Vor dem Gewerkschaftstag der IG Metall: Der Vorsitzende Hofmann sieht keine Veranlassung für Arbeitszeitverkürzung – und erwähnt die Auseinandersetzung in den ostdeutschen Bundesländern nicht einmal!
Mehr Einfluss von Gewerkschaften gibt es nicht geschenkt, der muss erkämpft werden; ebenso die Überwindung von Resignation und Rechtsentwicklung!
Die Organisationsmacht der Gewerkschaften erodiert: weniger Tarifbindung, weniger Mitglieder und weniger Betriebsräte. Das führt – ganz objektiv – zur Verschärfung der Konkurrenz der auf Erwerbsarbeit angewiesenen Menschen um weniger werdende Arbeit. Die Krise der Auto- und Zulieferindustrie ist ein anschauliches Beispiel mit dem angekündigten Personalabbau, mit den Werks- und Betriebsschließungen.
Somit sinkt die ökonomische Macht der Gewerkschaften, die Möglichkeit von Eingriffen in den Produktionsprozess in den Betrieben sowie die institutionelle Macht (Vertretung in Sozialversicherungen, Arbeitsagenturen, Arbeitsgerichten). Schließlich sinkt die kommunikative Macht, die Fähigkeit, Themen zu setzen. 1
Ursächlich sind ökonomische Entwicklungen, die im Kapitalismus immer krisenhafter verlaufen – die mörderische Konkurrenz einerseits, die Grenzen des Wachstums bei ständig steigender Produktivität und steigendem Output von teils unnützen bis schädlichen Produkten andererseits. Sichtbar am Klimawandel, an der Vermüllung der Meere und in entwickelten Industrieländern an sinkender, zumindest stagnierender gesamtgesellschaftlicher Arbeitszeit und gleichzeitig zunehmender Erwerbstätigkeit. Eine Folge sind die beschriebene Schwächung von Gewerkschaften und die Verschärfung der Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen, Erwerbslosigkeit, Unterbeschäftigung, Prekarisierung, unfreiwillige Teilzeitarbeit, Stress und psychische Erkrankungen, Lohn- und Rentenkürzungen.
Auf diese Entwicklung haben gewerkschaftliche und politische Arbeiter*innenbewegung in den letzten 200 Jahren mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung reagiert – immer ging es dabei auch um die Emanzipation der Arbeiter*innenklasse, um die Durchsetzung von gutem Leben für alle und die Partizipation an gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Prozessen; im weiteren und engeren Sinne um die Durchsetzung von Demokratie.
Falsche Prämisse – falscher Schluss!
In unserer hoch entwickelten Wirtschaft und bei der bevorstehenden Digitalisierung von Produktion und Verwaltung ist Arbeitszeitverkürzung keine Frage der Möglichkeiten; die Möglichkeit zum Beispiel der 30-Stunden-Woche, der kurzen Vollzeit für alle, ist in unserem reichen Land längst gegeben. Es liegt auf der Hand, dass die Alimentierung von Erwerbslosigkeit und von prekären Arbeitsverhältnissen für die Gesellschaft weit teurer ist als die Umverteilung von Arbeit – von den gesellschaftlichen Verwerfungen und dem sozialen Elend durch Sanktionen und eine unbarmherzige Bürokratie ganz abgesehen. Um die Arbeitszeitverkürzung wurde immer sehr hart gekämpft – vom Hayetmarket Riot in Chicago 1886 über die Novemberrevolution in Deutschland 1918 bis hin zum Streik um die 35-Stunden-Woche in den 1980er Jahren. Auch jetzt, im Sommer 2019, wird um Arbeitszeitverkürzung gekämpft in den ostdeutschen Bundesländern, die 30 Jahre nach Anschluss der DDR an die BRD immer noch eine Sonderwirtschaftszone, ein Experimentierfeld für Sozialabbau sind, in denen für weniger Geld länger gearbeitet werden muss als in den westdeutschen Bundesländern. In den 30 Jahren hat jeder Beschäftigte in Sachsen etwa 4.000 Stunden mehr gearbeitet als seine Kollegin in Niedersachsen, für jeden Beschäftigten im Osten hat ein Unternehmen etwa 100.000 Euro mehr Profit realisiert als für die Beschäftigten im Osten. Diese Quelle des Reichtums würden die Unternehmen gerne (wieder) auf den Westen ausdehnen. Die Angleichung der Arbeitszeiten zwischen Ost und West werden erfolgen – entweder als Verkürzung auf 35 Stunden im Osten oder in Form von Verlängerung auf 40 Stunden im Westen. Latent gibt es in Westdeutschland bereits eine maximale Flexibilisierung und tendenzielle Verlängerung der Arbeitszeit.
Nun hat der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, Ende Juni der Wochenzeitung FREITAG ein Interview gegeben. Darin wird er u.a. folgende Frage gestellt:
Der Universalhistoriker Yuval Noah Harari warnt davor, dass durch die Automatisierungswellen eine „Klasse der Nutzlosen“ entstehen könnte. Also Menschen ohne ökonomische Aktiva, deren Fähigkeiten von dem Kapitalismus der Zukunft einfach nicht mehr gebraucht werden. Damit wäre die Macht der Gewerkschaften am Ende.
Und Hofmann antwortet: „Ich glaube an diese Hypothese nicht. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Es gilt, das Arbeitsvolumen gerecht zu verteilen. Und da hat die Arbeiterbewegung in der Geschichte des Kapitalismus ja schon eine Lösung gefunden: Arbeitszeitverkürzung. Zurzeit haben wir aber in vielen Regionen Vollbeschäftigung und hohen Fachkräftebedarf. Dementsprechend stellt sich die Frage nicht.“
Jedoch geht es nicht darum, was Jörg Hofmann glaubt – die Entwicklungstendenzen der Produktivkräfte, die Belastungsgrenzen des Klimas und die Endlichkeit der Ressourcen sind eindeutig. Der Veränderungsprozess durch Digitalisierung und Klimawandel ist im vollen Gange, die Krisenerscheinungen der kapitalistischen Wirtschaft sind unübersehbar: Absatzrückgänge, Umsatzeinbußen. Produktionseinschränkungen, Personalabbau, Werksschließungen und sinkende staatliche Einnahmen sind Kennzeichen der krisenhaften Entwicklung. Bei dem gegenwärtigen Maß an Unterbeschäftigung, Erwerbslosigkeit, unfreiwilliger kurzer Teilzeitarbeit und prekärer Beschäftigung, Click- und Croudworkern von „Vollbeschäftigung in vielen Regionen“ zu sprechen, ist vollständige Blindheit oder eine bewusste Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse im Land. So oder so demonstriert der IG Metall-Vorsitzende damit die abstoßende Saturiertheit der etablierten Parteien und Großorganisationen, treibt Millionen prekär lebende Menschen in die Verzweiflung oder in die Arme der rechten Demagogen.
Der große und scheinbar bewusste Fehlschluss von Hofmann: „Zurzeit haben wir in vielen Regionen Vollbeschäftigung und hohen Fachkräftebedarf. Dementsprechend stellt sich die Frage (der Arbeitszeitverkürzung) nicht.“ Weder gibt es wirklich einen allgemeinen Fachkräftemangel, noch kann man von Vollbeschäftigung reden; mit falschen Prämissen kann man nicht zu richtigen Schlüssen kommen. Die gerechte Verteilung aller Arbeit und also auch der Zeit für Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern, zwischen Ost und West, zwischen älteren und jüngeren, zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen steht längst auf der Tagesordnung – objektiv und subjektiv, wie Umfragen der IG Metall bestätigen. Das fatale daran: Die Gewerkschaft kann ihre alte Macht nicht zurückgewinnen, wenn die vielfache Spaltung am Arbeitsmarkt nicht überwunden wird. Das geht nicht ohne Überwindung von Erwerbslosigkeit, unfreiwilliger Teilzeitarbeit, zu geringem Mindestlohn und massenhaft prekärer Arbeit.
Arbeitszeitverkürzung – eine unumgehbare Machtfrage!
Wenn die Arbeitszeitverkürzung keine ökonomische Frage ist – Geld ist genug da – dann ist es nur noch eine Machtfrage. Die Arbeitgeber wollen möglichst lange über die Arbeitskraft der Beschäftigten verfügen – je länger, desto profitabler; die Arbeitgeber wollen die Zeit der Fremdbestimmung der Beschäftigten so weit als möglich ausdehnen. Dafür setzen sie alle Mittel ein, über die sie verfügen: Verbreitung von Angst vor Arbeitslosigkeit durch Entlassungen und Werkschließungen, die Angst davor, „von den Chinesen überrollt zu werden“, sozusagen eine Neuauflage der „gelben Gefahr“, die Anordnung von Überstunden, die Anordnung von Kurzarbeit, Instrumentalisierung der Politiker*innen und ihre Propagandanetzwerke der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und deren Dominanz in der abendlichen Talkshow und den Kommentarspalten der bürgerlichen Presse. Und die IG Metall, kann sie den (Macht-) Kampf um die Arbeitszeit aufnehmen und gewinnen? Die Stimmung in den ostdeutschen Betrieben spricht eindeutig dafür. Nur mit einer klaren Position und deutlicher Kampfbereitschaft sind mehr Menschen für ein Engagement in der Gewerkschaft zu gewinnen. Die Gewerkschaft kann dieser Auseinandersetzung nicht aus dem Wege gehen, weil sie von den Arbeitgebern jeden Tag dazu herausgefordert werden. Die Transformation der Industrie in Ost und West gebietet es, den Kampf um Arbeitszeitverkürzung zu führen – ansonsten wird das Heer der Erwerbslosen und Überflüssigen und prekär Beschäftigten größer, die Arbeitszeit wird tatsächlich verlängert und die Macht der Arbeitgeber verfestigt. Zweifellos braucht es eine Kampagne, einen langen Atem und Solidarität aus anderen Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Diese Solidarität zu gewinnen ist möglich. Dann erst wäre die abschließende Frage im Gespräch mit Hofmann positiv zu beantworten:
Der Gewerkschaftssoziologe Roberto Michels hat im Jahr 1911 ein „ehernes Gesetz der Oligarchie“ bei Organisationen ausgemacht. Sie sind auch in der SPD, wo die Entfremdung zwischen Funktionärselite und Organisationsbasis schon extrem weit fortgeschritten ist. Angesichts der bevorstehenden Umbrüche: Können sich die Metaller auf Sie verlassen?
Hofmann dazu: Ja! Wir haben eine wirklich gute gemeinsame Führung in dieser Organisation. Unsere Stärke ist die breite Verankerung in den Betrieben, also unsere Betriebsräte und Vertrauensleute vor Ort. Auf diese IG Metall kann man sich verlassen.
Hofmanns Absage an den Kampf um die Arbeitszeitverkürzung erhöht sicher nicht das Vertrauen in die Organisation. Es bleibt spannend abzuwarten, wie der Gewerkschaftstag im Oktober mit diesen Widersprüchen umgehen wird.
1Jenaer Machtressourcen-Ansatz, Prof. Klaus Dörre et.al.
Wenn der IGM Vorsitzende Hoffmann, so arbeitet, braucht man sich nicht zu wundern, daß der DGB, durch Mittgliederschwund , immer schwächer wird. Eine Breite Verankerung der IGM in den Betrieben ist gerade im Osten nicht vorhanden. Über 70% der beschäftigten im Osten arbeiten ohne Tariflohn! Da haben wir wohl eine falsche Person an der Spitze der IGM.
Eine gute Werbung wäre es, wenn sich der IGM-Vors. Herr Hoffmann, für eine 30h-Woche mit vollem Lohnausgleich stark machen würde. Damit könnte man gut Kollegen für die IGM werben.
Um einen Betriebsrat zu gründen, braucht man Kollegen die man vertrauen kann, das ist heute nicht so einfach, vor vielen „vertrauensvollen IM`s“ (Inoffizielle Mitarbeiter-Stasi), die dann auch noch der AfD nahe stehen.