Die Krisen überlagern und verstärken sich: Die Klimakatastrophe, die Kriege und die Verrohung der Politik, die begründete Abstiegsängste der Arbeiterinnen und Arbeiter. Vor diesen Hintergründen erklären die Auto- und Zulieferkonzerne drastische Programme zu Werksschließungen und Massenentlassungen.
Daraus wächst Verzweiflung und Wut derjenigen, die jahrzehntelang für den sagenhaften Reichtum der Großaktionäre, der Porsches, Piëchs, Klatten und Quandts, und für einen bescheidenen eigenen Wohlstand gearbeitet haben. Die Regelmäßigkeit der Krisen macht neugierig auf die Erforschung ihrer politisch-ökonomischen Ursachen. Ohne eine belastbare Krisentheorie wird es keine adäquate linke und gewerkschaftliche Praxis, keine Klassenorientierung in diesen Krisen geben.
Ist das noch eine normale Rezession oder ist das der Weg zur Deindustrialisierung? „Die Industriekrise und der langanhaltende Wirtschaftsabschwung hinterlassen am Arbeitsmarkt ihre Spuren“, berichtet Prof. Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Bundesagentur für Arbeit: „Wir verlieren jeden Monat in Deutschland 10.000 Arbeitsplätze in der Industrie, die Produktion liegt mittlerweile 15 Prozent unter dem Vor-Corona-Nieveau. … Während die eher klassische Industrie Jobs abbaut, werden viel zu wenig Jobs in den neuen Bereichen aufgebaut, insgesamt ist die Jobbilanz in der Industrie tiefrot. Wir brauchen einen Schub nach vorn: Deindustrialisierung ist nicht unausweichlich.“
I. So ist der Kapitalismus
Im Herbst 2024 und Frühjahr 2025 wird die Krise in der Auto- und Stahlindustrie zum großen Thema. Ausschlaggebend sind die Ankündigungen von Volkswagen, Ford, Bosch, Thyssen-Krupp und anderen, Werke zu schließen, Arbeiter_innen in zehntausender Größe zu entlassen und Löhne zu senken. Vorgeblich geht es darum, Verluste „wegen zu hoher Energie- und Arbeitskosten“ zu minimieren – der Strompreis ist inzwischen wieder auf dem Niveau von vor der Krise angekommen. Tatsächlich geht es um höhere Profite und darum, selbst geschaffene Überkapazitäten wieder zu vernichten.
Angst und Schrecken zu verbreiten ist Methode und Ziel der Kampagne der Unternehmen. Unberechtigt ist die Abstiegsangst nicht, wurden doch in den zurückliegenden Jahren bereits 75.000 Arbeitsplätze in der Auto- und Zulieferindustrie verlagert oder vernichtet. Die Inlandsproduktion sank von 5,7 Mio. PKW im Jahr 2016 auf 4,1 Mio. im Jahr 2023. Im scheinbaren Widerspruch zu diesen Überkapazitäten stiegen die Profite auf 60 Milliarden Euro bei den big three in Deutschland, die Gewinnrücklagen auf sagenhafte 250 Milliarden Euro. Luxusautos und hoch motorisierte SUV bringen weniger Absatz als kleine, smarte Fahrzeuge, aber mehr Profit. Die sinkende Nachfrage und der Rückgang der Produktion von Autos in Deutschland um 30 Prozent seit 2016, der Absatzeinbruch von E-Autos um 70 Prozent im Jahresverlauf 2024 und der Einbruch deutscher Hersteller auf dem wichtigen chinesischen Markt um 20 Prozent von 2019 bis 2024 markieren die Verwertungskrise des Kapitals.
Es ist nicht in erster Linie eine Krise der Autoindustrie, sondern der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Autoindustrie. Es ist eine Krise der Kapitalverwertung, der Überakkumulation, der sinkenden Arbeitsproduktivität, der zunehmenden Bindung von konstantem Kapital, der sinkenden Profitrate, der sinkenden Massenkaufkraft. Wohin mit dem ganzen Profit, wenn es gewinnträchtigere Bereiche gibt als die Autoindustrie? Ursächlich sind die Modellpolitik, die fast ausschließliche Produktion großer und teurer Fahrzeuge (SUVs), die Erwartung von 10 Prozent Umsatzrendite, die hintertrieben Verkehrswende, die arrogant angegangene und letztlich verschlafene Antriebswende und Digitalisierung sowie die vom Zaun gebrochenen Handelskriege. Ursächlich ist der Wachstumszwang für renditeorientierte Unternehmen und die weit vorauseilende Konkurrenz aus China. Der aufkommende Protektionismus trägt seinen Teil zur Krise bei.
„Es kann sein, dass es zu viele Autos gibt, sicher aber zu wenige von BMW“ – so ein oft zitierter Spruch eines ehemaligen Managers von BMW. Alle Konzerne haben in Erwartung von Profiten ihre Kapazitäten ausgebaut. Bis vor kurzem wollte Volkswagen für zwei Milliarden Euro eine neue Gigafactory für ein Luxusmodell Trinity bauen. Auch der Verkehrswendebewegung mit ihren kreativen Protesten in Wolfsburg ist zu danken, dass diese wahnsinnige Idee zu den Akten gelegt wurde. Erstmals konstatieren Unternehmen wie Volkswagen, Ford und Stellantis jetzt die Überkapazitäten in ihren eigenen Fabriken. Nach sich zum Teil widersprechenden Quellen und Berechnungsgrundlagen (VDA, destatis, OICA, CAAM, ACEA) sieht die Marktentwicklung etwa so aus (siehe Tabelle).
PKW Zulassungen (Mio.) | ||
2017 | 2023 | |
China | 23 | 27 |
USA | 17 | 15 |
EU | 14 | 11 |
Summe | 55 | 53 |
Weltweit | 84 | 78 |
Im Jahr 2024 ging es weiter runter mit Produktion und Absatz in Deutschland, in Europa und speziell für die Hersteller aus Deutschland auch in China; für 2025 ist keine Trendwende absehbar.
Der kapitalismuskritische US Arbeitsmarktforscher Ian Greer wird in der Süddeutschen Zeitung vom 9./10.11. so zitiert: „Die Überkapazitäten sind eine größere Herausforderung als der sinkende Arbeitskräftebedarf. Unternehmen wie die amerikanischen Elektroauto-Spezialisten Tesla und Rivian und viele chinesische Hersteller bauen ihre Produktion aus. Und die traditionellen Automobilhersteller haben ebenfalls expandiert. Es wird Unternehmen geben, die scheitern und Werke schließen müssen. Noch wissen wir aber nicht, welche das sein werden. … Die wichtigste Lektion ist: Die Arbeiter haben gerade viel strukturelle Macht. Autounternehmen brauchen sie, um den Übergang zur Elektromobilität zu bewältigen. Das verschafft den Arbeitern Hebelwirkung, um Forderungen durchzusetzen. … Die Hersteller nutzen die Unsicherheit, um von den Beschäftigten Zugeständnisse zu verlangen – und so zuerst die Renditen für die Aktionäre zu sichern. Aber so ist Kapitalismus.“
II. VW – Abbau oder Umbau?
Der Volkswagenkonzern verbreitet die Mär von Verlusten in der Marke Volkswagen, will Löhne senken, Werke schließen und 30.000 Arbeiter_innen aus der Produktion, der Verwaltung, der Forschung und Entwicklung entlassen. Konservative Medien bis hin zu ARD und ZDF sekundieren bei der millionenfachen Verbreitung dieser Mär und erzeugen im Land das gewünschte Klima von Angst, Neid und Missgunst.
Der Jammer von Volkswagen besteht darin, dass der angepeilte Profit von 6,5 Prozent nicht erreicht wird, sondern – abzüglich der „Restrukturierungskosten“ – nur bei gut vier Prozent liegt. Der Jammer von Volkswagen liegt darin, dass für 2023 „nur“ 4,5 Mrd. Euro an die Aktionäre ausgeschüttet wurden statt der angepeilten 10 Milliarden. Der Jammer von VW besteht darin, dass sie keine Möglichkeiten sehen, die Gewinnrücklagen von fast 150 Milliarden Euro gewinnbringend im Inland anzulegen.
Wem gehören die Fabriken?
Die Geschichte von Volkswagen ist schnell erzählt: Ab Mitte der 1930er Jahre haben die Nazis das „Projekt Volkswagen“ mit Ferdinand Porsche und dem geraubten Vermögen der freien Gewerkschaften umgesetzt. Im Frühjahr 1945 setzte sich Porsche nach Österreich ab und nahm die Kasse von Volkswagen mit. VW war „herrenlos“, wurde von den Briten verwaltet und 1948 „zu treuen Händen“ an die deutsche Bundesregierung übergeben. Alle Gewinne wurden in den Betrieb investiert und das Unternehmen entwickelte sich prächtig. 1960 hat die damalige CDU-Regierung aus der GmbH eine AG gemacht. Das VW-Gesetz wurde verabschiedet, um den Widerstand von Betriebsräten und Gewerkschaften zu brechen. 1980 hat die Kohl-Regierung ihren 20-Prozent-Anteil zu schlechten Bedingungen an die Börse gebracht. Sofort begannen die Porsches und Piëchs im Geheimen damit, Anteile zu kaufen – Porsche wollte Volkswagen schlucken. Es kam etwas anders, im Ergebnis blieb es aber Gleiche: dem PorschePiëch-Clan gehören 53 Prozent der Stammaktien – ohne dass sie sich je an der konkreten Arbeit beteiligt hätten.
Juristisch ist das also ganz klar: 53,3 Prozent der Stimmrechte liegen beim Porsche-Piëch-Clan, 20 Prozent beim Land Niedersachsen, 17 Prozent beim Staatsfond von Katar und 9,7 Prozent im Streubesitz. Historisch und moralisch aber gehört das Unternehmen denen, die dort arbeiten und alle Werte schaffen. Deshalb gilt immer noch das VW-Gesetz von 1960. Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo hat recht: „130 Millionen Reichsmark entsprechen einer heutigen Kaufkraft von knapp 700 Millionen Euro. Mit einer durchschnittlichen Verzinsung hätte sich aus diesem Kapital, das die Nazis der Arbeiterbewegung geraubt hatten, über die Jahrzehnte ein Milliardenbetrag ergeben. Dieses Geld, unser Geld, steckt heute im VW-Konzern. Und deswegen ist klar: Bei Volkswagen wird niemals der Turbo-Kapitalismus Einzug halten. Sondern bei Volkswagen haben die abhängig Beschäftigten, ihre Familien und Standortregionen immer ein starkes Gewicht. Volkswagen gehört all denen, die tatkräftig mit anpacken, Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichermaßen und gleichberechtigt voranzubringen.“
Für Volkswagen gilt deshalb: Management und Aktionäre haben versagt. Das Unternehmen wird nach Artikel 14/15 des Grundgesetzes vergesellschaftet. Das land Niedersachsen behält seinen Anteil von 20 Prozent. Beim aktuellen Aktienkurs kostet eine Entschädigung etwa 32 Milliarden Euro – das bezahlen wir nach der Übernahme als gemeinnützige GmbH oder Genossenschaft, abzüglich der Schäden durch das Management, fast aus der Portokasse bzw. von den Gewinnrücklagen.
Zur Vorgeschichte des aktuellen Konfliktes gehört, dass beim Abschied von der 28,8-Stunden-Woche ein »Arbeitszeitkorridor« von 25 bis 33 Stunden vereinbart wurde, der per »Arbeitszeitfixpunkt« im Einvernehmen mit dem Betriebsrat bisher regelmäßig fast ausschließlich in Richtung 33 Stunden plus Mehrarbeit umgesetzt wurde. Jetzt, wo es darauf ankäme, durch differenzierte Arbeitszeitverkürzung in Richtung 25-Stunden-Woche diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen, wird er vom Unternehmen aufgekündigt. Das Ziel ist wohl die Angleichung zwischen Haustarif I und Haustarif II in Richtung der 35-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit ohne Lohnausgleich. Praktisch bedeutet das, dass die Arbeiter:innen fast zwei Jahrzehnte lang wöchentlich vier Stunden gratis für das Unternehmen geschuftet haben. Künftig sollen es sechs Stunden werden, die vom Unternehmen nicht vergütet werden. Konservativ gerechnet eine Vorleistung von rund zehn Milliarden Euro aus den zurückliegenden Jahren.
Zur Vorgeschichte gehört auch ein »Zukunftspakt« mit nicht eingehaltenen Zusagen für die Auslastung der Fabriken – nicht nur wegen schlechter Absatzlage, sondern weil Produktion wie die des Transporters und des Passats sowie administrative Arbeit wie Controlling in die Türkei, in die Slowakei und nach Polen oder Indien verlagert wurden. Und wenn die Absatzlage schlecht ist (was mit der völlig verfehlten Modellpolitik zu tun hat), ist vom Management des sozialpartnerschaftlichen Musterbetriebs zu erwarten, dass sie sich zumindest um eine teilweise Neuausrichtung des Unternehmens kümmern. Aber wir erleben gerade, dass in diesem System absolut nichts sicher ist, was sicher schien.
Bei der Betriebsversammlung im Wolfsburger VW-Werk am 4. September sagte der Finanzchef des Konzerns: „Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Der Markt ist schlicht nicht mehr da.“ Im September 2024 platzte die erste Bombe: Das Unternehmen hat eine Reihe von Tarifverträgen gekündigt.
- Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Damit sollen Massenentlassungen und Werksschließungen ermöglicht werden. VW-Markenchef Schäfer sagt, die Reduzierung der Personalkosten um 20 Prozent reichten nicht, auch nicht Abfindungen oder Altersteilzeit.
- Tarifvertrag zur Übernahme von Auszubildenden nach erfolgreicher Ausbildung.
- Tarifvertrag zur Leiharbeit, der eine etwas bessere Entlohnung von Leiharbeiter_innen regelt.
- Vereinbarung zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei übertariflicher Entlohnung (Tarif-Plus).
- Erklärtermaßen soll die Arbeitszeit für das Gros der Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Lohnausgleich auf Minimum 35 Stunden regelmäßig verlängert werden.
Alte gegen Junge, Büro gegen Fließband, Emden gegen Zwickau – das ist das Kalkül des Managements. Die Zwickauer „Freie Presse“ fragt, ob es zum Duell Zwickau gegen Emden kommt. „Beide Standorte haben ein ähnliches Profil. Laut Medienberichten kann nur einer von beiden überleben – und für Emden sollen die besseren Argumente sprechen.“ Konzernboss Blume versucht es sentimental: „Wir führen VW wieder dorthin, wo die Marke hingehört – das ist die Verantwortung von uns allen. Ich komme aus der Region, arbeite seit 30 Jahren im Konzern. Ihr könnt auf mich zählen und ich zähle auf Euch – Wir sind Volkswagen“. Aber Tausende skandieren selbstbewusst: „Wir sind Volkswagen – aber ihr seid es nicht!“
Vor der dritten Verhandlung am 21. November platzte die zweite Bombe, die IG Metall legte ein eigenes Angebot vor, verzichtet auf die ursprüngliche Lohnforderung von 7 Prozent und bot ein Sparpaket für das Unternehmen von 1,5 Milliarden Euro in zwei Jahren. Gerechnet auf die 120.000 Beschäftigten macht das mehr als 12.000 Euro Entgeltverlust für jede einzelne Person – und das nach Reallohnverlusten seit 2019 und einer Inflationsrate von 6 Prozent und mehr bei Lebensmitteln. Die kommende Tariferhöhung, so die Idee der Gewerkschaft, könnte befristet als Arbeitszeit in einen Zukunfts-Fonds eingebracht werden. Darüber bekäme das Unternehmen ein Instrument, um bei Bedarf Arbeitszeiten abzusenken. Falls also durch den Strukturwandel in Produktion oder Verwaltung Unterauslastungen entstehen, würde der Fonds helfen, Personalabbau weiterhin sozialverträglich gestalten zu können. Weiter sollen 2025 und 2026 Teile der Boni (ehemals Urlaubs- und Weihnachtsgeld) für Zukunftssicherung eingebracht werden. Im Kern geht es bei dem „Zukunftsfond“ darum, künftigen Personalabbau durch Lohnverzicht zu finanzieren. Außer Acht bleibt dabei, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter seit der Verlängerung der Arbeitszeit vor 20 Jahren von 29 auf 33 Stunden ohne Lohnausgleich bereits jede Woche rund vier Stunden gratis für den Konzern arbeiten – eine Summe von rund 50.000 Euro, die jede und jeder zum Gewinn der letzten beiden Jahrzehnte beigetragen hat. Nun sollen es zwei weitere Gratis-Stunden sein, die alle erbringen sollen.
Ziemlich populär fordern Christiane Benner und Daniela Cavallo, dass das Management und Aktionäre auch einen Beitrag leisten sollen. Die Forderung ist richtig, weil Gewinnentnahme und Managergehälter in ihrer Höhe nicht gerechtfertigt sind – und sie ist zugleich falsch, weil mit dem auch hier von Verlustgeschäften und einem Sanierungsfall ausgegangen wird und „Beiträge“ der Arbeiterinnen und Arbeiter dann zwangsläufig sind. Die IG Metall betont mehrfach, dass „die Arbeitskosten“ nicht das Problem von VW seien. Dennoch fänden sie es gerecht, wenn nach den Arbeiterinnen und Arbeitern bei VW auch der Vorstand auf Gehalt verzichten würde? Das ist eine Form von Populismus, die der IG Metall schnell auf die Füße fallen wird. Wenn Vorstandsboss Oliver Blume auf die Hälfte seiner Bezüge verzichten würde, hätte er immer noch 20.000 Euro AM TAG! Wenn der ehemalige Genrealsekretär des Konzernbetriebsrates und jetzige Personalvorstand Gunnar Kilian auf die Hälfte seiner Vergütung verzichten würde, hätte er immer noch 10.000 Euro AM TAG. Der Vorstand stimmt großzügig zu und erklärt, er habe 2024 das Fixgehalt schon um fünf Prozent gekürzt und auf die Inflationsprämie von 1.000 Euro verzichtet. Weil es letztlich um höhere Profite geht, würden durch „Dividendenpolitik“ keine Beiträge – wofür eigentlich – erwirtschaftet. Und das alles noch im Konjunktiv. Natürlich müssen Vorstandsgehälter begrenzt, vor allem aber müssen Gewinne der Großaktionäre stärker besteuert werden.
Christiane Benner sagt weiter: „Entscheidend ist, ob es eine Strategie nach vorne gibt. Und die zu entwickeln ist eine Führungsaufgabe.“ Das genau macht das Management seit Jahren nicht. Woher der Glaube oder die Hoffnung, dass sie das jetzt machen werden. Und wo bleibt da der Mitbestimmungsanspruch und der alternative Plan der weltgrößten Gewerkschaft mit einem Organisationsgrad von über 90 Prozent in diesem Konzern?
„Wir verschließen uns keinem Personalabbau und keinem Outsourcing“, sagt Daniela Cavallo bei der Pressekonferenz am 20. November. Das passt dann zur Antwort auf die Frage, wie den Überkapazitäten begegnen werden solle: Der Betriebsrat wäre einverstanden, wenn die Werksbelegung auf der drastisch reduzierten Fertigung vom Herbst 2024 erfolgen würde. Das entspricht in Wolfsburg einer Auslastung von maximal 60 Prozent. In Emden und Zwickau ist das näher an 40 Prozent und in den Komponentenwerken folgt eine angepasste Absenkung der Produktion. Mit Beschäftigungs- und Standortsicherung hat das nichts zu tun. Die Hoffnung, dass das Management sich an solche Abmachungen halten würde, ist spätestens mit der Nichterfüllung des Zukunftspaktes obsolet.
Bei großer Kampfbereitschaft und dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von über 90 Prozent müsste die IG Metall in die Offensive gehen. Denn es ist absehbar, was nach einer Niederlage der größten und stärksten Gewerkschaft im bestorganisierten Betrieb folgen würde: Großflächig wird in der Auto- und Zulieferindustrie, später in der gesamten Metall- und Elektroindustrie und schließlich in allen anderen Bereichen von Industrie- und Dienstleistung Personal entlassen, das Einkommen der Arbeiter_innen nach unten „angepasst“, die Arbeitszeit ausgeweitet und weiter flexibilisiert. Das ist die politische und soziale Dimension dieser Auseinandersetzung, aus der sich die Verantwortung der Gewerkschaft und der gesellschaftlichen Linken ergibt.
Nur am Rande sei erwähnt, dass die IG Metall kaum mit Solidarität aus dem Werk in Belgien rechnen kann. Für die kämpfenden Kolleginnen und Kollegen im vor der Schließung stehenden Audi-Werk in Brüssel gab es keine Unterstützung von der IG Metall.
Im Dezember dann die dritte Bombe mit dem Tarifabschluss:
- Keine betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2030. Zunächst keine Werksschließungen – alles mit Revisionsklausel. Erleichterung bei vielen Arbeiterinnen und Arbeitern, mit dem blauen Auge davongekommen zu sein – und weiterhin große Sorgen in Osnabrück und Emden wegen Unterauslastung und möglicher Werksschließungen.
- Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen bis 2030 = Reduzierung der Personalkosten um 1,5 Mrd. Euro nachhaltig
- Kapazitätsreduzierung von 730.000 Fahrzeugen
- Reduzierung der Ausbildungsplätze von 1.400 auf 600 pro Jahr
- Entgeltreduzierung durch Arbeitszeitverlängerung von 33 auf 35 Stunden und Einbehalt von 5,5 % durch das Unternehmen als „Beschäftigtenbeitrag“ plus reduziertes Urlaubsgeld, Boni etc. In Summe mehr als 10.000 Euro brutto pro Beschäftigten und Jahr (je nach Entgeltstufe).
Die IG Metall hat frühzeitig erklärt, dass die Personalkosten nicht das Problem von Volkswagen sind. Also ist die Senkung der Personalkosten auch keine Lösung des Problems. Deutlich wird am Beispiel: Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze!
Im Verhandlungsergebnis werden die Betriebsräte mit dem „Zukunftstarifvertrag“ § 3.1.2 darüber hinaus zu „Produktrenditen“ verpflichtet, die natürlich vom Unternehmen gesetzt werden. Im § 4 ist weiter festgelegt, dass „alle Entscheidungen darauf geprüft werden, ob sie an den Standorten wettbewerbsfähig dargestellt werden können“. Für das laufende Jahr ist eine Revision des Entgelttarifvertrages vereinbart, mit den zukünftigen Arbeiterinnen und Arbeitern, also denjenigen, die jetzt ausgebildet werden, weitere Lohnbestandteile im Umfang von sechs Prozent gestrichen werden sollen. Die 130.000 Arbeiterinnen und Arbeiter werden trotz Gewinnrücklagen des Konzerns von über 140 Milliarden Euro um viele Milliarden ihres erarbeiteten und verdienten Entgelts gebracht. US-Gewerkschaften haben in der Autoindustrie und auch bei Boeing vorgemacht wie es möglich ist, dem weinerlichen Kapitalistengenöhle nicht auf dem Leim zu gehen und viel mehr herauszuholen. Die IG Metall hat dem Standortdiskurs und den Interessen von Autokonzern und Großaktionären nicht widerstanden, sondern die Konkurrenz zu Arbeiterinnen und Arbeitern anderer Automobilunternehmen verschärft.
III. Linke Industriepolitik und die sozial-ökologische Transformation
Die Konversion der Autoindustrie ist voraussetzungsvoll – es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, politischen Willen und viel Geld für einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs in ländlichen Räumen. Als Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ankündigte, waren über Nacht 100 Milliarden Euro dafür da, Rheinmetall und andere Rüstungsunternehmen expandierten mit Fabriken, Personal, Produktion und Profit. Rheinmetall schaut sich leerstehende Fabriken der Auto- und Zulieferindustrie an und übernimmt deren Personal, u.a. bei Conti und Ford. Panzer statt Busse und Züge? Dabei handelt es sich um eine industrielle Konversion, die, weil es um Kriegsgeräte geht, zu weiterem Sozialabbau, zu Kürzungen von Ausgaben für den Klimaschutz und Klimaresilienz und zur Vernichtung in künftigen Kriegen führt.
Ein Beitrag zur Verkehrswende ist der Niedergang der Autoindustrie nicht, weil der öffentliche Verkehr nicht im notwendigen Umfang aufgebaut wird. Das Ergebnis ist eher Mobilitätsarmut. Um einen gesellschaftlichen Konsens zur Mobilitätswende zu erreichen, muss sich die IG Metall von ihrer Fixierung auf die Autoindustrie lösen. Die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft durch die Arbeitgeber mit der Androhung von Massenentlassungen und Werksschließungen macht die Perspektivlosigkeit dieser Fixierung sichtbar. Das ist aber nicht Konsens in dieser vielfältigen Gewerkschaft, in der zum Beispiel auch die Arbeiter_innen im Schienenfahrzeugbau organisiert sind. So erklärt die IG Metall in ihrem 11-Punkte-Plan: „Unternehmen und Politik müssen die Mobilitätswende massiv beschleunigen. Schluss mit den Debatten um Ausstiegsdaten und Grenzwerte! Ein Zick-Zack-Kurs gefährdet nur Arbeitsplätze. Mobilität bedeutet für uns die bestmögliche Kombination von Auto, Bus, Bahn und anderen Verkehrsmitteln – in der Stadt wie auf dem Land. Von zentraler Bedeutung: deutlich höhere Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und in das Schienennetz.“
Die Folge des Kahlschlags sind weniger Einkommens- und Gewerbesteuern, weniger Sozialversicherungsbeiträge und weniger Kaufkraft in den Kommunen: Haushalts-Schock in Wolfsburg! 270 Millionen Euro fehlen. „Zu knapp bemessen ist auch die Kostenpauschale für Asylbewerber. 6.000 Euro schießen die Kommunen pro Person zu. Oberbürgermeister Weilmann kündigte an, künftig mehr Menschen abschieben zu wollen.“ In Köln ist zu lesen: „Nicht mal für neue öffentliche Toiletten in der Stadt ist Geld da. Um die prognostizierten jährlichen Verluste von bis zu einer halben Milliarde Euro abzumildern, müssen die Kölnerinnen und Kölner mehr Gebühren bezahlen.“ Die da oben, wir da unten – das wird immer konkreter, sichtbarerer und krasser.
Es geht um Umbau statt Abbau! Die Eigentümer und Manager der Autoindustrie fahren den Laden gerade gegen die Wand. Ursächlich für die Krise sind die Fehlplanungen und die falsche Produktstrategie der Manager, der rückläufige Autoabsatz sowie die Weigerung von Autoindustrie und der Regierung, die Weichen Richtung Verkehrswende zu stellen. Während VW, Mercedes und BMW mit immer größeren und teureren Autos hohe Gewinne machen, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter um ihre Zukunft bangen. Wir brauchen eine Jobgarantie, eine Einkommensgarantie und eine Weiterbildungsgarantie für die Arbeiterinnen und Arbeiter in einer Industrie mit Zukunft. Es braucht politische Steuerung und mehr Mitbestimmung, denn die Unternehmen werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.
VW und die gesamte Auto- und Zulieferindustrie könnte besser dastehen, wenn man auf Die Linke gehört hätte: Ein sozial-ökologisches Investitionsprogramm auf Basis einer bedarfsorientierten Investitionsplanung, kräftige Investitionen in die Infrastruktur, den smarten Fahrzeugpark und das Personal des öffentlichen Personenverkehrs. Weil die profitorientierten privaten Unternehmen das wegen zu geringer Gewinne nicht machen, müssen gemeinwirtschaftlich orientierte Unternehmen aufgebaut werden: gGmbH`s, Genossenschaften oder Stiftungen. Zunächst mit Anschubfinanzierung des Bundes, der Länder oder der Kommunen, bald sich selbst tragend.
Ein weiteres Instrument ist eine kollektive Arbeitszeitverkürzung in Richtung einer Drei- oder vier-Tage-Woche mit Zeitwohlstand für alle, die in diesen Betrieben arbeiten. Das bedeutet eine Abkopplung vom Wachstumszwang, einen Ausstieg aus der globalen Konkurrenz, die die globalen Krisen verursacht hat und kein Teil der Lösung sein kann. Ein ganz praktischer Grund besteht darin, dass die Konkurrenz zu China auf diesem Sektor nicht mehr zu gewinnen ist.
Die politischen Verwerfungen, die Tendenz zu autoritären „Lösungen“ der Krise sind bedrohlich und unübersehbar. Die neuen Nazis beschäftigen sich damit und plakatieren ihren „Stolz auf den deutschen Diesel“ vor jedem Werk, greifen BR und IGM an. Zu diesem Teil der „Zeitenwende“ gehört, dass Rüstungshersteller wie Rheinmetall auf die Übernahme der Arbeiterinnen und Arbeiter warten, um neue Waffen zu produzieren, die sich ihren Weg suchen und einen Krieg für finden.
Ohne wesentlich mehr Mitbestimmung der Produzentinnen und Produzenten und der gesamten Gesellschaft, ohne Beschneidung der Macht des Kapitals, ohne Vergesellschaftung wird es keine Krisenlösung gebe, sondern die Katastrophe wird mit allen politischen und sozialen Konsequenzen ihren Lauf nehmen. Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender bei VW in Kassel sagt dazu: „Dass jetzt betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen im Raum stehen, ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Wenn wir mehr Einfluss hätten auf strategische Entscheidungen, könnten solche Zuspitzungen vermieden werden. Die Beschäftigten müssen zu Miteigentümern der Betriebe werden.“
EU-Wahl 2024 | AFD | Die LINKE |
Niedersachsen | 13,2 | 2,1 |
Salzgitter | 22 | 2,1 |
Emden | 16,5 | 2,8 |
Wolfsburg | 15,7 | 1,7 |
Deutschland | 15,9 | 2,7 |
Über Klasse und Klassenpolitik zu reden ist richtig, solche praktisch zu machen aber ungleich wichtiger und schwieriger. In den Betrieben gibt es maximale Verunsicherung und große Ängste vor Entlassungen und Betriebsschließungen. Das, was wir jetzt tun müssen, um den Rechten nicht das Feld zu überlassen sind Aktionen auf Basis unserer Kenntnisse und Erfahrungen: Wir brauchen eine klare politisch-ökonomische Analyse entsprechend der aktuellen ökonomischen Lage, der realen Entwicklung, den Kräfteverhältnissen und der Klassenauseinandersetzungen. Angesichts der Krise der Automobilindustrie als Schlüsselindustrie und der notwendigen sozial-ökologischen Transformation sind öffentliche Kontrolle, die Demokratisierung von Unternehmen und öffentliches Eigentum dringend notwendig für eine zukunftsfähige, nachhaltige und gute Arbeit sichernde Industrie – und nicht die Steigerung des Aktienwerts und der Dividendenausschüttung, anknüpfend an das Transparent von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten bei der Warnstreikdemo am 2. Dezember in Wolfsburg: „Statt Krise und mit Gier – wenn ihr nicht könnt übernehmen wir!“. Es geht nicht um die radikalste Forderung – aber mit „Sozialpartnerschaft“ und auf Basis der Konkurrenz und Profitwirtschaft sind die Probleme nicht zu lösen.
Es bleibt dabei: Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!
Veröffentlicht bei Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung https://www.isw-muenchen.de/
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