Europäische Industriepolitik – Werkzeug für einen Green new Deal?

 

Krise und Transformation der Autoindustrie – für eine sozial-ökologische Transformation!

2,5 Millionen Beschäftigte in der europäische Autoindustrie bangen um ihre Arbeitsplätze. Gleichzeitig ist der Verkehrssektor derjenige, in dem die Schadstoffemissionen sogar gestiegen sind.

Klimagerechtigkeit braucht linke Industriepolitik, denn ökologische Notwendigkeiten müssen mit sozialen Garantien verbunden werden. Sonst sind sie auf demokratische Weise nicht durchsetzbar. Die unmittelbare Einbeziehung der Beschäftigten, ihrer Gewerkschaften sowie der Umwelt- und Verkehrsverbände ist die erste Bedingung, die Transformation auf demokratische Weise zu gestalten.

Unabhängig von Maßnahmen zur Luftreinhaltung befinden sich die europäische Automobilindustrie und vor allem die Beschäftigten in einer schweren Krise. Die Nachfrage in den großen Märkten ist stark rückläufig. Entlassungen und Werksschließungen haben bereits begonnen. Die falsche Strategie von VW, Daimler, Fiat, Renault und PSA führt zu dieser Krise. Immer größere und schwere Autos werden gebaut, weil damit am meisten Profit zu machen ist. Es gehört unabdingbar zum System des Kapitalismus, zu wachsen – wenn er nun nicht wachsen kann, ist er halt in der Krise und reißt die Beschäftigten und die Gesellschaften, die er dominiert, mit in die Krise.

Den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen entspricht die Strategie der Autokonzerne jedoch nicht! Gebraucht würden – wenn überhaupt – kleinere, leichtere und preiswerte Autos. So verstopfen die dicken SUV‘s die Straßen und den begrenzten Parkraum. Andererseits ist der öffentliche Personenverkehr überlastet oder – vor allem in ländlichen Regionen – ein zu dünner ÖPNV, der die Menschen zwingt, mit dem privaten Auto zur Arbeit, zum einkaufen oder zum Arzt zu fahren.

Die Industrie und die Politik suchen einen Weg aus der Krise – und glauben, diesen Weg in der Elektromobilität gefunden zu haben. Gemeint sind damit nicht etwa Straßenbahnen oder Oberleitungsbusse, die seit hundert Jahren gut funktionieren. Die Manager und Eigentümer der Autofabriken wollen weiterhin große, schwere, schnelle und luxuriöse Autos mit einer Reichweite von mindestens 500 Kilometern verkaufen – nur eben mit Elektromotor statt mit Verbrennungsmotor, mit Ridepooling, ridesharing – und anderem schnick-schnack aus den Design-Abteilungen der Autokonzerne – so, wie Ilja Ehrenburg es vor fast 100 Jahren in seinem Roman „Das Leben der Autos“ beschrieb. Aber Elektroautos lösen kein einziges der Verkehrsprobleme und sind auch ökologisch keine Verbesserung.

Die Unternehmensplanungen laufen den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen zuwider, die meist allein im Auto sitzend 20 bis 30 Kilometer am Tage fahren – mehr als 20 Stunden steht das teure Auto dumm in der Gegend herum und nimmt den Menschen den Platz und die Luft weg – ein glattes Dementi von Zweckrationalität. Das zu ändern brauchen wir Ideen und Beispiele vom guten Leben ohne Autos. Das zu ändern brauchen wir demokratische Beratung und gesellschaftliche Planung, wie wir in den Regionen mobil sein wollen und wie die Übergänge zur neuen Mobilität ohne soziale Brüche geschafft wird.

Ich war lange Zeit Betriebsrat und Teil der Gewerkschaftsleitung bei Volkswagen im größten Werk in Wolfsburg. Im Gespräch und bei bei Seminaren erlebe ich, dass die Beschäftigten nicht in erster Linie Autos bauen wollen, sondern einen guten und sicheren Arbeitsplatz wünschen. Jedoch haben alle gegenwärtig Angst um ihren Job, alle verteidigen deshalb die Autoindustrie ein bisschen.

Aber folgendes schreiben sie als Wünsche auf, wenn sie danach gefragt werden:
Ressourcen schonen; Befreiung vom Joch der Lohnarbeit; Arbeiten, was und wann ich will, ohne Angst und Zwang, selbstorganisiert und selbstbestimmt; gute Bildung; mehr Zeit zum Leben, Lieben und Lachen, mehr Zeit für Politik und Bildung sowie eine nachhaltige Produktion und gesunde Lebensmittel. Das sind die bescheidenen Wünsche der Menschen für ein gutes und menschenwürdiges Leben!

Die dringend erforderliche sozial-ökologische Transformation der Autoindustrie braucht einen Zeitraum von ca. 10 Jahren – um so wichtiger, das jetzt begonnen wird!

„Mit mehr Autos können wir das Verkehrsproblem nicht lösen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende von BMW. Das Problem sinkender Profitraten wird mit mehr Autos auch nicht gelöst, weil die Konkurrenz um Märkte und Marktanteile mörderisch und die Investitionen in Elektromobilität und autonomes fahren riesig sind. Es sprechen also ökonomische Gründe (Stagnation, sinkende Nachfrage, sinkende Kaufkraft in Europa), ökologische Gründe (Ressourcen-Verbrauch und Schadstoffemissionen), soziale und verkehrspolitische Gründe dafür, umzusteuern: die Mobilitätswende ist überfällig! Eine weitere Belastung der Natur mit Emissionen aus dem Verkehr führt zu Klimaveränderungen, die kein Mensch wollen und verantworten kann.

Vielleicht hätte es eine beschleunigende Wirkung gehabt, wenn die Klimakonferenz in Santiago de Chile geblieben wäre oder wenn sie in Venedig oder in Sydney stattfinden würde. Der Massenbewegung gegen Ungleichheit und der harten Reaktion von Polizei und Militär sind in Santiago bereits dutzende Tote zu beklagen; Venedig ertrinkt in der Adria und Sydney wird von Feuerstürmen bedroht.

Wenn app-basierte und algorithmen-gesteuerte Fahrdienstleistungen mit kleinen, flexiblen Fahrzeugen möglich sind und den Personennahverkehr hinsichtlich Qualität und Kundenfreundlichkeit optimieren können, sollte diese Technologie von den öffentlichen Verkehrsbetrieben erprobt und eingesetzt werden. Dies kann dort sinnvoll sein, wo die Wege zu den Haltepunkten relativ weit sind und der ÖPNV dünn ist, so auch in ländlichen Regionen, und immer dann, wenn der große Wagenpark wegen geringer Nachfrage nicht ökonomisch eingesetzt werden kann, zum Beispiel in der Nacht.

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz müssen demokratisch und sozial gestaltet werden – die Algorithmen sind für alle da, aber nicht für private Unternehmen zur Profitsteigerung und zum ausspionieren der Kundinnen und Kunden.

Im Kern geht es darum, dass ein Austausch des Antriebssystem nicht ausreicht! Wir brauchen einen Systemwechsel – keinen Wechsel des Motors im privaten PKW.

Die soziale Dimension dieser Transformation besteht in Übergängen für die Beschäftigten von der reinen Automobilfertigung hin zu einer Fertigung für eine andere Mobilität. Auf Deutschland bezogen untersuchen wir in der Rosa-Luxemburg-Stiftung diese Übergänge und wollen konkrete Vorschläge machen.

Unsere Annahme dabei:

Einschließlich einer allgemeinen Verkürzung der Arbeitszeit gibt es bei dieser sozial-ökologischen Transformation keine Verluste an Arbeitsplätzen. In der Bahnindustrie, im Infrastrukturbau und bei den Betreibern von ÖPNV und Schienenverkehr fehlen heute hunderttausende Beschäftigte. Vor allem fehlt längerfristige Planungssicherheit. Die aktuelle Planungsunsicherheit führt dazu, dass die Zeit zwischen Bestellung und Auslieferung von Zügen für Straßenbahn, S-Bahn oder Metro einige Jahre in Anspruch nimmt, weil die Produktionskapazitäten sehr begrenzt sind.

Im Zuge der Mobilitätswende müssen also – auch das ist beschäftigungswirksam – neue Kapazitäten für die Produktion moderner Verkehrssysteme aufgebaut werden. Durch ordnungspolitische Regulation, durch eine Kappung der Kapazitäten in den Autofabriken und der Begrenzung von Größe und Gewicht der Fahrzeuge sowie die  Umstellung auf Elektromotoren würden ca. 250.000 Arbeitsplätze fallenweg. Im Zeitraum von 10 Jahren scheiden ohnehin ca. 200.000 Beschäftigte aus Altersgründen aus der Produktion aus. Durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche werden 100.000 Beschäftigte jedoch zusätzlich benötigt. Durch eine solche allgemeine Arbeitszeitverkürzung wird ein großer Teil des Arbeitsvolumen im Interesse der Beschäftigten und der gesamten Gesellschaft aufgefangen und alle Arbeit, auch Care-Arbeit und ein guter Teil der bisher ehrenamtlichen Arbeit, fair verteilt. Eine Überbelastung der Menschen und daraus resultierende Krankheiten und gesellschaftliche Kosten werden minimiert.

Es gäbe also, eine solche linke Industriepolitik mit Eingriffen in den Markt unterstellt, einen weiteren großen Personalbedarf in der Bahn- und Busindustrie, bei den Bahnbetrieben, aber auch im Bildungs- und Gesundheitswesen – dafür aber weniger Erwerbslosigkeit und große Chancen für die junge Generation. Den gegenwärtig Beschäftigten würde die Angst vor Job-Verlust genommen und sie könnten als Bündnispartner für die Transformation gewonnen werden. Gleichermaßen wäre die Gefahr gebannt, dass sie rechte und autoritäre Lösungen favorisieren würden.

Bezahlbar ist das unter anderem durch den Entfall von Milliarden Euro an direkten und indirekten Subventionen, die von den Staaten und, ganz aktuell für die Batteriefertigung in Höhe von 3,2 Milliarden Euro, der EU an die Autoindustrie gezahlt werden, obwohl diese Milliarden Gewinne an die Eigentümer ausschütten, privatisieren und dem Kreislauf entziehen. Was könnte mit diesen Milliarden-Subventionen alles sinnvolles gemacht werden.

An solchen Positionen sollten linke und gewerkschaftliche Kräfte in ganz Europa arbeiten, auf solche Positionen sollten wir uns im Projekt für einen Green new Deal bzw. die sozial-ökologische Transformation verständigen. Die drei Veranstalter unseres heutigen Meetings (GUE/NGL-Fraktion im EP, Transform!europe und die Rosa-Luxemburg-Stiftung) und sind doch prädestiniert dafür, die linken und gewerkschaftlichen Positionen hierfür in Europa zu koordinieren.

 

Vortrag beim Meeting („European industrial policy – a tool für a Green New Deal“) der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament am 11. Dezember 2019.

 

 

Ein Gedanke zu „Europäische Industriepolitik – Werkzeug für einen Green new Deal?“

  1. Hallo Stephan!
    Sehr guter Artikel, dessen Inhalte aber jeden von uns anhalten verflucht dicke Bretter bohren zu müssen. Das Kapital nutzt den Umstieg auf E-Mobilität dazu, die durch die Digitalisierung geschaffenen Produktivitätsfortschritte, sprich Personalabbau, den Beschäftigten als Naturgesetz zu verkaufen. Ich habe das Gefühl die Gewerkschaften werden in der kommenden Tarifrunde die Arbeitsplatzsicherung in den Vordergrund stellen, statt die Karte der Arbeitsplatzverkürzung zu spielen, um so die notwendigen Weichen für einen sozialen und ökologischen Wandel zu stellen.

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