Während sich gut ein Dutzend GewerkschafterInnen aus Deutschland auf den Weg zum Weltsozialforum ins sommerliche Porto Alegre aufmachten, packte DGB-Chef Michael Sommer seinen Koffer für die Tour zum Weltwirtschaftsforum ins winterliche Davos. Unter einigen KollegInnen in Porto Alegre entspann sich eine Debatte, ob Sommer nicht wie Lula das Recht und die Pflicht habe, zu den Managern der Globalisierung nach Davos zu gehen.
Abgesehen davon, dass Lula in Porto Alegre war, bevor er nach Davos flog, abgesehen davon, dass Lula auf einer Massenkundgebung erklärte, was er nach Davos tragen wolle, abgesehen davon, dass Sommer nicht beim Gegengipfel in Zürich war – von all dem abgesehen, ist es – wohlwollend ausgedrückt – ziemlich naiv, den Chef des nicht sehr bedeutenden DGB mit dem Präsidenten des größten lateinamerikanischen Landes und Michael Sommer mit dem leidenschaftlichen Gewerkschaftsführer und Parteigründer Lula da Silva zu vergleichen.
Die deutsche Gewerkschaftsdelegation in Porto Alegre setzte sich zusammen aus KollegInnen vom DGB (internationale Abteilung und Nord-Süd-Netz), der IG Metall (Vorstandsverwaltung, aus Stuttgart, Wolfsburg, Aschaffenburg und einigen anderen Städten) sowie der GEW. Damit haben sich mehr Gewerkschaftsvertreter am 3. Weltsozialforum beteiligt als an den beiden vorherigen Sozialforen. Peter Wahl schreibt in seiner ersten Bilanz,[1] dass es „dieses Mal eine starke Präsenz des DGB“ gab. Dieses ist sicher gut gemeint, aber übertrieben. Denn die Schar bundesdeutscher GewerkschafterInnen war – auch gemessen an anderen Delegationen – wie zuletzt beim ersten Europäischen Sozialforum im November 2002 in Florenz beschämend klein.
Die Teilnahme einiger KollegInnen von ver.di scheiterte dem Vernehmen nach am Austritt des Berliner SPD/PDS-Senats aus der Tarifgemeinschaft der Länder und der dadurch erzwungen Fortsetzung der Tarifverhandlungen. Dass eine große Gewerkschaft wie ver.di nicht in der Lage ist, eine regionale Tarifauseinandersetzung zu führen und gleichzeitig an einem Welttreffen für soziale Entwicklung teilzunehmen, ist bedenklich und mindestens so fragwürdig wie die Tatsache, dass andere Gewerkschaften aus Deutschland über eine Teilnahme in Porto Alegre offensichtlich nicht einmal nachgedacht haben.
Bei mehr als 100.000 TeilnehmerInnen am Weltsozialforum und über 1.200 Veranstaltungen ist es unmöglich, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Aus meiner Sicht und Erfahrung haben die internationalen Gewerkschaftsbünde in den Diskussionen und Veranstaltungen keine Rolle gespielt. Weder der Internationale Bund freier Gewerkschaften (IBFG), der Internationale Metallgewerkschaftsbund (IMB) noch der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) waren deutlich präsent. So wurde eine Chance vertan, die Diskussion mit den globalisierungskritischen Organisationen und Personen zu intensivieren und für die internationale Gewerkschaftsarbeit zu werben.
Wie groß der Diskussionsbedarf über Fragen der Globalisierung und der Zusammenarbeit mit den globalisierungskritischen Kräften ist, auch dafür gab es in Porto Alegre Beispiele. So erklärte Horst Mund von der internationalen Abteilung des DGB-Bundesvorstandes auf einer Pressekonferenz u.a., dass die bisherigen Gespräche mit der WTO schon erste Erfolge im Sinne des DGB gebracht hätten. „Als Vertreter von Arbeitnehmerinteressen suchen wir in Davos das Gespräch mit den Arbeitgebern“.[2] Munds Statement konnte allenfalls der WTO gefallen, dem Stand der Diskussion in den Gewerkschaften entspricht es so wenig wie der Meinung der gewerkschaftlichen TeilnehmerInnen in Porto Alegre.
Tatsächlich ist der Spagat des DGB zwischen Weltsozialforum in Porto Alegre und Weltwirtschaftsforum in Davos Ausdruck von Differenzen innerhalb der DGB-Gewerkschaften und unklarer gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen. Die internationale Finanzarchitektur in ihrer gegenwärtigen Verfassung für eine soziale Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse nutzen zu wollen, ist so töricht, wie die Mafia zum Gesetzeshüter zu bestellen. Und die Gewerkschaften auf eine bloße „Vertretung von Arbeitnehmerinteressen“ festlegen zu wollen, ist beim Stand der Diskussion einfach ignorant und archaisch.
Ein Beispiel für großes gewerkschaftliches Engagement haben in Porto Alegre die brasilianische CUT, aber auch Gewerkschaften aus anderen lateinamerikanischen Ländern, aus den USA, aus Südafrika, aus Süd-Korea und – wie bereits beim europäischen Sozialforum in Florenz – die CGIL aus Italien gegeben. Der DGB und die IG Metall können von diesen Gewerkschaften eine ganze Menge lernen, wenn es ernsthaft darum gehen soll, gemeinsam mit anderen ins Räderwerk der kapitalistischen Globalisierung einzugreifen. Der Wolfsburger IG Metall-Sekretär Dirk Schulze wird in der Presse hierzu folgendermaßen zitiert: „Wichtig ist, dass eine große Gewerkschaft aus einem reichen Industriestaat sich in dieser Bewegung zu Wort meldet. Wenn Menschen- und Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten werden, dürfen wir nicht schweigen. Wenn Krieg droht, müssen wir uns dem in den Weg stellen. Genau das hat das Forum und unsere Beteiligung gebracht.“[3]
Wenig hilfreiche Kritik an Gewerkschaften gab es dagegen in Porto Alegre von anderer Seite: Eine Vertreterin des gewerkschaftsoppositionellen Chemiekreises erklärte in einem Interview:[4] „Wie immer, wenn eine Bewegung stark und eindrucksvoll geworden ist, finden sich plötzlich alle möglichen Organisationen ein, auch die, die in Europa zum Beispiel gar kein Problem mit der Globalisierung haben, oder meinen, ihr sei mit ein paar Sozialklauseln beizukommen.“ Diese Sichtweise entspricht vielleicht einer verbreiteten Wahrnehmung von Gewerkschaften in Deutschland, wird aber dem differenzierten und notwendigen gewerkschaftsinternen wie gesellschaftlichen Diskussionsprozess keineswegs gerecht. Eine undifferenzierte Verurteilung der Teilnahme von Gewerkschaftsmitgliedern und -vertretern an den Sozialforen lässt sich daraus schon gar nicht ableiten. Selbstverständlich reichen Verhaltenskodizes und Sozialklauseln nicht aus, die neoliberale Globalisierung zu stoppen oder zu gestalten. Dennoch sind diese Forderungen ein legitimer Ansatz der Gewerkschaften, sich in diese Bewegung einzubringen. Die Unterschiedlichkeit der Zugänge und die Pluralität der Meinungen und politischen Zielvorstellungen sind die charakteristischen Merkmale der Porto-Alegre-Bewegung bzw. des Europäischen Sozialforums. Sie bilden die notwendige Vorrausetzung für die Entwicklung des wechselseitigen Verständnisses und von Lernprozessen.
Ein wichtiges Ergebnis der Diskussion sowohl innerhalb wie auch zwischen Gewerkschaften und neuen sozialen Bewegungen ist das Ende Oktober 2002 von DGB, Attac und dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) verabschiedete gemeinsame Positionspapier „Globalisierung gerecht gestalten“. Dass es innerhalb von Attac Nachhutgefechte über den Inhalt dieses Papiers gibt, ändert an der positiven Tatsache seines Zustandekommens nichts. Fortgeführt und intensiviert werden kann diese Debatte dadurch, dass sich GewerkschafterInnen, gewerkschaftliche Organisationen und Gremien in die Vorbereitung des 2. Europäischen Sozialforums im November 2003 in Paris einbringen.
Das Weltsozialforum in Porto Alegre und unsere Beteiligung können zusammenfassend als Erfolg und auch als Herausforderung bewertet werden.
Porto Alegre war ein Erfolg, weil wir viel Übereinstimmung bei Themen und Zielvorstellungen nicht nur mit anderen Gewerkschaften, sondern auch mit Kirchen und NGOÂ’s feststellen konnten. Konsens bestand z.B. darüber, dass Sozialstandards alleine nicht ausreichen, sondern durch verbindliche Regeln und kontrollierte Mindeststandards bezüglich Arbeitszeit und Einkommen sowie Sanktionsmöglichkeiten zu ergänzen sind.
Porto Alegre war ein Erfolg, weil die Gewerkschaften – auch aus Deutschland – als Teil der globalisierungskritischen Bewegung erkennbar wurden und weitgehend auch akzeptiert sind. Dass dadurch der Diskussionsprozess in den Gewerkschaften und zwischen den Bündnispartnern gefördert wird, versteht sich von selbst.
Porto Alegre war eine Herausforderung für uns, weil wir die Aufforderung verstanden haben, uns mehr als bisher mit unerträglichen Arbeitsbedingungen in vielen Ländern auseinanderzusetzen.
Porto Alegre war eine Herausforderung, weil deutlich wurde, dass die internationale Gewerkschaftsarbeit in ihrer bisherigen Form keineswegs der Größe der Aufgabe angemessen ist. Theoretisch wissen das auch die Verantwortlichen in den Gewerkschaftszentralen, praktisch hatte das bisher aber keine Konsequenzen.
In den deutschen Gewerkschaften darauf hinzuwirken, dass internationale Arbeit im Land (Solidaritätsarbeit) und eine Stärkung der internationalen Gewerkschaftsbünde gleichermaßen wichtig sind, ist die Aufgabe der nächsten Monate bis zum 2. Europäischen Sozialforum im November in Paris.
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