Zum Überleben der Menschheit braucht es nachhaltige und klimaverträgliche Entwicklung. Seit Jahrzehnten werden die Grenzen des Wachstums und damit die überbordende Menge von Löchern in der Erde, von Schutthalden über der Erde und Emissionen in unsere Luft weit überschritten. Mit diesem schädlichen und unverträglichen Wachstum muss gebrochen werden. Die westliche Lebensweise – nicht unser demokratisches Engagement, nicht die offene Gesellschaft, aber der häufige Anspruch, alles immer und überall im Überfluss zur Verfügung zu haben – ist so unhaltbar geworden, wie die Arbeitswut, die steigende Arbeitsproduktivität, der andauernde Stress, die wachsende Spaltung der Gesellschaft und die zunehmenden Depressionen.
200 Jahre Extraktivismus und 125 Jahre Automobilität sind bei dieser Produktions- und Lebensweise zentral – und Reduktion heißt hier: weniger Gewicht, weniger Größe, weniger PS, geringere Geschwindigkeiten, weniger Autos. Der weltweite Bestand von 1,5 Milliarden Autos mit entsprechenden Verbräuchen von Material und Erdöl darf nicht weiter erhöht werden. Das kann und muss regulatorisch durchgesetzt werden. Das jeweils Alternativen für die erforderliche und gewünschte Mobilität nötig sind, bedarf keiner weiteren Erwähnung. Die zwingend notwendige Reduktion betrifft in erster Linie und zuvorderst die Industrieländer wie USA mit einer PKW-Dichte von fast 800 oder Deutschland mit fast 600 auf je 1.000 Einwohner – nicht jedoch zum Beispiel China mit 75, Simbabwe mit 60 und Indien mit 22 PKW pro 1.000 Einwohner.
Sozialistische Klimapolitik bedeutet in diesem Zusammenhang eine Mobilitätsrevolution als Teil und Voraussetzung der Energiewende, die sozial gerecht, zweckrational, nachhaltig und bedürfnisorientiert ist. Es geht um Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, um Wirtschaftsdemokratie, um die Finanzierung durch Unternehmensgewinne, um eine Planung dieser Mobilitätsrevolution und darum, dass jetzt damit begonnen wird. Die gewünschte und erforderliche Mobilität in der Fläche wie in urbanen Zentren wird gewährleistet durch öffentliche-rechtliche oder genossenschaftliche Kommunal-, Landes- oder Bundesbetriebe. Mobilität ist ein Recht für alle, der Zwang zur Mobilität muss durch regionale Kreisläufe aufgelöst werden.
I. Sackgasse E-Auto
Wie realistisch sind die Pläne der Regierung für Elektromobilität – und was bringt das Elektroauto in den Städten? Sind emissionsfrei fahrenden E-Autos in diesem Zusammenhang die Retter der Klimabilanz?
Die Antwort ist eindeutig: Für den Öffentlichen Verkehr sind Elektrofahrzeuge von der U-Bahn über die Straßenbahn und Elektrobusse bis hin zu autonomen E-Shuttels eine gute Alternative, ebenso für notwendigen Lieferverkehr und für Rettungsfahrzeuge. E-Autos für den motorisierten Individualverkehr sind jedoch keine Lösung irgendeines der Probleme, die mit dem Autoverkehr heute verbunden sind: der Ressourcen- und Platzverbrauch ist nicht geringer, die Emissionen sind, über den Lebenszyklus gerechnet, ebenfalls nicht geringer.
Im Gesprächskreis Zukunft Auto Umwelt Mobilität der Rosa-Luxemburg-Stiftung – und natürlich in vielen anderen Zusammenhängen – wurde über eine Bewertung von E-Autos beraten. Das Ergebnis, ganz kurz gefasst lautet: Das private Elektroauto verschärft die Umweltprobleme von der Ressourcenbeschaffung bis zum Recycling. Als Ersatz für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ist es kein Beitrag zur Lösung, sondern Teil des Problems.
Regierung und Industrie setzen in ihrer Panik und wegen des Horrors vor Abwesenheit von Profit alles auf eine Karte. Alfred Hartung (Fußnote-1) hat dazu bereits 2017ausgeführt:
„Hier greift eine für die Automobilindustrie äußerst vorteilhafte juristische Festlegung, dass Elektroautos und Hybridautos mit ihrem aus dem Stromnetz bezogenen Strom nach der Richtlinie ECE 101 als emissionsfrei gelten (UPI 2017: 26), das heißt sie werden als „Null-Emission-Pkws“ definiert. Die Autokonzerne können mit dem Verkauf von Elektro-Pkws die Emissionen von großen Pkws und SUVs mit Verbrennungsmotoren kompensieren. Dieter Teufel vom Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) kommentiert dies folgendermaßen: „Bei den Elektroautos ist der Automobilindustrie ein besonderer Coup gelungen: Es ist vor allem der Lobby der deutschen
Automobilwirtschaft gelungen, bei der EU-Gesetzgebung zu den Grenzwerten für CO2 durchzusetzen, dass Elektroautos nicht mit ihrem realen Emissionsverhalten, das heißt, mit den CO2-Emissionen, die bei der Stromerzeugung oder der Herstellung entstehen, in die Berechnung des Flottenemissionsgrenzwertes eingehen, sondern mit einer angeblichen Null-Emission. Sie gelten per definitionem als Nullemissionsfahrzeuge. Und damit können die Automobilfirmen die Grenzwertüberschreitungen bei schweren Fahrzeugen – SUVs, Geländewagen und so weiter – durch die Berechnung der Nullemissionsfahrzeuge, von Elektroautos, ausgleichen. Wenn man das durchrechnet, ergibt sich, dass mit jedem gekauften Elektroauto die Automobilwirtschaft die Grenzwertüberschreitungen von etwa sieben großen SUVs kompensieren kann und ohne Strafzahlungen davonkommt.“ (PROKLA 193, 12/2018)
So kündigte der für das operative Geschäft der Marke Volkswagen zuständige Vorstand Ralf Brandstätter an: „Die SUV-Offensive ist weltweit ein voller Erfolg. Ob T-Cross, Tiguan, Touareg in Europa, Atlas in den USA oder der Teramont in China: Wo sie auch hinschauen – unsere SUV-Offensive greift.“ Die Betriebsräte lockend und mit ins Boot ziehend fährt er fort: „Für VW sind die SUV ein wichtiger Baustein, der dem Konzern genug Einnahmen bescheren soll, um den teuren Übergang zur Elektromobilität finanzieren zu können. Neben den Geländewagen soll dazu auch eine höhere Effizienz durch Verschlankung und Umbau der Organisation beitragen, die der sogenannte Zukunftspakt sichern soll. Auf diesem Weg ist die Kernmarke, die für mehr als die Hälfte aller verkauften Fahrzeuge im VW-Konzern steht, zuletzt gut vorangekommen. Von den im Zukunftspakt mit dem Betriebsrat bis 2020 vereinbarten 3 Milliarden Euro Einsparungen sind bis Ende 2019 rund 2,6 Milliarden Euro umgesetzt. Das Ziel der Produktivitätssteigerung von 5 Prozent im Jahr wird VW im laufenden Jahr übertreffen. Ende 2019 werden mehr als 7 Prozent erreicht sein“. Die Marke VW will in der Zeit von 2020 bis 2024 rund 11 Milliarden Euro ausgeben, um zum führenden Anbieter von batteriebetriebenen Fahrzeugen zu werden. (FAZ, 19.12.2019)
Das alles ist hochriskant und kann durchaus schiefgehen – mit allen Konsequenzen für die Standorte, die jetzt komplett auf die Produktion von E-Autos umgestellt werden.
- China hat die Subvention von Elektroautos bereits eingestellt. Durch die starke Orientierung und Förderung der Elektromobilität brauchte das Land sogar mehr Erdöl – so Günter Siebert von der auf China spezialisierten Unternehmensberatung JSC-Automotive (KFZ-Betrieb; 19.12.2019).
- Die benötigte Strommenge für einen Austausch der PKW-Flotte steht nicht zur Verfügung. Der VW-Chef Diess und der sächsische Ministerpräsident Kretschmer haben deshalb die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken ins Gespräch gebracht (Süddeutsche Zeitung, 31.7.2019 und 16.1.2020).
- Die Preise für E-Autos sind etwa doppelt so hoch wie vergleichbare Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotor: E-Up von VW ab 25.000 Euro, Corsa von Opel ab 30.000 Euro, Kompaktwägen ab 35.000 Euro und die oft verkauften SUV‘s dann ab 50.000 Euro mit Elektroantrieb. Selbst mit staatlichen Verkaufsprämien von bis zu 6.000 Euro bleibt das für viele Menschen, die noch auf das Auto angewiesen sind, unerschwinglich.
- Die Daten sind das eigentliche Interesse derjenigen, die die Autos jetzt grün lackieren wollen. Der Chef von Mitsubishi Electrics Automotive, Hiroshi Onishi, sagt dazu im Gespräch mit der Zeitschrift „Automobilindustrie“:
„Ja, wir sammeln und verarbeiten die anfallenden Daten und visualisieren diese dann auf den Displays. In so einer Kabine, wie wir sie in Tokyo gezeigt haben, geht es darum, den Fahrer zu unterhalten – also in der Zeit, in der er nicht mehr das Fahrzeug steuert. Es geht aber auch darum, Informationen darzustellen, die den Fahrer beim Steuern des Fahrzeugs unterstützen. Dabei geht es zum Beispiel darum, biometrische Daten zu erfassen, um den Gesundheitszustand der Passagiere zu beobachten. Wir denken darüber nach, die Daten, die wir mit unseren Systemen erfassen und erzeugen auch zugänglich zu machen (damit Geld zu verdienen). Aber dazu gibt es noch keine Entscheidung“ (19.12.2019).
II. Mobilitätswende im Spannungsfeld von Ökonomie, Ökologie, Sozialem und Ethik
Was die weiteren Absichten der Bundesregierung betrifft, lohnt ein Blick auf die „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“. (siehe den Artikel von Willi Sabautzki in dieser Ausgabe).
Die Fragen zur Mobilitätswende, zur Mobilität von morgen, werden bereits einige Jahren in diversen Gruppen und Öffentlichkeiten diskutiert und zunehmend zum Thema von Aktionen, wie zum Beispiel gegen die Obszönitäten der IAA. Es geht um politische Entscheidungen, die abhängig sind vom Kräfteverhältnis im Land.
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Wofür werden Subventionen gezahlt, wofür Steuergelder ein- und ausgegeben, werden Autostraßen oder Fahrrad- und Fußwege gebaut, wird der ÖPNV fahrscheinlos angeboten , wird der Güterfernverkehr auf die Schiene verlagert und viele Details mehr. Es geht im politischen Raum um die Frage, ob wir eine „marktkonforme Demokratie“ (Merkel) wollen oder eine demokratische Wirtschaft und demokratische Wirtschaftspolitik; ob die großen Banken und Konzerne die Gesellschaft beherrschen, oder ob gesellschaftliche Vorgaben für die Wirtschaft gemacht werden; ob wir leben um zu arbeiten oder ob wir arbeiten um gut zu leben. Schließlich geht es um die Frage, ob das Grundgesetz mit seiner Definition der BRD als Sozialstaat durchgesetzt wird oder nicht; ob eine heimatlose, kriminelle und korrupte und nur auf Maximalprofit orientierte kapitalistische Wirtschaft, die das gesellschaftliche Wohl unterhöhlt, nach Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes vergesellschaftet wird oder nicht.
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Dann geht es um ökonomische Entscheidungen, die in den Unternehmen und Betrieben getroffen werden und für die es einer vielfach erweiterten Mitbestimmung bedarf; beteiligt werden müssen die Beschäftigten mit ihren gewerkschaftlichen Vertretungen, aber auch Umwelt- und Verbraucherverbände, die Menschen als Konsumentinnen und Konsumenten. Um ein Beispiel außerhalb der Autoindustrie zu bemühen: Viele Menschen würden gerne auf die teuren und extrem umweltunverträglichen Plastikverpackungen beim Einkauf von Lebensmitteln verzichten – aber allein die Eigner und Manager von Rewe, Edeka, Lidl und den anderen Einzelhandelsgiganten entscheiden unter kurzfristigen Profitgesichtspunkten über die Art und Weise der Verpackung.
Natürlich müssen langlebige Waren hergestellt werden – mit dem eingebauten Verschleiß (Obsoleszenz) muss Schluss sein; mit betrügerischen Produkten ohnehin.
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Technisch geht es um die Frage, Aufrüsten oder Umrüsten. Weg von 2 Tonnen Stahl und monströser Technik auf vier Gummirädern zwecks Transport von einer Person von A nach B – hin zu bedarfsorientiertem öffentlichem Personen- und Güterverkehr auf Schienen, Wasserwegen und – soweit unvermeidbar – auf Straßen, sicherlich nicht in kleinen privaten Autos, die zu 90% Stehzeuge und nicht Fahrzeuge sind. Busse, auch Oberleitungsbusse, Bahnen, auch Seilbahnen und viel mehr Personen- und Güterzüge, Antriebe dafür und für Schiffe und die Vernetzung all dessen, des künftigen Model-Mix.
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Sozial geht es um Gute Arbeit versus Profitmaximierung statt solcher „Visionen“: „VW-Werker und Roboter arbeiten jetzt Hand in Hand“. So wird es einsam um die Beschäftigten in den Werkshallen und der Robby macht keine Pause, trinkt keinen Kaffee, spielt keine Karten und erzählt nix von zu Hause. Der Tarifvertrag und die Gewerkschaft sind dem auch schnuppe! Die Steigerung von Produktivität muss in Form von allgemeiner und kollektiver Arbeitszeitverkürzung den Menschen zugutekommen.
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Ökologisch geht es um Klimabelastungen bzw. deren Vermeidung, um Gesundheit, um Flächenverbrauch und Flächenversiegelung, um Ressourcenschutz und in dem Zusammenhang auch um Krieg und Frieden, um die Möglichkeit oder die Blockierung alternativen Verkehrs.
Während Australien brennt, und Venedig im Meer versinkt, wollen wir dem Weltuntergang in Zeitlupe nicht weiter zuschauen!
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Ökonomisch geht es um Profit und darum, dass der Staat bzw. die Staaten die Autoindustrie direkt mit Milliarden subventionieren (Abwrackprämie, E-Mobilität, Dieselrabatt, Dienstwagenprivileg) – wie auch indirekt durch Steuererleichterungen, Steuerverzicht, Infrastrukturleistungen, Rabatte auf Energie, Wasser, Abwasser etc.pp,
Das gleiche Geld, die gleichen etwa 11 Milliarden Euro pro Jahr reichen für die Mobilitätswende und den Aufbau entsprechender Struktur, von Bahnen, Bussen und der dazu notwendigen Beschäftigung.
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Ethisch geht es um die Frage, ob wir so leben wollen, ob wir so arbeiten, produzieren und konsumieren wollen. Diese Produktionsweise ist mit unendlich vielen Ungerechtigkeiten behaftet, sie ist zerstörerisch und tödlich für viele Menschen – ähnlich stringent wie die Rüstungsproduktion. Jede Waffe findet ihren Krieg und allein in Deutschland starben im vergangenen Jahr 3.500 Menschen bei Verkehrsunfällen, weltweit sind es 1,2 Millionen p.a., mehr als 300 Tote pro Tag! Es bedarf einer doppelten Umverteilung von reich zu arm und von reichen Ländern zu armen Ländern. Der deutsche Exportwahn muss gestoppt werden.
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Juristisch geht es nicht in erster Linie um den Abgasbetrug, nicht um die Frage, ob da auch die Finanzbehörden betrogen wurden und wer für diesen Schaden aufkommt. Vor allem geht es um die Eigentums- bzw. die Verfügungsfrage. Der Porsche-Piëch-Clan, die Quandts und Klatten, die Scheichs von Katar und Kuweit haben von dem Abgasbetrug profitiert, diese Profite quasi als Hehler durch Dividendeneinnahmen längst privatisiert. Jeder Dieb und Hehler muss das Diebesgut abgeben – warum nicht die Großaktionäre der Autoindustrie?
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Politisch geht es um die Rolle des Staates, der für Volkswagen zum Beispiel von der damaligen Besatzungsmacht als Treuhänder eingesetzt wurde. Das Land Niedersachsen hat – ungeachtet der jeweiligen Regierungskonstellation – an seinen Anteilen am Unternehmen festgehalten. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer aktiven Wirtschaftspolitik als politisches Gestaltungsfeld, als Pfeiler einer gemeinwohlorientierten linken Industriepolitik – diese ist erforderlich, wenn Wirtschaftsdemokratie durchgesetzt werden soll. Das Land als großer Aktionär und die IG Metall bzw. der Betriebsrat verfügen über 12 von 21 Stimmen im Aufsichtsrat.
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Sozial und ethisch geht es vor allem um die Frage, welche Alternativen den Beschäftigten geboten werden, wenn anderes und auf andere Weise produzieren sollen und wollen. Abgesehen davon dass das nicht vorgeschriebenen kann, sondern beraten werden muss, sind vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, jetzt an den Antworten zu arbeiten, Alternativen und Perspektiven vorzuschlagen, Ideen und konkrete Konzepte zu entwickeln, wie Mobilitätszwänge reduziert und Mobilitätsbedürfnisse befriedigt werden können.
III. Der Spagat der IG Metall
Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs wird mit dem Satz zitiert: „Wir müssen alles dafür tun, dass wir Autoland bleiben“ (Handelsblatt, 29.12.2019). „Die Verteidigung der Autoindustrie muss deutsche Staatsräson sein,“ war von dem SPD-Mitglied und früheren Redenschreiber der IG Metall-Vorsitzenden, Nils Heisterhagen, jüngst auf Twitter zu lesen. Er verstieg sich dazu, Kritiker*innen der Autogesellschaft und ökologische Bewegungen in Endzeitstimmung eine „Öko-Religion“ zu unterstellen, deren „Antichrist“ das Auto sei (Die WELT, 19.9.2019).
Wie in anderen wichtigen Politikfeldern kommt Gewerkschaften bei der Debatte um die Mobilitätswende eine besondere Bedeutung zu. Immerhin sind noch fast 800.000 Menschen in der Auto- und Zulieferindustrie beschäftigt mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Für diese gut organisierten und relativ gut bezahlten Beschäftigten ist die Entwicklung – so oder so – brisant, sie sorgen sich zurecht um Arbeitsplätze und soziale Existenz in den Autoregionen. Nach unterschiedlichen Szenarien gehen allein durch die geplante Umstellung auf Elektroautos 100.000 bis 400.000 Arbeitsplätze verloren. Wird der schon begonnene Absatzeinbruch eingerechnet, muss von einer schweren Beschäftigungskrise in der Auto- und Zulieferindustrie ausgegangen werden. Und dann kommen wir, die Linken, die Grünen, die Klimaaktivisten und wollen die Autos gleich ganz abschaffen – so das Horrorbild, das von rechten, neoliberalen und ultrareaktionären Positionen gemalt wird. Tatsächlich verhält es sich aber umgekehrt: Jetzt werden Arbeitsplätze durch die Industrie vernichtet bei Daimler, Volkswagen, Audi und Opel. Jetzt werden unter dem Label „Transformation“ Sparprogramme bis hin zu Werkschließungen, Firmenpleiten und Fusionen durchgezogen und vorhandene Überkapazitäten vernichtet. Die unterlassene Mobilitätswende ist es, die zu massiven Arbeitsplatzverlusten führt.
Solchen Überlegungen überspielend titelt die IG Metall in ihrer Mitgliederzeitschrift ‚Metall Zeitung‘ (12/19): „Neue Autos braucht das Land“ – und proklamiert das „Verbesserungspotenzial“ von Elektroautos, fordert vom Staat Investitionen in die erforderliche Infrastruktur. „Handeln statt reden“ sei jetzt erforderlich. Dieses Trommeln für die Autoindustrie bleibt allerdings nicht unwidersprochen. In Leserbriefen wird in der darauffolgenden Ausgabe 01/20 darauf hingewiesen, dass eine Antriebswende nicht ausreicht, dass ÖPNV und Fahrradverkehr gestärkt werden müssen und: „Wenn die Rohstoffe verbraucht sind, werden nur Wüsten und Chaos zurückbleiben“.
Kritischer ist da ein Aufsatz von Kai Burmeister von der IG Metall-Bezirksleitung aus Stuttgart: „Gute Arbeit in rauen Zeiten verteidigen“ (Sozialismus 1/2020). Umweltregulierung, Technologiewandel und „neue Wettbewerber“ stellen die deutsche Automobilindustrie vor „die größte Transformation ihrer Geschichte“. Die will Burmeister auf einen „gesellschaftlich verantwortlichen Pfad“ führen – ohne diesen Pfad jedoch irgendwie zu beschreiben. Die Mobilitätswende kommt in diesem Bild nicht vor, die Bahn, der ÖPNV und Mobilitätszwänge werden nicht erwähnt – stattdessen wird dem Korporatismus mit den Regierungsparteien in Stuttgart und Berlin das Wort geredet. Entsprechend die Anforderung an den Staat: „Fördertechnisch ist zu überlegen, dass Regionen nicht erst in eine Strukturkrise geraten sein müssen, sondern Strukturpolitik auch präventiv sein kann“. Die horrenden Gewinne der Unternehmen werden von Burmeister so wenig thematisiert wie die Eingriffe in die Verfügungsgewalt der Unternehmen, wenn denn der Staat schon finanzieren soll. Die Beschränkung der IG Metall auf ein „Transformationskurzarbeitergeld“ ist zu bescheiden. In dieser Situation eine grundsätzliche Mobilitätswende und eine radikale Arbeitszeitverkürzung nicht zu mobilisierenden Forderungen zu machen, führt letztlich in eine Sackgasse. „Das Automobil“, so war auf einem Transparent bei der Demo der IG Metall am 22.11.2019 in Stuttgart mit über 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu lesen, „mag eine vorübergehende Erscheinung sein … unsere Art zu leben nicht!!!“
Die unterschiedlichen Interessen der Beschäftigten in der Bahn- und Autoindustrie – alle gleichermaßen von der IG Metall vertreten – werden nicht thematisiert.
Die IG Metall beruft sich bei ihren Positionen auf das „Machbare“ und die „Stimmung in den Betrieben“. So eindeutig ist diese Stimmung aber gar nicht, wie – nur als Beispiel – eine mit Applaus bedachte Rede eines Beschäftigten von VW in Braunschweig bei einer Betriebsversammlung im Juni 2019 zeigt. Der Arbeiter Lars Hirsekorn sagte unter anderem: „Ein Schwimmbad muss sich nicht lohnen, der Gewinn ist doch, dass die Kinder schwimmen lernen und sich gesund bewegen. Genau so wenig muss ein öffentlicher Verkehr Gewinn abwerfen. Umweltfreundliche Mobilität für alle, das ist gesellschaftlicher Reichtum, der ruhig aus Steuergeldern unterstützt werden darf … Die Produktion der Elektroautos und der Akkus benötigt unglaublich viel Energie. Nicht umsonst will Volkswagen die Batteriezellenfertigung nur nach Salzgitter bringen, wenn der Staat auf die Energiesteuern so gut ganz wie verzichtet. Und woher kommt dann dieser enorme Strom, der für die Batteriefertigung benötigt wird? Aus den Kohlekraftwerken die noch fast 20 Jahre laufen sollen. Super, da haben wir richtig was gewonnen … Wenn Herbert Diess als Vorstandsvorsitzender gemeinsam mit Ministerpräsident Weil jetzt fordert, dass der Bund die Infrastruktur für die E-Autos bauen soll, kann ich nur laut und deutlich Nein Danke sagen. Nein, nein und nochmals nein. Nicht in meinem Namen. Wir müssen weniger Auto fahren und nicht anders. Wir brauchen Busse und Bahnen und nicht Millionen LKW. Warum sollte der Staat Elektroparks bauen, wenn wir nicht mal genug Kindergärten haben. Es kann doch nicht sein, dass der Staat einen Millionär von der Steuer befreit nur, weil er sich einen Porsche Spider für 1,5 Millionen oder auch nur einen Tuareg für 80.000 Euro leisten kann und will. Wer so große Autos fährt, soll gefälligst 5.000€ KFZ- Steuer im Monat zahlen, anstatt auf null gesetzt zu werden, nur, weil es ein Elektro-Auto ist … Wir sollten im großen Stil über eine 30 Stunden Woche reden, anstatt darüber nachzudenken, was wir noch alles produzieren können.“
IV. Handlungsperspektiven
Jetzt muss mit der Mobilitätsrevolution begonnen werden; ab jetzt und für die nächsten 10 Jahre geht es um konkrete Alternativen für die Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie, denn die müssen mitgenommen werden und Träger der Veränderungen sein. Dabei gibt es gute Nachrichten: Es scheiden viel mehr Menschen aus dem Arbeitsleben aus, als neu dazukommen – das ist eine offensichtliche Tatsache der demografischen Entwicklung, übrigens auch im Braunkohletagebau. Durch Reduzierung der Überkapazitäten fallen Arbeitsplätze weg, die schon heute nicht mehr nachbesetzt werden. Jeder Antrag auf Arbeitszeitverkürzung wird von den Personalabteilungen umstandslos genehmigt – von Kurzarbeit und Werkschließungen mal abgesehen.
Umgekehrt werden für Infrastrukturbau für Straßenbahnen in den Städten und Bahnen in der Fläche, für Waggon- und Triebwagenbau und für den Betrieb dieser öffentlichen Verkehrsmittel hunderttausende neue Arbeitsplätze entstehen. Das anzugehen ist dringend – schon heute reichen die Kapazitäten nicht aus, um den Bedarf zu decken: völliges Marktversagen. Wenn so an den Umbau herangegangen wird, wird es keine Verluste an Arbeitsplätzen geben. Wenn der Bedarf im Bildungsbereich, im Pflegebereich und eine allgemeine kollektive Arbeitszeitverkürzung dazu kommen, dann wird es eher weitere Engpässe geben, In einem Zeitraum von 10 Jahren sollte das zu bewerkstelligen sein.
Zu finanzieren ist das durch eine Streichung der Privilegien und der Subventionierung des Autos und des Autoverkehrs von gut 11 Milliarden Euro pro Jahr, durch Umverteilung des Reichtums in unserem Land: 6.000 Milliarden Euro privates Geldvermögen plus fette Unternehmensgewinne; Volkswagen hat allein eine Gewinnrücklage von 80 Milliarden Euro. Mit dem gigantischen Abgasbetrug, mit Kartellbildung und Steuerhinterziehung sind die Autokonzerne reif für die Enteignung gemäß Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes (Auszug):
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung … in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Durch die Vergesellschaftung werden die Angebote für Mobilität dem Profitstreben entzogen und die Konkurrenz minimiert. Es wird leichter, gesamtgesellschaftliche Lösungen zu finden und die Mobilitätsbedürfnisse in den Mittelpunkt von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu stellen.
Weitere Finanzierungsquelle sollte eine Nahverkehrsabgabe der Betriebe und Kaufhäuser sein, die schon heute Arbeitskräfte und Kundinnen und Kunden mit der Bahn oder dem Bis vor die Tür gekarrt bekommen. In Frankreich zum Beispiel sind die ÖPNV-Preise auch deshalb viel günstiger als in Deutschland, weil es dort eine solche Nahverkehrsabgabe seit vielen Jahren gibt.
Aber diese Makrosicht genügt natürlich nicht. Die Mikrosicht auf jede Region, auf jeden Betrieb muss auf demokratische Weise, zum Beispiel durch Mobilitätsräte erfolgen, in die Umwelt-, Verkehrs- und Verbraucherverbände, Gewerkschaften, Industrie, Parlament, Verwaltung und interessierte Bürgerinnen und Bürger einbezogen sind.
Der Klimawandel ist ein globales Problem – die Mobilitätsrevolution als Beitrag zur Klimagerechtigkeit erfordert solidarisches Handeln über Grenzen von Ländern und Kontinenten hinweg mit denjenigen, die als erste vom Anstieg des Meeresspiegels, von Überschwemmungen oder Dürreperioden betroffen sind. Deshalb geht es vor allem um eine andere Produktions- und Lebensweise in unserem reichen und industriell sehr entwickelten Land. Wer denn, wenn nicht wir? Wo denn, wenn nicht bei uns?
Veröffentlich in Marxistische Blätter 2_2020
Ein wenig stiefmütterlich wird hier das Fahrrad behandelt, wie auch das e-Bike und der e-Kabinenroller mit Tretunterstützung.
Auch der Städtebau mit seinen in die Randzonen ausgelagerten Einkaufsmöglichkeiten gehört in diese Zusammenhänge und vieles mehr – kommt die morgendliche Frischlieferung wieder, sollen je autonome Busse fahren …?
Auch die Einrichtung der Mobilitätsräte wird spannend – die, plus Ernährungsräte, Abfallräte und was noch stehen dann vor dem Problem, dass es erst mal zu wenige Engagierte/zum Engagement Bereite gibt.
Ja, es fehlt noch eine ganze Menge. Der Text war im Umfang begrenzt. An den aufgeworfenen Fragen / Defizitäten wird allerdings nachgedacht, gearbeitet, zusammengefasst. Es bleibt spannend!