Arbeit in der Autoindustrie: Das Sichere ist nicht sicher!

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Screenshot-2025-01-26-13.46.18.png

Im Musk-Milei-Modus: Verband der Autoindustrie will „politische Entfesselung der Wirtschaft“.

Die Personalkosten sind nicht das Problem der Autoindustrie und ihre Senkung löst kein Problem, wie am Beispiel Volkswagen deutlich wird.

Volkswagen, Mercedes und Daimler sind keine Sanierungsfälle, sondern global agierende Autohersteller mit hoher Produktion, hohen Verkaufszahlen und mit außerordentlich hohen Gewinnen. Das bestätigt auch der VW-Vorstandschef Blume im Gespräch mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Die Rendite der Marke VW ist aktuell nicht besser und nicht schlechter als im Schnitt der vergangenen Jahrzehnte“.1

Die 750.000 Beschäftigte in der Auto- und Zulieferindustrie produzieren jährlich gut vier Millionen Fahrzeuge und erarbeiten so ihren Lebensunterhalt. Der globale Umsatz von 560 Mrd. Euro, Löhne – und damit Kaufkraft – in Deutschland von ca. 40 Mrd., Gewinne von gut 50 Mrd. Euro und Gewinnrücklagen von VW, Mercedes und BMW von 170 Milliarden Euro machen die ökonomische Macht dieses Industrieblocks aus. Die Autoindustrie hat wesentlichen Anteil am deutschen Exportüberschuss von 250 Mrd. Euro. Die Betriebe sind gewerkschaftlich gut organisiert, deshalb gibt es relativ gute Löhne, die zugleich Steuern generieren und Kaufkraft darstellen.

Warum also das Gejammere der Autobosse und des VDA? Der Verband der Automobilindustrie prognostiziert ein Minus von 190.000 Arbeitsplätzen: „Keine kleinen Schritte, sondern der große Wurf ist notwendig“, forderte die VDA-Chefin mit Blick auf eine neue Bundesregierung und die „Agenda 20230“ der CDU. Sie wollen weniger Bürokratie, niedrige Energiepreise, eine geringe Steuerbelastung, eine politische „Entfesselung“ der Wirtschaft. Stefan Wolf, der Chef von Gesamtmetall will „in Nullkommanichts“ das Lieferkettengesetz und die Datenschutzgrundverordnung abschaffen, droht ansonsten mit der AfD.2 Die gesamte Industrie hat in den Erpressermodus umgeschaltet: Die deutschen Hersteller würden den Wettlauf um die Zukunft nicht verlieren, „der deutsche Standort ohne massive Reformen schon“, kündigte VDA-Chefin Müller an.3

Die Probleme der Auto- und Zulieferindustrie

Für die Autoindustrie gibt es eine besondere Konjunktur:

Produktion und Absatz von Autos sind weltweit eingebrochen – immer noch minus 6 Mio. pro Jahr gegenüber 2017. Das betrifft die deutschen Hersteller VW, Mercedes BMW inkl. Töchter, am stärksten die Zulieferer. Ursächlich dafür sind

  • eine relative Marktsättigung
  • Schwächung der Kaufkraft durch niedrige Lohnabschlüsse und Inflation
  • der kaum aufzuholende Rückstand bei Digitalisierung und Elektrifizierung sowie
  • die Modellpolitik – es gibt kein kleines, preiswertes Auto aus deutscher Produktion.
  • Darüber hinaus ist das deutsche Exportmodell erschöpft. „Der Scheck aus China ist kleiner geworden“, sagen die Manager der Industrie.

Das zusammen ist weit überwiegend die Verantwortung der Industrie selbst, die den Antriebswechsel sehr zögerlich anging und teils immer noch von „Technologieoffenheit“ faselt. Zu einem kleineren Teil ist es die Verantwortung der Regierung(en), die selbst keinen Plan hatte, keine Prioritäten festlegte und sich von Lindner auch diesbezüglich vorführen ließ.

Das Ende der Wachstumsphase der Autoindustrie hat 2018 begonnen, allerdings regional unterschiedlich. Produktion und Absatz von Autos sind außerhalb Chinas eingebrochen. Im Jahr 2024 hat sich selbst in China das Wachstum verlangsamt. Mit der Expansion chinesischer Hersteller wie BYD, Geely, GWM und anderen ging der Absatz deutscher Hersteller in China drastisch zurück, Porsche zum Beispiel minus 28 Prozent. Für 2025 ist keine Trendwende in Sicht.

Mit der falschen Modellpolitik, nur große und teure Fahrzeuge anzubieten, sind die Profite kurzfristig gestiegen, wird aber gleichzeitig die Klimakatastrophe befeuert und die Mobilitätswende blockiert.

Des Pudels Kern: die Kapitalverwertung ist schlechter geworden, die Profitrate sinkt bei allen Herstellern. Volkswagen zum Beispiel bedauert, nur 3,5 statt 10 Prozent Rendite zu realisieren. Noch im Mai 2024 wurden immerhin 4,5 Mrd. Euro für die Aktionäre ausgeschüttet. Volkswagen und die anderen Hersteller sind mit rund 170 Milliarden Euro Gewinnrücklagen alles andere als ein Sanierungsfall.

Erwerbslosigkeit steigt

Tatsächlich handelt es sich um eine Krise der Beschäftigung: 75.000 Arbeitsplätze wurden vorwiegend in den großen und kleineren Betrieben der Zulieferindustrie in den zurückliegenden Jahren gestrichen oder verlagert: bei Bosch und Conti, bei ZF und Mahle, bei hunderten kleineren Zulieferern von Autoliv bis Webasto, bei Grammer, Forvia, GKN, Magna, Michelin und Valeo. Für die kleinstädtische Struktur, die es hauptsächlich trifft, sei hier der Hersteller von Dachzubehör Profilrollen-Werkzeugbau GmbH (PWG) in Neuhaus-Schierschnitz in Thüringen mit 300 Beschäftigten genannt. Die Produktion wird nicht beendet, sondern nach China verlagert. Als Gründe nennt PWG hohen Kostendruck seitens der Kunden, also der Autokonzerne, und gestiegene Produktionskosten. Bei der Muttergesellschaft heißt es noch: „Wir verpflichten uns einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft, Kunden, Mitarbeiter und das Ökosystem unseres Planeten zu haben.“ Für die betroffenen Familien und für die kleineren Städte und Kommunen ist es eine Katastrophe, wenn der größte Betrieb im Ort abwandert. Die Erwerbslosigkeit steigt, die Kaufkraft und die Steuereinnahmen sinken, die Kommune wird handlungsunfähig und die „Deindustrialisierung“ wird am eigenen Leibe erfahren.

Diese Verlagerungen finden ihren Niederschlag im Anstieg der Erwerbslosigkeit: 8% unbereinigt sind 3,6 Mio. Erwerbslose zu 600.000 offenen Stellen im Dezember 2024. Das ist die Begleitmusik zum Angriff auf die sozialen Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter: Mercedes-Chef Källenius sagt: „Es darf nicht so einfach sein, sich krank zu melden“. Der Patriarch des Porsche-Piëch-Clans lässt mitteilen: „Die Mitbestimmung ist ein Bremsklotz.“ Und der Stern schreibt: Zu lange haben VW-Arbeiter „wie Maden im Speck gelebt.“

Zum Beispiel Volkswagen

Um die Profitrate von 3,5 Prozent auf 6,5 Prozent zu erhöhen und die vorher teuer geschaffenen Überkapazitäten wieder abzubauen, kündigt der VW-Vorstand im September 2024 den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, die Entlassung von 30.000 Arbeiterinnen und Arbeitern, eine pauschale Senkung der Löhne um 10 Prozent und die Schließung von drei Werken in Deutschland an. Das löst bei den 120.000 Beschäftigten und ihren Familien große Verunsicherung und ebenso große Empörung aus. Aus dieser Empörung wuchs die Bereitschaft, das Erkämpfte zu verteidigen. Es folgten mehrere große Warnstreikaktionen mit der deutlichen Ansage der Streikbereitschaft.

Nach diesen Warnstreiks und zähen Verhandlungen vor Weihnachten 2024, bei denen die IG Metall den „Kompromiss“ als Angebot weitgehend vorweggenommen hat, wurden im Ergebnis Werksschließungen und Entlassungen abgewendet und gleichzeitig schmerzliche Zugeständnisse gemacht: Reduzierung der Ausbildungsplätze von 1.400 auf 600 und Entgeltreduzierung durch Arbeitszeitverlängerung für tausende Beschäftigte von 33 auf 35 Stunden bzw. Einbehalt von 5,5 % als „Beschäftigtenbeitrag“: In Summe mehr als 5.000 Euro brutto pro Beschäftigten und Jahr. Gleichzeitig kündigt das Unternehmen den Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen an – überwiegend Verlagerungen aus Verwaltung und Produktion nach Polen, Indien, Türkei, Mexiko und China.

Der Betriebsrat und die IG Metall sind von der irrigen Annahme ausgegangen, Volkswagen sei ein Sanierungsfall und die Arbeiterinnen und Arbeiter müssten jetzt Beiträge leisten, um das Schiff wieder flott zu machen für die Zukunft von Volkswagen. Der IG Metall und dem Betriebsrat ist lange jedoch klar, dass nicht die Tariflöhne das Problem sind4: „Volkswagen krankt nicht an seinen deutschen Standorten und an den deutschen Personalkosten. Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht“5 – sicher auch als Erinnerung an die über 30 Milliarden Euro, die durch den gigantischen Abgasbetrug des Managements in den Sand gesetzt wurden. Weiter sagt Betriebsrastvorsitzende Cavallo: „Ein Menschenleben lang jede Woche aufs Neue Lottomillionär werden – das ist die Summe, die unsere Großaktionäre Porsche und Piëch allein seit 2014 an Dividende erhalten haben.“6 Und für die zehn Millionen Euro Jahressalär des Vorstandsvorsitzenden Blume müsste eine Arbeiterin in der Montage bei Volkswagen mehr als 200 Jahre schuften und über die 80 Millionen Euro pro Jahr für die VW-Fußballabteilung VfL wird auch nicht geredet.

Völlig zu Recht haben Betriebsrat und IG Metall aus der Geschichte heraus Eigentumsrechte und aus Krisenerfahrungen heraus Arbeitszeitverkürzung gefordert. Beides findet sich im Verhandlungsergebnis nicht wieder. Stattdessen: Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2030, zunächst keine Schließung von Werken, jedoch Lohnsenkung unter Einbeziehung von nicht ausgezahlter Lohnerhöhung plus Streichung von Urlaubsgeld (Boni) von zusammen gut zehn Prozent oder eben 5.000 Euro brutto pro Jahr in den mittleren Entgeltgruppen. Weiter wurde eine Kapazitätsreduzierung von mehr als 700.000 Fahrzeugen pro Jahr und eine entsprechende Personalreduzierung vereinbart. Das Management geht von minus 35.000 Stellen aus. Das könnten aber auch mehr werden, wenn die geplanten Absatzzahlen und die vorgegebene Rendite nicht erreicht werden. Es bleibt mir ein Rätsel, warum die IG Metall sich auf die Senkung der Personalkosten eingelassen hat, obwohl diese doch nicht das Problem sind und also auch die Probleme nicht lösen werden und obwohl es eine große Kampfbereitschaft bei den gewerkschaftlich gut organisierten Arbeiterinnen und Arbeitern gab.

Im oben genannten Interview, das im Zuge einer Öffentlichkeitskampagne des Unternehmens ähnlich in allen Zeitungen der Region erschien, in der Gifhorner Allerzeitung mit der Überschrift „Ab 2026 geht es mit allen Konzernmarken bergauf“, sagt Blume, worum es eigentlich geht. Die Gewerkschaft sollte das und den Interessengegensatz von Kapital und Arbeit kennen, weil es in den gewerkschaftlichen Grundlagenseminaren vermittelt wird und gewerkschaftliche Vertrauensleute auf einem Transparent beim Warnstreik geschrieben haben: „Lieber Vorstand! Statt mit Krise und mit Gier – wenn ihr nicht könnt übernehmen wir.“ Blume sagt geschichtsvergesssen bezüglich der Herkunft des Geldes und des Unternehmens in oberlehrerhaftem Ton: „Wenn jemand investiert, dann möchte er eine Rendite erzielen. Der Markt für Geldanlagen ist groß: Ich kann in Unternehmen investieren, ich kann mein Geld zur Bank bringen und Zinsen bekommen. Als Investor überlege ich mir, wo mein Geld am besten angelegt ist. Wenn ich den Investoren jetzt erzähle, dass wir ihnen die Rendite kürzen, dann droht ein Vertrauensverlust, Investoren könnten sich zurückziehen. Das muss jeder wissen, der scharfe Einschnitte bei Dividenden fordert. Wir brauchen gerade jetzt in dieser Phase eine Verbindlichkeit für Investoren, damit sie weiterhin zu uns stehen.“ An anderer Stelle verteidigt er den milliardenschweren Einstieg von Audi in den Rennzirkus der Formel 1 und lobt die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe als Weg, am Verbrennungsmotor festzuhalten.7

Gänzlich unverständlich das Schönreden eines Abschlusses, den man als Niederlage bezeichnen muss und die trotzige Ansage von Cavallo im neuen Jahr: „Willkommen in der Automobilindustrie im Jahr 2025. Um uns herum in der Branche werden Standorte dichtgemacht und Beschäftigte betriebsbedingt gekündigt.“8 Die Lohnkürzungen finden die Arbeiterinnen und Arbeiter weniger schön, allerdings wäre eine dauerhafte Gehaltskürzung von zehn Prozent die Alternative gewesen, so die Betriebsratschefin – als gäbe es keine andere Alternative, als gäbe es keine Bereitschaft für die sozialen Rechte zu kämpfen. Unverständlich auch, dass sie sich in dieser Situation mit den Größen der SPD zeigt, für diese wirbt und sich als „Niedersächsin des Jahres“ von einem Unternehmerblättchen auszeichnen lässt.9

Das Verhandlungsergebnis: Betriebsrat und IG Metall auf „Produktrenditen“ festgelegt

Es gibt das Verhandlungsergebnis vom 20.12. 2024 und einen neuen Zukunftstarifvertrag vom 1.1.2025.

  • Im Verhandlungsergebnis wird zunächst der von der IG Metall gekündigte Entgelttarifvertrag wieder in Kraft gesetzt. Das ist der Verzicht auf eine Entgelterhöhung seitens der Gewerkschaft, außer für die Auszubildenden, deren Vergütung zum 1.3.2025 um 140 Euro je Ausbildungsjahr steigt.
  • Im Punkt zwei geht es um die „Beiträge der Beschäftigten“. Vereinbart wurde, eine fiktive Lohnerhöhung von 5,5 Prozent und eine ebenso fiktive Einmalzahlung von 600 Euro „als Beitrag der Beschäftigten“ auszusetzen. Für die Kalenderjahre 2027 bis 2030 besteht Einigkeit, dass die Aussetzung der Erhöhung als Beitrag der Beschäftigten von der Volkswagen AG zum sozialverträglichen Personalabbau, zur Ermöglichung von Arbeitszeitabsenkungen mit Entgeltausgleich sowie im Rahmen der Transformation für Qualifizierungsmaßnahmen genutzt wird. Hiermit wird der geplante Personalabbau bis 2030 sozialverträglich umgesetzt.“ Das Unternehmen plant also einen Personalabbau von 35.000 Personen, und dieser Abbau wird mit nicht ausgezahlten Löhnen der Arbeiterinnen und Arbeiter finanziert. Zu den vorenthaltenen monatlichen Zahlungen kommen noch jährliche Beträge hinzu, nämlich die bis 2030 reduzierte Maizahlung (Ergebnisbeteiligung) und das gleichermaßen reduzierte Urlaubsgeld. Für die unteren Entgeltgruppen wurde eine Ausgleichszahlung vereinbart.
  • Im dritten Punkt wurde die Angleichung der Arbeitsbedingungen bzw. der Arbeitszeit vereinbart. Konkret bedeutet dies für tausende Arbeiterinnen und Arbeiter, die vor 2005 eingestellt wurden, eine Arbeitszeitverlängerung von 33 auf 35 Stunden pro Woche nicht mit analoger Entgelterhöhung, sondern einem „Kompensationsbeitrag“ von 600 bzw. 800 Euro im Jahr. Zur Umsetzung dieser Vereinbarung müssen Entgelttarifverträge, Arbeitszeittarifvertrag und Manteltarifvertrag überarbeitet und neu formuliert werden.
  • Im Punkt vier wurde ein Zukunftstarifvertrag vereinbart mit Inkrafttreten ab 1.1.2025 und der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis einschließlich 2030 (ohne Nachwirkung, da sind sie genau). Der bis dahin gültige „Zukunftstarifvertrag“ mit seitens des Unternehmens nicht eingehaltenen Produktzusagen für die einzelnen Standorte, z.B. den Transporter in Hannover oder der ID.3 in Zwickau, wurde sang- und klanglos „ohne Nachwirkung“ beendet. Die Koppelung von Beschäftigungssicherung und dem Rückfall auf die Regelungen, die vor dem 1.1.1994 galten, wurden ebenso sang- und klanglos beendet. Es würde zu weit führen, das jetzt im Detail zu erläutern – aber da steckt richtig viel Geld dahinter.
  • Schließlich wurde im Punkt fünf wurde vereinbart, ein neues „modernes“ Entgeltsystem zum 1.1.2027 in Kraft zu setzen, mit dem, von der Gewerkschaft als „Obergrenze“ bezeichnet, die Personalkosten um sechs Prozent reduziert werden sollen. Das gilt zunächst für dann neu Eingestellte Arbeiterinnen und Arbeiter. Die anderen erhalten eine halbe „Besitzstandswahrung“, bei der 1,5 Prozent künftiger Lohnerhöhungen auf diesen „Besitzstand“ angerechnet werden. Tagespauschalen für höherwertige Tätigkeiten entfallen ersatzlos – die Flexibilität des „Humankapitals“ wird maximal auf alle Standorte des Konzerns ausgedehnt. Dieser drastische Griff in das Portemonnaie der Arbeiterinnen und Arbeiter summiert sich dann mit den oben beschrieben Kürzungen auf weit mehr mehr als 10 Prozent Entgeltreduzierung.
  • Ganz zum Schluss des Verhandlungsergebnisses wird mitgeteilt, dass die Anzahl der Ausbildungsplätze von 1.400 „bedarfsgerecht“ auf 600 pro Jahr reduziert werden. Damit ist der historische Tiefstand von nur noch zwei Prozent Ausbildungsplätzen in der VW AG erreicht. Der Jammer um den angeblichen „Fachkräftemangel“ in der Industrie, der immer ein Mangel an Ausbildung durch die Unternehmen war, ist damit vollständig als Propaganda entlarvt.

Im neuen Zukunftstarifvertrag ist in § 2.4 formuliert, dass bei Abweichungen von der geplanten Belegschaftsentwicklung die Betriebsparteien in Gespräche über weitere Maßnahmen zur Zielerreichung eintreten. Alles ist offen, nichts ist sicher.

Dann werden in § 3 wieder „Standortzusagen“ gemacht. Im § 3.1.2 sind die Bedingungen formuliert: „Erforderlich sind Standortvereinbarungen zur Werksbelegung, Planstückzahl, Kompetenzentwicklung, Fabrikkostenziele, Belegschaftsentwicklung und Produktrenditen. Diese enthalten verbindliche Zusagen.“

Im § 4 wird festgelegt, dass alle Produktzusagen im Wettbewerb ausgeschrieben und erst einmal in interner und externer Konkurrenz „gewonnen“ werden müssen. Dabei werden alle Entscheidungen „mit Priorität darauf geprüft, ob sie an den Standorten wettbewerbsfähig dargestellt werden können.“ Das Gewinnen aller Standortvereinbarungen ist die Voraussetzung dafür, dass nicht mehr als die geplanten 35.000 Arbeiterinnen und Arbeiter überflüssig und freigesetzt werden.

Schließlich gibt es eine Revisionsklausel: Bei wesentlichen Änderungen der Grundannahmen oder der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen während der Laufzeit des Tarifvertrages bis zum 31.12.2023 verpflichten sich die Tarifvertragsparteien zu Überprüfungsgesprächen. „Die Tarifvertragsparteien erörtern dabei die notwendigen Maßnahmen unter Einschluss sozialpolitischer Instrumente.“ Nochmals: Alles ist offen, nichts ist sicher.

Kritische Solidarität mit der IG Metall

Von Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall, kamen zu Beginn klare Worte: „Die Nachrichten aus Wolfsburg sind dramatisch. Und unsere Reaktion darauf ist deutlich: Die Beschäftigten stehen nicht mit Lohneinbußen oder ihrem Arbeitsplatz dafür ein, dass ihr (das Management) jahrelang die falschen Entscheidungen getroffen habt.“10 Das Missmanagement hat in den zurückliegenden Jahren wirklich viele Milliarden gekostet: Mehr als 30 Milliarden Euro alleine für den gigantischen Abgasbetrug, darüber hinaus die teure und unsinnige Planung für eine „Gigafactory“ (Trinity) vor den Toren Wolfsburgs, der Auf- und Abbau der Software-Tochter Cariad, die falsche Produktstrategie, das Risiko bei der Batterieproduktion mit Northvolt und schließlich die teuren Einstiege bei Rivian und Xpeng mit der trügerischen Hoffnung, die Technologieführerschaft wieder zu gewinnen.

Dennoch: Die IG Metall und der Betriebsrat standen bei dieser Auseinandersetzung unter erheblichem Druck des Kapitals. Das Management und vor allem der Porsche-Piëch-Clan meinten es sehr ernst damit, die Produktion umfangreich dorthin zu verlagern, wo höhere Profite erzielt werden können. Sie wollen sich mit der Rendite von 3,5 Prozent nicht zufrieden geben. Dazu erpressen sie die Regierungen in Bund und Land. Dazu wollen sie die Mitbestimmung des Betriebsrates schleifen und den Einfluss der Gewerkschaft zurückdrängen. Die etwas unklaren Verhältnisse seitens der IG Metall im Aufsichtsrat von Volkswagen, Jörg Hofmann sitzt dort noch immer drin, werden vom Management geschickt ausgenutzt.

Wenn man sich auf die Logik des Kapitals einlässt, dass Wachstum und maximale Profite Voraussetzung für alles andere sind, dann hat man sich schon dem Diktat des Kapitals unterworfen. Stolz verkündet VW-Chef Blume im oben genannten Interview mit der HAZ: „Das Ergebnis der Tarifverhandlungen liegt genau im Zielkorridor, um die Marke VW robust für die Herausforderungen der Zukunft aufzustellen.“ Die Beendigung der Produktion im Werk in Dresden, die unsichere Perspektive für das Werk in Osnabrück und die größeren Lasten, die im Werk Zwickau zu tragen sind, liegen dann wohl „genau im Zielkorridor“. Klaus Lang kritisiert das als „verheerende Ostvergessenheit“ auch der Politik: „Ein Manko des Kompromisses besteht darin, dass die VW-Standorte im Osten einen größeren Teil der Last zu tragen haben.“11

Die besondere Mitbestimmung auf Grundlage des Volkswagengesetzes – das zu erläutern würde den Rahmen dieses Textes sprengen – hat nicht gewirkt bzw. reicht nicht aus bei solch erpresserischen Vorgehen des Kapitals. Das reicht vor allem deshalb nicht aus, weil das Land Niedersachsen sich mehr dem Unternehmensinteresse verpflichtet fühlt als den Interessen des Landes und den Interessen der Menschen im Betrieb und in den Kommunen. Die Landesregierung nutzt ihren Anteil am stimmberechtigten Kapital von Volkswagen und ihre zwei Mandate im Aufsichtsrat nicht, um strategische Entscheidungen zu beeinflussen. Ganz anders der Porsche-Piëch-Clan, der sich die Mehrheit ergaunert hat und diese brutal zur Vermehrung des eigenen Reichtums nutzt.

Wenn man sich, wie die Regierung und leider auch die IG Metall, auf die Logik und das Diktat des Kapitals einlässt, kommen Zukunftsbilder wie Wirtschaftsdemokratie, Arbeitszeitverkürzung statt Überstunden und Personalabbau oder eine Konversion der Produktion gar nicht erst zum Vorschein.

Die doppelte Katastrophe vor dem Kollaps

Immer mehr Autos können angesichts der Klimakatastrophe, der Verstopfung der Städte und der begrenzten Ressourcen nicht die Lösung sein. Helfen würde die Auflösung des Widerspruchs, dass einerseits in der Auto- und Zulieferindustrie wegen der Überkapazitäten Personalabbau und Werksschließungen anstehen, andererseits die Schienenfahrzeughersteller wegen zu geringer Kapazitäten mit der Lieferung von Triebwagen und Waggons nicht hinterherkommen. Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Die Autoindustrie muss nicht weiter subventioniert werden (auch nicht durch Lohnverzicht), stattdessen muss kräftig in den ÖPNV investiert und die Kapazitäten für den Schienenfahrzeug- und Busbau müssen ausgebaut werden. Solche Konversion ist möglich, wie an den leider negativen Beispielen des schnellen Aufbaues von Rüstungsschmieden ablesbar ist. Tatsächlich gibt es Spekulationen darüber, dass Rheinmetall und andere Waffenproduzenten sich die Fabriken von Ford in Saarlouis, Conti in Gifhorn und Volkswagen in Osnabrück mit großem Interesse anschauen. Aber der Bedarf an anderen Produkten ist groß. Wärmepumpen statt Autoteile, Solarkollektoren statt Reifen, smarte Busse statt Panzer, Straßenbahnzüge statt SUV – das ist doch mindestens so schnell machbar wie die Produktion von Kriegsgerät. Die Konversion der Mobilitätsindustrie ist voraussetzungsvoll – es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, politischen Willen und viel Geld für den Umbau. Mit der Schuldenbremse funktioniert das allerdings nicht und unter dem Diktat des Kapitals funktioniert es ebenfalls nicht. Der § 2 in der Satzung der IG Metall, gestützt auf die Artikel 14 und 15 unseres Grundgesetzes, ist doch mehr als eine ferne Erinnerung an die allgemein kapitalismuskritische Lage nach der Befreiung vom Faschismus: „Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechtes der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und Unternehmen und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Errichtung von Wirtschafts- und Sozialräten; Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum.“12

Um einen gesellschaftlichen Konsens zur Mobilitätswende zu erreichen, muss sich die Gesellschaft, müssen sich die relevanten Akteure von der Fixierung auf die Autoindustrie lösen. Die Krise mit Massenentlassungen und Werksschließungen macht die Perspektivlosigkeit dieser Fixierung deutlich. Die Aufgabe besteht darin, die Autoindustrie zu schrumpfen und gleichzeitig die Industrien auszubauen, die für den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedarf und gegen die Klimakatastrophe produzieren. Strategische Industriepolitik auf Basis einer bedarfsorientierten Investitionsplanung wäre nötig für gute Arbeit und ein gutes Leben für alle. Wichtige Instrumente sind dabei Wirtschaftsdemokratie, Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter an den Entscheidungen und eine kollektive Arbeitszeitverkürzung in Richtung einer Drei- oder Vier-Tage-Woche, der kurzen Vollzeit für alle und Zeit für reproduktive Tätigkeiten. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, für Beschäftigte in der Autoindustrie, deren Arbeitsplätze durch den notwendigen Umbau wegfallen, neue Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Der Übergang zu neuen Arbeitsplätzen muss durch einen Rechtsanspruch auf bezahlte Umschulung und soziale Garantien abgesichert werden. Das zusammen bedeutet eine Abkopplung vom Wachstumszwang, einen Ausstieg aus der globalen Konkurrenz, in der Menschen und Länder gegeneinander in Stellung gebracht werden.

Bertolt Brecht: Lob der Dialektik

Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt.
Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre.
Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.
Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschenden.
Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut:
Jetzt beginne ich erst.
Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt:
Was wir wollen, geht niemals.

Wer noch lebt, sage nicht: niemals!
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.
Wenn die Herrschenden gesprochen haben,
Werden die Beherrschten sprechen.
Wer wagt zu sagen: niemals?
An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird?
Ebenfalls an uns.
Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich!
Wer verloren ist, kämpfe!
Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?
Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen,
Und aus Niemals wird: Heute noch!

1HAZ-Gespräch mit Oliver Blume, 22. Januar 2025

2https://www.welt.de/wirtschaft/article255159152/Arbeitsmarkt-Die-Industrie-wird-noch-deutlich-mehr-Arbeitsplaetze-verlieren.html?icid=search.product.onsitesearch

3https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/industrie-vda-chefin-deutschland-kann-zukunft-als-auto-standort-verlieren/29370036.html

4https://www.igmetall.de/tarif/tarifloehne-sind-nicht-das-problem

5https://www.igmetall.de/im-betrieb/vw-sparkurs-standortschliessungen-und-stellenabbau-drohen

6BR-Vorsitzende Daniel Cavallo, https://www.igmetall.de/metallzeitung-epaper/januar-februar-2025/#8

7https://www.waz-online.de/lokales/wolfsburg/vw-chef-oliver-blume-darum-geht-es-fuer-den-konzern-ab-2026-bergauf-7ABIGCLDWJC3PLGNZROXHHMC3Y.html

8https://www.msn.com/de-de/finanzen/personalwesen/vw-mitarbeiter-hoffnung-geplatzt-cavallo-knallhart-willkommen-im-jahr-2025/ar-AA1xggPR

9https://www.rundblick-niedersachsen.de/die-wuerfel-sind-gefallen-daniela-cavallo-ist-die-niedersaechsin-des-jahres-2024/

10https://www.igmetall.de/im-betrieb/vw-sparkurs-standortschliessungen-und-stellenabbau-drohen

11Express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 1-2025, https://www.express-afp.info/

12https://www.igmetall.de/download/20231222_IGM_Satzung_2024_232da4272e6e85e92c762acbccd45acb4569dafd.pdf

Ein Gedanke zu „Arbeit in der Autoindustrie: Das Sichere ist nicht sicher!“

  1. Kommentar-Auszug: ~ Klaus Lang kritisiert das als „verheerende Ostvergessenheit“ auch der Politik: „Ein Manko des Kompromisses besteht darin, dass die VW-Standorte im Osten einen größeren Teil der Last zu tragen haben.“ ~
    # Pauschal so richtig? Wie ist es zu bewerten, dass die „Ost-Standorte“ (soweit diese auf Dauer weiterbestehen) mit dem Kompromiss jetzt früher an den VW-Haustarifvertrag herangeführt werden?
    siehe Homepage VW-Wob:
    https://www.igmetall-wob.de/meldung/weihnachtswunder-von-hannover-sichert-volkswagen-standorte-ab-betriebsbedingte-kuendigungen-werksschliessungen-und-einschnitte-in-das-laufende-monatseinkommen-beim-autobauer-abgewendet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert