Am 30. September fand die Aktionärsversammlung des Volkswagen-Konzerns statt; fast überlagert von der Eröffnung des Prozesses gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler.
Hunderttausendfache Täuschung, Falschbeurkundung und strafbare Werbung – so lauten die Vorwürfe gegen Stadler im Zusammenhang mit dem Abgasbetrug. Am 11. Juni 2018 rückten frühmorgens Ermittler bei ihm zu Hause an und nahmen ihn fest: wegen Verdunklungsgefahr. Stadler war Intimus von Großaktionär und Aufsichtsratsboss Ferdinand Piëch und Verbündeter von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, der sich ebenfalls zwei Anklagen gegenübersieht. Der Prozess gegen Stadler findet im Hochsicherheitsgerichtssaal im Tiefgeschoss der Justizvollzugsanstalt Stadelheim statt.
Etwa 15 Milliarden Euro hat Volkswagen seit 2015 an Rechtsanwaltskosten, Strafen und Bußgeldern im Abgasbetrug ausgegeben, etwa die gleiche Summe nochmal als Schadenersatz für Kundinnen und Kunden hauptsächlich in den USA: 32 Milliarden Euro hat dieser gigantische Betrug das Unternehmen bisher gekostet. Zwei handvoll Manager aus der zweiten und dritten Reihe mussten gehen; neben Stadler saßen bisher zwei Manager aus der dritten Reihe in den USA im Gefängnis, verurteilt unter anderem wegen Verschwörung und Behinderung der Justiz. Pötsch und Diess akzeptierten beim Braunschweiger Landgericht ein Bußgeld von fünf Millionen Euro sowie „die Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile in Höhe von 995 Millionen Euro“ – und Volkswagen zahlte, stellte die hochbezahlten Manager frei von den Kosten, weil, wie ausgerechnet der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann bei der Aktionärsversammlung betonte, „keine Pflichtverletzungen gegenüber Volkswagen“ vorliegen.
270 Millionen Euro von der Arbeitslosenversicherung
Für das Jahr 2019 wurde noch eine positive Bilanz gezogen: Zwar wurden weniger, dafür aber höherwertige und umweltschädlichere Autos verkauft und so der Umsatz und der Gewinn gesteigert. Der Luxus kommt echt gut durch die Krise! Dennoch wurde die Dividende von ursprünglich geplanten 6,80 Euro auf 4,80 Euro pro Aktie reduziert – um in der Krise der Beschäftigung kein all zu schlechtes Bild abzugeben. Immerhin sind bei VW und den Tochterfirmen der Abbau von gut 20.000 Arbeitsplätzen bereits im letzten Jahr vereinbart worden. Die Aufkündigung einer „Beschäftigungssicherung“ bei der VW-Tochter MAN, die Ankündigung von betriebsbedingten Kündigungen in Größenordnung von über 9.000 Arbeitsplätzen, Werksschließungen und Produktionsverlagerungen nach Polen wegen einer zu geringen Rendite hierzulande (nur 3 Prozent), erklärte Vorstandschef Herbert Diess für unvermeidlich. Für die Umsetzung dieser Maßnahme ist der Personalvorstand und ehemalige Betriebsratsreferent Gunnar Kilian verantwortlich. Humor einer ganz besonderen Art in dieser feinen Gesellschaft: Der Betriebsrat hat entschiedenen Widerstand angekündigt. Allein der Porsche-Piëch-Clan kassiert aus der Dividendenzahlung gut 1,2 Milliarden Euro für 2019. Aber es ist nie genug: Die Produktivität soll in den nächsten vier Jahren um 30 Prozent steigen. Bis 2025 ist eine Umsatzrendite von 6 Prozent für den Konzern und eine 30-prozentige Gewinnausschüttung als Ziel erklärt worden. Da ist das zahlen von Steuern eher hinderlich: Ganze 513 Millionen Euro wurden als Ertragssteuern in Deutschland abgeführt, in diesem Jahr aber bereits 270 Millionen Euro von der Arbeitslosenversicherung als „Kurzarbeitergeld“ kassiert.
100 Milliarden Euro Gewinnrücklagen
Die Kehrseite von all dem: Weltweit wurden fast 10 Prozent aller Beschäftigten als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter schon nicht mehr weiter beschäftigt, aber auch die vermeintlich sichere Stammbelegschaft im Jahr 2020 schon um 3.500 Beschäftigte gekürzt.
Für 2020 sieht es ziemlich düster aus für die gesamte Autobranche, man rechnet mit einem Rückgang des Absatzes von etwa 20 Prozent im Jahresverlauf. Mit einer „Kriegskasse“ von 100 Milliarden Euro (Gewinnrücklage) ist Volkswagen aber vergleichsweise gut gerüstet und kann eine Durststrecke besser überstehen als manch anderes Unternehmen. Im ersten Halbjahr wurden 1,5 Millionen weniger Autos produziert – das ist 1/3 weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz sank um 30 Milliarden Euro bzw. um 23 Prozent. Nur ein Drittel davon wird Coroan angelastet, der Rest ist hausgemacht. Zum Beispiel wurde für die kleinen E-Autos von VW, Skoda und Seat ein Bestellstopp verhängt, weil die Nachfrage sehr weit über der Produktionskapazität liegt. Ein gutes bzw. schlechtes Beispiel für die Fehlplanung. Benötigt werden kleine und sparsame Fahrzeuge – damit macht das Unternehmen aber weniger Profit als mit den SUV‘s und den Luxusschlitten.
Helfen sollen mal wieder staatliche Maßnahmen: Die steuerlich Privilegierung von Dienstwagen und die Subventionierung von Elektroautos. In Kooperationen wird das Heil gesucht: 600.000 Autos von Ford sollen auf der Elektroplattform von Volkswagen gebaut werden. Ein „Umbau der Wertschöpfungskette“ ist ein weiterer Ansatz: Fahrservices gegen den ÖPNV und das Handeln mit den Daten, die in den Autos gesammelt werden. Lieferfähig ist das Unternehmen aktuell in kaum einem Segment: im letzten Jahr wurden bei einem Absatz von fast 11 Millionen Fahrzeugen nicht einmal 75.000 vollelektrische Autos weltweit verkauft.
Die „Kritischen Aktionäre“ und der Juristinnenbund brachten noch etwas Fahrt in die dröge Hauptversammlung: Bei 1.000 Überprüfungen von Lieferanten wurden durchschnittlich drei Verstöße gegen menschenrechtliche, soziale oder ökologische Nachhaltigkeitskriterien festgestellt. Die Luft für die Frauen wird, je anspruchsvoller die Arbeit, desto dünner. Sind es in der Gesamtbelegschaft immerhin 18 Prozent Frauen, so sind es bei Ingenieurstätigkeiten weniger als neun Prozent und auf Managementebene muss mensch schon nach der sprichwörtliche Stecknadel suchen, um eine Frau in führenden Positionen zu finden.
Wahrscheinlich gibt es einen Zusammenhang zwischen dem gigantischen Betrug und den Fehlplanungen auf der einen Seite und der Missachtung der Kompetenzen von Frauen, der fehlenden Orientierung auf eine Mobilitätswende auf der anderen Seite. Auch so gesehen ist der Volkswagen-Konzern nicht zukunftsfähig.
Das Foto ist von der letztjährigen Aktionärsversammlung (2019).