Bundes- und Landesregierung schweigen zu vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge, zu systematischem Betrugssystem. Öffentliche Kontrolle ist die einzige Möglichkeit: den Betrug stoppen oder die Bänder stoppen?
In aller Vergangenheit hat es in der Volkswagen AG, in den sechs deutschen Werken der Mutterfirma, noch nie einen Streik gegeben – wohl ein paar Warnstreiks, aber noch nie einen unbefristeten Streik und die damit verbundene Stilllegung der Produktion. Nun stellt sich heraus: die betrügerischen Manager können es viel schneller und effektiver organisieren, dass die Bänder stillstehen und kein Auto vom Band läuft. Zumindest kein Audi A6 oder A7 mit Dieselmotor, weil dort fast drei Jahre nachdem der große Betrug aufgeflogen war, immer noch oder schon wieder betrügerische Software eingebaut ist. Die Abgasreinigung wird ab einem definierten Punkt abgeschaltet, Stickoxyde in verbotenem Umfang gelangen in die Atemluft und führen zu tödlichen Erkrankungen: vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge. Die Produktion der entsprechenden Modelle wurde am 8. Mai 2018 gestoppt und wird wahrscheinlich nie mehr aufgenommen. Kaum jemand hätte eine solche Dreistigkeit, ein solch systematisches und ausgeklügeltes Betrugssystem für möglich gehalten.
Eigentlich ist es für die Beschäftigten höchste Zeit, diese Akteure der „kriminellen Verschwörung“, das gesamte obere Management, vor die Tür zu setzen, bevor die den ganzen Betrieb vor die Wand fahren. „Kriminelle Verschwörung“ – so lautet die Anklage in den USA, weil wissentlich gegen Gesetze verstoßen wurde und weil die Umwelt, Steuer- und Justizbehörden belogen und in ihrer Arbeit behindert wurden. Zwei Manager wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt, gegen den Vorletzten VW-Boss Winterkorn wurde inzwischen Haftbefehl erlassen; er und viele seiner Managerkollegen reisen schon lange nicht mehr in die USA. Matthias Müller wurde hals über Kopf als Vorstandsvorsitzender abgelöst, weil gegen ihn ebenfalls Ermittlungen laufen und der neueste Vorstandsvorsitzende Herbert Diess ist zur Aussage in die USA erst dann gereist, als im freies Geleit und die Rückkehr nach Deutschland zugesichert wurde. Auch gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren. Wie können millionenschwere Manager so verantwortungslos handeln? Entweder handelt es sich um eine unglaubliche kriminelle Energie, um eine unfassbare Dummheit oder um eine grenzenlose Arroganz – in allen Fällen ein wichtiger Grund, das Management sofort abzulösen. Die Beschäftigten müssten das jetzt selbst in die Hand nehmen, da – und das ist der zweite Skandal – weder die Bundesregierung noch die Landesregierung ihren Verpflichtungen und ihren Eiden nachkommen, nämlich Schaden von den Menschen im Lande abzuhalten.
Der Verkehrsminister, egal ob Dobrindt oder Scheuer, weigert sich, die Gesetze dieses Landes gegenüber der Autoindustrie anzuwenden: kein Entzug von Zulassungsgenehmigungen, keine Bußgelder für die betrügerischen Unternehmen, keine Umweltplaketten. Darin werden sie von der Bundeskanzlerin ebenso unterstützt wie von Wirtschaft-, Justiz- und anderen Ministern – egal ob Gabriel, Schulz, Scholz, Maas, Heil, Altmeier, Spahn oder Barley: Fahrverbote sind auf jeden Fall zu vermeiden! Auf JEDEN Fall! Und sie meinen, was sie sagen – entgegen dem Amtseid, den sie alle geleistet haben.
Das Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent am VW-Konzern beteiligt, der Ministerpräsiden und der Wirtschaftsminister haben jeweils einen Platz auf der Seite des Kapitals im Aufsichtsrat. Der erste ressortübergreifende Schwerpunkt der Landesregierung ist – man höre und staune – die Flüchtlingspolitik. Dann folgen Digitalisierung und demografischer Wandel als weitere Schwerpunkte der Politik der Landesregierung. Volkswagen sucht man da vergebens. Obwohl fast 20 Prozent der Industriearbeitsplätze des Landes an dem Unternehmen hängen, obwohl etwa drei Milliarden Euro Einkommens- , Konsum- und Gewerbesteuern direkt und indirekt generiert werden – bei einem Gesamthaushalt von ca. 30 Milliarden Euro – , ist von der Landesregierung zu dieser kriminellen Verschwörung bei Volkswagen gar nicht zu hören. Aber diese Strategie – Augen zu und durch – wird nicht aufgehen, ist weder im Interesse des Landes noch im Interesse der Beschäftigten; im weiteren Sinne nicht einmal im Interesse des Unternehmens.
Bleibt die Frage, warum die IG Metall sich nicht äußert – außer in allgemeinen Erklärungen zur Bedeutung des Industriestandortes und zum Umweltschutz im allgemeinen.
Die Bande von Verschwörern hat einen Schaden von weit über 30 Milliarden Euro angerichtet, hat zum wiederholten Male die Produktion stillgelegt. Jedem Gammelfleischproduzenten wäre längst die Erlaubnis zur Betriebsführung entzogen. Das ist jetzt auch dringend bei Volkswagen erforderlich. Dafür sollte sich die IG Metall auch stark machen; dieses Durchzusetzen, lohnte auch eine planmäßige Stilllegung der Fabrik durch einen regulären Streik, bevor das Unternehmen vollständig gegen die Wand gefahren wird. Der Volkswagen-Konzern muss unter öffentliche Kontrolle gestellt werden – ein erster Schritt zur Demokratisierung könnte das sein. Ein erster Schritt zu einer Umstellung der Produktion von unnützen und schädlichen Produkten ausschließlich zum Zwecke der Profitmaximierung – hin zu einer Produktion, in deren Mittelpunkt die Bedürfnisbefriedigung steht, in deren Mittelpunkt eine Mobilitäts- und Verkehrswende steht. Öffentliche Kontrolle könnte ein Beirat von sein, in dem unabhängige Personen mit juristischen Verstand sitzen, ebenso Personen aus den Umwelt- und Verkehrsverbänden, Menschen mit technischen, naturwissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Qualifikationen, selbstverständlich die Gewerkschaften und Vertreterinnen der Belegschaften und der Kommunen – ausgestattet mit dem Recht auf Einsicht und Eingriff in alle Unterlagen und Prozesse. Eine Verpflichtung allein auf das Gemeinwohl und auf vollständige Transparenz wären Schritte hin zu einer Wirtschaftsdemokratie, die zügig auf die gesamte Branche, auf den Verkehrssektor ausgedehnt werden kann.
Der nächste Produktionsstopp sollte nicht Herrn Diess und seinen Managern überlassen bleiben, die „mit Benzin im Blut“ doch nur die eigenen Millionenbezüge und die Profite ihrer Herren, des Porsche-Piëch-Familienclans und der Scheichs von Katar im Sinne haben.