Wolfsburg bei der nächsten Generation von E-Autos dabei sein.«vii Ursprünglich wollte der Vorstand die E-Produktion in das VW-Werk in Bratislava geben.
Nachdem bei der vorangegangenen Krisensitzung des Aufsichtsrates der bemerkenswerte Satz fiel »Herr Diess, bitte nehmen Sie draußen Platz« (AR-Vorsitzender Pötsch), wurden ihm bei der folgenden Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember einige operative Aufgaben wie das China-Geschäft abgenommen. Doch wichtiger ist das Investitionsprogramm von 160 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre. Bei einem genaueren Blick darauf ist festzustellen, dass die Standorte gestärkt werden – weit mehr als ein Punktesieg für den Betriebsrat im Streit mit dem Vorstandsvorsitzenden. Für die Standorte in Deutschland wurden folgende Investitionen beschlossen:viii
- In Wolfsburg wird die technische Entwicklung (Campus Sandkamp) kräftig ausgebaut und es kommt eine zusätzliche Fertigung für eine E-Autoproduktion hinzu (mehrere Milliarden Euro).
- In Kassel werden 1,2 Mrd. investiert, hauptsächlich für E-Antriebe und die Gießerei.
- In Hannover wird ein E-Bully ebenso gebaut wie der Multivan mit Hybridantrieb – einiges künftig in Kooperation mit Ford, wo der VW-Amarok ab nächstem Jahr gebaut werden soll.
- In Salzgitter werden mehr als zwei Milliarden Euro investiert, hauptsächlich in den Aufbau einer Batteriezellfertigung und für Batterierecycling.
- In Emden werden für den Umstieg auf E-Autos (Aero als Passat-Nachfolger) mehr als eine Milliarde Euro investiert.
- In Braunschweig wird rund eine Milliarde Euro investiert für E-Komponenten und die Vorbereitung einer E-Plattform für fast alle Modelle des Konzerns.
- In Osnabrück wird der Arteon über 2024 hinaus gebaut und über 100 Millionen Euro investiert für Strukturmaßnahmen, unter anderem die Lackiererei.
- In Sachsen mit den Standorten Zwickau, Chemnitz und Dresden wurden bereits beträchtliche Investitionen getätigt für die Produktion von E-Autos, das wird fortgeführt.
Dennoch warnt die Betriebsratsvorsitzende in einer Information an die Belegschaft: »Wir haben das Schlimmste noch vor uns. Noch das ganze nächste Jahr wird Mangelversorgung herrschen. Vor uns steht eine riesige Herausforderung. Aber wir haben eine Beschäftigungssicherung bis 2029. Ich weiß, dass Hunderte Leiharbeitsbeschäftigte davon nichts haben. Das schmerzt.« Weiter schreibt sie mit Blick auf die Zukunft und die Fabrikorganisation: »Die bisherigen Fahrweisen (gemeint sind die Belegung der Fertigungsbänder und die Schichten) haben keinen Bestand und die Schichtmodelle müssen auch für die Stammbelegschaft neu sortiert werden.« Für die durch mehr als 20% Kurzarbeit schon sehr angespannte Belegschaft sind das keine guten Aussichten. Nur die in der VW-AG geltende Standort- und Beschäftigungssicherung bietet Sicherheit für die Beschäftigten im Wandel. Nach wie vor sind betriebsbedingte Kündigungen innerhalb der VW-AG ausgeschlossen – ein wichtiger tarifvertraglicher Erfolg der IG Metall, der seit der legendären Vier-Tage-Woche ab Mitte der 1990er Jahren immer wieder verlängert werden konnte.
Beschäftigte anderer Betriebe wissen um die Angst und Sorge, wenn Entlassungen angekündigt werden und es solche vertraglichen Kündigungsverbote nicht gibt. Die Beschäftigungssicherung bei VW ist ein immenser Gewinn für die Beschäftigten und für die betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung. Das ist noch kein Schutz vor einer Reduzierung der Belegschaft durch Abfindungsprogramme und Nichtersatz der normalen Fluktuation. So sind im Jahr 2021 bei VW ca. 1.000 Personen weniger beschäftigt als vor einem Jahr. Und in die Sicherungsvereinbarung sind nicht 500 Leiharbeiter*innen einbezogen, deren Verträge in Wolfsburg zum Jahresende nicht verlängert wurden. Alles zusammen ein gewichtiger Grund, das Projekt »kollektive Arbeitszeitverkürzung« wieder auf die gewerkschaftliche und politische Tagesordnung zu setzen.
Wie geht es weiter?
Die nächsten Jahre wird nichts besser werden – die Pandemie wird global nicht wirklich bekämpft, weil die Impfstoffe nicht für alle verfügbar gemacht werden. Der Markt bleibt sehr angespannt, denn die Nachfrage nach Klein- und Mittelklassefahrzeugen ist wegen sinkender Kaufkraft rückläufig. Der Absatz von Premiumfahrzeugen wird zwar zunehmen, aber bei Weitem nicht in dem Umfang, wie der Markt für kleine Fahrzeuge kleiner wird. Für die Konzerne ist das insoweit kein Problem, als mit Luxus ohnehin mehr Geld verdient wird, als mit preiswerteren Autos für das Volk. Die Vereinbarungen aus dem Zukunftspakt für Volkswagen werden ebenso wenig Bestand haben wie die Projekte aus der »Konzertierten Aktion Mobilität,ix die der »nationalen Plattform Elektromobilität«x oder die von der neuen Bundesregierung geplanten 15 Millionen Elektroautos bis 2030. Aus ökologischen Gründen könnte man jetzt sagen: prima, endlich weniger Autos. Aber: Damit wird die soziale Frage von hunderttausenden Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie nicht beantwortet. Diese existenzielle Frage, an der die Akzeptanz für den Klimaschutz hängt, kann nur auf folgenden Wegen wirklich beantwortet werden:
- Die Autoindustrie muss zu einer Mobilitätsindustrie umgebaut werden. Im öffentlichen Verkehr fehlt es an allen Ecken und Enden. Arbeit ist genug vorhanden – nur nicht so profitträchtig wie die Autoproduktion.
- Da die Großaktionäre von VW, Daimler und BMW sowie von Siemens und Alstom dazu offensichtlich nicht bereit sind, muss der Staat, müssen der Bund, die Länder und die Kommunen eine solche Industrie auf gemeinwirtschaftlicher Basis initiieren und massiv fördern.
- Für die Beschäftigten der Autoindustrie muss es eine Beschäftigungsgarantie geben, verbunden mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung und Anspruch auf Qualifizierung für neue Tätigkeiten.
Die Großaktionäre und deren Manager sehen das offensichtlich anders. Daimler hat die LKW-Sparte ebenso an die Börse gebracht wie Volkswagen. Der Porsche-Piëch-Clan plant, seine Anteile am VW-Konzern teilweise zu verkaufen, um die Alleinherrschaft über den Sportwagenhersteller Porsche wiederzuerlangen.xi Die Familie, wie der Clan euphemistisch genannt wird, sieht sich durch den Betriebsrat blockiert und will den VW-Konzern deshalb zerschlagen.
Nun sind die Landesregierung und die Politik im weiteren Sinne gefordert. Arbeitnehmervertreter*innen und Vertreter des Landes Niedersachsen verfügen im Aufsichtsrat über eine Mehrheit von zwölf Stimmen, gegen die der Vorsitzende mit seinem doppelten Stimmrecht nicht ankommt. Mit dieser Mehrheit kann die Filetierung des Konzerns verhindert und der Umbau zu einem Mobilitätsanbieter, die sozial-ökologische Transformation auf den Weg gebracht werden. Dazu müssen die sozialen Rechte der Beschäftigten, die gesellschaftlichen Mobilitätsbedürfnisse und der Klimaschutz in den Mittelpunkt gerückt werden – statt die Profitinteressen und Machtgelüste der Milliardäre.
Da der VW-Konzern ein kompliziertes Geflecht ist, eine kurze Erläuterung: Dem Porsche-Piëch-Clan gehört der VW-Konzern zu 53%. Die Porsche AG gehört zu 100% zum VW-Konzern. Mit ihren 53% haben sie schon eine große Macht bei VW, bei Porsche und allen anderen Töchtern – aber sie wollen die Macht total haben. Business Insider schrieb Anfang Dezember 2021: »An dem Gesamtkonzern hält die Familie Piëch und Porsche direkt und indirekt 53,3% der Stimmrechte. Dabei möchte es die Familie scheinbar nicht belassen, denn sie sehen sich im Aufsichtsrat durch Betriebsrats- sowie Bundeslandvertreter blockiert.«xii
Wer wäre von der Zerschlagung/Filetierung betroffen? Im Prinzip alle fast 600.000 Beschäftigten weltweit – zunächst aber die 100.000 Beschäftigten in den Standorten Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Hannover, Kassel und Emden, zusätzlich die in den Tochterunternehmen in Zwickau, Chemnitz und Osnabrück, schließlich die bei der Tochter Audi – und bei allen anderen kleineren oder größeren Töchtern wie der Bank, Volkswagen Group Services (vormals AutoVision), MAN bzw. Traton, MOIA und viele mehr.
Vor allem sollte das Land Niedersachsen als großer Aktionär aktiv werden. Aus der Geschichte ergibt sich die Verpflichtung, dieses Unternehmen nicht den privaten Profitinteressen Einzelner zu überlassen. Und aus den heutigen und künftigen Herausforderungen der Klimaneutralität, der Verkehrswende und der Digitalisierung ergibt sich die Verpflichtung, ein nachhaltiges und gesellschaftliches Konzept von Mobilität zu garantieren. Dazu gehört mehr öffentliches Eigentum. Volkswagen sollte in öffentlich-gemeinwirtschaftliches Eigentum überführt werden. Nur dadurch, dass die Mobilitätsbedürfnisse in den Mittelpunkt gerückt werden, sind die Zukunft, die Standorte und die Beschäftigung zu sichern. Das ist im Interesse des Landes und der Gesellschaft.
Die Idee des Familienclans ist es offensichtlich, die Porsche AG exklusiv an die Börse zu bringen, um selbst eine Aktienmehrheit zu kaufen, mit dem Ziel, dann alleine entscheiden zu können – zumindest ohne den VW-Aufsichtsrat. Das würde bedeuten, dass ein großes Aktienpaket von VW zum Verkauf stünde und entweder Investoren hinlangen – oder eben das Land Niedersachsen. Wenn Investoren hinlangen, würde der Druck auf die Beschäftigen und auf die Sozialstandards entsprechend steigen. Wenn das Land einsteigt, könnte mit dieser großen Aktienmacht der sozial-ökologische Umbau eingeleitet werden.
Volkswagen wird aller Voraussicht nach die Krise und die verschärfte Konkurrenz dank vieler Milliarden Rücklagen noch ein paar Jahre überstehen. Vielleicht wird der Konzern aufgeteilt, wahrscheinlicher ist aber, dass die Tendenz zur Monopolbildung zu weiteren Kooperationen und schließlich zu weiteren Fusionen, jeweils verbunden mit der Liquidierung von Kapazitäten, führt. In jedem Fall wird der Druck auf die Beschäftigten steigen – eine große Herausforderung für die IG Metall, für den Betriebsrat, für die Verkehrswende- und Klimabewegung. Die Transformation kommt auf jeden Fall – ob sie gemeinsam von Gewerkschafter*innen und Klimaaktivist*innen in Richtung Nachhaltigkeit vorangebracht wird, hängt an der Kooperationsfähigkeit der sozialen und ökologischen Bewegungen. Die bisherigen Gespräche, Vereinbarungen, unter anderem von IG Metall, EKD und SoVD,xiii BUND,xiv Fridays for Futurexv und gemeinsame Aktionen sind eine gute, wichtige und ausbaufähige Grundlage dafür.
Veröffentlicht in SOZIALISMUS 1-2022 https://www.sozialismus.de/heft_nr_1_januar_2022/
Stephan Krull war Betriebsrat bei VW Wolfsburg und ist jetzt Koordinator des Gesprächskreises »Zukunft Auto.Umwelt.Mobilität« der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er gibt gemeinsam mit Mario Candeias den Band »Spurwechsel. Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion« heraus, der im Januar 2022 im VSA: Verlag erscheint.
1 www.wiwo.de/unternehmen/industrie/streit-um-sparprogramm-vw-betriebsratschef-osterloh-geht-in-die-offensive-und-fordert-personelle-konsequenzen/24082754.html und www.wiwo.de/unternehmen/industrie/genfer-autosalon-grossaktionaer-wolfgang-porsche-kritisiert-macht-des-betriebsrats-bei-vw/24067872.html
2 Conti-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle im manager magazin, 10.6.2020. Unter Rightsizing wird eine Restrukturierung oder Rationalisierung mit dem Ziel der Kostenreduzierung, der Verbesserung der Rentabilität verstanden, ähnlich Downsizing oder »Verschlankung«.
3 Der Absatz in Deutschland sank von 2019 bis 2021 um 1/3 auf 450.000 Fahrzeuge, die weltweite Produktion ging im gleichen Zeitraum um 25% von elf Millionen auf voraussichtlich 8,2 Millionen Fahrzeuge zurück. Der Gewinn (operatives Ergebnis) steigt voraussichtlich von 17 Milliarden auf 18 Milliarden Euro. Das erklärt sich vor allem durch den Verkauf von teureren Fahrzeugen, z.B. in China wurden 200.000 Fahrzeuge weniger verkauft, aber sechs Milliarden Euro mehr Umsatz gemacht.
4 www.trendingtopics.eu/herbert-diess-vw-alpbach/ 21. August 2021 und Tagesspiegel vom 31.5.2019
5 www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/volkswagen-chef-herbert-diess-ebit-macht-frei-a-1257600.html. Ebit ist eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den operativen Gewinn aus dem Leistungsbereich eines Unternehmens beschreibt.
6 Die zeitweise erwerbslose Schauspielerin und Autorin Bettina Kenter-Götte; Süddeutsche Zeitung, 28.11.2019.
7 www.igm-bei-vw.de/fileadmin/Material/Zukunftspakt_Flyer.pdf
8 www.volkswagenag.com/de/news/2021/12/planning-round-70–volkswagen-drives-forward-electrification-of-.html
9 www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/6-spitzengespraech-der-konzertierten-aktion-mobilitaet-1951776
10 www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/elektromobilitaet/nationale-plattform-elektromobilitaet/nationale-plattform-elektromobilitaet.html
11 www.businessinsider.de/wirtschaft/mobility/wegen-moeglichen-boersengangs-von-porsche-eigentuemerfamilien-porsche-und-piech-sollen-teilverkauf-ihrer-anteile-an-vw-pruefen-a/
12 Siehe Anmerkung 11.
13 www.sovd.de/aktuelles/meldung/breites-buendnis-fordert-sozial-und-klimavertraegliche-mobilitaetswende
14 www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/ig-metall-und-bund-fordern-zuegige-mobilitaetswende, https://www.igmetall.de/download/20211022_Forderungspapier_Mobilitaetswende_BUND_IGMetall_1102498331608d869db96477b56db25180a50550.pdf
15 www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/umwelt-und-energie/ig-metall-im-dialog-mit-fridays-for-future-bewegung, www.igmetall.de/download/20190826_20190826_Erkl_rung_FFF_Demo_20_09__GfVM_final_ea1179dd0c1173bf313a45b4b88e27c9ffa3cb5f.pdf
Hallo,
hier eine für mich neue Meldung, die genau in die richtig Intention des Artikels passt: VW gründet für sein Batteriezell-Geschäft eine Europäische Aktiengsellschaft:
https://industrie.de/mobilitaet/batterie-geschaeftvolkswagen-gruendet-europaeische-aktiengesellschaft/
Noch kürzlich hat die IGM die Europäischen Aktiengsellschaften als Versuch benannt, die deutsche Mitbestimmung zu umgehen.