Gewerkschaften und Autoindustrie – eine ambivalente Beziehung

Zum Thema Automobilismus hat OXI seine März-Ausgabe 2019 gestaltet, darin Anmerkungen von mir zur gewerkschaftlichen Arbeit in der Autoindustrie.

Von gewaltiger Kapitalmacht angetrieben, hat sich das Auto samt dazugehöriger Technologie und Ideologie vor gut hundert Jahren in unserer Gesellschaft festgesetzt. »Das Automobil mag nicht nur interessierte Geister zu erregen, es kann auch Dividenden bringen«, wird in Ilja Ehrenburgs Roman »Das Leben der Autos« von 1929 eine Rede Henry Fords zitiert. »Was die Arbeiter anbetrifft, so muss man sie ändern, indem man sie dem Typ der Maschine angleicht.« Der Kaiser und alle folgenden Kanzler haben das Auto und die Industrie gefördert, sonnen sich im Licht der Automobilausstellungen. Das Auto wurde zum Sehnsuchtsobjekt verklärt und die Zerstörung anderer Transportmöglichkeiten machte  es zum für viele unverzichtbaren Mittel für Mobilität. Die Löhne und Sozialleistungen in der Autoindustrie sind entsprechend der harten Arbeit, der Mehrwertschöpfung und der Profite hoch; nur so konnten überhaupt Menschen für die Arbeit an den Fließbändern gewonnen werden.

Etwa zu der Zeit, als das Auto erfunden wurde, gleich nach Aufhebung der Bismarckschen Sozialistengesetze haben Metallarbeiterinnen und Metallarbeiter ihre Gewerkschaft gegründet, den Deutschen Metallarbeiterverband, der sich zur größten Gewerkschaft in Deutschland entwickelte. Beschäftigte der Autoindustrie standen damals noch nicht an erster Stelle.

Als 1966 ein dickes Buch zu 75 Jahre IG Metall erschien, tauchte die Autoindustrie darin kaum auf – sieht man von je einem Foto von Streiks bei Opel in Rüsselsheim 1951 und bei Daimler in Mannheim 1963 ab. Wie man in der von Theodor Bergmann herausgegebenen »Geschichte der Stuttgarter Metaller und Metallerinnen« nachlesen kann, fand schon 1920 ein Streik statt – 10.000 Beschäftigte bei Daimler gingen in den Ausstand. Damals kämpften fast alle deutschen Autofabriken ums Überleben. Banken und Staat erzwangen Fusionen, und auch nach 1945 ging der Konzentrationsprozess weiter.

Bis in die 1960er Jahre hinein war die IG Metall geprägt durch Beschäftigte aus der Eisen-, Stahl- und Elektroindustrie, aus den Maschinenfabriken, den Werften und der Rüstungsindustrie. Die Beschäftigten der Autoindustrie spielten noch keine Rolle in der Gewerkschaft. In dem Buch »100 Jahre IG Metall« werden für 1964 folgende Beschäftigtenzahlen genannt: 1.050.000 in der Maschinenindustrie, 935.000 in der Elektroindustrie, 550.000 in der Stahl- und Eisenindustrie und 490.000 im Straßenfahrzeugbau.

Das änderte sich in den Jahren danach dramatisch – und das war auch die Zeit, in der die Debatten über die ökologischen Folgen des Autoverkehrs immer lauter wurden. Bis sie auch die IG Metall erreichten: »Umsteuern, bevor es zu spät ist«, war Ende November 1990 ein gemeinsam mit dem Naturschutzring veranstalteter Kongress überschrieben.

Was damals Franz Steinkühler, der Gewerkschaftsvorsitzende, mit Frederic Vester, Daniel Goedevert, Hubert Weinzierl und Ernst Ulrich von Weizsäcker diskutierte, ist heute immer noch aktuell: Das Auto wurde als hauptsächlichen Träger von Verkehr hinterfragt. Vermeidung beziehungsweise Verlagerung von Verkehr auf die Schiene und den öffentlichen Verkehr lauteten die Lösungsansätze.

Und heute? In der Debatte um Schadstoffemissionen und die Transformation der Autoindustrie beschrieb der gegenwärtige Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, seine Sicht so: Umweltverbände, die auf Verringerung der Verschmutzung durch Autos dringen, würden Ziele aufstellen, die »nur zu schaffen« seien, »wenn die Fahrzeuggewichte massiv sinken, und zwar um mindestens 30 Prozent, und die Motoren um bis zu 40 Prozent gedrosselt werden«.

Die Folge laut Hofmann: »Das wäre das Aus für Autos der Ober- und oberen Mittelklasse, also für Fahrzeuge, die die Stärke der deutschen Hersteller auf den globalen Märkten ausmachen.« Und mehr noch: »Wenn die Golf-Klasse das obere Ende der Fahnenstange wäre, würde die Autoindustrie mit ihren mehr als 800.000 Beschäftigten das in ihrer heutigen Form nicht überleben. Allein mit Pkws der A- bis C-Klasse ist ein funktionierendes Geschäftsmodell in einem Hochlohnland nicht mehr möglich.«

Zwar sieht es auch der Gewerkschafter »an der Zeit, die Weichen für eine zukunftsfähige Transformation zu stellen. Das längerfristige Ziel ist eine ökologisch und sozial verträgliche Mobilität.« Sichtbar wird aber auch, mit welchen Widersprüchen das einhergeht: »Traditionelle« Gewerkschaften stehen und fallen mit der Existenz von Lohnarbeit und den Betrieben, in denen sie um Mitglieder werben und wo der antagonistische Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital ausgetragen wird, mal eher klassenkämpferisch, mal eher sozialpartnerschaftlich.

Also haben Gewerkschaften als Organisationen ein Interesse am Erhalt und an der Ausweitung der jeweiligen Industrie – ganz unabhängig von der Nützlichkeit der Produkte. Auch die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen damit leben, dass sie einerseits auf die Jobs angewiesen sind, andererseits aber wissen oder mindestens ahnen, dass das ökologisch falsch ist und dass sie fremdbestimmt arbeiten – auch wenn sie sich das nur ungern eingestehen. Man bemerkt dies auch an einer Überidentifikation mit dem Unternehmen. Wie so etwas aussieht? Vor ein paar Jahren gab es zum Beispiel einmal eine Facebookgruppe namens »Wir halten zu Volkswagen egal was passiert« und die Wolfsburger IG Metall ließ ein T-Shirt mit dem Aufdruck »IG Metall und Volkswagen – ein Team, eine Familie« verteilen.

Die Transformation der Autobranche wird so oder so kommen. Die Frage ist, wie die Gewerkschaft sich dabei verhält. Mit ihrem Programm von 1990 war die IG Metall schon einmal wesentlich weiter als heute: »Die Komplexität und die Tragweite dieser Veränderung verlangt ein koordiniertes und abgestimmtes Handeln der beteiligten Akteure«, hieß es da mit Blick auf Unternehmen, Politik, Gewerkschaften und Verbände. Das Ziel sollte auch sein, »der gemeinsamen Verantwortung gegenüber Verbrauchern und Beschäftigten gerecht zu werden«.

Das wäre der demokratische gewerkschaftliche Ansatz, um die Transformation sozial und ökologisch zu gestalten; wozu man auch Abstand zu nehmen hätte von der profitorientierten Konkurrenz. Wenn Autokonzerne heute nach neuen Verwertungsmöglichkeiten sucht, etwa im Rüstungsbereich oder auf »neuen Geschäftsfeldern« der Mobilität, bei denen dem Öffentlichen Personennahverkehr Umsätze abgerungen werden sollen, nicht selten unter schlechteren Arbeitsbedingungen, wird  Konkurrenz nicht entschärft, sondern auf eine neue Stufe gehoben und auf ein neues Spielfeld verlagert.

Klar ist, dass es ähnlich wie beim Ausstieg aus der Kohleverstromung Jahre dauern wird und der Umbau finanziell abgesichert werden muss. Aber die gigantischen Profite der Autoindustrie, allein Volkswagen hat eine Gewinnrücklage von 70 Milliarden Euro, erlauben auch weitgehende Forderungen und alternative Perspektive – wenn denn die IG Metall ihre eigenen Ansprüche ernst nimmt.

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Stephan Krull hat bei Volkswagen in der Lackierei im Werk Wolfsburg gearbeitet, war dort Betriebsrat und in der IG Metall engagiert. Bei Attac kämpft er heute um die Reduzierung und Umverteilung der Arbeitszeit, bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung koordiniert er den Gesprächskreis „Zukunft Auto Umwelt Mobilität“. Er bloggt auf stephankrull.info.

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