Tabubruch und Kräftemessen bei Volkswagen

Direkt vor den nächsten Tarifverhandlungen am Mittwoch platzte die Bombe: Der VW-Konzern will drei Werke schließen, besonders gefährdet ist das Werk in Osnabrück. Neben einem massiven Personalabbau drohen zudem Entgeltverluste »in Richtung 20 Prozent«, wie es in einer Mitteilung des Betriebsrates heißt. Das sei »kein Säbelrasseln in der Haustarifrunde«, warnt der Betriebsrat. Als »Kampfansage von historischem Ausmaß« bezeichnet er das Vorgehen des Managements.

„Dass jetzt betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen im Raum stehen, ist Wasser auf die Mühlen der AfD,“ sagt der Kasselaner Betriebsratsvorsitzende Carsten Büchling zur Kündigung der Tarifverträge der Volkswagen AG durch das Unternehmen.

Am 2. September hat der VW-Vorstand in einem historischen Tabubruch den Weg freigemacht für mögliche Werksschließungen, Massenentlassungen. Der gekündigte Haustarifvertrag gilt für über 100.000 Personen in den Werken von VW in Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Hannover und Emden. Ähnliche ebenfalls gekündigte Verträge gibt es für die Standorte in Zwickau, Chemnitz, Dresden und Osnabrück. Seit 1994 ist der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und die unbefristete Übernahme von ausgebildeten jungen Menschen vertraglich abgesichert. Ebenfalls gekündigte würde eine Vereinbarung zur übertariflichen Vergütung hochqualifizierter Expert*innen und die Aufzahlung für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter.

Abstiegs- und Existenzängste

Erstmals seit mehr als 30 Jahren derwerden durch Androhung von Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Werksschließungen wieder Abstiegs- und Existenzängste unter den Arbeiterinnen und Arbeitern verbreitet. Die Spaltung der Belegschaften innerhalb der Werke und zwischen den Werken ist im Vorgehen des Managements angelegt und wohl beabsichtigt. Mit großer Empörung reagieren die gemeinten Arbeiterinnen und Arbeiter, die Autos entwickeln, zusammenschrauben und den Vertrieb gewährleisten, auf diesen Tabubruch und unterstützen bei Betriebsversammlungen und ersten Kundgebungen den Betriebsrat und die IG Metall, rufen in Richtung des Managements: „Wir sind Volkswagen – ihr seid es nicht!“

Auf die Bedeutung von Solidarität weist die IG Metall hin: „Arbeitgeber, Unternehmensverbände und Betriebsspitzen versuchen landauf, landab einen Keil in die Belegschaft zu treiben. Wir sagen: Die Hunderttausenden Kolleginnen und Kollegen der Metall- und Elektroindustrie sowie bei Volkswagen halten zusammen. Gemeinsam kämpfen wir für eine gute Zukunft“, so Thorsten Gröger, der Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall. Am Rande eines Treffens beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt hat sich der komplette Vorstand für Solidarität mit der VW-Belegschaft und eine klare Botschaft an das Management versammelt. “Wir stehen an Eurer Seite – Gemeinsam gegen Werksschließungen, Stellenabbau und Verlagerungen.“

Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo spricht Klartext: „Das Unternehmen meint es ernst mit Werksschließungen und Massenentlassungen. Wenn die könnten, wie sie wollten, würden die das machen.“ Mehr noch reklamiert Cavallo mehr Mitbestimmung und Beteiligung auch wegen der Geschichte von Volkswagen. Bei der Kundgebung zum Start der Tarifverhandlungen rief sie den versammelten Kolleginnen und Kollegen, aber auch dem Vorstand zu: „Volkswagen gehört nicht allein den Aktionärinnen und Aktionären! Volkswagen gehört auch uns. Der Belegschaft. Und ja: VW gehört auch eindeutig der Mitbestimmung!“ Sie erinnerte an die Wurzeln des Konzerns. VW ist von den Nazis in den 1930er Jahren als Teil der Volksgemeinschaftsideologie mit 130 Millionen Reichsmark aufgebaut worden, die direkt aus dem enteigneten Vermögen der Gewerkschaften stammten. Im Nachkriegsdeutschland klagte der Deutsche Gewerkschaftsbund nur deshalb nicht auf seine Eigentumsrechte an VW, weil die Rolle der Mitbestimmung bei dem Autobauer in starkem Maße abgesichert wurde. Auch beim Börsengang von VW im Jahr 1960 hatte diese historische Wurzel Bestand, es entstand des VW-Gesetz.

Der Absatzrückgang bei VW (minus zwei Millionen Fahrzeuge pro Jahr) resultiert aus gesättigten Märkten und einer Produktstrategie mit Orientierung auf große und teure Autos – die Profitrate ist dabei höher. So ist zu erklären, dass der Gewinn stieg, obwohl der Absatz an Fahrzeugen sank. Die Überkapazitäten will der Konzern jetzt loswerden. Kritiker monieren schon lange, dass Volkswagen keine kleinen und preiswerten Fahrzeuge im Programm hat und die Mobilitätswende nicht angeht. Volkswagen hat in den zurückliegenden Jahren staatliche Subventionen in Milliardenhöhe erhalten, ohne dass der öffentliche Einfluss auf das Unternehmen stieg, ohne dass das am Unternehmen beteiligte Land Niedersachsen Einfluss auf die Strategie genommen hätte.

Die Not bei VW ist nicht wirklich groß, es geht nur darum, den künftigen Profit zu sichern: 6,5 Prozent Rendite statt 3,5 Prozent. 147 Milliarden Euro Gewinnrücklagen und mehr als 18 Milliarden Euro Nettogewinn 2023 sind in der Bilanz des Konzerns. Davon ausgeschüttet wurden 4,5 Milliarden 2024, gut zwei Milliarden Euro direkt an den Porsche-Piëch-Clan. Unabhängig von den Verhandlungen in Deutschland werden Fabriken in Belgien und China schon geschlossen. Über die Fabrik in Osnabrück wird munter spekuliert, aus der „gläsernen Manufaktur“ in Dresden könnte bald ein Showroom und eine Partylocation werden und der defizitäre Fahrservice MOIA in Hannover und Hamburg könnte beendet werden.

Arbeitszeitverkürzung hat sich bewährt

Mit schnellen Ergebnissen bei den Verhandlungen ist nicht zu rechnen, zumal die IG Metall einen wichtigen Trumpf in der Hand hat: Wenn es keine neue Vereinbarung gibt, treten die Tarifverträge von 1994 wieder in Kraft – einschließlich der starren 35-Stunden-Woche und Leistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, bezahlter Pausen und Schichtzuschlägen. In der Krise vor 30 Jahre wurde die Arbeitszeit verkürzt, um Entlassungen zu vermeiden. Dieser Weg ist als eine Möglichkeit bereits von der IG Metall ins Gespräch gebracht worden. Um die Krise längerfristig zu überwinden, will die IG Metall mehr Mitbestimmung auch über wirtschaftliche Angelegenheiten und über die Produktion. Nochmals Carsten Büchling vom Betriebsrat aus Kassel: „Unser Ziel muss sein, dass die Beschäftigten über die Produktion entscheiden. Die Beschäftigten müssen zu Miteigentümern der Betriebe werden.“

Auszugsweise veröffentlicht in ND: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186335.volkswagen-vw-management-plant-laut-betriebsrat-werksschliessung.html

5 Gedanken zu „Tabubruch und Kräftemessen bei Volkswagen“

  1. Hallo Stephan,
    nach dem VW-Gesetz kann doch die Mehrheit im Aufsichtsrat aus Beschäftigten-Vertreter:innen sowie Ministerpräsident Weil und Ministerin Hamburg als Vertretung des Landes Niedersachsen einer Betriebsverlagerung widersprechen. Ist diese nicht mit einer Betriebsschließung vergleichbar, so dass diese von der Mehrheit des Aufsichtsrats verhindert werden kann?
    Mit solidarischen Grüßen
    Karsten Färber

    1. Bezogen auf die Frage von Karsten Färber hier unten die fraglichen Passagen im VW-Gesetz und in der Satzung der Aktiengesellschaft.
      Im Gesetz steht „Errichtung und Verlagerung“. Dafür Bedarf es einer 2/3-Mehrheit im Aufsichtsrat.
      In der Satzung steht auch „Aufhebung“ von Zweigniederlassungen, aber kein Quorum, sondern lediglich Beschluss, also der Mehrheit.
      2/3 sind 14 Stimmen, die die Kapitalseite alleine nicht zusammenbekommt. Bei einfacher Mehrheit und Stimmengleichheit hat der Vorsitzende von der Kapitalseite ein doppeltes Stimmrecht.
      Juristisch ist das alles kompliziert. Politisch ist es etwas einfacher, das Land Niedersachsen und die Vertreterinnen von Belegschaft und IG Metall im Aufsichtsrat werden keiner Werksschließung in Deutschland zustimmen.
      Dennoch müssen die Überkapazitäten durch andere Produkte genutzt (Verkehrswende) oder stillgelegt werden. Das Unternehmen kann die Produktion an einzelnen Standorten bis Nahe null reduzieren, ohne die Fabrik formal zu schließen. Und möglich wäre eine Arbeitszeitverkürzung in Richtung 28-Stunden-Woche bzw. VierTageWoche. Damit wären aber die technischen Kapazitäten mit ihren Fixkosten weiterhin vorhanden.

      Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand (28.7.1960; geändert 1.9.2009)
      § 1 Umwandlung in eine Aktiengesellschaft
      (1) Die Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist unverzüglich in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.
      (2) Das Grundkapital ist unter Auflösung eines Teils der Rücklagen so festzusetzen, dass die Rücklagen in einem angemessenen Verhältnis zum Grundkapital stehen.
      (3) Die Aktien der Gesellschaft dürfen nicht auf einen höheren Nennbetrag als einhundert Deutsche Mark und nicht auf Namen lauten.
      (4) Im übrigen finden auf die Umwandlung der Gesellschaft die §§ 269 bis 276 des Aktiengesetzes Anwendung.

      § 2 gestrichen (nach EuGH-Urteil, Stimmrechtsbeschränkung auf 20 %, sonst hätte der Familienclan 50 & x Prozent zusammenklauben, aber damit nicht durchziehen können.)

      § 3 Vertretung bei der Stimmrechtsausübung
      (1) Niemand darf das Stimmrecht im eigenen Namen für Aktien ausüben, die ihm nicht gehören. Wer das Stimmrecht für Aktien ausübt, die ihm nicht gehören, bedarf, sofern er nicht gesetzlicher Vertreter des Aktionärs ist, einer Vollmacht des Aktionärs in Textform. Die Vollmacht gilt nur jeweils für die nächste Hauptversammlung.
      (2)
      (3) Wer Aktionäre geschäftsmäßig vertritt, darf das Stimmrecht nur ausüben, wenn der Aktionär ihm Vollmacht erteilt hat. Weisungen dürfen eingeholt werden.
      (4) Die Vollmacht muß den Namen, den Wohnort sowie den Betrag der Aktien und der Stimmen des vertretenen Aktionärs enthalten. Der Vertreter hat die Vollmachten der von ihm vertretenen Aktionäre alphabetisch geordnet der Gesellschaft vorzulegen. Die Vollmachten sind in der Hauptversammlung vor der ersten Abstimmung zur Einsicht für alle Teilnehmer auszulegen. In das Teilnehmerverzeichnis (§ 129 des Aktiengesetzes) ist nur der Vertreter aufzunehmen; er hat den Betrag und die Gattung der Aktien, die ihm nicht gehören, sowie die Zahl der von ihm vertretenen Stimmen zur Aufnahme in das Verzeichnis gesondert anzugeben. Die Gesellschaft hat die Vollmachten drei Jahre nach der Hauptversammlung aufzubewahren; ist bei Ablauf der Frist eine Klage auf Anfechtung eines in der Hauptversammlung gefassten Beschlusses rechtshängig, so verlängert sich die Frist, bis über die Klage rechtskräftig entschieden ist oder sie sich auf andere Weise endgültig erledigt hat. Jedem Aktionär ist auf Verlangen Einsicht zu gewähren.

      § 4 Verfassung der Gesellschaft
      (1) Gestrichen nach EuGH-Urteil (Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen sind berechtigt, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören)
      (2) Die Errichtung und die Verlegung von Produktionsstätten bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats.
      (3) Beschlüsse der Hauptversammlung, für die nach dem Aktiengesetz eine Mehrheit erforderlich ist, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, bedürfen einer Mehrheit von mehr als vier Fünftel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals der Gesellschaft. (Wortgleich in § 25.2 der Satzung der VW AG)

      Satzung der VW-AG:

      § 9
      Zustimmungsbedürftige Geschäfte
      (1) Der Vorstand bedarf der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats
      zur Vornahme folgender Geschäfte:
      1. Errichtung und Aufhebung von Zweigniederlassungen;
      2. Errichtung und Verlegung von Produktionsstätten;
      3. Gründung und Auflösung anderer Unternehmen oder Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen an anderen Unternehmen;
      4. Investitionen im Rahmen regelmäßig vorzulegender Investitionsprogramme und außerhalb dieser Investitionsprogramme, soweit die Kosten im Einzelfall eine vom Aufsichtsrat festzulegende Grenze übersteigen;
      5. Aufnahme von Anleihen oder Aufnahme von Krediten, die den Rahmen des laufenden Geschäfts überschreiten;
      6. Übernahme von Bürgschaften, Garantien und ähnlichen Haftungen sowie Gewährung von Krediten, soweit diese Maßnahmen den Rahmen des laufenden Geschäfts überschreiten;
      7. Erwerb, Veräußerung und Belastung von Grundeigentum und grundstücksgleichen Rechten;
      8. Bestellung von Prokuristen und Generalbevollmächtigten.
      (2) Der Aufsichtsrat kann weitere Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen. Er kann seine Zustimmung zu bestimmten Arten von Geschäften allgemein im Voraus erteilen.

      § 17.7: Die Gesellschaft erstattet jedem Aufsichtsratsmitglied die auf seine Vergütung entfallene Umsatzsteuer. Die Gesellschaft schließt außerdem zu Gunsten der Aufsichtsratsmitglieder eine Haftpflichtversicherung ab.

      § 116 Aktiengesetz:
      Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet.

      § 29.2 Mitbestimmungsgesetz:
      Ergibt eine Abstimmung im Aufsichtsrat Stimmengleichheit, so hat bei einer erneuten Abstimmung über denselben Gegenstand, wenn auch sie Stimmengleichheit ergibt, der Aufsichtsratsvorsitzende zwei Stimmen. … Dem Stellvertreter steht die zweite Stimme nicht zu.

    1. Die Arbeiterinnen und Arbeiter erfahren gerade den Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit am eigenen Leib. Das allein führt aber noch nicht zu einem entsprechenden Bewusstsein.
      Die gewerkschaftlichen Vertrauensleute wissen um diesen Grundwiderspruch und stllen sich der Aiuseinandersetzung. In der kapitalistischen Warenproduktion wird die Arbeitskraft selbst zur Ware, um deren Preis gekämpft wird. Während die Arbeiter und Arbeiterinnen einen auskömmlichen Lohn für ein gutes Leben wollen (und sich dazu gewerkschaftlich organisieren), will der Unternehmer bzw. der Aktionär soviel Profit wie möglich. Deshalb sprechen sie auch von „Humankapital“.

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