VW muss den Luxus abspecken

Kommentar für Neues Deutschland, 6.7.2016

Lohnt es, um Volkswagen zu kämpfen, oder soll der Konzern vom Markt verschwinden?

14,7 Milliarden US-Dollar wird der Autokonzern VW in den USA zahlen – wegen 500 000 manipulierter Fahrzeuge. Mit eingerechnet sind 2,7 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung von Umweltausgleichsmaßnahmen und 2 Milliarden US-Dollar für Initiativen zur Förderung von Null-Emissions-Fahrzeugen. Die 500 000 betroffenen Fahrzeuge müssen überwiegend verschrottet werden, da genehmigungsfähige technische Anpassungen nicht in Sicht sind.

In Europa geht es um fast zehn Millionen manipulierte Autos – also um 20 mal soviel, allerdings haben die deutschen Behörden für »technische Anpassungen« bereits grünes Licht gegeben. Sicherlich kommen da nicht 20 mal so hohe Kosten auf VW zu, aber mit Rückruf, Reparatur, Strafzahlungen, Entschädigungen und Steuernachforderungen werden das auch einige Milliarden Euro. Dieses addiert geht an die Substanz des Unternehmens, es geht um die Existenz. Die Konkurrenz freut es im enger werdenden Markt, könnte doch ein aggressiver Anbieter über den historischen Betrugsskandal aus dem Rennen gekegelt werden. Ganz anders der erwischte Übeltäter: »Wir werden Volkswagen zu einem besseren und stärkeren Unternehmen machen und unser Ziel, einer der weltweit führenden Anbieter nachhaltiger Mobilität zu werden, konsequent verfolgen«, so der Vorstandsvorsitzende Müller nach der Vereinbarung mit der US-Justiz.

Lohnt es, um Volkswagen zu kämpfen, oder soll das Unternehmen vom Markt verschwinden?

Die Antwort der Beschäftigten wäre eindeutig. Aber schon werden Leiharbeiter nicht weiter beschäftigt und erste Fabriken werden abgeschaltet (Dresden und Sarajevo) bzw. sind nicht annähernd ausgelastet (Argentinien, Brasilien, Russland, Mexiko, USA).

In den zurückliegenden Jahren wurden riesige Überkapazitäten aufgebaut, immer mehr Werke, immer mehr Standorte – normale kapitalistische Konkurrenz um Märkte und Marktanteile. Jetzt stürzen sich alle Hersteller, Volkswagen voran, auf Elektroautos, Digitalisierung und »autonomes Fahren« als hoffnungsvolle Zukunftstechnologien.

Aber es handelt sich dabei erstens um eine Wette auf die Zukunft – und die lässt sich schwer prognostizieren; die Wette kann auch verloren gehen. Zweitens wird dadurch die Konkurrenz auf einer anderen Stufe verschärft, Investitionen und Subventionen werden sinnlos verpulvert. Drittens werden die Produkte so teuer, dass sie sich kaum jemand leisten kann; die globalen Mobilitätsprobleme in den überlasteten Megacities oder in infrastrukturarmen ländlichen Regionen werden damit nicht gelöst.

Nachhaltige Mobilität, die für alle erschwinglich ist und die Umwelt nicht extrem belastet, ist preiswerter öffentlicher Personenverkehr vor allem auf der Schiene. Dazu zu forschen, dazu innovative Produkte zu entwickeln, dazu Fördermittel bereit zu stellen, das wäre die Aufgabe weitsichtiger Unternehmen und verantwortlicher Politik.

Volkswagen hat tatsächlich Speck angesetzt, der abgestoßen werden sollte: die Luxuskarossen von Lamborghini und Bugatti ebenso wie die Rüstungssparte von MAN – darüber können ein paar Milliarden Euro in die Schadenersatz-Kasse kommen.

Außerdem müssen die privaten Gewinne des Porsche-Piëch-Clan und der Scheichs von Katar aus dem Abgasbetrug beschlagnahmt werden, um die Kosten des Betruges nicht auf die Beschäftigten und die Öffentlichkeit abzuwälzen.

Schließlich sind nach Maßgabe des Grundgesetzes (»Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«) die privaten Besitzer, die sich Volkswagen mit teils kriminellen Methoden angeeignet haben, zu enteignen.

Wenn Volkswagen nicht vom Markt verschwinden soll, müssen die Weichen jetzt in die genannte Richtung gestellt werden. Mit der Mehrheit von Betriebsräten, Gewerkschaftsvertretern und den Vertretern des Landes Niedersachsen im Aufsichtsrat wäre ein solcher Neustart möglich. Volkswagen würde nicht vom Markt verschwinden, hunderttausende Arbeitsplätze würden nicht vernichtet werden, wenn diese Voraussetzungen geschaffen werden, um nachhaltige, sozial- und umweltverträgliche Produktion, Mobilität und Mobilitäts- Dienstleistungen auf demokratische Art und Weise zu entwickeln. Andernfalls werden, kapitalistischer Logik folgend, Überkapazitäten vernichtet. Dann heißt es: »Tschüss, Volkswagen!«

 

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