Höbel kämpft, Schoch sabotiert, Urban erklärt
In den ostdeutschen Ländern Berlin, Brandenburg und Sachsen wurden die Gespräche zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband zur Angleichung der Arbeitszeit an den Westen (35-Stunden-Woche) seitens der IG Metall am 30. September 2019, knapp eine Woche vor Beginn des Gewerkschaftstages, beendet. Eine Einigung über die Einführung der 35-Stunden-Woche war mit den Arbeitgebern nicht möglich.
Der Bezirksleiter Olivier Höbel sagt dazu u.a.: „Die Arbeitgeber zerstören nach einem Gesprächsmarathon über eineinhalb Jahre mutwillig den Flächentarifvertrag in Ostdeutschland und blockieren weiterhin die soziale Einheit. Gerade in Ostdeutschland sind Tarifverträge wichtige Säulen der Demokratie. Daher ist es fahrlässig, dass die Arbeitgeber diese beschädigen.“ Und der Erste Bevollmächtigte der größten IG Metall-Geschäftsstelle in Ostdeutschland, Thomas Knabel aus Zwickau erklärt zur Beendigung der Gespräche: „Tarifverträge sind Symbole für Akzeptanz und Wertschätzung und kein Geschenk für unsere Kolleginnen und Kollegen. Unsere Mitglieder sind keine Bittsteller. Wir haben deutlich gemacht: Die Teilung der Arbeitswelt in Ost und West gehört abgeschafft. Die Arbeitgeber hingegen haben eine tarifvertragliche Lösung für die Fläche mutwillig zerstört. Sie tragen nun dafür die Verantwortung, dass die Konflikte um die Arbeitszeit in die Betriebe getragen werden. Unsere Kolleginnen und Kollegen sind nicht mehr bereit, die bestehenden Ungerechtigkeiten weiter zu akzeptieren. Wir werden jetzt Belegschaft für Belegschaft in die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern um die Verkürzung der Arbeitszeit führen.“
Es kommen Erinnerungen an das Jahr 2003 hoch, als die IG Metall bei dem Kampf um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland eine bittere Niederlage zugefügt wurde. Lange wurde spekuliert, ob dieser Kampf daran scheiterte, dass Betriebsräte süddeutscher Automobilkonzerne den Kolleginnen und Kollegen im Osten die Solidarität verweigert haben.
Nun wiederholt sich diese Geschichte, allerdings jetzt mit Beleg dafür, dass der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates von BMW, Manfred Schoch, den um die Arbeitszeit ringenden Kollegen im Osten massiv in den Rücken fällt. Schoch ist Vorsitzender des Betriebsrates im Münchner BMW-Werk und gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der gewerkschaftlichen Vertrauensleute – er scheint denen nicht zu trauen, will sie offensichtlich selbst kontrollieren. Außerdem ist er Vorsitzender des Eurobetriebsrates sowie stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der BMW AG. Was ist zu Schoch noch zu sagen? Praktisch hat er nie in der Fabrik gearbeitet: Als Ingenieur absolvierte er ein Praktikum bei BMW, wurde erst Referent des Betriebsratsvorsitzenden und dann sein Nachfolger. Unbedingt zu erwähnen in diesem Zusammenhang der rabiate Spruch im Mai 2019, „die SPD sei für Arbeitnehmer nicht mehr wählbar“ – nicht etwa wegen Schröder, nicht etwa wegen der Agenda-Politik, nicht etwa wegen Hartz IV oder der Etablierung eines Niedriglohnsektors, sondern weil der Juos-Vorsitzende Kevin Kühnert die Vergesellschaftung von BMW und anderen Unternehmen dieser die Wirtschaftspolitik bestimmenden Autoindustrie ins Gespräch gebracht hat.
Nun also der Kampf von Schoch für längere Arbeitszeiten in der Krise der Autoindustrie – das heißt konkret: Der Kampf des Manfred Schoch gegen Arbeitszeitverkürzung jedweder Art und gegen eine faire Verteilung der Arbeitszeit. BMW ist eben auch in der Krise, die Profite sprudeln nicht mehr ganz so kräftig. Da sollen knapp 5700 „Hochqualifizierte“ zurück in die 35-Stunden-Woche – denn mit Zustimmung des Betriebsrates arbeiten sie schon lange 40 und mehr Stunden pro Woche. Diese Mehrarbeit erfolgt auf freiwilliger Basis, gut vergütet und immer befristet auf zwei Jahre. Nun sagt der oberste Gewerkschafter bei BMW der Wirtschafts-Woche: „Ich werde Sorge dafür tragen, dass hoch qualifizierte Arbeitskräfte weiter 40 Stunden arbeiten können.“
Also kämpft der „Betriebsat“ bei BMW dafür, dass alle weiterhin Mehrarbeit machen dürfen oder müssen, während die Metallerinnen und Metaller im Osten sich für die Arbeitszeitverkürzung, für die 35-Stunden-Woche ins Zeug legen.
Alles das zum Start des Gewerkschaftstages am 7. Oktober.
Im Gespräch im „Freitag“ wird Gewerkschaftsvorstand Hans-Jürgen Urban folgendes gefragt: „Als lautester Antagonist zu Kevin Kühnert in Sachen Vergesellschaftung trat damals nicht etwa der Arbeitgeberpräsident auf, sondern der Betriebsratsvorsitzende von BMW. Warum?“ Urban lakonisch: „Das sollten Sie ihn selber fragen.“
Eigentlich wäre eine entschiedenere Antwort zu erwarten gewesen angesichts der Kampfsituation im Osten, angesichts der Satzung der IG Metall in der es heißt: „Aufgaben und Ziele der IG Metall sind insbesondere … die Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten; Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum.“
Auch mit Hinweis auf Artikel 14/15 unseres Grundgesetzes wäre eine andere Antwort von einem linken Gewerkschafter zu erwarten gewesen. Im Grundgesetz heißt es u.a.: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen … Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung … in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Weiter führt Urban aus: „Es gibt in den Gewerkschaften konkrete Vorschläge für mehr Mitbestimmung, aber keine entwickelte Debatte über Alternativen zum kapitalistischen Markt. Doch auch bei uns wird vielfach argumentiert, dass eine Ökonomie, die auf dem Profitprinzip und einem daraus resultierenden Wachstumszwang fußt, kaum in der Lage sein wird, die großen Menschheitsprobleme zu lösen: etwa die ungerechte Verteilung des Wohlstands und die Zerstörung von Gesellschaft und Natur. Aber die große Frage lautet ja: Wie denn dann?“ Er beantwortet die selbst gestellte Frage nicht, sagt aber zu seiner Entschuldigung, die gesamte Linke habe „bisher keine hinreichende Antwort.“
Wahr ist wohl, dass in den Gewerkschaftsführungen darüber gar nicht nachgedacht wird, weil sie sich, die Gewerkschaftsführungen, immer noch der Sozialpartnerschaft verpflichtet fühlen, obwohl die Arbeitgeber dieses Relikt aus den Zeiten des Rheinischen Kapitalismus längst brutal aufgekündigt haben. Aber nicht geführte Kämpfe führen auch zu einer Schwächung von Gewerkschaften. Wenn solchen Leuten wie Schoch nicht die rote Karte gezeigt wird, wenn solchen Leuten wie Schoch nicht das Heft des Handeln aus der Hand genommen wird, verliert die IG Metall weiter an Ansehen und Durchsetzungskraft. Der Organisationsgrad im Osten ist (noch) nicht schlechter als im Westen. Wenn aber der Kampf um die Arbeitszeitverkürzung wieder verloren gehen sollte, hätte das zwei Konsequenzen:
Erstens würde die Arbeitszeit im Westen flächendeckend verlängert werden für die kleinen Restbelegschaften, die nach der nächsten Krise noch übrig sein würden. Zweitens würde der Organisationsgrad und damit die Kampfkraft der Gewerkschaft weiter sinken. Das kann eigentlich niemand wollen. Ich bin sehr gespannt auf die Antworten, die die Delegierten des Gewerkschaftstages auf diese Herausforderung finden.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/bmw-sparprogramm-101.html