An einer drastischer Reduzierung von Emissionen und Feinstaub führt kein Weg vorbei! Verkehrsexperte Stephan Krull referierte im Sälzer Rathaus zur Verkehrs- und Mobilitätswende.
Auf Einladung der Sälzer Fraktionen der Linken, der SPD und der Grünen referierte der Verkehrsexperte, Gewerkschafter und Koordinator des Gesprächskreises „Zukunft Auto Umwelt Mobilität“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung Stephan Krull im Ratssaal zum Thema Verkehrs- und Mobilitätswende.
Nach der Begrüßung wies Paul Weitkamp (Die Linke)darauf hin, dass es nicht um „Rezepte“ für die örtliche Situation gehe, sondern darum, „die derzeit herrschende Vorrangpolitik für den motorisierten Kraftverkehr zu hinterfragen“. Es sei „dringend, die fast schon überfällige Mobilitäts- und Verkehrswende energisch anzugehen“, ergänzte Michael Sprink (SPD).
Konzepte für ein grundlegendes Umsteuern seien, so Krull, seit mehr als dreißig Jahren unter anderem von dem ehemaligen IG-Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler ausgearbeitet worden, „geschehen ist hierzulande bis zum heutigen Tage aber fast nichts.“ Überdeutlich geworden sei ihm, dem Referenten die Autovorrangpolitik bei der Anreise nach Salzkotten über die Bundesstraße 1, sie sei „einschneidend in das Herz der Stadt“. „Die Autos stehen Stoßstange an Stoßstange, der Ort wird für Anwohner und Gäste zunehmend unwirtlicher, die gesundheitliche Belastung durch Feinstaube und Ähnlichem nimmt in bedenklichem Maße zu.“
Zur Begründung der Notwendigkeit einer Verkehrs- und Mobilitätswende reichten, so Krull, wenige Schlagworte: „In Anbetracht der Erderwärmung, schmelzender Polkappen und sterbender Wälder führt an einer drastischen CO²-Reduktion kein Weg vorbei“. Manche Klimafolgenforscher sähen klimatische „Kipppunkte“, bei deren Erreichung die Folgeschäden unumkehrbar seien, schon heute erreicht. Der spezifische Verbrauch größerer und schwererer Autos bei weiter anwachsendem Individualverkehr laufe in genau die falsche Richtung. „Pro Jahr werden in Deutschland weiterhin 90 Millionen neue Autos verkauft“, so Krull. Die Niederlande, vom Steigen des Wasserspiegels durch die Klimaerwärmung unmittelbar betroffen, hätten – wie auch der US-Bundesstaat Kalifornien – nun die Handbremse gezogen: „Ab 2030 wird es dort keine Neuzulassungen von Automobilen mit Verbrennungsmotoren mehr geben.“
Krull stellte zur Diskussion, wie eine dringend nötige Mobilitätswende sich realisieren lasse. Neben Ausbau und genauerer Taktung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, von Fuß- und Radwegen böte die Digitalisierung neue Möglichkeiten zur Steuerung und Koordinierung des ÖPNV insbesondere auch im ländlichen Raum. Hierzu zählten beispielsweise neue Formen öffentlicher „On-Demand“-Verkehre, basierend auf einer Handy-App und angepasst an individuelle Bedarfe. Zur Stärkung der Nachfrage nach solchen Systemen sind aber auch zusätzliche Anreize nötig: „In Wien ist das 365-Euro-Jahresticket eingeführt worden, gleichzeitig wurden die Parkmöglichkeiten für den Individualverkehr verteuert und eingeschränkt.“ Skeptisch zeigte sich Krull beim Umfang des Einsatzes von E-Mobilen, die für die ökologische Gesamtbilanz im Verhältnis zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren aufgrund des deutlich erhöhten Strombedarfs aus zweifellhaften Quellen außerhalb dienstlicher Nutzungen kaum Entlastungen hervorbrächten.
Bei der Frage der Finanzierung seines vorgestellten Mobilitätskonzeptes verwies Stephan Krull, der viele Jahre dem Betriebsrat von Volkswagen in Wolfsburg angehörte, auf die jährlichen staatlichen Subventionen für die Automobilindustrie in Höhe von 11 Milliarden Euro. „Dieses Geld ließe sich sinnvoller einsetzen als für eine Branche, die 150 Milliarden Euro Gewinnrücklagen gebildet hat.“ Wenn die benannten Subventionen in den Ausbau des ÖPNV investiert würden, sei ein Gutteil der Vorhaben schon finanziert; die Geldmittel müssten dann aber auch bis zu der Gemeinde ebene “durchgereicht“ werden.
Unmissverständlich machte Krull deutlich, dass „die freien Marktkräfte“, wie nicht wenige Politiker meinten, gänzlich außerstande seien, die notwenigen Veränderungsschritte zu verwirklichen. „Es handelt sich bei einer sozial- und klimaverträglichen Mobilität um eine gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe“, bei der die Bürgerbeteiligung vor Ort von zentraler Wichtigkeit sei. Zur Diskussion stellte Krull die Etablierung von lokalen „Nachhaltigkeitsräten“, auch gestützt auf digitale Mittel der demokratischen Beteiligung. „Ein interessanter Vorschlag“ bemerkte Marc Svensson an und traf damit die Meinung vieler anwesender Ratsvertreter. “Das geht deutlich über bloße Haushaltsbefragungen hinaus.“
PM der Fraktionen von Grünen, SPD und Linken im Rat der Stadt Salzkotten, 6.10.2020