Volkswagen: Gute Bilanz – schlechte Zeiten?

Elektroautos mit Cadmium ausgeliefert: Rückruf

Die Großaktionäre von Volkswagen wirds freuen: der Umsatz ist im ersten Halbjahr 2018 auf fast 120 Milliarden Euro, der „Überschuss“ auf 9 Mrd. Euro gestiegen. Auch wenn gut 2 Mrd. davon an Steuern abzuführen sind, bleiben am Jahresende wohl 13 Mrd. Euro Profit, der an den Porsche-Piëch-Clan und die Scheichs von Katar abzuführen ist. 5,5 Millionen Fahrzeuge der Konzernmarken wurden gebaut und in den Handel gebracht. Eine äußerlich glänzende Bilanz, die Herbert Diess, Konzernchef seit April dieses Jahres, vorlegt.

Dennoch warnt der Boss bei der Pressekonferenz, als würden sich die Beschäftigten bei der Arbeit ausruhen: „Wir haben mehr Fahrzeuge ausgeliefert als jemals zuvor. Aber darauf können wir uns nicht ausruhen, denn in den kommenden Quartalen liegen große Anstrengungen vor uns.“ Es ist mehr als der übliche Blick auf die drohende Konkurrenz, auf die sinkenden Preise und erforderlichen Rabatte, die den VW-Boss warnen lassen; es ist das Misstrauen vieler Menschen in die Zuverlässigkeit des Unternehmens, es sind die noch ausstehenden schwer zu kalkulierenden Kosten des gigantischen Abgasbetruges, es sind Nachfragerückgänge in Westeuropa und Absatzrückgänge in solchen Ländern wie Mexiko, Türkei, Argentinien, und Indien. In Indien z.B. gibt es zwei Fabriken mit Produktionskapazitäten von gut 200.000 Fahrzeugen, der Inlandsabsatz hat sich jedoch in den letzten fünf Jahren von 114.000 auf 72.000 reduziert.

Aktuell sind es Lieferschwierigkeiten mit zulassungsfähigen Modellen, die nach der Sommerpause in etlichen Werken zu tageweisen Produktionspausen führen. Die Verantwortlichen bei VW wie bei anderen Autokonzernen hatten wohl die Hoffnung, sich um die schärferen Tests (WLTP) und Umweltauflagen drücken zu können. Obwohl die Vorbereitungszeit drei Jahre betrug, wird „dieses Thema uns einige Monate beschäftigen, bis wir in den Werken wieder zu einer normalen Fahrweise kommen“, so Herbert Diess an die Beschäftigten. Das sieht der Betriebsrat ähnlich: „Nach dem Sommer gehen wir in eine Zeit der Ungewissheit“, so der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh mit Blick auf die Kurzarbeit, die an den Standorten vereinbart wurde und mit Blick auf den Personalabbau in Werken in Mexiko, Brasilien, Argentinien und Südafrika.

EU-Kommission und Umweltverbände wittern indes den erneuten Versuch, Abgaswerte jetzt künstlich hochzutreiben, um ab 2030 weniger anspruchsvolle Ziele erfüllen zu müssen: Die Vorschläge der EU-Kommission sehen vor, dass der CO2-Ausstoß von neuen PKW ab 2030 um 30 Prozent niedriger liegen soll als 2021.

Im Prognose-, Risiko- und Chancenbericht sind vor allem das „konjunkturelle Umfeld“, also durch Sparpolitik gesunkene Kaufkraft in vielen Ländern sowie die daraus resultierende „Wettbewerbsintensität“ als Risiko beschrieben. Genannt wird eine große Anzahl von Betrugs- und kartellrechtlichen Prozessen sowie Prozessen aktienrechtlicher Art in fast allen Ländern dieser Erde. Die Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften in Braunschweig, Stuttgart und München werden genannt, z.B.: „Die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigt, dass sie gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswage AG in bezüglich einer eventuellen Beteiligung an einer möglichen Marktmanipulation ermittelt. … Die Untersuchungen befinden sich in einem frühen Stadium.“  Aus den USA wird unter anderem vermerkt, dass „eine Klage gegen die Volkswagen AG und drei frühere sowie ein amtierendes Vorstandsmitglied eingereicht ist. Die Kläger machen Ansprüche geltend bezüglich der Compliance-Maßnahmen – insbesondere in wettbewerbs- und kartellrechtlicher Hinsicht – wesentliche Falschaussagen getätigt und Tatsachen ausgelassen zu haben.“ Bezogen auf die Verhaftung und andauernde Untersuchungshaft des Audi-Vorstandscehfs und Konzernvorstandsmitglied Rupert Stadler heißt es im Risikobericht: „Vorgeworfen wird dem Beschuldigten u.a. Betrug im Zusammenhang mit dem Verkauf von Dieselfahrzeugen im Zeitraum nach Herbst 2015. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem Zusammenhang gegen 20 Personen. Audi hat zwei renommierte Großkanzleien mit der Aufklärung des Sachverhaltes beauftragt.“ Angesichts der Weigerung von Volkswagen bis hin zum Bundesverfassungsgericht, die Ergebnisse der Ermittlungen der Kanzlei Jones Day der Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stellen, liest sich die Erklärung zur Kooperation mit den Behörden geradezu zynisch. Es werden Heerscharen von Anwälten beschäftigt, um die Forderungen von Staaten, Umweltbehörden und Kunden abzuwehren.

Für 2018 sind über 5 Milliarden Euro zurückgestellt für Kosten aus dem Abgasbetrug; eine Milliarde davon hat Volkswagen jüngst als Bußgeld an die niedersächsische Landeskasse überwiesen. Bedeutsam ist, wie dieses Bußgeld von der Staatsanwaltschaft begründet wurde:  Es geht um fahrlässige Aufsichtspflichtverletzungen bei der Auslieferung von fast 11 Millionen Dieselfahrzeugen; die Summe setzt sich zusammen aus 5 Millionen Euro als Höchstmaß einer Ahndung sowie aus 995 Millionen Euro „Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile“.  Damit ist die Betrugsdividende gemeint, die aber tatsächlich längst an die Großaktionäre weitergereicht wurde. Also müsste eigentlich der Porsche-Piëch-Clan dafür vor den Kadi und diese „Hehlerware“ abliefern, wie jeder andere Betrüger.

Noch stehen viele Prozesse aus, es gibt jedoch auch Urteile gegen VW und es wurden milliardenschwere Vergleiche abgeschlossen – alles zusammen Umstände, die die Bilanz belasten und die Verkäufe erschweren. Aber es kommt noch dicker: Der voraussichtliche Rückruf von über 120.000 Elektrofahrzeugen wegen der Verwendung von krebserregendem Cadmium wurde am Tag vor der Veröffentlichung des Halbjahresberichtes bekannt und floss also in den Risikobericht noch nicht ein.

Die Regierung vom Autoland ficht das alles nicht an. Während für die Landwirtschaft vorläufig keine Dürrehilfe in Aussicht ist, legt die Bundesregierung – dem Klimawandel zum Trotz – ein umweltschädliches und unsoziales Konjunkturprogramm von zwei Milliarden Euro für die Autoindustrie auf: E- und Hybridautos sollen als Dienst- und Geschäftsfahrzeuge künftig nur noch mit dem halben Steuersatz von 0,5 Prozent auf den Listenpreis als geldwertem Vorteil versteuert werden. Das Ergebnis werden wir in der nächsten Bilanz von Volkswagen sehen. Die Manager und den Porsche-Pi ch-Clan freut es, die Beschäftigten in Wolfsburg und Zwickau bewahrt es jedoch nicht von der anstehenden Kurzarbeit.

Veröffentlicht in junge welt, 2.8.2018

https://www.jungewelt.de/artikel/337205.volkswagen-ag-schlechte-zeiten-f%C3%BCr-wen.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert