Seit genau 100 Jahren gibt es im Einzelhandel ein grundsätzliches Verbot der Sonntagsarbeit. Der arbeitsfreie Sonntag musste erstritten werden – und bis heute wird um ihn gestritten. Arbeit am Sonntag breitet sich immer mehr aus, der Streit um verkaufsoffene Sonntage ist nur die Spitze des Eisbergs.
Der arbeitsfreie Sonntag ist nicht vom Himmel gefallen. Er ist ein Ergebnis der Novemberrevolution 1918. Kaiser Wilhelm II dankte ab, Deutschland wurde zur Republik. Viele Reformen, für die die Gewerkschaften seit Jahrzehnten gekämpft hatten konnten verwirklicht werden: das Frauenwahlrecht, der 8 Stunden Tag, die Einführung von Betriebsräten – und eben der arbeitsfreie Sonntag im Handel. Mit der „Verordnung über Sonntagsruhe im Handelsgewerbe und in Apotheken“ vom 05. Februar 1919 führte die damalige Regierung den freien Sonntag im Handel ein. Als wenige Monate später die Weimarer Verfassung verabschiedet wurde war klar: der arbeitsfreie Sonntag soll auch durch die Verfassung geschützt werden: erst in der Weimarer Reichsverfassung, jetzt in unserem Grundgesetz: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ (Grundgesetz Artikel 140, aus der Weimarer Verfassung von 1919 übernommene Formulierung zum arbeitsfreien Sonntag).
Neben den Gewerkschaften sind es die Kirchen, Sportverbände, Krankenkassen, Medizinerinnen und Mediziner und die Jugendverbände, die den arbeitsfreien Sonntag als wertvolle Errungenschaft unserer Gesellschaft erhalten wissen wollen.
„Aufgrund wirtschaftlicher Interessen des Handels und einem Streben nach mehr Gewinnmaximierung wird der Schutz des arbeitsfreien Sonntags immer häufiger umgangen. Noch ist der Sonntagsschutz grundgesetzlich geregelt. Kommt es zur stärkeren Flexibilisierung von Ausnahmen besteht die Gefahr, dass es dauerhaft keinen bundesweit einheitlichen Tag gibt, an dem Beschäftigte frei haben. Zudem wird das Prinzip des Freizeitausgleichs für Arbeit an Sonn- und Feiertagen umgangen. Auch Ausgleichszahlungen für die Sonntagsarbeit sind dann keine Selbstverständlichkeit mehr.“ (Beschluss des Bundesjugendringes)
Worum geht es bei der Allianz für den freien Sonntag?
Der Sonntag steht traditionell für die Freiheit des Menschen von einer rein ökonomisch orientierten Lebensweise. Er unterbricht den wöchentlichen Arbeitsrhythmus. An diesem Tag geht es um das, was jede und jeder zu einem Leben für sich und in der Gemeinschaft mit anderen benötigt. Das Bedürfnis nach Erholung, Muße und Gemeinschaft lässt sich nur in einer für alle gemeinsamen Ruhezeit erleben.
Sonntags frei haben und den Tag gemeinsam gestalten – das ist heute für viele Menschen ein Traum aus scheinbar vergangenen Zeiten. Denn heute ist der Sonntag für viele ein Werktag wie jeder andere Tag in der Woche! Längst haben Sonntagsarbeit oder verkaufsoffene Sonntage und andere Events dafür gesorgt, dass die einst zur Ruhe und zum Schöpfen neuer Kraft gedachten Sonn- und Feiertage Arbeitnehmern zusätzlichen Stress verursachen.
Der Sonntag stellt für jene immer noch etwas Besonderes dar, die den schulfreien Sonntag für ein bewusstes Zusammensein der Familie nutzen, sich als Gläubige seelisch stärken oder sich in Sport-, Gesang- und Musikvereinen engagieren. Viele möchten auch kulturelle Angebote wahrnehmen oder das Aus- und Entspannen mit Freunden genießen. Wer so handelt, macht für sich und andere deutlich: Der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere.
Ein wirksamer Sonn- und Feiertagsschutz dient der humanen Qualität unserer Gesellschaft. Der Sonntag verschafft dem Menschen die notwendige Zeit der Erholung, der Begegnung, der Besinnung und der Lebensgestaltung. Das Erleben gemeinsamer freier Zeit in den Familien, mit Freunden, Verwandten und Bekannten, das Engagement im Ehrenamt ist u.a. auch auf freie Sonn- und Feiertage angewiesen.
In Sachsen-Anhalt (und in allen anderen Ländern) vollzieht sich seit Jahren eine schleichende Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes. In immer mehr Bereichen wird an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. In Sachsen-Anhalt sind es fast 29 % der Arbeitnehmer/Innen (2012). Wir sind inzwischen an einem Punkt, an dem alle gesellschaftlichen Kräfte gebündelt werden müssen, um der Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes ein Ende zu setzen.
Der verfassungsrechtlich garantierte Schutz des Sonntags drückt eine Priorität aus, die sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu bewähren hat. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sonntagsschutz vom 1.12.2009 stellt klar, dass ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse von Geschäften oder ein alltägliches „Shopping-Interesse“ potenzieller Käufer nicht genügen, um Ausnahmen vom Schutz der Arbeitsruhe zu rechtfertigen.
Was wir wollen
Um den Sonntag als Grundlage für eine humane Gesellschaft zu erhalten, fordern wir ausdrücklich den Schutz der Sonn- und Feiertage und die Gewährleistung des Wochenrhythmus zwischen Sonn- und Werktagen:
Durch gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen sind menschengerechte und auch familienfreundliche Arbeitszeiten zu gewährleisten. In Bereichen, wo auch am Sonntag gearbeitet werden muss, z.B. bei der Polizei, soll es einen Rechtsanspruch auf zwei freie Sonntage im Monat geben.
Beim Ladenschluss sollte eine bundeseinheitliche Regelung des Sonn- und Feiertagsschutzes wiederhergestellt werden.
Unser Engagement steht im Zeichen der Bekräftigung einer erneuerten Sonntagskultur, die auf einen breiten Konsens in unserer Gesellschaft bauen will:
Wir wollen den kulturellen Rhythmus zwischen Arbeit und Ruhe um der Menschen willen erhalten und den Menschen eindeutig in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens stellen. Dazu gilt es, auch die Frage nach der eigenen Lebensqualität, letztlich nach dem Sinn und Zweck des eigenen Da-Seins privat und öffentlich zu stellen.
Wir wollen den erwerbsarbeitsfreien Sonntag zum Wohl einer menschlichen Gesellschaft erhalten.
Angesichts des wachsenden Wirtschaftsdrucks wollen wir den Sonntag weiterhin als einen Tag der Ruhe sowie des bewussten Andersseins für die Menschen erhalten.
Erholung und Entspannung statt Arbeit und Shopping – so präsentieren sich heute die Alternativen an Wochenenden. Wer noch selbstbestimmt entscheiden kann, sollte die erste wählen; wer die zweite als gesundheits- und gemütsschädigend erlebt, sollte sich dagegen wehren.[1]
Alle Bürgerinnen und Bürger, alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind dazu aufgerufen, sich für den freien Sonntag engagieren und dieses Ziel an ihrem Arbeitsplatz sowie in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Verdi in Köln lädt ein zu einer Veranstaltung zu diesem Thema: Mit einer Informations- und Diskussionsveranstaltung am Dienstag, den 05.2 2019 um 18:00 Uhr, im DGB Haus Köln wollen wir 100 Jahre freien Sonntag feiern. Wir wollen darüber informieren, wie es zum arbeitsfreien Sonntag gekommen ist und wie bis heute um einen Tag gekämpft werden muss, an dem nicht die Belange der Wirtschaft an erster Stelle stehen. [2]
Anlässlich des Internationalen Tages des freien Sonntags am 03. März 2019 sollten Linke und Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gerade jetzt bei der Diskussion um den Erhalt des freien Sonntags mitreden und sich einmischen.
[1] Aus der Erklärung der Allianz für den freien Sonntag LSA; siehe auch https://www.allianz-fuer-den-freien-sonntag.de/nc/ueber-uns/
[2] https://koeln-bonn.dgb.de/termine/++co++16e7105e-1f2a-11e9-924d-52540088cada
Foto: Inschrift eines Hauses in Wuppertal, © Stephan Krull