Der Angriff auf unser Leben – unsere Zeit ist unser Leben!

Arbeitgeber und FDP trommeln für die Auflösung des 8-Stunden-Tages

Im November 1918 wurde durch Beschluss des Rates der Volkskommissare der 8-Stunden-Tag zum Gesetz erhoben. Seither konnten tarifliche Verbesserungen erkämpft werden, so die 5-Tage-Woche (Samstag gehört Pappi mir) und die 35-Stunden-Woche (Mehr Zeit zum leben, lieben, lachen). Damit haben sich die Arbeitgeber nie abgefunden. Jetzt blasen sie zum roll back und schicken als erstes die FDP vor, die am 15. März im Bundestag einen entsprechenden Antrag eingebracht hat. Per Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD soll in „Experimentierräumen“ eine „Flexibilisierung“ der täglichen Höchstarbeitszeit möglich sein. Wir brauchen jedoch Arbeitszeitverkürzung und eine faire Verteilung aller Arbeit – der Lohnerwerbsarbeit wie der unbezahlten Arbeit in der Familie und in der Gesellschaft: ein neues Normalarbeitsverhältnis, Kurze Vollzeit für Alle! Am Donnerstag, 15. März 2018, wurde im Bundestag der Gesetzesentwurf von der FDP eingebracht mit folgenden Wortlaut: „Anstelle einer werktäglichen Höchstarbeitszeit (ist) eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden festzulegen“. Begründung: „Die Digitalisierung ist einer der wichtigsten Wachstumstreiber … blablabla europarechtskonform … blablabla“. Dieses fiese Vorhaben hatte die FDP als Arbeitgeberlobby bereits in die Verhandlungen zu einer Jamaika-Koalition eingebracht, schließlich wollte Lindner dann aber doch nicht regieren. Dennoch kann nicht Entwarnung gegeben werden, denn im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SDP auf „Experimentierräume“ zur Flexibilisierung der täglichen Höchstarbeitszeit verständigt ebenso eine Ausweitung von Langzeitkonten und Minijobs.

Alles läuft wunschgemäß für die Arbeitgeber

Die Arbeitszeit der abhängig Beschäftigten soll verlängert werden. Schluss mit dem 8-Stunden-Tag, der von 100 Jahren, im November 1918 nach Jahrzehnten teils blutiger Kämpfe, vom Rat der Volkskommissare zum Gesetz in Deutschland erhoben wurde – übrigens mit vollem Lohnausgleich und inklusive der Pausen: „Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit einschließlich der Pausen darf die Dauer von acht Stunden nicht überschreiten.“ Das wollen die Arbeitgeber, die FDP, die CDU/CSU und die SPD jetzt aufheben – die Novemberrevolution so weit wie irgend möglich rückabwickeln. Eine unglaubliche Schande!

Schluss soll sein mit der 35-Stunden-Woche, die Mitte der 1990er Jahre nach zehnjährigem Kampf in einigen Branchen tariflich vereinbart wurde. Auch dieser Erfolg der Gewerkschaftsbewegung, dieser Sieg der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse über die politische Ökonomie und die Herrschaft des Kapitals soll zurück abgewickelt werden. Helmut Kohl bezeichnete die 35-Stunden-Woche noch während der Auseinandersetzung als dumm, töricht und absurd.

Und heute? Die Arbeitgeber tun so, als hätten alle Beschäftigten in Deutschland einen nine-to-five-Job. „Fakt ist, dass rund ein Viertel auch am Abend und am Wochenende arbeitet oder in der Freizeit erreichbar sein muss“, sagt Annelie Buntenbach vom DGB (ND, 15.3.2018). Die DGB-Arbeitsmarktexpertin verweist zudem auf fast zwei Milliarden Überstunden, von denen eine Milliarde nicht bezahlt werde. Dazu kommen eine Vielzahl an flexiblen Arbeitszeitmodellen, die das Arbeitszeitgesetz zulässt – von Schichten über Gleitkonten bis zu Arbeitszeitkorridoren. Wer hineinschaut, wird überrascht sein, wie groß die Spielräume bereits sind. Bis zu zehn Stunden Arbeit am Tag oder von elf auf neun Stunden verkürzte Ruhezeiten – das ist oft längst erlaubt, wenn es denn in einem bestimmten Zeitraum ausgeglichen wird. Fast alle Regeln lassen eine Vielzahl an Ausnahmen zu – für bestimmte Berufsgruppen, ob Krankenschwester, Busfahrer, Angestellte im Gastgewerbe, Rundfunkjournalisten oder Landwirte – oder für verschiedene Arbeitszeitmodelle.

Die Wünsche der Beschäftigten

In einer sehr großen und repräsentativen Befragung durch die IG Metall haben mehr als 2/3 der 700.000 Befragten den Wunsch geäußert, 35 Stunden und weniger pro Woche zu arbeiten. Das steht nicht nur im Widerspruch zu den Absichten der Arbeitgeber. Es steht auch in einem seltsamen Widerspruch zu den Aussagen vieler Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplin, die vom Wunsch nach Flexibilisierung seitens der abhängig Beschäftigten sprechen. Natürlich gibt es in verschiedenen Lebenssituationen unterschiedliche Arbeitszeitbedürfnisse – und das schon, seit es Lohnarbeit gibt; abhängig von Lebensalter, von der konkreten Tätigkeit im Betrieb,von der Familiensituation und der eigenen Gesundheit. Aber gemeinsam ist das Interesse, insgesamt kürzer zu arbeiten.

Nehmen wir nur den Unterschied zwischen repetitiver und kreativer Arbeit: Taktbindung gibt es in der Produktion und in der Verwaltung, Kreativität gibt es in der Entwicklungsabteilung wie in der Produktion – und alles ändert sich gerade, so auch die Arbeitszeit-Bedürfnisse. Wer taktgebunden, womöglich in  Schicht arbeitet, hat das dringende Bedürfnis der tägliche Arbeitszeitverkürzung: Möglichst nicht mehr als den 6-Stunden-Tag. Wer kreativ tätig sein kann, möchte einen „Job“ fertig machen, die Konstruktion vollenden, die sprudelnden Ideen aufs Papier oder in den PC bringen – eine Woche durcharbeiten ist dann das Bedürfnis, wenn nötig auch jeden Tag 10 Stunden. Aber wenn das Projekt fertig ist, wenn die Batterien dann leer sind, dann muss auch mal Pause sein – die Mehrarbeit muss unmittelbar in Freizeit umgewandelt werden und das nächste Projekt macht die Kollegin oder der Kollege, der vorher seine Freizeit entnommen hatte. Allen gemeinsam ist das Interesse an vereinbarkeit von Familie und Beruf, an insgesamt kürzerer Arbeitszeit und längerer Zeit für sich selbst, für die Familie, für Hobby, für Vereine, für gesellschaftliches und politisches Engagement.

Das ist auch ökonomisch geboten.

Es macht auch volkswirtschaftlich keinen Sinn, die Beschäftigten überlang arbeiten zu lassen. Die gesellschaftlichen Kosten dafür sind viel zu hoch. Aber das schert wiederum den einzelnen, nur betriebswirtschaftlich denkenden Arbeitgeber nicht, werden die Kosten doch auf die Allgemeinheit abgewälzt, während der Profit schön privatisiert wird. Bei längerer täglicher Arbeitszeit steigt die Unfallhäufigkeit – proportional zu Länge der Arbeitszeit. Umgekehrt sinkt die Produktivität, je länger eine Person täglich arbeiten muss. Deshalb sind Pausen geboten – sowohl während der Arbeitszeit als auch zur Erholung zwischen den Arbeitstagen. Am schnellsten und umfangreichsten wachsen gerade die arbeitsbedingten Erkrankungen, die auf zu lange Arbeitszeiten zurückzuführen sind: Stress kann tödlich sein, wenn der Körper die Notbremse zieht. Burnout ist ein Zustand tiefer emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung. Das persönliche und familiäre Leid für die Betroffenen Personen ist unermesslich, die gesellschaftlichen Kosten sind immens. Deshalb ist eine Verlängerung des Arbeitstages, wie die Arbeitgeber und ihre Lobby das wünschen, gesellschaftsunverträglich und letztlich auch unverantwortlich. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, so heißt es im Artikel 2 unseres Grundgesetzes.

Aber die Arbeitgeber wünschen nicht nur, sie tun es auch – oft gegen Recht und Gesetz. Die Firma Knorr-Bremse zum Beispiel: Die Eigentümer, die Familie des vielfachen Milliardärs Heinz Hermann Thiele, verlassen mit der angekauften Firma Power Tech den Tarifvertrag und verodnen ihren Beschäftigten die 42-Stunden-Woche. Das Entgelt dagegen verbleibt auch dem Stand der vorherigen 35-Stunden-Woche. Jede Woche sieben Stunden unbezahlt zur Vermehrung des märchenhaften Vermögens einer Familie, die den Hals nicht voll bekommen kann.

Einer der Unternehmerverbände, die am lautesten für die Arbeitszeitverlängerung trommeln, ist der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga): Das starre Arbeitszeitgesetz würde dazu führen, dass Familienfeiern nach 8 Stunden abrupt beendet werden müssten und dass Reisegesellschaften bei Bus-Verspätungen kein Essen mehr serviert bekommen können. So einfach macht sich die Dehoga die Welt. Daran wird deutlich, worum es eigentlich geht: Schwankende Nachfrage, launiges Wetter oder andere Unwägbarkeiten – diese Riskiken sollen auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Eine gesetzeskonforme und menschliche Lösung wäre dabei ganz einfach: Gastwirte und Hoteliers planen einfach ausreichend Personal und einen zeitlichen Puffer ein. Gute Gastwirte machen das ohnehin. Und wer lässt sich schon gerne von gestressten kellner bedienen, wer möchte das Essen von überlasteten Köchinnen essen?

Mehr Zeit zum leben, lieben, lachen

Im November 1918 wurde durch Beschluss des Rates der Volkskommissare der 8-Stunden-Tag zum Gesetz erhoben. Damit haben sich die Arbeitgeber nie abgefunden, jetzt planen sie ein vollständiges roll back. Hier zunächst nur ganz kurz angerissen: Wir brauchen ein Bündnis für den 8-Stunden-Tag und für die gerechte Verteilung aller Arbeit; sowohl der Erwerbsarbeit als auch der gesellschaftlich notwendigen Familienarbeit, des ehrenamtlichen und politische Engagements und der kulturellen Arbeit.

Zum neoliebralen Angriff auf den 8-Stunden-Tag dürfen wir nicht schweigen. Nötig ist ein Bündnis / eine Allianz zur Verteidigung des 8-Stundes-Tages. Mit dabei könnten und sollten sein: Attac, die Gewerkschaften, Sozailverbände, Kirchen, Sportverbände, Krankenkassen, Frauenorganisationen, Väterorganisationen … usw., die die gesellschaftlichen Folgen von Arbeitszeitflexibilisierung bzw. Arbeitszeitverlängerung kennen, aufzeigen und deswegen eine Kampagne zur Verteidigung des 8-Stunden-Tages starten: Hände weg vom 8-Stunden-Tag, Hände weg von unserer Lebenszeit! Unsere Zeit ist unser Leben!

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1082506.arbeitszeitgesetz-im-bundestag-ins-uferlose.html?sstr=arbeitszeit

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1082505.tarifpolitik-unter-dem-deckmantel-der-gastfreundschaft.html?sstr=arbeitszeit

Ein Gedanke zu „Der Angriff auf unser Leben – unsere Zeit ist unser Leben!“

  1. Danke für die umfassende Stellungnahme zu dem Vorstoß der FDP, der den Neoliberalen von SPD bis AfD ins Konzept passt. Ich werde nächste Woche zu dem Artikel im nd eine Leserzuschrift verfassen und auf die Attac-AG Bezug nehmen.
    Die Vernetzung mit anderen Organisationen und Gruppen halte ich für richtig. Der Gaststättenverband Sachsen hat in der Sächsischen Zeitung gerade in die gleiche „Kerbe“ der FDP gehauen.

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