Sechs Jahre, nachdem das größte Kapitalverbrechen in der Geschichte der BRD aufgeflogen ist, begann der Prozess vor dem Brauschweiger Landgericht – ohne den eigentlichen Hauptangeklagten, den ehemals bestbezahlten VW-Vorstandschef Prof. Dr. Martin Winterkorn. Der Herr ist unpässlich, ein Arzt attestiert ihm Verhandlungsunfähigkeit. Ohnehin ist eine Prozessdauer von zwei Jahren geplant, nun ist unklar, ob er überhaupt geführt werden kann.
Auf der Anklagebank fehlt neben Winterkorn der Spiritus rector und Profiteur des Betruges, der inzwischen verstorbene Ferdinand Piëch. Dieser versuchte sich selbst zu entlasten, als er Ende 2016 gegenüber der Staatsanwaltschaft Braunschweig zu Protokoll gab, Winterkorn und Niedersachsens SPD-Ministerpräsidenten und VW-Aufsichtsratsmitglied im Frühjahr 2015 auf den Betrug angesprochen zu haben. Der Bericht der „internen Prüfung“ wird bis heute unter Verschluss gehalten wegen „unvertretbarer Risiken“ für das Unternehmen. In den Jahren 2013 bis 2017 kassierte der Familienclan 6 Milliarden Euro Dividenden, der Konzern hat Gewinnrücklagen von 100 Milliarden Euro. Da wäre viel zu holen, wenn es um Schadensbegrenzung für den Staat und für die Beschäftigten ginge. Was an den Vorwürfen gegen Volkswagen fehlt, ist die Aufklärung der geradezu mafiösen Beziehungen zwischen Volkswagen und der Bundesregierung, vor allem dem Bundesverkehrsminister. Acht Monate wurden im parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag 2017 Akten gewälzt und Zeugen gehört. Als österreichischer Staatsbürger weigerte Piëch sich, vor dem Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages auszusagen und Winterkorn beteuerte seine Unschuld. Die Regierungsfraktionen von CDU und SPD sprachen den Bundesverkehrsminister und das Kraftfahrtbundesamt von jeder Verantwortung für den Betrug und die ökologischen Folgen frei.
Mit bandenmäßigen Betrug, so die Staatsanwaltschaft, wollten die Angeklagten dem Unternehmen möglichst hohe Gewinne verschaffen. In einer Runde soll der Satz gefallen sein: „Wenn wir schon bescheißen, dann machen wir es richtig“. Es sei, so sagt einer der Angeklagten in Braunschweig zur Abwesenheit von Winterkorn, „eine absurde Situation, dass der Gehilfe vor Gericht steht und der vermeintliche Kopf der Bande zu Haus sitzt“ (dpa). Tatsache ist, dass unter der Verantwortung von Ferdinand Piëch als Aufsichtsratsvorsitzendem und als Vertreter des Hauptaktionärs bei VW die Betrügereien begannen und in den Motorenentwicklungen von Audi, Volkswagen und Porsche praktisch eingeführt wurden. Tatsache ist, dass Winterkorn und Pötsch enge Vertraute von Piëch und dem Familienclan waren, dass Herbert Diess als Piëch-Vertrauter von BMW geholt wurde. Tatsache ist, dass mit dem Abgasbetrug der seit Jahren schwache Absatz vor allem in den USA angekurbelt werden sollte: Clean Diesel. Tatsache ist, dass der Porsche-Familienclan mit diesem millionenfachen Betrug viel Geld verdient hat – die Profite von VW wurden zu einem guten Teil als Dividenden in den Jahren des Betruges an den Familienclan ausgezahlt.
In der in Deutschland kaum wahrgenommenen Einigung mit den US-Behörden gibt Volkswagen den jahrelangen und bewussten Betrug der Kunden und der Öffentlichkeit sowie den Versuch der Dokumentenvernichtung nach Aufdeckung der Machenschaften zu. In der Tradition von Piëch, bestimmte Vorgänge nicht schriftlich festzuhalten, zerstörten Mitarbeiter von VW und Audi im September 2015 Tausende Unterlagen: „Als die VW-Mitarbeiter sich darauf vorbereiteten, den US-Aufsichtsbehörden mitzuteilen, dass VW eine „Abschalteinrichtung“ in den betroffenen 2,0-Liter-Fahrzeugen verwendete, erstellte der Rechtsanwalt für VW eine Mitteilung zur Dokumenten-Aufbewahrungspflicht, um sicherzustellen, dass VW Dokumente in Verbindung mit den Dieselemissionsproblemen nicht vernichtet. In Erwartung des Inkrafttretens dieser Mitteilung für die VW AG vernichteten bestimmte Mitarbeiter der VW AG Dokumente und Dateien in Verbindung mit den US-Emissionsproblemen, die ihrer Ansicht noch von der Mitteilung betroffen sein würden. Bestimmte Mitarbeiter von VW forderten darüber hinaus von ihren Kollegen ebenfalls die Vernichtung sensibler Dokumente in Verbindung mit den US-Emissionsproblemen.“
(„Statements of facts“, https://stephankrull.info/2017/04/09/statment-of-facts-vw-schuldeingestaendnis-gegenueber-der-justiz-in-den-usa/).
Vor einem Jahr hat der US-Aufseher Larry D. Thompsen dem Volkswagen-Konzern attestiert, die Strukturen und Prozesse sowie Verpflichtungen auf allen Ebenen des Unternehmens können Volkswagen zu einem langfristigen Erfolg in Bezug auf Ethik und Integrität verhelfen, Volkswagen sei auf dem richtigen Weg. Weder dieser Prozess noch weitere Verfahren wegen Bestechung von Betriebsräten bei VW (Osterloh), Porsche (Hück) und MAN ( Stimoniaris) deuten darauf hin, dass diese Möglichkeit der Läuterung genutzt wird. Auch die beidseitig vorteilhafte „Zusammenarbeit“ mit dem ehemaligen Bürgermeister von Chattanooga in Tennessee/USA zur Verhinderung einer Gewerkschaft im dortigen VW-Werk lassen keine Hoffnung aufkommen, Volkswagen könnte zivilisiert werden. Die Uneinsichtigkeit der Verantwortlichen erfordern es, dem Management die Erlaubnis zur Betriebsführung zu entziehen – so wie jedem Produzenten von Gammelfleisch.
Hier die Version aus junge welt vom 23.9.2021: https://www.jungewelt.de/artikel/410987.betrug-mit-diesel-pkw-warten-auf-winterkorn.html