27.8.2004, Neues Deutschland
Angeblich haben wir die Wahl: Jobs oder Mäuse! Wer sich auf diese falsche Gegenüberstellung einlassen muss oder will, sitzt in der Falle. Das erleben jetzt Langzeitarbeitslose mit dem Arbeitslosengeld II und dem Zwang zur Annahme jeglicher »Arbeit«. Maxime der »größten Reform am Arbeitsmarkt« ist das protestantische Arbeitsethos: Jede (Lohn-) Arbeit sei prinzipiell besser als keine. Wie gut diese Ideologie zum globalen Kapitalismus passt, wusste schon Max Weber. Nur zu gern bedienen sich die Regierenden dieses Fundamentalismus. Ist aber die Aussicht auf ordentliche Arbeit nicht Opfer wert? Nach DaimlerChrysler bietet jetzt der Vorstand von VW in Wolfsburg »gesicherte« Arbeitsplätze gegen Lohnverzicht und längere Arbeitszeiten. Auch hier finden wir die Koalition von Kabinett und Kapital. Niedersachsens FDP-Wirtschaftsminister hat ungebeten erklärt, Kosteneinsparungen seien notwendig und machten konkurrenzfähiger. Wer nicht willig ist, dem wird mit Produktionsverlagerung gedroht. Sollten sich die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft darauf einlassen, will Peter Hartz keinesfalls Jobs garantieren. Er will nur eine »Selbstverpflichtung« abgeben und »glaubt«, der Arbeitsplatzerhalt werde gelingen. Die Vereinbarung bei VW, mit dem Projekt 5000 x 5000 den Standort Wolfsburg auszulasten und so Beschäftigung zu sichern, ist genau zwei Jahre alt. So ist das mit der Beschäftigungssicherung: Sie hält gerade bis zur nächsten Kostensenkungs- und Konkurrenzerhöhungsrunde. So wird auch die jetzige »Selbstverpflichtung« enden. Die Opfer indessen, die gebracht werden sollen, sind kontraproduktiv im wahrsten Sinne des Wortes. Längere Arbeitszeiten führen zu sinkender Produktivität, zu mehr Unfällen, zu mehr Krankheit, zu mehr Arbeitslosen. Sinkende Einkommen führen zu Knappheit und Armut, zu weniger Absatz auch für VW. Die Ideen von Hartz V sind so abenteuerlich wie die von Hartz IV. Dem VW-Arbeitsdirektor zufolge leben wir in einer »Ein-Zehntel-Gesellschaft«, weil wir »nur« ein Zehntel unserer Lebenszeit arbeiten. Da sei es zumutbar, auf Pausen zu verzichten und Krankheiten nachzuarbeiten. Bei den teuren Maschinen sei es den Beschäftigten zuzumuten, »Co-Investment« – Entgeltverzicht und unbezahlte Mehrarbeit – zu leisten. Andernfalls wird dort investiert, wo die Unterordnung der Beschäftigten besser funktioniert. So lehren uns Hartz I bis V den Nutzen der Solidarität aller, die von Sozialabbau betroffen sind – über die Landesgrenzen hinaus. Der Autor ist Mitglied des Wolfsburger VW-Betriebsrats