Mehrarbeit und Kurzarbeit lösen sich ab
Dass die Autoindustrie sich in einer schweren und vielfältigen Krise befindet, ist offensichtlich. Nicht nur, dass die Finanzkrise fortdauert; vor allem hat sich das Geschäftsmodell, dass über mehr als 100 Jahre funktioniert hat, überlebt: Schon immer war das Auto in Form einer Tonne Stahl, viel Mechanik und noch mehr Elektronik auf vier Gummirädern zwecks Transportes von ein bis zwei Personen an einer Stunde des Tages ein sichtbares Dementi jeglicher Zweckrationalität des menschlichen Verstandes. Nun kommen irreparable Umweltzerstörung und das Ende der Ressourcen für Bau und Betrieb notwendiger Rohstoffen hinzu.
Wessen Krise ist es und zu wessen Lasten geht die Krise?
Die Unternehmen setzen Milliarden dafür ein, die Produktivität zu erhöhen, neue Märkte und neue Geschäftsfelder zu erschließen – letztlich in der Hoffnung, die Profite zu sichern und zu steigern. Das ist, wie z.B. das sogenannte „autonome Auto“, hochspekulativ und geht, wie ich u.a. in „express“ 6/2018 schrieb, zu Lasten der Beschäftigten wie der Umwelt – was immer offensichtlicher wird.
Im Ergebnis des Betruges sind die Zahlen der echt verkauften Fahrzeuge drastisch eingebrochen – ohne den riesigen Absatzmarkt in China, ohne die Flottenverkäufe und die steuerbegünstigten geschäftlich genutzten Fahrzeuge, ohne das Dienstwagenprivileg, sähe es ganz düster aus. Darunter leiden jetzt schon die Händler, denen die Fahrzeuge auf den Hof gestellt werden, die unter dem mangelnden Absatz oft ihr Geschäft nicht werden aufrechterhalten können.
Die Umwelt-Standards, die ab September 2018 gültig sein werden (Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure WLTP), sind seit Jahren angekündigt und bekannt. Aber die Unternehmen haben sich nicht darauf vorbereitet – Komponenten und Fahrzeuge wurden nicht ausreichend getestet, um die Einhaltung der Norm gegenüber den Zulassungsbehörden nachweisen zu können. Die Unternehmen glaubten offensichtlich, sie könnten weiterhin die Behörden und die Kundinnen und Kunden betrügen. Bei VW und den anderen Herstellern werden derzeit so viele Fahrzeuge des Modelljahres 2018 wie nur möglich gefertigt, weil diese noch den geltenden Zulassungsverfahren unterliegen. Dafür gibt es Sonderschichten am Wochenende, im Werkurlaub wird an sechs Tagen in der Woche 10 Stunden gearbeitet, damit möglichst viele Fahrzeuge gebaut und ausgeliefert werden können. Und was kommt danach, im 2. Halbjahr 2018? Für Volkswagen vermeldet die Wolfsburger Zeitung: „Volkswagen führt die 3-Tage-Woche ein.“ Reguläre Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich, die 24-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit, Abschaffung der Nacht- und Wochenendarbeit? Schön wäre es, angemessen und finanzierbar angesichts der exorbitanten Gewinne der zurückliegenden Jahre, angesichts der Gewinnrücklage von sagenhaften 80 Milliarden Euro. Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh erklärt zu der angekündigten Kurzarbeit und dazu, dass die Schließtage durch die Arbeitszeitkonten der Beschäftigten, das heißt, durch zuvor geleistete oder anschließend zu leistende Mehrarbeit abgedeckt werden: „Wir haben immer gesagt, wenn das Produktionsprogramm abgesenkt wird, darf das nicht allein auf den Schultern der Kolleginnen und Kollegen abgeladen werden. Denn die können nichts dafür. Trotzdem werden wir im dritten Quartal über Arbeitszeitkonten atmen, damit das Unternehmen die Schließtage meistert. Die Kolleginnen und Kollegen halten auch in schwierigen Zeiten zu Volkswagen.“ Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich, wozu eigentlich der Tarifvertrag zur Arbeitszeit mit der Möglichkeit der Verkürzung überhaupt abgeschlossen wurde: Wenn er mal gebraucht würde, wird er nicht angewandt. Aber es sind nicht nur die neuen Umweltanforderungen, die zu dieser Kurzarbeit führen. Zumindest für das Mittelklasse-Segment (Passat & Co.) wird auch eine „schwierige Marktsituation“ als Ursache angegeben. Selbst die Lieferschwierigkeiten wegen des Streiks bei Halberg-Guss kommen dem Unternehmen mehr entgegen, als das sie stören würden.
Inzwischen kann das Kraftfahrtbundesamt selber Abgastests durchführen – und es bedurfte erst des millionenfachen Betruges, bis das Amt dazu in die Lage versetzt wurde. Bisher haben die Zulassungsbehörden gutgläubig die Angaben der Autoindustrie ungeprüft übernommen. Aber der Wind hat sich gedreht – viele der Autos, die jetzt gebaut werden, sind ab September nicht mehr bau- und verkaufbar. Die Folge: Entlassungen von Leiharbeitern, Kurzarbeit und mindestens temporäre Betriebsschließungen werden vorbereitet. Fertige, aber nicht verkaufbare Fahrzeuge werden auf stillgelegten Autobahnen, toten Supermarktparkplätzen oder den Start- und Landesbahnen des BER „geparkt“, verschrottet, auf mafiöse Art in Länder mit geringeren Umweltstandards verschoben – ähnlich den Fahrzeugen, die in den USA zurückgekauft werden mussten.
Und die Profite?
Die Profite für die Hauptaktionäre, den Porsche-Piëch-Clan und einen Fonds des Terrorstaates Katar, stimmen dennoch. Ursächlich dafür, dass die Hälfte des Absatzes inzwischen in China erfolgt. Ursächlich auch, dass ein großer Teil der Produktion in Tschechien, Polen, der Slowakei, in Südafrika, Brasilien und Mexiko zu Löhnen erfolgt, die oft nur 30 Prozent der Löhne in Deutschland ausmachen. Aber selbst in Deutschland gibt es zwischen den Werken der VW-AG mit dem Haustarif einerseits und den Werken in Sachsen oder Osnabrück andererseits erhebliche Lohndifferenzen. Daher kommen die Milliarden-Profite und die sagenhaften Gewinnrücklagen.
Dennoch: Das suchen nach neuen Geschäftsfeldern, die Ankündigung glückverheißender autonomer Autos, von Robo-Taxen und Car-Pooling, die Experimente mit Car-Sharing und Ride-Hailing, das sammeln der Kundendaten in bisher nicht gekannten Ausmaß – das alles sind auch Verzweiflungsakte, um die Kapitalrenditen gegenüber den neuen Wettbewerbern aus Silicon Valley auf höchstem Niveau zu halten. Das alles kann schief gegen – und in Summe wird es auch schief gehen. Wir erleben gerade eine neue Runde der Konzentration von Kapitalmacht. Am Ende wird die Autoindustrie völlig verändert sein. Offen ist dabei, ob des weiter nur in Richtung Profitmaximierung geht, oder ob die Berücksichtigung normaler menschlicher sozialer Bedürfnisse, auch der Mobilitätsbedürfnisse in Stadt und Land, dabei die Oberhand gewinnen. Davon hängt auch ab, ob es hunderttausende Erwerbslose mehr geben wird, oder ob es sinnvolle Alternativen für die Beschäftigten in der Auto- und der Zulieferindustrie geben wird.
Mit den bisher agierenden Managern ist die notwendige Wende hin zu einer anderen Art von Verkehr, Mobilität und Produktion nicht zu machen. Aber auch unter Gesichtspunkten des Rechtsstaates, gehören diese betrügerischen Manager ehr in den Knast als an die Spitze von Unternehmen. Das dämmert inzwischen auch vielen Menschen in diesem Land, die Forderung nach neuen Köpfen wird immer lauter. Aber, wie gesagt, es geht nicht nur um Köpfe, sondern auch um Produkte, neue Produktionsformen, neue Produktionsverhältnisse, neue Eigentumsverhältnisse. Und das geht nur mit neuen Köpfen – fordert auch die gewerkschaftliche Vertrauenskörperleitung der IG Metall im Wolfsburger Volkswagenwerk: „Es machte den Anschein, dass Zahlen für das Management wichtiger sind als Sachverstand. Doch jetzt soll es die Belegschaft ausbaden. Hier müssen die Verantwortlichen endlich Rechenschaft ablegen und ausgetauscht werden! Es waren unternehmerische Entscheidungen, die zu diesen Problemen geführt haben! Unternehmerische Entscheidungen ziehen auch ein unternehmerisches Risiko nach sich. Dieses Risiko darf nicht auf die Kolleginnen und Kollegen übertragen werden!“
Höchste Zeit für gemeinsamen Widerstand, für eine sozial-ökologische Mobilitäts- und Verkehrswende und die demokratische Organisation der Betriebe. Diese Schlüsselindustrie unseres Landes kann und muss entsprechend Artikel 14/15 unseres Grundgesetzes vergesellschaftet werden, um der Allgemeinheit zu dienen und Schaden von Land und Leuten abzuwenden. Ob das gefällt oder nicht: es geht um Klassenkampf, der gegenwärtig von oben gegen unten geführt wird. Es ist nicht möglich, diesem