Grundsatzentscheidung bei VW: Sitech-Werk in Hannover vor dem Aus.

Erweiterte Mitbestimmung verhindert weder Werkschließung noch Personalabbau, garantiert dem Porsche-Piëch-Clan aber eine Milliarde Gewinnausschüttung.

Bei Volkswagen gibt es eine besondere Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter*innen, sogar ein eigenes Gesetz dafür: das VW-Gesetz. Entstanden ist das VW-Gesetz bei der ersten Privatisierung Anfang der 1960er Jahre, die gegen die Belegschaft und die Gewerkschaft von der damaligen Regierung von Adenauer und Erhardt durchgesetzt wurde. Strittig war das aus grundsätzlichen Überlegungen: Die CDU-Regierung wollte keinen „Volkseigenen Betrieb“ im Westen Deutschlands dulden – die Gewerkschaften pochten darauf, dass das Unternehmen wesentlich mit von den Nazis geraubtem Gewerkschaftsvermögen aufgebaut worden war. Um die Gemüter zu beruhigen bzw. die Sozialdemokraten zur Zustimmung der Privatisierung zu gewinnen, wurde die „Volksaktie“ erfunden und per VW-Gesetz nur eine Teilprivatisierung sowie außerordentliche Möglichkeiten der Unternehmensmitbestimmung verankert. Das wichtigste im heutigen Zusammenhang der Schließung des Sitech-Werkes in Hannover ist der Artikel vier des VW-Gesetzes, der sich gleichlautend in der Satzuung des Unternehmens findet: „Die Errichtung und Verlagerung von Produktionsstätten bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrates. Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Aufsichtsrates.“

Trotz der Möglichkeit der Arbeitnehmervertreter*innen im Zusammenspiel mit den Vertretern des Landes Niedersachsen im Aufsichtsrat von Volkswagen Werkschließungen zu verhindern, ist das im Fall des Sitech-Werkes in Hannover nicht gemacht worden. Die klare Ansage dieser unsäglichen Entscheidung: Wer die betriebswirtschaftlichen Vorgaben der Konzernzentrale nicht abnickt, wird gnadenlos abgestraft – mit Billigung von Betriebsrat und Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat. Was sagen Ministerpräsident Stephan Weil, der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh und der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann, allesamt Mitglieder des Aufsichtsrates, dazu? Schweigen! Dröhnendes schweigen! Das Management von Sitech wird von Volkswagen eingesetzt, kommt meist von Volkswagen und geht meist auch wieder zu Volkswagen; es ist an die Weisungen der Spitze von Volkswagen gebunden. Die Geschäftsführer von Sitech erhalten von der Gesellschaft keine Bezüge, sondern bleiben Angestellt der VW AG; der Sitech-Geschäftsführer zum Beispiel, von Faurecia kommend, gleichzeitig als Geschäftsfeldleiter innerhalb der Volkswagen-Komponentenfertigung. Personalleiter war übrigens Ralf Krüger, ein vormaliges Mitglied des Betriebsrates von Volkswagen in Wolfsburg sowie Fraktionsvorsitzender der SPD, heute Ratsvorsitzender im Wolfsburger Rathaus.

Der Skandal:

Die Schließung des Werkes in Hannover ist also eine Entscheidung, die bei VW in Wolfsburg getroffen wurde und seitens des Betriebsrates bzw. der Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat von Volkswagen nicht verhindert wurde. Insoweit ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Beschäftigten bei Volkswagen. Das Ende der Sozialpartnerschaft ist längst eingeläutet, der Klassenkampf von oben kann durch Zurückweichen seitens der Belegschaftsvertreter nicht gewonnen werden. Die VW-Tochter Sitech macht „nach zwei geplatzten Großaufträgen aus dem eigenen Konzern“ seinen Standort in Hannover dicht. Betroffen von der geplanten Schließung sind rund 450 Arbeitsplätze. Vorher hatte es bei der VW-Tochter Zoff mit dem örtlichen Betriebsrat über Preise und Bedingungen der Zusammenarbeit gegeben. Die von Sitech angebotenen Preise sollen nach Angaben aus Konzernkreisen deutlich zu hoch für eine wettbewerbsfähige Produktion gewesen sein. Konkret bedeutet das, dass VW-Manager dem Unternehmen bestimmte Preise vorgegeben haben, um dann zu dem Schluss zu kommen, dass diese nicht wettbewerbsfähig seien – der perfekte „wirtschaftliche“ Grund, um den Laden zu schließen – was soll man auch sonst machen, so ist nun mal der Markt!

Weitere Sitech-Standorte in Emden und Wolfsburg sowie in Polen und China sind vorläufig nicht von den Streichungen betroffen. Dass Volkswagen die Fertigung der Sitze nach Informationen der IG Metall „aufgrund niedrigerer Preise in das osteuropäische Ausland fremd vergeben“ wolle, stieß nicht nur bei der örtlichen IG Metall auf Kritik. Es gebe zudem Anhaltspunkte dafür, dass bei einer Tochter des französischen Autozulieferers Faurecia in Polen schon eine „Schattenproduktion“ laufe. Gibt es da einen Zusammenhang zum vormaligen Artbeitgeber des neuen Sitech-Geschäftsführers Ingo Fleischer?  Der ist direkt von Faurecia zu Volkswagen gewechselt.

Aus Konzernkreisen war zu hören, dass die Gespräche mit den Sitech-Belegschaftsvertretern in Hannover schwierig gewesen seien. Das Unternehmen betonte, der lokale Betriebsrat habe die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Ausstellung „bis zum Schluss nicht anerkannt“ – und so ein ungebührliches Verhalten muss natürlich bestraft werden.

Wie baut man ein Schachtelunternehmen?

Als einst, in den 1990er Jahren, die Sitzefertigung aus der Volkswagen AG ausgelagert wurde, wurde zu anderen Tarifbedingungen, aber mit dem Versprechen des Erhaltes der Arbeitsplätze und mit Zustimmung des Betriebsrates, Sitech als eine 100-prozentige Tochter der Volkswagen AG gegründet. Sie besteht heute aus der polnischen Sitech Sp. z o.o. in Polkowice und der deutschen Sitech Sitztechnik GmbH mit Sitz in Wolfsburg. Die Sitech Sp. z o.o. ist gleichzeitig Mutter der deutschen Sitech. Dazu gehören die Standorte Emden und Hannover in Deutschland sowie Shanghai in China. Von den rund 2.500 Beschäftigten in Deutschland sind mehr als 10 Prozent als Leiharbeiter im Betrieb.

Fußtritt für die einen, Bonus für die anderen, Milliarden-Profit für den Porsche-Piëch-Clan!

Die 100.000 Tarifbeschäftigten bei V W werden in den nächsten Tagen erfahren, wie hoch der Bonus für sie dieses Jahr 2019 ausfallen wird. Wahrscheinlich wird er 5.000 Euro (brutto) pro Beschäftigten weit übersteigen. Basis dafür sind die Gewinne aus dem Jahr 2019: 13 Milliarden Euro! Das entspricht etwa 21.000 Euro jedes einzelnen der weltweit 600.000 Beschäftigten des Unternehmens. Die Sitech GmbH hat übrigens rund 25.000.000 Euro (25 Millionen) zum Gewinn des Volkswagen-Konzerns beigesteuert.

Bei einer Präsentation des VW-Konzerns Anfang Januar in New York erklärte VW-Boss Diess stolz, dass seit Start des „Zukunftpaktes“ bereits über 10.000 Stellen gestrichen worden seien und weitere 13.000 Stellen in den nächsten fünf Jahren abgebaut werden – alles zum Zweck garantierter Gewinnausschüttung an die Großaktionäre: „Delivering on demanding financial targets and committed to dividend pay out ratio“. Mit der Aussicht auf14 Prozent Kapitalrendite und einer stärkeren Kooperation mit Ford wirbt er bei US-Anlegern und der Trump-Administration für das Unternehmen. Schon 2020 soll die Ausschüttung um 25 Prozent steigen auf 6,50 Euro pro Aktie – daraus ergibt sich eine Gewinnausschüttung an den Porsche-Piëch-Clan für das Jahr von 2019 von rund eine Milliarde Euro!

https://www.automobil-produktion.de/zulieferer/sitech-werk-in-hannover-droht-schliessung-109.html

https://www.igmetall-hannover.de/aktuelles/meldung/sitech-schliessung-ist-ein-unruehmliches-novum-innerhalb-des-volkswagen-konzerns/

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