Ausstieg sofort oder doch lieber Erhalt der Arbeitsplätze?

Gewerkschaften gehen immer davon aus, dass sie die unmittelbaren Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten haben – Arbeitsplatz, Einkommen, sonstige soziale Rechte; alles schwer erkämpft.

Die Kohleförderung in Deutschland ist klein geworden – 20.000 Beschäftigte in drei Revieren sind nicht wirklich viel für den Arbeitsmarkt in Deutschland (0,07 Prozent) – noch dazu bei einem angeblichen „Fachkräftemangel“. Veränderungen erzeugen Unsicherheit und Angst. Alles soll so bleiben, wie es ist; das wünschen sich diejenigen, die aus ihrer Sicht einen guten Job haben. Die Industrie hat ein großes Interesse am Weiterbetrieb der Tagebaue und Kraftwerke, weil damit viel Geld verdient wird. Daraus leiten sie die Forderung ab, für künftige entgangene Gewinne vom Staat entschädigt zu werden – und darüber wird in unserem Land ernsthaft diskutiert.

Nun ist der Ausstieg beschlossen – für in 20 Jahren. Bis dahin soll viel Geld fließen: 60 bis 90 Milliarden Euro für den Strukturwandel in den drei Regionen. Aber was passiert mit dem Geld und wer entscheidet darüber? Erste Erfahrungen sind äußerst negativ: So berichtet die Mitteldeutsche Zeitung aus Zeitz, dass Politiker aus der Region sich dafür aussprechen, dass die Bundesregierung ihre ersten Entscheidungen bezüglich einer Vergabe von Fördermittel des Strukturwandels zurücknehmen soll. Kürzlich war bekannt geworden, dass mit dem Geld die Reinigung der Fassade des Naumburger Doms und vorbereitende Arbeiten für die Umgehungsstraße Bad Kösen finanziert werden sollen – aber genau das hat mit Strukturwandel nun wirklich nichts zu tun; Naumburg liegt sogar außerhalb des Reviers. Es geht bei der Mittelverteilung und Mittelvergabe eben auch um Mitbestimmung und Demokratie: Wenn Gelder für den Strukturwandel so missbraucht werden … natürlich müssen die Entscheidungen vor Ort getroffen werden. Wäre es nicht möglich und sinnvoll, neue Formen der Beteiligung zu entwickeln, so etwas wie „Transformationsräte“ in den betroffenen Regionen? Wenn an den Menschen vorbei geplant wird, wenn sie in den Strukturwandel nicht einbezogen werden, wenn keine anderen und besseren Arbeitsplätze entstehen, sind ökonomische und politische Katastrophen vorhersehbar.

Der Spiegel berichtet bereits vor zwei Jahren u.a.: „Zugleich bauen sich Branchengrößen wie die Mibrag-Gruppe bereits neue Geschäftsfelder auf. Das im Mitteldeutschen Revier ansässige Bergbauunternehmen hat eine Reihe von Firmen gegründet, die etwa Ingenieurs- und Bohrdienstleistungen anbieten oder Garten- und Landschaftsbau betreiben. Ebenso zeige das Beispiel Mibrag, argumentiert die Studie, dass auch nach dem Ende der Kohleförderung viele Arbeitsplätze erhalten bleiben: für die Sanierung und Renaturierung der Tagebaue.“

Die Autoindustrie

In der Autoindustrie, die mit ca. 500.000 Beschäftigten ungleich bedeutender ist, ist die bevorstehende Transformation eine entsprechend größere Aufgabe – aber selbstverständlich ist auch diese Aufgabe für unser so reiches Land lösbar.

Wie stelle ich mir die Transformation für die nächsten 10 Jahre vor? Was ist ein realistischer Plan?

Ende Juni 2019 fand der x-te „Autogipfel“ im Kanzleramt statt. „Thematische Schwerpunkte des informellen Austausches sind künftige technologische Herausforderungen für die Automobilindustrie in Deutschland, deren Wettbewerbsfähigkeit sowie die Auswirkungen des Wandels auf Arbeitswelt und Beschäftigung im Automobilsektor“ (Bundeskanzleramt). An dem Gespräch nahmen die Kanzlerin, mehrere Ministerinnen und Minister, die Spitzen von Union und SPD sowie Vertreterinnen und Vertreter von Automobilbranche und Gewerkschaft teil; Umweltverbände und Verkehrsinitiativen sucht man bei dieser „Konzertierten Aktion Mobilität“ allerdings vergeblich.

Die Autokonzerne haben die Bundesregierung mit dem schleppenden Ausbau der Elektromobilität ordentlich düpiert: Das Ziel, im Jahr 2020 die erste Million E-Autos auf der Straße zu haben, wird grandios verfehlt. Das ist der Hintergrund für die Forderung der Konzerne nach Milliarden-Subventionen für den Ausbau von Ladeinfrastruktur, für die Subventionierung von Strom für die Batteriezellenfertigung und den Abbau von „Hemmnissen im Bau-, Wohneigentums- und Mietrecht“, einer Änderung des Personenbeförderungsgesetzes sowie höhere Preise (CO2-Steuer) für Diesel und Benzin als Abzocke der Autofahrer, vor allem der Pendler, zwecks Durchsetzung von Elektroautos.

Damit werden die Dimensionen der Mobilitätswende angesprochen im Sinne der Sicherung der Profite der Autokonzerne. „Sieben bis 10,5 Millionen E-Mobile stellen BMW, Daimler und VW bis 2030 in Aussicht: wenn der Staat massiv in Ladesäulen investiert und Kaufprämien für Elektroautos auslobt“ (Handelsblatt 24.6.2019).

Der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann sekundierte: „Es muss endlich entschieden werden, wie wir bei wichtigen Themen wie dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos oder bei der Batteriezellfertigung in Deutschland vorankommen. Das Zielbild ist: Jedes E-Auto kann künftig in wenigen Minuten an jeder Tankstelle aufgeladen werden. Das erfordert Investitionen in die Stromnetze“ – nicht bedenkend, dass die Autoindustrie Milliarden-Profite realisiert, dass die erforderliche Menge an Strom überhaupt nicht zur Verfügung steht. Der VW-Chef Diess hat konsequent die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken gefordert. Mit einer Verkehrswende hat das Theater von Bundesregierung und Autokonzernen nichts zu tun – letzteren geht es nur um weitere Milliarden Subventionen und der Bundesregierung um die Vortäuschung von Klimapolitik: Es oll der Motor gewechselt werden, aber nicht das System.

Skizze für einen Ausstieg aus dem Automobilismus

Mit der dringenden sozial-ökologischen Transformation zur Erreichung der Klimaziele hat all das nichts zu tun. Es bliebe bei Millionen privaten PKW‘s und SUV‘s, die Straßen und Städte verstopfen, es bliebe bei der Dominanz der Autoindustrie und bei der Vernichtung von hunderttausenden von Arbeitsplätzen wegen der unterlassenen Mobilitätswende. Der Personalabbau bei den Stammbelegschaften hat begonnen, nachdem die Leiharbeiter als erste vor die Tür gesetzt worden sind. Beim „Autogipfel“ wird nicht über Tempolimit gesprochen, es sei „gegen jeden Menschenverstand“, wie der Minister für Automobilismus verkündet, der gerade Millionen mit der Maut in den Sand gesetzt hat. Eben sowenig wurde über bessere Bedingungen für Schienen,- Fuß- und Radverkehr gesprochen. Es geht dieser Regierung mitnichten um Mobilität, sondern ausschließlich um optimale Bedingungen für die Profite der Autoindustrie, heute eben mit green-washing.

Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, braucht es einen Ausstiegs- bzw. Umstiegsplan ähnlich dem Plan für den Kohleausstieg: Zeitablauf und Kosten für den Auf- und Ausbau alternativer Industrien, Dienstleistungen und also von Arbeitsplätzen zur Umsetzung gesellschaftlicher Entwicklung und sozialer Sicherheit.

In der Auto- und Zulieferindustrie gibt es zur Zeit ca. 800.000 Beschäftigte mit sinkender Tendenz; alle Hersteller haben Absatzrückgänge zu vermelden, haben Personalabbau begonnen und planen Werkschließungen – allein Ford will 10 Fabriken in Europa schließen.

Die Autoindustrie, wie wir sie kennen, befindet sich in mörderischer Konkurrenz, in der verzweifelten Suche nach Fusionsmöglichkeiten und neuen Geschäftsfeldern, jedenfalls im Niedergang. Aktuelle Beispiele sind die Übernahme von Opel durch PSA, die Kooperationsprojekte von Daimler und BMW, von Volkswagen und Ford und die zunächst auf Eis gelegten Pläne von Fiat/Chrysler und Renault/Nissan.

Betroffene Regionen in unserem Land sind vor allem: Stuttgart, Wolfsburg, München, Bremen, Leipzig, Zwickau, Salzgitter, Emden, Kassel, Ingolstadt, Neckarsulm, Rüsselsheim, Köln und Eisenach.

Arbeit und Mobilität 2030!

Die Arbeitsplatzbilanz für die nächsten 10 Jahre könnte grob etwa aussehen (die Veränderung der Exportquote bzw. der Auslandsproduktion ist dabei noch nicht berücksichtigt):

  • Durch Reduzierung von Kapazitäten/Überkapazitäten fallen ca. 150.000 Arbeitsplätze weg,
  • Durch Umstellung auf E-Mobilität fallen ca. 100.000 Arbeitsplätze weg,
  • Dieser „Verlust“ wird durch die demografische Entwicklung (ca. 200.000 Arbeitsplätze in 10 Jahren) fast vollständig kompensiert (das Durchschnittsalter der Beschäftigten in der Automobilindustrie beträgt ca. 45 Jahre),
  • durch Arbeitszeitverkürzung in der Branche auf 30 Stunden müssen ca. 100.000 Menschen zusätzlich beschäftigt werden.
  • Neue und andere Arbeitsplätze brauchen wir dann für junge Leute, die ins Berufsleben eintreten.

Saldo: Minus 50.000 Arbeitsplätze

Möglich und dringend sind viele neue Arbeitsplätze:

  • Schienenproduktion für Fern- und Nahverkehrsbahnen plus 10.000 Beschäftigte in den Stahlwerken (Salzgitter, Eisenhüttenstadt, Bremen, Osnabrück, Duisburg, Dillingen, Unterwellenborn)
  • Schienenfahrzeugbau, Waggon- und Triebwagenproduktion sowie Ausbesserungswerke (Instandhaltung) plus 100.000 Beschäftigte (Görlitz, Bautzen, Henningsdorf, Salzgitter, Kassel, Mannheim, Siegen, Stendal und Dessau)
  • Nahverkehrsbetriebe und Bahnbetriebe plus 30.000 Beschäftigte (Fahrer*innen, Instandhalter*innen, Stellwerker*innen)
  • Gesundheit, Kranken- und Altenpflege plus 150.000 Beschäftigte
  • Bildung plus 20.000 Beschäftigte,
  • Landespflege/Umweltschutz plus 20.000 Beschäftigte

Saldo plus 330.000 Beschäftigte

Durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung (z.B. durchschnittlich 30 Stunden pro Woche) wird ein großer Teil des übrigen Arbeitsvolumen aufgefangen bzw. im Interesse der Beschäftigten und der gesamten Gesellschaft wird alle Arbeit (auch Care-Arbeit und ein guter Teil der bisher ehrenamtlichen Arbeit) fair verteilt, Überlastung und daraus resultierende Krankheiten und gesellschaftliche Kosten werden minimiert.

Die Notwendigkeit der Qualifizierung, Umprofilierung und Weiterbildung ist offensichtlich, das braucht Zeit und Ressourcen; eine Lokführer*innen-Ausbildung dauert ca. ein Jahr, die von Straßenbahnfahrer*innen ca. ein halbes Jahr, eine vorherige Berufsausbildung vorausgesetzt. Das gleiche trifft auf Ingenieurinnen zu, die vom Automobilwerk in den Schienenfahrzeugbau wechseln oder auf Produktionsarbeiter, die Altenpfleger oder Erzieher werden. Materiell sind die sozialen Berufe massiv aufzuwerten.

Zeitliche Schritte müssen gegangen werden – vom gesellschaftlich getragenen Konsens über die Reduzierung des Autobaues und Schrumpfung der Autokonzerne hin zum Schienenfahrzeugbau, von der Gesetzgebung über die Qualifizierung bis hin zur Einsatzplanung. In einem Zeitraum von 10 Jahren sollte das zu machen sein: Projekt Arbeit und Mobilität 2030! Was den Konsens betrifft, so gibt es – nur als Beispiel – eine Mehrheit in der Bevölkerung für Geschwindigkeitsbegrenzungen auch auf Autobahnen; nur die Autolobby und die regierenden Politiker*innen verhindern die Durchsetzung dieses vernünftigen Mehrheitswillens der Bevölkerung; der Minister für Automobilismus spricht gar davon, Forderungen zur Geschwindigkeitsbegrenzungen seien „gegen jeden Menschenverstand“ – so, als wären wir von lauter Idioten an unseren Grenzen umzingelt.

Bei den vorgenannten Überlegungen handelt es sich um eine Makro-Sicht. Die Mikro-Sicht muss durch regionale Mobilitätsräte erfolgen, in denen Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen, Gewerkschaften, Wissenschaft, Politik und Industrie zusammen wirken. In einigen Bundesländern wurden bereits „Strategiedialoge“ zur Zukunft der Autoindustrie etabliert – aber immer nur ähnlich der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“, also mit Gewerkschaften am Katzentisch von Industrie und Politik – ohne Bürgerinnenbeteiligung, ohne die Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherinitiativen. Das muss ausgebaut und ausgeweitet werden. Es ist zweifellos möglich, diesen Umbau zu stemmen. Die Umstellung von Friedensproduktion auf Kriegsproduktion und retour ist ein Beleg dafür, aber auch viele kleinere ethnologische Veränderungen in den zurückliegenden Jahrzehnten. So wurden, um nur Beispiel zu nennen, Lackierer*innen zu Online- und Offline-Anlagenführer*innen ausgebildet bei der Umstellung von der Handlackierung auf Roboter in den Lackierereien der Automobilfabriken. Wäre es nach den Unternehmensleitungen gegangen, wären statt der Lackierer*innen Ingenieure eingestellt worden, die die Roboter programmieren und steuern. Aber es hat sich gezeigt, dass Berufserfahrung und handwerkliches Geschick viel wichtiger sind für gute Arbeit als formale Qualifikation ohne praktische Kenntnisse.

Es geht also bei der sozial-ökologischen Transformation um einen demokratischen, sozialen und ökologischen Umbau von Mobilität, um eine Transformation der Produkte und der Produktionsverhältnisse, um einen Ausstieg aus der renditegetriebenen Konkurrenz. Es geht um die Reduzierung von Mobilitätszwängen, um Stadt- und Raumplanung, um den Abbau bzw. die Umleitung von Subventionen in den ÖPNV sowie in den Fuß- und Radverkehr und um eine Arbeitszeitverkürzung für alle.

https://www.msn.com/de-de/finance/top-stories/ig-metall-pocht-vor-autogipfel-auf-klare-festlegungen-zu-e-mobilit-c3-a4t/ar-AADk61E

https://www.mobilitaet-nds.de/beitrag/niedersachsen-startet-strategiedialog-automobilwirtschaft-zusammenschluss-fuer-zukunftssichere-automobilwirtschaft-in-niedersach.html

https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Online-Publikation/5-18_Online-Publ_Auto.pdf

https://www.igbce.de/nl-2-2019-ergebnis-der-kommission-wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung/179250?highlightTerms=braunkohle

https://www.dw.com/de/kohleausstieg-geld-an-rwe-statt-weiter-braunkohle/a-45492910

 

2 Gedanken zu „Ausstieg sofort oder doch lieber Erhalt der Arbeitsplätze?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert