Vor 100 Jahren wurde der 8Stundentag in Deutschland Gesetz. Neben Frauenwahlrecht und Betriebsräten eine der großen Errungenschaften der Novemberrevolution 1918.
100 Jahre und Produktivitätssteigerungen von mehreren 100 % später wollen die Unternehmer diese Errungenschaft zerstören. Statt die gewachsene Produktivität in kürzere und den Bedürnissen der Menschen angepasste Arbeitszeiten umzusetzen, wollen sie unter dem Vorwand, Digitalisierung und Globalisierung würden das erfordern, den 8Stundentag beseitigen. Sie benutzen die Wünsche der Beschäftigten, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, dazu, Arbeitszeiten vollkommen zu entgrenzen und am liebsten rund um die Uhr arbeiten zu lassen. Dies ist Teil der generellen Bestrebungen des Unternehmerlagers und seiner Helfer in neoliberal orientierter Wissenschaft und Politik, sämtliche Bereiche der Arbeitswelt zu deregulieren. Business Europe, die europäischen Unternehmensverbände, versuchen schon lange mithilfe der EU-Kommission die Europäische Arbeitszeitrichtlinie weiter aufzuweichen und von den ursprünglichen Zielen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes abzulösen.
Dagegen hat die IGMetall mit ihrem jüngsten Tarifergebnis einer 28Stundenwoche für alle (wenn auch begrenzt auf 2 Jahre und ohne Lohnausgleich) einen ersten Schritt in die andere Richtung getan: die des an den Wünschen der Menschen und an den Möglichkeiten der technischen Entwicklung orientierten Fortschritts und einer modernen Arbeitszeitpolitik. Mit ihrem Slogan „Arbeitszeiten, die zum Leben passen“ hat sie aufgegriffen, was 2/3 der von ihr befragten 680.000 Beschäftigten geantwortet hatten: sie würden gerne 35 Stunden oder weniger arbeiten. In den Streiks dafür haben diese gezeigt, dass sie wirklich bereit sind, für kürzere Arbeitszeiten zu kämpfen.
Mit ihrem Wunsch nach einer „Kurzen Vollzeit“ (alles zwischen 25 und 35 Wochenstunden) stehen sie nicht allein: die jüngste Arbeitszeitumfrage in Ländern der EU hat ergeben, dass die Beschäftigten Europas am liebsten im Schnitt 31 Stunden pro Woche arbeiten würden. Und auch in Deutschland haben wir seit einiger Zeit eine wirkliche Bewegung hin zur 30Stundenwoche: immer mehr Menschen machen es einfach, allerdings nur individuell und so meist ohne Lohn- und Personalausgleich. Dies gilt es, aufzugreifen und in eine kollektive und organisierte Bewegung für eine Kurze Vollzeit für alle umzusetzen. Das würde eine neue Normalarbeitszeit um die 30 Stunden pro Woche bedeuten, mit vollem Lohn- und Personalausgleich für alle, nicht nur für einzelne Individuen oder Sondergruppen wie Eltern oder Pflegende.
Der Standardeinwand, wir hätten doch fast Vollbeschäftigung und inzwischen sogar Fachkräftemangel, deswegen müssten Arbeitszeiten eher verlängert werden, ist leicht zu entkräften. Zum einen sind es, wenn wir alle aus der Statistik wegdefinierten Arbeitslosen (in Weiterbildung befindliche, kranke, über 58 Jahre länger als 1 Jahr Arbeitslose u.a.) hinzuzählen, statt 2,5 Millionen Arbeitslose eher 4 Millionen. Und wenn wir alle unfreiwillig in Teilzeit und Minijobs Beschäftigten dazuzählen, sind es 7 Millionen. Die vorsichtigste Prognose (des IAB) zu den Auswirkungen von Arbeit 4.0 geht von 12 % Arbeitsplatzabbau aus, was für Deutschland noch mal 4 Millionen Arbeitplätze weniger ausmachen wird. Und ab 2018 kommen tausende Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt, die ihre Sprach- und Integrationskurse abgeschlossen haben. Dem akuten Fachkräftemangel könnten wir mit Arbeitsplätzen um die 30Stunden bestens begegnen, weil ein solches Angebot viele Frauen, die es angesichts überlanger Normalarbeitszeiten vorziehen, zu Hause zu bleiben, zur Arbeitsaufnahme bewegen würde und vielen Älteren, die mit langen Arbeitszeiten nicht bis zur Rente durchhalten, ein Arbeiten bis zur Rente ermöglichen würde.
Dass das kein frommer Wunsch ist, zeigen gute Beispiele, z.b. in Schweden, wo der 6Stundentag (mit vollem Lohnausgleich und Neueinstellungen) in der Altenpflege, im OP eines Krankenhauses, in einer Molkerei, in einem Autohaus u.a. getestet wurde. Gesunkene Krankheitsraten, gestiegene Produktivität und Zufriedenheit der Patient*innen und Kund*innen waren das Ergebnis. Oder jüngst in Bielefeld, wo ein Marketingunternehmen kurzerhand die 25Stundenwoche mit vollem Lohnausgleich eingeführt hat.
Die Umsetzung einer solchen Kurzen Vollzeit um die 30Stunden muss natürlich an die jeweiligen Arbeitsbedingungen angepasst werden. Bei Schichtarbeitenden und Menschen mit Kinderbetreuungs- und Pflegeverpflichtungen eher als 6Stundentag, bei Menschen mit Projektarbeit eher als längere Auszeit nach Projektende, bei Menschen mit langen Anfahrtswegen als 4Tagewoche. Aber das Interesse an kürzeren Arbeitszeiten haben alle Gruppen gemeinsam: die Jungen, die Frauen, die Erwerbslosen, damit sie überhaupt (wieder) einen Arbeitsplatz bekommen; die Männer und die Hochqualifizierten, damit sie nicht unter überlangen Arbeitszeiten zusammenbrechen und ihre Beziehungen zerstören; die Älteren, damit sie gesund die Rente erreichen; die Versichertengemeinschaft und der Staat, d.h. wir alle, um die enormen Kosten von Krankheit aufgrund von Arbeitslosigkeit und überlangen Arbeitszeiten zu reduzieren und bei dann echter Vollbeschäftigung von allen ausreichend Steuern und Sozialversicherungsbeiträge einnehmen zu können; und wir alle, um unseren Planeten zu erhalten, indem wir durch kürzere Erwerbsarbeit weniger umweltzerstörende Dinge und Schadstoffe produzieren und Zeit für einen ökologischen, Mensch und Natur pflegenden statt zerstörenden Lebensstil gewinnen.
attac-Deutschland hat das Thema einer solidarischen Umverteilung jeglicher Arbeit, auch um Unterstützung für Strategien zum Erhalt des Planeten bei unmittelbar Betroffenen (z.B. im Braunkohlebergbau) zu bekommen, zum Bestandteil seiner Überlegungen zur sozialökologischen Transformation gemacht und die attac-Bundes-AG ArbeitFairTeilen hat mit französischen, österreichischen, belgischen u.a. Kooperationspartner*innen das europäische Netzwerk „European Network for the Fair Sharing of Work“ ins Leben gerufen.
Um eine im Interesse aller gelegene Kurze Vollzeit zu erreichen und den Abbau der existierenden Sicherheiten zu verhindern, wie sie der gesetzliche 8Stundentag darstellt, brauchen wir ein breites Bündnis aller Organisationen und Initiativen, die sich für ein Leben und Arbeiten in Würde und im Einklang mit der Natur einsetzen: allen voran die Gewerkschaften, aber auch Frauen-, Umwelt- und Sozialverbände, NGOs wie attac, die Kirchen, Menschen aus Wissenschaft, Politik, Arbeitsschutz und Gesundheitswesen. In Deutschland und in Europa!
Margareta Steinrücke/Stephan Krull, attac-AG ArbeitFairTeilen in FaktenCheckEuropa Nr. 4, April 2018 http://faktencheck-europa.de/