„Mit mehr Autos können wir das Verkehrsproblem nicht lösen“ … sagt BMW.
Demokratisch entscheiden – mit einem paritätischen Mobilitätsrat.
Ist das Auto noch des deutschen Mannes liebstes Kind? Zunehmend weniger sieht man die Männer am Wochenende das Auto polieren – zu fast 70 Prozent gehören die Limousinen und SUV’s gar nicht den Fahrern, sondern sind steuermindernd absetzbare Dienst- und Geschäftsfahrzeuge. Aber immer noch wird geprotzt mit Pferdestärken und Geschwindigkeiten – das Auto ist mehr denn je ein Statussymbol für den karriereorientierten Mittelstand; für die reiche Oberschicht sowieso. Davon grenzen sich jedoch immer mehr Menschen ab, die aus finanziellen oder aus sozial-ökologischen Gründen kein Auto besitzen respektive sehr selten benutzen. In den Verkaufszahlen der Autoindustrie, die in Deutschland seit 10 Jahren stagnieren, schlägt sich das inzwischen in spürbaren Absatzrückgängen nieder – eine Katastrophe für eine Ökonomie, die an Wachstum gebunden ist. Wir haben es also, das ist bei linker und gewerkschaftlicher Strategiebildung zu berücksichtigen, mit zwei sich widersprechenden Tendenzen zu tun. Die zu beantwortenden Grundfragen sind eher philosophischer Natur: Wie wollen wir leben, wie wollen wir mobil sein und wie sollen unsere Städte künftig aussehen? Der „Parking Day“, der im September inzwischen regelmäßig in vielen Städten begangen wird, an dem sich die Menschen die Straße zurückerobern, ist ein Vorbote dessen, wie wir in Zukunft leben wollen und hoffentlich leben werden.
Für viele bleibt aber das ungute Gefühl, die kognitive Dissonanz, dass am Tag nach dem Parking-Day alles so weiter geht wie vorher; individuell wie gesellschaftlich.
Dicke Luft und stundelange Staus
Andererseits: Dicke Luft, stundenlange Staus und überfüllte Züge im Nah- und Fernverkehr– so sieht „Mobilität“ in Deutschland seid ein paar Jahren aus. Dass es mit Mobilität und dessen, was sich „Verkehrspolitik“ nennt, so nicht weiter geht, ist offensichtlich; es hat sich in Ministerien und Konzernzentralen herumgesprochen, wenngleich von einer systematischen Verkehrspolitik bei dieser Bundesregierung eigentlich keine Rede sein kann: Lobbyismus und personelle Verquickungen zwischen Politik, Automafia und Betonfraktion bestimmen über Subventionen für Autos und Autobahnbau. Sinnbildlich dafür die Wechsel von der Politik in die Industrie: Roland Koch zum Baukonzern, Eckhard von Kladen und Thomas Steeg zu Daimler und zu Volkswagen, Matthias Wissmann gleich zum langjährigen Boss des Verbandes der Automobilindustrie.
Die Bundesregierung richtet eine „Nationale Plattform Mobilität“ ein in Nachfolge der gescheiterten „Nationalen Plattform Elektromobilität“. Der Vorsitzende der Kommission und Merkel-Vertraute Henning Kagermann riskiert damit den zweiten Fehlschlag und seine Reputation. Die Konzerne suchen nach neuen Geschäftsmodellen: „Mit mehr Autos können wir das Verkehrsproblem nicht lösen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende von BMW; das Problem sinkender Profitraten wird mit mehr Autos auch nicht gelöst, weil die Konkurrenz um Märkte und Marktanteile mörderisch und die Investitionen in Elektromobilität und autonomes fahren riesig sind. Es sprechen also ökonomische Gründe (Stagnation, sinkende Nachfrage, sinkende Kaufkraft in Europa), ökologische Gründe (Ressourcen-Verbrauch und Schadstoffemissionen), soziale und verkehrspolitische Gründe dafür, umzusteuern: die Mobilitätswende ist überfällig! Eine weitere Belastung der Natur mit Emissionen aus dem Verkehr führt zu dramatischen Klimaveränderungen, die kein Mensch wollen und verantworten kann.
Die Ängste der Beschäftigten ernst genommen
Die dringend erforderliche Mobilitätswende ist mit vielen Ängsten verbunden bei den Beschäftigten und bei denen, die aus beruflichen oder anderen Gründen mobil sein müssen: man weiß was man hat, weiß aber nicht, was kommen wird; ganz normale Veränderungsängste. Darüber hinaus basieren diese Ängste auf realen Erfahrungen und können nur durch soziale Alternativen und die Perspektive auf ein besseres Leben überwunden werden; beim „Parking Day“ schimmert das bessere Leben schon mal durch. Soziale Alternativen müssen andere Arbeitsplätze im Bereich von Infrastruktur und Mobilität oder in anderen volkswirtschaftlichen Bereichen sowie eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei Lohnausgleich für die unteren und mittleren Einkommen sein. Kürzere Arbeitszeiten und weniger Mobilitätszwänge sind wesentliche Bestandteile des besseren Lebens – weniger Stress, weniger Hektik, mehr Zeit für sich, für die Familie, für Kultur und für gesellschaftliche und politische Partizipation. Zu recht mahnt die IG Metall entsprechende Instrumente der Arbeitsmarktpolitik an: „Mit Blick auf das Risiko für Beschäftigung müssen arbeitsmarktpolitische Instrumente und Maßnahmen geschärft werden. Die heutige Struktur der Bundesanstalt für Arbeit wie auch ihre zentralen Instrumente (Kurzarbeitergeld, Qualifizierung) sind auf die Anforderungen der Transformation nicht hinreichend ausgerichtet.[1]“ Dazu gehören nach Auffassung der Gewerkschaft u.a.: „Tarifbindung herstellen und erhöhen Es gehört zu den Skandalen der modernen Arbeitswelt, dass es immer noch möglich ist, sich den Anforderungen eines fairen Wettbewerbs durch Abwehr tarifvertraglicher Standards zu entziehen und die eigenen Beschäftigten zu übervorteilen. Dies hat nichts mit unternehmerischer Freiheit zu tun. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, durch gesetzliche Regelungen dafür zu sorgen, dass die Tarifbindung wieder zunimmt.
Ausweitung der Mitbestimmung Die Beteiligung der Arbeitnehmer_innen ist auf unternehmerische Entscheidungen über geplante oder auch unterlassene Investitionen auszuweiten. Ebenso bedürfen Standortentscheidungen der Zustimmung der Betriebsräte.“
10 Jahre für die Mobilitätswende
Wenn dieser Prozess, die Mobilitätswende, jetzt mit einem Zeithorizont von 10 Jahren eingeleitet wird, sind Brüche wie beim Ausstieg aus der Kohle vermeidbar. Unsere Gesellschaft ist reich und produktiv genug, um Arbeitszeitverkürzung und viel neue Arbeit im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich, in Bau von Infrastruktur in den Ländern und Kommunen zu schaffen und gut zu vergüten. Zu den kognitiven Dissonanzen gehört auch das Wissen um die hohen externalisierten Kosten aus dem Straßenverkehr. Mit geplanten „Smart Cities“, mit „autonomen fahren“ und anderem Schnickschnack aus den Designabteilungen der Autokonzerne, werden diese Kosten ins unermessliche steigen und die Städte werden unmenschlicher, unwirtlicher, unbewohnbarer. Andererseits: Den Reichen ist es egal, ob die Kosten externalisiert sind oder nicht; im Zweifelsfall hätten sie dann die Autobahn für sich alleine. Deshalb muss es durch kleinräumiges Wirtschaften, die engere Zusammenführung von leben und arbeiten, durch Kreislaufökonomie auch darum gehen, Mobilitätszwänge zu reduzieren; vor allem muss der Schwerlastverkehr von der Straße.
Wenn app-basierte und algorithmen-gesteuerte Fahrdienstleistungen mit kleineren, flexibleren Fahrzeugen möglich sind und einen Personennahverkehr hinsichtlich seiner Qualität und Kundenfreundlichkeit optimieren können, sollte diese innovative Technologie von den öffentlichen / städtischen Verkehrsbetrieben erprobt und eingesetzt werden. Dies kann dort sinnvoll sein, wo die Wege zu den Haltepunkten relativ weit sind und der ÖPNV sehr dünn ist, so auch in ländlichen Regionen, und immer dann, wenn der große Wagenpark wegen geringer Nachfrage nicht ökonomisch eingesetzt werden kann (nachts z.B.). Für Kinder sowie für ältere und / oder behinderte Menschen gilt das allgemein.
Diese neuen Technologien dürfen nicht der Automobilindustrie überlassen werden; es bedeutet, dass diese künftige Ergänzung des Personennahverkehrs nicht zu einer Austrocknung / Kaperung des ÖPNV führen darf. Öffentliche Forschungsinvestitionen und staatliche Subventionen an Unternehmen sind an strenge soziale und ökologische Auflagen zu binden. Im ÖPNV werden jedes Jahr mehr als 10 Milliarden Fahrgäste transportiert und ein Umsatz von fast 13 Milliarden Euro erwirtschaftet (https://www.vdv.de/statistik-personenverkehr.aspx). Hinzu kommen ca. 430 Millionen Fahrgäste in den Taxibetrieben mit einem Umsatz von über 4 Milliarden Euro (http://taxipedia.info/zahlen-und-fakten/). Diese Umsätze und die Daten der Kundinnen und Kunden will die Automobilindustrie mit ihren „Neuen Geschäftsfeldern“ wie Ridesharing, Ridehailing, Ridepooling, Connected Car Services, Mobility-On-Demand und manchem Schnick-Schnack mehr abschöpfen und privatisieren.
Über die Mobilitätswende ist demokratisch zu beraten und zu entscheiden – nicht nur unter Einbeziehung von Gewerkschaften, Politik und Arbeitgebern, wie die Gewerkschaften das in trügerischer Hoffnung auf eine „win-win-Situation“ fordern, sondern unter Einbeziehung auch von Verkehrs- und Umweltverbänden, von Stadtplanerinnen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ein Mobilitätsrat, anders als die „nationalen Plattformen“ der Bundesregierung, anders als die „Autopakte“ in verschiedenen Bundesländern[2] und anders als der dritte ergebnislose „Dieselgipfel“[3], ist mindestens paritätisch zu besetzen. Die Industrie darf in diesen Gremien kein Übergewicht haben. Der nationale Mobilitätsrat könnte für Regionen und Städte beispielhaft sein.
[1] https://www.igmetall-bayern.de/nachrichten/ansicht/datum/2018/07/12/titel/zukunft-der-autoindustrie-das-brauchen-jetzt-betriebsraete-und-beschaeftigte
[2] https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2018/06/pakt-zur-zukunft-der-fahrzeugindustrie-in-bayern.pdf
[3] http://stephankrull.info/2018/10/02/dieselgate-unterwuerfige-regierung/