Die IG Metall geht den Kampf um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland an!
Viele Menschen gehen in den Westen, weil sie dort weniger arbeiten für mehr Geld.
Fast 30 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD arbeiten die Beschäftigten in den ostdeutschen Bundesländern pro Jahr immer noch rund einen Monat länger als im Westen – trotz gleicher Produktivität. „Drei Stunden wöchentlich: Das sind zweieinhalb Jahre Lebenszeit für Familie, Ehrenamt, Hobbys und Bildung“ wie junge Metallerinnen aus dem BMW Werk in Leipzig sagen. Mit der Weigerung der Arbeitgeber, gleiche Arbeit in Ost und West gleich zu bezahlen, werden die Menschen aus dem Land getrieben. Mit dieser schreienden Ungerechtigkeit werden die Konkurrenz und die Verrohung der Menschen angetrieben. Das gesellschaftliche Leben nimmt erheblichen Schaden und die Demokratie kommt unter die Räder. Dagegen stemmen sich jetzt die Beschäftigten in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie und die IG Metall. Beschäftigte und Gewerkschaft erwarten Unterstützung aus der Politik und auf Solidarität der Gesellschaft, der Kirchen, Vereine und der sozialen Bewegungen!
Die IG Metall führt Gespräche mit den Arbeitgebern und mobilisiert gleichzeitig in den Betrieben: „Wir wollen bis Ende 2018 belastbare Eckpunkte erreichen, auf deren Grundlage Anfang 2019 Tarifverhandlungen aufgenommen werden sollen“, sagte Olivier Höbel, IG Metall Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen. „In den Belegschaften hat in den vergangenen Jahren ein intensiver Diskussionsprozess über gute Arbeit und gutes Leben stattgefunden. Die Angleichung der Arbeitsbedingungen durch eine Arbeitszeitverkürzung im Osten hat dabei eine herausragende Rolle gespielt.“ Dieses Projekt steht im Mittelpunkt von vielen kreativen betrieblichen Aktionen, die gegenwärtig stattfinden. Thomas Knabel, Chef der IG Metall Zwickau ergänzt: „Unsere Mitglieder in den Betrieben stehen für die anstehenden Aktionen bereit, weil sie zurecht jetzt eine Lösung der Ost-Angleichung erwarten. Es wurde in den vergangenen Monaten viel geredet, nun müssen sich die Arbeitgeber zu konkreten Lösungen bewegen.“
Bei BMW und Porsche in Leipzig, bei Volkswagen in Chemnitz, bei VW, GKN und Johnson-Control in Zwickau, bei Mahle in Reichenbach, bei Mercedes in Ludwigsfelde und bei Airbus in Potsdam, bei ZF in Brandenburg und bei Otis in Berlin – überall das gleiche Bild: Jetzt ist unsere Zeit, die 35 muss her!
Die IG Metall veröffentlicht Kommentare und die Haltung von Beschäftigten, von Kolleginnen und Kollegen in dieser Auseinandersetzung:
Hartmut Schink, Betriebsratsvorsitzend er bei MAHLE Industry in Heinsdorfergrund: „Die 35-Stunde-Woche ist in erster Linie eine Frage der Gerechtigkeit: Die Ost-West-Angleichung ist längst überfällig. Und Arbeitszeitverkürzung ist eine Frage der Gesundheit. Mit dem immer weiter steigenden Leistungsdruck und der Arbeitsverdichtung halten die Leute sonst bis zur Rente nicht durch.“
Dirk Scheller, Betriebsrat und Vertrauensmann bei GKN Driveline Mosel in Zwickau „Es ist ungerecht, dass meine Kollegen im Westen 27 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch 156 Stunden weniger arbeiten für das gleiche Geld!“
Steven Kempe, Betriebsratsvorsitzender, Benseler in Frankenberg: „Ist es gerecht, dass ich 40 Stunden in der Woche arbeiten muss und weniger Zeit für meine Familie habe, nur weil mein Betrieb keine Tarifbindung hat?“
Jan Andrä, stellvertretender Vertrauenskörper-Leiter im Volkswagen Sachsen Fahrzeugwerk in Zwickau: „Wir brauchen ein anderes Bewusstsein für unsere persönliche Zeit.“
„Wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir wollen auch neben der Arbeit noch leben“ sagen Jugend- und Auszubildendenvertreter von ZF Getriebe Brandenburg:
Marco Thees, Vorsitzender der Jugend- und Ausbildungsvertretung bei Bitzer in Schkeuditz: „Viele qualifizierte Kollegen gehen in den Westen, weil sie dort weniger arbeiten für mehr Geld.“
Jens Köhler, Betriebsratsvorsitzender BMW Leipzig: „Es ist dringend erforderlich, dass wir das Thema 35-Stunden-Woche im Osten jetzt wieder auf die Bahn bringen. Aus meinem Betrieb weiß ich: Die Leute stehen dazu.“
Lisa Koischwitz, Mitglied der Vertrauenskörperleitung bei Volkswagen Sachsen im Fahrzeugwerk Zwickau: „Mit Hilfe einer 35-Stunden-Woche wird aus Teilzeit endlich Vollzeit.“
Dirk Wüstenberg, Betriebsratsvorsitzender bei Otis ES in Berlin: „38 Stunden arbeiten – aber nur für 35 Stunden bezahlt werden. Standortsicherung sollte sich nicht über zwölf Jahre hin ausdehnen.“
Von der notwendigen Solidarität und praktischen Unterstützung ist noch nicht so viel zu spüren, Parteien, Parlamente, Kirchen und Vereine halten sich noch zurück. Die Bemühungen von Attac (AG ArbeitFairTeilen*), dieses politische und soziale Thema in Verbindung mit der Novemberrevolution und der Durchsetzung des 8-Stunden-Tages vor 100 Jahren populär zu machen, stößt auf mäßige Resonanz in der Politik, bei den Parteien und in der Gesellschaft. Gleichwohl machen die dokumentierten Aussagen der Beschäftigten deutlich, dass es dabei auch um Stressabbau und Gesundheit, um Gerechtigkeit allgemein und Geschlechter- und Generationengerechtigkeit im Besonderen geht und um die gesellschaftliche Bewältigung der laufenden Produktivitätssprünge. Der Angst vor einer großen Welle von Entlassungen und Erwerbslosigkeit ist nicht mit schönen Worten beizukommen, sondern nur durch konkrete Veränderungen. Die Erfahrung der Deindustrialisierung, der millionenfachen Erwerbslosigkeit und Erniedrigung nach 1990 sitzt tief bei vielen Menschen.
Es bahnt sich die nächste größere soziale und politische Auseinandersetzung an: die Chance, die fast 30-jährige Ungerechtigkeit zu überwinden, Frust und Wut der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern gegen diejenigen zu lenken, die an Konkurrenz und Spaltung der Gesellschaft ein Interesse haben und daran verdienen.
*Veranstaltung der Attac AG ArbeitFairTeilen am 27.10. ab 14 Uhr in Erfurt, Haus Dacheröden zu 100 Jahre 8-Stunden-Tag: http://www.arbeitszeitverkuerzung-jetzt.de/uploads/media/Neu_Flyer_100-Jahre-8-Stundentag_beidseitig.pdf
https://www.jungewelt.de/artikel/342282.arbeitszeitverk%C3%BCrzung-kampf-um-die-zeit.html