VW Personalvorstand vor die Tür gesetzt: Von Bauernopfern und Ablenkungsmanövern

Kilian „mit sofortiger Wirkung“ nicht mehr Personalvorstand im VW-Konzern. Volkswagen auf dem Weg zum Rüstungskonzern?

Die Personalie Gunnar Kilian als Personalvorstand von Volkswagen ist eigentlich nicht der Rede wert. Vorstände kommen und gehen, wie meine Kolleginnen und Kollegen gerne formulieren: Heute hier, morgen dort, übermorgen wieder fort.

Aber die Karriere von Kilian und seine Bindung an Sozialdemokratie und Betriebsrat und die Art und Weise seines Abgangs sind schon etwas Besonders. So Besonders, dass das Unternehmen eine ad-hoc-Mitteilung für die Aktionäre und der Betriebsrat eine Sonderinformation für die Arbeiterinnen und Arbeiter herausgab. Besonders auch die Tatsache, dass zur gleichen Zeit, am gleichen Tag eine Neubesetzung im Aufsichtsrat erfolgt. Neu im Aufsichtsrat ist Susanne Wiegand, einst Vorstandsvorsitzende der einst zu VW gehörenden Renk-Gruppe. Renk ist eine Rüstungsschmiede mit Sitz in Augsburg, ein nach der Ausgliederung aus dem VW-Konzern börsennotierter Hersteller von Getrieben, Motoren, Hybridantriebssystemen, Federungssystemen für Fahrzeuge, Gleitlagern, Kupplungen und Prüfsystemen. Das Unternehmen baut Spezialgetriebe für Panzer, Fregatten, Eisbrecher, ist Lieferant von Systemen für militärische Fahrzeuge. Seit März 2025 ist Suanne Wiegand im Vorstand des Start-ups Quantum Systems GmbH1, eines florierenden Drohnenunternehmens. Die Quantum-Systems GmbH hat am 10.5.2025 die vollständige Akquisition der AirRobot GmbH bekannt gegeben. AirRobot, ein führender Anbieter von Copterdrohnen für Aufklärung und Überwachung, soll die Versorgung der Bundeswehr und anderer Armeen mit diesen Waffen sicherstellen. Diese Übernahme erweitert das Angebot von Quantum Systems im Bereich der Drohnentechnologie und stärkt die technologische Souveränität für die belieferten Armeen.

Zu Kilian teilt das Unternehmen mit: „Gunnar Kilian wird mit sofortiger Wirkung aus dem Konzernvorstand der Volkswagen AG ausscheiden. Die Aufgaben des von ihm betreuten Ressorts Personal übernimmt kommissarisch Thomas Schäfer. Diesen Beschluss fasste der Aufsichtsrat des Konzerns am Freitag (4.7.2025). Grund dafür sind unterschiedliche Vorstellungen bei der Steuerung von Beteiligungsgesellschaften.“ Etwas ausführlicher die Information des Betriebsrates: Ausschlaggebend für die Arbeitnehmerseite sei die generelle Überzeugung, dass Kilian der Rückhalt für eine nahende Vertragsverlängerung fehlt. Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo würdigt zunächst Kilian um dann festzustellen: „In der Funktion des Arbeitsdirektors ist es nun an der Zeit für einen personellen Neuanfang. Einer (der Gründe) davon ist, dass Gunnar Kilians Name immer mit dem Aufkündigen unserer Tariffamilie im vergangenen Jahr verbunden sein wird. Wir haben das damals nicht ohne Grund einen historischen Tabubruch genannt. Am Ende gilt es dann für unsere Gremien in der Mitbestimmung immer, Bilanz zu ziehen und sich zu fragen: Geht man den Weg auch künftig noch zusammen weiter? Und wohlüberlegt kamen wir jetzt alle zu dem Schluss: nein.“ Abschließend erklärt sie, dass sie selbst für einen Seitenwechsel nicht zur Verfügung steht.

https://www.igm-bei-vw.de/meldung/nach-gut-sieben-jahren-gunnar-kilian-verlaesst-den-konzernvorstand

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan – der Mohr kann gehen.

Es gibt keinen Grund für Mitleid mit dem jetzt ehemaligen Personalvorstand von Volkswagen noch für besondere Sympathie für Gunnar Kilian. Gelernt bei den zwei Schlitzohren Hans-Jürgen Uhl2 und Ferdinand Piëch, hat er doch immer brav getan, was von ihm erwartet und verlangt wurde: Alles, um die Profite zu steigern. Dafür wurde er fürstlich entlohnt. Allein im Jahr 2024 flossen ihm 6,5 Millionen Euro Vergütung zu.

Nun wurde ihm der Stuhl vor die Tür gesetzt … weil … einer muss ja schuld sein am „Tabubruch“. Als wenn das Kilians Entscheidung gewesen wäre, als wenn das Unternehmen nicht darin geübt sei, Vereinbarungen zu brechen, die „Tarif-Familie“ aufzukündigen oder durch Betrug Milliarden in den Sand zu setzen. Die weinerliche Anbiederung vom Olli (Blume) – Schwamm drüber. Die Daumenschrauben und unbelegten Behauptungen von Arno Antlitz – nicht der Rede wert. Die Werksschließung durch Manfred Döss in Brüssel – vergessen. Und die Forderung von Wolfgang Porsche, den Betriebsrat mal ordentlich in seine Schranken zu weisen3 – na ja, das ist ja der Boss der „Familie“. Als Personalvorstand eines Weltkonzerns mit 325 Milliarden Euro Umsatz ist man dem Großaktionär, dem Porsche-Piëch-Clan verpflichtet – das wusste er spätestens seit er 2012, als Perspektivkader ausgewählt, Leiter des Salzburger Büros von Ferdinand Piëch war. Gunnar Kilian also ein Bauernopfer, um von der Krise und der Verantwortung von Oliver Blume und den Eigentümern abzulenken.

Kilian hat gemacht, was die Eigentümer und der Vorstand wollten.

Das oberste Management hat auf der Betriebsversammlung am 4. September 2024 in Wolfsburg ihren scharfen Kurs, die Kündigung der Beschäftigunsgsicherung in Richtung Massenentlassungen und Werksschließungen verteidigt. „Wir haben noch ein Jahr, vielleicht zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen. Aber diese Zeit müssen wir nutzen“, sagte Konzern-Finanzchef Arno Antlitz vor den Beschäftigten im VW-Werk. „Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr Geld aus, als wir einnehmen“ – natürlich ohne einen Beleg dafür vorzulegen. Er verwies lediglich auf die Überkapazitäten weltweit und in Europa. Bei der Betriebsversammlung drei Monate später bezeichnete Oliver Blume den ganzen VW-Konzern als „Sanierungsfall“. Der Konzernchef stellte sich demonstrativ hinter den Kurs seines Markenvorstands. „Die aktuelle Lage bei VW berührt uns alle emotional, auch mich persönlich. Wir führen VW wieder dorthin, wo die Marke hingehört – das ist die Verantwortung von uns allen.“ Das Führungsteam habe dabei seine „volle Unterstützung“.

Als Ursache für die ernste Lage gab Blume drastische Umsatzeinbußen in China an. Der Konzern habe in den letzten Jahren in China immer etwa fünf Milliarden Euro verdient – in diesem Jahr seinen nur 1,6 Milliarden zu erwarten. Unterstützung kam von Markenchef Thomas Schäfer, der übergangsweise die Aufgabe von Kilian übernimmt: „Wenn wir es schaffen, unsere Kosten nachhaltig zu reduzieren, … dann werden wir es sein, die die Voraussetzungen geschaffen haben, damit auch die nächsten Generationen hier in Deutschland für Volkswagen arbeiten können.“

Der Intimus des Porsche-Piëch-Clan Manfred Döss musste zwei Frauen wegbeißen,bevor er als Konzernvorstand ausgerechnet für Integrität und Recht sich eher selten zu Fragen der Arbeitsbeziehungen äußert. Typisch aber seine Bemerkungen zur Fabrik von Volkswagen in der chinesischen Uiguren-Region: „Ich kann für das Werk in Urumtschi sagen, dass uns keine Hinweise vorliegen, dass Zwang auf die Werktätigen ausgeübt wird.“ An der Schließung des Werkes in Brüssel war er als Aufsichtsratsvorsitzender von Audi maßgeblich beteiligt.

Der Chef des Porsche-Piëch-Clan, Wolfgang Porsche, kritisiert die seiner Meinung nach zu große Machtfülle von Betriebsrat und Gewerkschaften. Er habe nichts gegen Mitbestimmung, versichert er und kündigt genau den Arbeitsplatzabbau an, der jetzt umgesetzt wird. Besonders nahm er den im „Zukunftstarifvertrag“ erneuerten Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen aufs Korn: „Wir geben eine Arbeitsplatzgarantie bis 2025 oder sogar bis 2028 und wissen nicht, was in zwei Jahren aus China kommt. Das ist für mich problematisch.“ Wolfgang Porsche hatte sich früher bereits für eine stärkere Abgrenzung der Befugnisse des Betriebsrats bei dem Autobauer ausgesprochen. Arbeitnehmer sollten bei Themen, die die Mitarbeiter betreffen, mitbestimmen, sagte er damals dem Magazin „Stern“. Aber die Arbeitnehmervertretung sollte daraus keinen Anspruch auf ein ‚Co-Management‘ ableiten. Der Porsche-Piëch-Clan hält über die Porsche SE die Mehrheit an den Stimmrechtsaktien des Autokonzerns, Wolfgang Porsche ist Aufsichtsratsvorsitzender der Dachgesellschaft.

Die Belegschaft wehrt sich und die Regierung schaut weg.

Betriebsrat und IG Metall hatten eigene Vorschläge für ein Sparprogramm. Die Personalkosten sollten nachhaltig um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt werden durch Nichtauszahlung von Lohnerhöhungen und Verzicht auf Boni der hohen Gehaltsgruppen („Soli-Topf“), Verzicht auf Teile von Weihnachts- und Urlaubsgeld und imaginäre Beiträge der Anteilseigner (Verzicht auf Dividendenzahlung). Diesen Vorschlägen des Betriebsrates erteilte Blume eine Absage: „Der aktuelle Vorschlag der Mitbestimmung ist ein Startpunkt, reicht aber leider bei weitem noch nicht aus, die Zukunft von Volkswagen zu verteidigen.“ Nach zähen Verhandlungen und starken Warnstreikaktionen gab es dann im Dezember 2024 einen Abschluss, der seitens der IG Metall, bevor der Katzenjammer einsetzte, kurzzeitig als „Weihnachtswunder“ gefeiert wurde. Nach Durcharbeitung der Vereinbarung und des neuen „Zukunftstarifvertrages“ wird sichtba, worum es geht: Arbeitszeitverlängerung bei gleichzeitigem Lohnraub und drastischem Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen. Große Verschiebungen von Produktion ins Ausland (Golf nach Mexiko, Bulli in die Türkei, E-Autos nach Wolfsburg und Emden, Werksschließung mindestens in Dresden und Altautodemontage in Zwickau). Alles auf tönernen Füßen4.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich seinerzeit in die Debatte eingeschaltet. Ein Regierungssprecher erklärte am 4.9.24, Scholz habe mit dem Management, mit der Betriebsratsvorsitzenden und Aufsichtsrats-Mitgliedern gesprochen. Scholz sei die Bedeutung von VW als eines der größten Unternehmen der Autoindustrie bewusst. Er erkenne die Herausforderung der Transformation, vor der die gesamte Branche stehe. Scholz werde die Entwicklung genau verfolgen. Es sei jedoch Sache des Unternehmens, die Probleme zu lösen; die Bundesregierung werde sich nicht einmischen.

CDU-Chef Friedrich Merz war noch nicht Kanzler im Herbst 2024, sah aber in den Plänen von Entlassungen und Werksschließungen bei VW einen wirtschaftspolitischen Weckruf für die damalige Bundesregierung. „Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig genug“, kritisierte er. Es könne sein, dass VW mit einer einseitigen Festlegung auf die Elektromobilität einen Fehler gemacht habe. In AfD-Manier regt er in den letzten Tagen vor der Bundestagswahl im Februar 2025 an, das EU-Verbrennerverbot nach der Wahl zu kippen. „Jeder Automobilhersteller soll sein eigenes Geschäftsmodell entwickelt. Wenn das nicht die Verbrennertechnologie ist, ist das völlig in Ordnung.“ Er wolle im Land einen Mentalitätswandel herbeiführen, das sei die Grundmelodie der Koalition.

Der Präsident des IfW Kiel, Schularick sagt, ein Grund für staatliche Eingriffe sei das seiner Ansicht nach nicht. „Wir sollten dem Strukturwandel nicht im Wege stehen. Aufstrebende Branchen suchen händeringend Arbeitskräfte“, sagte Schularick mit Blick auf die Rüstungsindustrie.

Die ultraneoliberale „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm ist der Ansicht, es könne „durchaus zu Werksschließungen kommen“. Der Staat allerdings sollte sich „da raushalten“. Die Autoindustrie habe lange in Brüssel lobbyiert, um die Transformation hinauszuschieben und auch die Politik habe „lange Zeit nicht vorausschauend agiert“, kritisierte sie. Gleichzeitig bestätigt sie damit, dass die Manager der Autoindustrie nicht nur mit Milliarden „lobbyieren“, sondern die Mobilitätswende aktiv blockieren. Gleichzeitig bestätigt sie, dass der Staat „nicht vorausschauend gehandelt“ habe und empfiehlt der Regierung, durch „raushalten“ dabei auch zu bleiben. Komplett verrückt.

Vom Autokonzern zur Rüstungsschmiede?

Die personellen Weichenstellungen und die Kooperation mit Rheinmetall im Gemeinschaftsunternehmen Rheinmetall MAN Military Vehicles (RMMV GmbH), die Besichtigung des VW-Werkes in der Friedensstadt Osnabrück durch Rheinmetall-Boss Armin Papperger deuten auf einen grundlegenden Wandel des Unternehmens hin. Ebenso die Aussagen des Porsche-Piëch-Clans und des Managements von Volkswagen: Die Porsche-Familie liebäugelt mit einem Einstieg in die Rüstungsindustrie5 und VW- und Porsche-Chef Oliver Blume hat sich angesichts der ungewissen Zukunft von der Autoproduktion offen für einen möglichen Einstieg in die Rüstungsproduktion gezeigt6.

Das muss auch mit Blick auf die mörderische Geschichte des Unternehmens in der IG Metall, im Betriebsrat und bei den Arbeiterinnen und Arbeitern, in den Gremien der Mitbestimmung, im Aufsichtsrat beraten und entschieden zurückgeworfen werden. In der Satzung der IG Metall heißt es: „Sie (die IG Metall) bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und setzt sich für die Sicherung und den Ausbau des sozialen Rechtsstaates und die weitere Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung und den Schutz der natürlichen Umwelt zur Sicherung der Existenz der Menschheit ein.“

Die Identifikation eines Sündenbockes für den „Tabubruch“, für den schlechten Tarifabschluss, der Rauswurf von Kilian soll offensichtlich von dieser unheiligen Entwicklung und vom Versagen des Managements ablenken. Und insoweit ist Kilian ein Bauernopfer.

1Quantum Systems sammelt 160 Millionen Euro bei Investoren ein und steigert seine Bewertung auf über eine Milliarde. Unter den Geldgebern sind die Rüstungskonzerne Hensoldt und Airbus (Handelsblatt, 7.5.2025).

2H.J. Uhl war SPD-MdB und hochrangiges Mitglied des Betriebsrates bei Volkswagen. Er legte alle Ämter nieder, trat aus der SPD und der IG Metall aus, nachdem er wegen Untreue und falscher eidesstattlicher Erklärungen im Frühjar 2010 verurteilt wurde. G. Kilian war Berliner Büroleiter von Uhl während dessen Zeit im Bundestag, in der er Mitglied des Betriebsrates bei Volkswagen blieb.

3https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/volkswagen-wolfgang-porsche-legt-sich-mit-vw-betriebsrat-an-a-1256367.html

4Siehe https://stephankrull.info/2025/01/17/unruhe-bei-volkswagen/ und die Tarifvertäge von Dezember 2024: https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2025/01/VW-Verhandlungsergebnis201224.pdf und https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2025/01/VW-Zukunftstarifvertrag010125.pdf

5https://www.manager-magazin.de/unternehmen/porsche-familie-erwaegt-einstieg-in-ruestungsindustrie-a-fba09a49-ac5d-467f-b049-1ced95ceb4b1

6https://www.zdfheute.de/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-vw-ruestung-blume-militaer-fabriken-100.html

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